Heute morgen

14. August 2012

saß ich im Weltladen und fand es ziemlich doof meine Zeit dort zu verschwenden. Keine Kundschaft weit und breit, obwohl eine Menge Menschen auf der Straße unterwegs waren. Bevor ich mich in richtig schlechte Laune steigern konnte, schaute ich genauer hin und verstand, warum keiner mal eben ein halbes Pfund Kaffee oder eine Tafel Schokolade kaufen wollte: heute war die Einschulung der neuen ABC-Schützen. Allerniedlichste kleine Jungen und Mädchen hinter riesigen, quietschebunten Schultüten, den nagelneuen, noch viel zu großen Ranzen auf den schmächtigen Schultern. Von einem Ohr bis zum anderen grinsend und stolz. So stolz! (die Familienangehörigen in Festtagskleidung und nicht minder breit grinsend)

Es ist ziemlich lange her, seit unser großer Sohn eingeschult wurde, tatsächlich wird er bald „ausgeschult“, nächstes Schuljahr schreibt er sein Abitur. Als er damals mit vielen anderen ABC-Schützen auf der Bühne in der Turnhalle der Grundschule stand, war ich wahrscheinlich nicht weniger aufgeregt als er, neuer Lebensabschnitt und so weiter. Von Anfang an hasste ich den Satz „jetzt beginnt der Ernst des Lebens“, den ich an diesem Tag ständig hörte, stets mit unheilschwangerem Unterton geraunt. Als sei Lernen etwas Fürchterliches, als sei die Freude am Leben nun unwiderbringlich vorbei. Lernen macht doch Spaß, Kinder sind neugierig und wissbegierig! Das jedenfalls hörten wir im Kindergarten ständig und ja, so hatte ich das auch während meiner Ausbildung gelernt.

Das mit diesem Satz nicht das Leben des Kindes sondern das seiner Eltern gemeint war, wurde mir wenig später klar.

Die Freude am Lernen verließ den großen Sohn nämlich etwa in der zweiten Schulwoche, als er feststellte, dass diese Hausaufgaben-Sache doch mehr als lästig ist. Und langweilig. Schwungübungen zum Beispiel hielt er für völlig überbewertet. Eine Din A4- Seite mit Dachziegel- oder Wellenlinien zu füllen schien ihm völlig sinnlos und was nutzt der Buchstabe „u“ für sich alleine, da kann man doch nix mit anfangen. Im Fach „Rechnen“ wurde nicht gerechnet, sehr zu seinem Unmut, sondern das Schreiben der Zahlen geübt. Wiederum eine Din A4-Seite gab es auszufüllen, eine große Zahl in der Mitte sollte vielfarbig nachgefahren werden, etwas kleinere Zahlen um die große Zahl herum mit Bleistift und dann kleine und sehr kleine Kästchen am Blattrand entlang mit der zu lernenden Zahl gefüllt werden. Als er die Eins lernte, reihte er gewissenhaft alle Buntstifte an seinem Arbeitsplatz auf, spitzte konzentriert seinen Bleistift und begann enthusiastisch. Nachdem er die Zahl in der Mitte mit drei Farben nachgefahren, viele der mit Bleistift nachzuschreibenen Einser und einen Teil der Kästchen drumherum ausgefüllt hatte, verkündete er, dass er das Prinzip Einser schreiben verstanden habe und sich nun wichtigeren Dingen widmen würde. Der playmobil-Ritterburg zum Beispiel. Ich hatte allerdings andere Pläne und nötigte ihn, sein Hausaufgaben zu beenden. Was er wütend und unentspannt tat.

Am nächsten Tag durfte er die Zwei üben. Und als am dritten Tag die Drei als Hausaufgabe zu lernen war, flogen Bleistifte und Radiergummi durch die Küche und das Unverständnis meines Sohnes für Scheiß-Hausaufgaben die so was von sinnlos sind, weil schließlich KANN er die Drei schreiben, sogar schon die VIER und überhaupt ist Schule eher saublöd und wenn sich das nicht ändert, will er da auch nicht mehr hin.

Stellen Sie sich bitte meine Grätsche vor. Einerseits stimmte ich aus vollstem Herzen zu. Dämliche Hausaufgabe, langweilige Hausaufgabe. Andererseits weiß ich um den Effekt des Übens und ahnte, dass hier sehr viel mehr als die ollen Zahlen richtig zu schreiben geübt wird.

