Sentimentalitis, reloaded
30. Januar 2012
Der große Sohn packte erneut sein Köfferchen, heute jedoch nur für eine Nacht. Auf einen Empfang geht es heute abend, weiß der Geier wer warum empfangen wird, Mütter von 16jährigen erfahren auch nicht mehr alles. Vor allem dann nicht, wenn sie zu beharrlich nachfragen. Jedenfalls wird es spät heute und deshalb übernachtet der Sohn direkt auswärts. „Ist ja praktischer“, sagt er und ich frage mich, warum genau es wichtig war, dass er mein tolles großes Nähzimmer bekam, ein Schrank unter der Treppe hätte es doch auch getan.
„Tschüss Kleiner!“, gab ich ihm zum Abschied mit und er lächelte milde fünfzehn Zentimeter auf mich herab, einen Klecks Rasierschaum am Kinn kleben habend.
Ich bin also Mutter eines fast erwachsenen Sohnes. Nun denn, ist gar nicht so schlecht. Heute morgen hat er zum zweiten Mal gelernt, wie die Waschmaschine funktioniert. Wenn er das verinnerlicht hat, kann er ausziehen. (und ich bringe ihm am Wochenende meine Wäsche)
Vor zehn Jahren sah das so aus:
(nach dem click!)
Hausaufgaben – Hassaufgaben
Seit fast zwei Monaten ist mein Großer jetzt ein Schulkind. Ein richtiges Schulkind!
Mit einem dicken Kloß im Hals habe ich ihn nach der Einschulungsfeier mit seiner Klassenlehrerin zur ersten Schulstunde entlassen.
Voller Zweifel habe den Schulranzen auf Beinen zum Abschied geküsst, denn den Schulweg bringt er ohne mich hinter sich.
„Ich bin doch schon groß!“, sagt er.
Und jetzt ist die Schule Alltag geworden.
Aufstehen mag er morgens nicht mehr. Als er noch ein Kindergartenkind war, begann sein Tag um 6:30 Uhr, jetzt quält er sich um 7:00 Uhr aus dem Bett, murrend und maulend. Ausser am Wochenende, da ist er pünktlich um halb sieben wach.
Wochenenden sind viel schöner als Schultage, die besten Fächer sind Sport und Pause, und bald sind endlich Herbstferien.
Und die Hausaufgaben? Am zweiten Schultag wurden sie eingeführt, ein Bild malen. Er malt nicht gerne, insofern war das ein schlechter Start, denn ihm dämmerte, dass Hausaufgaben gar nicht so toll sind.
Am nächsten Tag hatte er die Hausaufgaben vergessen. Ich ließ ihn einen Klassenkameraden anrufen.
Wiederum einen Tag später hatte er das Arbeitsblatt, auf dem Hausaufgaben zu erledigen waren, vergessen.
Ich kopierte das Blatt seines Schulkameraden. „Morgen lass ich Dich auflaufen!“, schwor ich ihm.
Scheinbar hatte er mich verstanden, seine Vergesslichkeit war auf wundersame Weise verschwunden und er erledigte seine Hausaufgaben. Langsam und mürrisch.
Und dann gings los.
„Heute haben wir die EINS gelernt! Und als Hausaufgabe sollen wir eine Seite voller Einser schreiben.“
Die erste Reihe Einser verbrauchte einen halben Radiergummi.
Die zweite Reihe wurde nur durch lauten Gesang erträglich.
Die dritte Reihe war dämlich, er verprügelte den Tisch.
Die vierte Reihe bescheuert, er schmiss den Stift durch die Küche.
Die fünfte Reihe führte zu Hasstiraden auf die Schule, sein Schimpfwortschatz hat sich erheblich vergrößert!.
Die sechste Reihe war von Tränen verschmiert.
Die siebte und letzte Reihe war nach knapp zwei Stunden endlich geschrieben.
Das Kind pfefferte sein Heft in den Ranzen, schluchzte jämmerlich bei dem Gedanken daran, dass er kein Kindergartenkind mehr ist und ging seinen Frust an seinen Geschwistern abreagieren.
Am nächsten Morgen ging er wieder singend zur Schule. Und mittags wiederholte sich die ganze Geschichte, diesmal mit der zwei. Mit etlichen Pausen, Beschwichtigungen und Ermutigungen kam er auf fast drei Stunden.