Am Elternabend, der am Abend der Drei stattfand, wurde uns Eltern mitgeteilt, dass die Kinder maximal eine halbe Stunde an den Aufgaben sitzen sollten, andernfalls sollten sie abbrechen. Mein ungeduldiger Knabe motzte, argumentierte und trotze gerne eine Stunde vor sich hin, bis die Aufgaben erledigt waren. Ich teilte ihm am folgenden Tag, dem Tag der Vier, mit, dass die Lehrerin einen Abbruch legitimiert hatte, sollte ein bestimmtes Zeitllimt überstiegen sein und rechnete mit Erleichterung seitens meines Sohnes. Überraschenderweise stieß meine Aussage auf blankes Entsetzen: „Aber dann krieg ich keinen STEMPEL!“ Richtig. Der Motativationsstempel. Nachdem dieser Stempel als lebenswichtig eingeführt war, lief das mit den Hausaufgaben dann recht zügig.

Unglücklicherweise lässt die motivierende Wirkung von Stempeln relativ früh wieder nach und ich sehnte mich sehr danach zurück, als es ein paar Jahre später um das Lernen der Vokabeln ging. Denn Vokabeln müssen eben auswendig gelernt werden und wenn man nun kein Sprachgenie ist, dann ist das harte Arbeit. Und besonders harte Arbeit, wenn man ein paar Wochen lang keine Vokabeln lernt und dann auf einen Schlag vierzig nachholen muss. Dann gilt es sogar den Ernst der Lage zu begreifen, auch für das Kind.

Wir haben die längste Wegstrecke dieser Schulsache hinter uns.  Fast sicher habe ich jede Ausrede bezüglich nicht gemachter Hausaufgaben gehört, die meisten Schimpfworte wegen Hausaufgaben und über Lehrer wahrscheinlich auch. Ein paarmal war ich ziemlich verzweifelt und mutlos, ziemlich oft habe ich am Abend, wenn ich dem besten Vater meiner Kinder vom Tag erzählte, wieder lauthals lachen können. Zwei der drei Kindelein haben die Pflicht schon hinter sich und laufen die Kür. Kaum vorstellbar, dass sie ungefähr vorgestern auch erst Ranzen auf Beinen (freundliches Winken zu Frau Brüllen) waren.

 

*****

Sollten Sie dieses Jahr ein Kind eingeschult haben, dann greifen Sie auch mal in die Schultüte und versüßen Sie sich den neuen Lebensabschnitt. Haben Sie garantiert verdient.

15 Kommentare zu “Heute morgen”

  1. Zwitscherling sagt:

    Hallo Frau ..ähh ..Mutti,
    danke, das hab ich gebraucht …. nächste Woche ist es soweit und hier läuft wirklich der Ranzen mit Beinen!!
    Liebe Grüße
    Kerstin

  2. pocalinde sagt:

    HAHAHAAAAA *gg* danke, wir sind noch mitten drin, statt schon dran vorbei *gg* und herrsohn ist genauSO wie dein großer war… ich bin optimistisch und wenn ich in ein paar jahren sagen kann „er macht nächstes jahr abi“ dann hat sich das ganze theater ja gelohnt!!!!
    Die missi ist übrigens seeehr viel weniger anstrengend!!
    LG nadine

  3. frau bruellen sagt:

    hach. hier duerfen die hausaufgaben max. 10-20 min dauern. ueber den einsatz von stempeln ist noch nichts bekannt. dafuer hat sich streber-q. heute von der lehrerin rechenaufgabem geben lassen, als sie eigentlich haetten spielen duerfen ;-)….

  4. mol sagt:

    Danke,Frau…äh…mutti, hab heute Morgen den Zwerglein auch mit Rührung nachgeschaut und mir überlegt, was wir denn so falsch machen, dass die Freude am Lernen so schnell verlorengeht.
    Meine haben die Schule auch hinter sich. Wird aber doch nicht alles nur einfacher… ;-)Obschon ich den Spruch von den kleinen und grossen Kindern und Sorgen extrem blöd finde! Unsere Kinder sind unsere Kinder und egal ob klein oder gross, wir haben sie so gerne, dass ihr Schmerz auch unserer ist. Aber auch ihre Freude, ihr Lachen, ihre Liebe!