Mir begann es vor den Hausaufgaben zu grauen. Jeden Mittag tobte mein Kind am Tisch herum, seine Geschwister flüchteten ins Kinderzimmer und ich durfte mich nicht entfernen.
Zum Glück stand der erste Elternabend an. Meine Fragen hinsichtlich Dauer der und Hilfestellung bei den Hausaufgaben wurden kurz und knapp beantwortet: „Maximal eine halbe Stunde und die Kinder sollten allein sein, braucht das Kind erheblich länger, soll es abbrechen!“
Prima. Hatte ich doch alles falsch gemacht.
Der Mittag nach dem Elternabend:
„Heute muss ich Sechser schreiben, schon wieder so viele!“, bereitete sich mein Großer auf eine neue Runde „Mach-die-Alte-fertig“ vor.
„Deine Lehrerin hat mir gesagt, wie das mit den Hausaufgaben geht!“, warf ich den Fehdehandschuh zurück, endlich mit Autorität im Nacken.
„Ich darf nicht in der Küche bleiben und Du sollst in einer halben Stunde fertig sein, ich stelle den Wecker.“
„Und wenn ich es trotzdem nicht schaffe?“, er versuchte es mit allen Tricks.
„Dann sollst du trotzdem aufhören.“
„Aber dann krieg ich keinen STEMPEL!“, das Kind war völlig entsetzt.
„Na, dann sieh zu, dass du fertig wirst.“, Mütter können so herzlos sein.
Ich stellte den Küchenwecker auf 30 Minuten und schloss die Küchentür hinter mir. Aus der Küche drang Fluchen, Stampfen, auf den Tisch hauen, ab und zu ein herzhaftes „Scheisse!“ … und nach 15 Minuten stürmte mein stolzes Kind durch die Tür:
„Ich bin VOR dem Wecker fertig geworden, ging ja babyeinfach!“
Seitdem arbeitet er mit Wecker, er schafft es immer vor dem Klingeln.
Vielleicht führe ich demnächst ein, dass seine Klassenlehrerin darauf besteht, dass sich die Kinder morgens innerhalb von fünf Minuten anziehen, dass das Frühstück längstens eine halbe Stunde gehen darf und dass abends im Bad auch nicht mehr als zehn Minuten vergehen dürfen.
Nach dem nächsten Elternabend.
30. Januar 2012 um 16:52
Herrlich!!! Wieder mal mir aus dem Herzen geschrieben, denn genau so ist es gewesen.
Lieben Gruß
moni
30. Januar 2012 um 17:56
Ohweh, ja, genau so ist es. Bei uns immer noch. Irgendwo haben wir da wohl den Absprung aus der Küche verpasst… Naja, alles wird gut! herzlichen Glückwunsch zum flügge gewordenen Großen! Macht ja auch dolle stolz! (Vor allem, wenn noch kleines Gemüse zuhause ist ;-) Liebe Grüße, Regina
30. Januar 2012 um 18:15
Wie wunderbar. Teil zwei (bzw. eins) Ihrer Geschichte habe ich vor 4 Jahren auch erlebt. Auf den riesigen mind. 15cm grösseren Sohn warte ich noch ein paar Jährchen.
30. Januar 2012 um 19:00
ja, große Kinder sind toll! (meistens…)
Und auch ja zu den Hausaugabenerfahrungen. Ich bin sooooo froh, dass das vorbei ist.
30. Januar 2012 um 19:05
Ich habe zwar keine Kinder-aber der Text hat mich trotzdem zum schmunzeln gebracht. Ein bisschen Angst habe ich jetzt aber schon vor der Zukunft-irgendwann werde ich vielleicht auch Kinder und Hausaufgabenbetreuung vor mir haben-dann werde ich bestimmt an diesen herrlichen Post denken müssen. Vielen, vielen Dank!
30. Januar 2012 um 19:27
Kreisch, mein Großer kommt im September in die Schule und ich sehe schreckliche Nachmittage auf mich zukommen :)
Danke für diesen herrlichen Post.