  5. Mathilda sagt:

    Danke für das “ Mutmachen“, bei uns ist es im September so weit und ich bekomme jetzt schon beim Gitarre üben zu hören, bist du der Lehrer oder der Herr W?
    Ich werde wohl ganz viel Süßigkeiten in die Tüte packen:)
    Liebe Grüße
    Mathilda

  6. Astridka sagt:

    Liebe Frau…äh…Mutti, Ihre Beobachtungen zum Lernen in der Schule sind mit ein Grund, dass ich mich hier freue, dass mir dies nächste Woche erspart bleibt!
    Denn nach vier Jahren hintereinander, in denen ich Kinder im 1. Schuljahr die Freude am Lernen genommen oder nicht zurückgegeben habe, hatte ich keine Lust mehr dazu & mache jetzt ein Sabbatjahr, in dem ich aber auch nicht darüber nachgrübeln werde, warum wir es nicht schaffen, unseren Kindern die Freude am Selbertun & Lernen zu erhalten. Da gucke ich lieber meinem kleinen Enkelkind beim Selberlernen zu.
    Schön, dass Sie sich wieder regelmäßig zu Dingen des Alltags äußern. Habe Sie vermisst in den Sommerferien.

    Liebe Grüße
    Astridka

  7. Claudia aus Wedel sagt:

    Ich greif dann mal ihren Vorschlag auf und in die Schultüte des Mittleren, der letzte Woche eingeschult wurde. Seit gestern meistert er den Schulweg alleine, heute hat auch das Treffen mit seinem Klassenkumpel auf halber Strecke geklappt – Montag hatten sie sich verpasst und er aber trotzdem pünktlich die Schule gefunden, das beruhigt! Hach ja*seufz*wo ist die Zeit geblieben, gestern war er doch noch Baby… Der Große kam hier übrigens am selben Tag aufs Gymnasium, was uns familiär schulfeiertechnisch leicht überforderte undich mache 3 Kreuze wenn sich alles hier nach den üblichen einfindungsschwierigkeiten wieder gesettelt hat..

  8. Erika sagt:

    Wie schön, dass Sie wieder da sind und schreiben!
    Ich habe Sie vermisst!
    Liebe Grüsse
    Erika

  9. Caramellita sagt:

    Danke Frau Mutti,
    ich hab heute meinen ersten „Ranzen auf Beinen“ eingeschult (hier ein *hach* denken) und am ersten Tag wurden die Hausaufgaben noch voll Enthusiasmus gemacht (male ein Bild von Dir mit Schultüte).
    Ich bin gespannt – es bleibt spannend!
    Liebe Grüße,
    Caramellita

  10. Uschi sagt:

    OHJA!!!

    LG Uschi

  11. susalabim sagt:

    hach, frau mutti… ich habe heute auch so einen kleinen großen kerl eingeschult… ohne ranzen, weil er den auf der montessorischule nicht braucht… und ich hoffe sehr, dass er (und wir) an diesen dämlichen übungen vorbeikommt- an der montessorischule läuft das ja alles etwas anders und irgendwie einleuchtender und vor allem im tempo des kindes… und wenn das frisch eingeschulte kind schon rechnen will/kann dann darf es das tun, auch wenn andere noch einsen-schreiben üben müssen… so ist die theorie und wir hoffen so sehr, dass das auch in der praxis so ist ;-)
    ich werde berichten… liebe grüße, susa

  12. mariong sagt:

    danke, danke, danke.
    „wir“ sind jetzt endlich in der 2. Klasse und ich dachte mit diesem Hausaufgabenproblem wären wir ganz alleine. eine halbe stunde reicht nicht für motzen und trotzen, man muss sich den ganzen nachmittag versauen, manchmal. und wenn die mutter sagt „pack das zeug endlich weg, ich will mit dir nicht in der wohnung versauern, wir gehen jetzt leben“ dann kommt der schrei „dann krieg ich keinen stempel!!!“

    ja.
    ich hoffe es vergeht schneller und ich muss nicht 10 jahre so weitermachen.

  13. Svenja sagt:

    Es gibt ein entzückendes KinderBuch zur Einschulung (ich hab’s zum Studiumsbeginn bekommen). Es heißt: „der ernst des Lebens“ und am Ende des Buches bringt die Protagonistin einen Klassenkamerad mit nach Hause. „Das ist Ernst. Hab ich ihn also doch gefunden euren Ernst des Lebens.“ :)

    (Enzschuldigen sie verquere Groß-/Kleinschreibung und Rechtschreibung. Ich tippe am Smartphone.)

    Svenja

  14. Cati Basmati sagt:

    „Ranzen auf Beinen“. Schon alleine dafür hat man sich ein Leckerchen verdient :-)

  15. Elke sagt:

    Diese Zahlenzettel kommen auch mir seeehr bekannt vor, dreimal hatte ich das Vergnügen mit denen… und dann kommen auch noch alle Buchstaben….
    Aber das alles geht schneller vorbei als man denkt und überlebt haben alle ( Mutter und Söhne). Kaum zu glauben, das im nächsten Jahr auch der jüngste Spross schon Abi macht… die zwei großen haben das Haus schon in die weite Welt verlassen.