30. Januar 2012 um 20:39
Na da haben Sie uns ja zu ca. 98% perfekt getroffen ;o). Nur, daß hier die kleinen Geschwister nicht freiwillig im Kinderzimmer verschwinden, sondern mit massivsten Drohungen (Fernseh- oder Süßigkeiten-Entzug) davon abgehalten werden müssen, das Eßzimmer zu entern ;o).
Danke für den Schmunzelfaktor.
LG
Tanja
30. Januar 2012 um 20:52
Ohh, ich kann es ja heute schon so gut verstehen, diese Sentimentalität und mein Kind ist erst 8 Jahre alt. Aber gefühlt ist es gestern eingeschult worden und jetzt kommt sie im Sommer in die 3.Klasse… ich fürchte, ich kann auch schon bald so einen Blogeintrag schreiben über ein halberwachsenes Teenagerkind *heul*.. nein, hat alles seine wunderschönen (und auch mal nicht *hust*) Zeiten!
30. Januar 2012 um 21:03
Hülfe, Sie machen mir Angst!
Mein Großer kommt im Sommer zur Schule. Im Moment steht er selten nach sieben auf, auch nicht am Wochenende. Er malt auch nicht gerne und ich seh ihn schon toben.
Am besten ich speichere mir diesen Artikel in den Favoriten (und vermutlich etliche folgende auch – so lange lese ich dann doch noch nicht mit).
Vielen Dank trotzdem – ich habe herrlich gelacht!
Einen schönen Abend wünscht
Caramellita
PS: Werden die wirklich so schnell groß?! ;-)
31. Januar 2012 um 11:00
Jetzt weiß ich was nächstes Jahr auf uns zu kommt.
Sind die 10 Jahre schnell rumgegangen?
31. Januar 2012 um 14:12
So richtig schön aus dem Leben gegriffen. Bei uns kam heute Nachmittag noch die verschärfte Variante der Hausaufgaben: Lernen, auch wenn man Streit mit der allerbesten Freundin hat. Und sind wir mal ehrlich: das interessiert morgen keine Lehrerin, wenn die Aufgaben wegen gebrochenen Herzens nicht erledigt worden sind.
Liebe Grüsse von einer, die erst in der zweiten Klasse angekommen ist
31. Januar 2012 um 18:50
Liebe Frau…äh… Mutti,
nun lese ich schon so lange bei Ihnen mit (ja, wirklich), dass ich Ihnen doch mal einen Kommentar hierlassen muss.
Sonst kommen Sie noch auf blogmüde Ideen. (Sie haben mir vor kurzem übrigens einen Schrecken eingejagt, aber das ging ja den anderen Leserinnen auch so, nicht wahr?)
Was hat mich dieser Eintrag wieder zum herzhaftesten Lachen gebracht (und meine Familie…, und meine Katzen). Ihre Anekdoten sind ganz ganz wunderbar – sowas findet man selten, und erst recht seltenst im großen Internet. Das können Sie ruhig glauben.
Bitte, machen Sie weiter so. Und ganz herzliche Grüße an den großen Sohn und alle anderen Bestien in der grünen, na Sie wissen ja! ;)
die grüne Fee
31. Januar 2012 um 21:39
Sehr geehrte Frau … äh … Mutti,
na, da haben wir’s doch mal wieder: das schlagende Argument, warum Sie bloggen sollen – nein – müssen!!
Oder woher hätten wir dieses Schmankerl sonst bekommen sollen? Wenn’s nicht in den Tiefen Ihres Archivs geruht hat, dann haben Sie’s wohl direkt von Ihrer Festplatte im Oberstübchen downgeloadet. ;-)
Vielen herzlichen Dank dafür –
es war mal wieder vom Feinsten!
Brigitte
1. Februar 2012 um 09:31
Guten Morgen,
da meine Kinder schon groß sind bzw. erwachsen erinnert mich dieser Blogeintrag doch herrlich an unsere Zeit in der Schule, Hausaufgaben brauche man doch nicht meinte unsere kleine Tochter nach einem halben Jahr Schule die sind sch…….
Was bin ich doch froh das wir diese Zeit unbeschadet überstanden habe.Hach….
Manchmal frage ich mich doch wo ist die Zeit hin als die Kinder noch klein waren.
Vielen Dank für diese kleine Geschichte über die Kindelein.
Sabine