Weg mit alten Zöpfen

27. November 2012

Würde man mich fragen, fiele mir die Antwort wohl nicht schwer: ich trenne mich leicht von Sachen! Und wahrscheinlich würde ich mir diese Antwort sogar selbst glauben, sprächen nicht unzählige Kisten, Kästen und Kartons davon, dass ich eben doch lieber aufhebe.
Als ich vor eine paar Wochen jene Kisten, Kästen und Kartons vom Kellernähzimmer ins neue Nähzimmer schleppte, nahm ich mir vor zu entrümpeln.
Heute morgen, als ich für mich beschlossen hatte, dass der Weihnachtsmarktstand nun reichlich, vielfältig, schön und wirklich ausreichend bestückt ist, griff ich zur ersten Kiste. Die Kiste mit allen Liebesbriefen, die mir jemals geschrieben wurden. Ich kochte mir eine große Tasse Kaffee und begann zu lesen, von ganz vorne, 1985 bekam ich den ersten. Es sind keine literarischen Meisterstücke und bei jedem zweiten Brief musste ich tief durchatmen um weiterlesen zu können. So fremd das Mädchen, dem diese Briefe geschrieben wurden, so jung, so naiv. Ein großer Packen Briefe vom ersten Freund, der mich mit Unterbrechungen beinahe vier Jahre lang begleitete. Ich kann diese Briefe nicht in einer rosaroten „ach ja, seufz, damals“-Wolke lesen, sondern finde sie verstörend, wütend machend, unangenehm. Seit Jahren überlege ich, was ich damit mache. Heute habe ich sie ins Ofenfeuer geworfen. Spontan, ohne großes Nachdenken. Als der erste in Flammen aufging, erschrak ich: das ist doch meine Vergangenheit, meine Jugend! Nun kann niemand das mehr nachlesen, diese Geschichte ist verloren! Wenn ich mal gestorben bin, wird niemand diese Briefe finden und sich wundern, welch bewegte Vergangenheit ich hatte.
Die Geschichte ist nicht verloren, ich trage sie in mir und kann sie vielleicht erzählen. Aber zuallerst einmal bin ich sie jetzt los. Die letzten Briefe sind verbrannt, gefolgt von den Briefen anderer Männer. Und einigen Bildern. Die Wehmut hält sich in Grenzen, die Erleichterung ist größer, ich habe abgeschlossen.

(Ein dicker Packen Briefe ist übrigens übrig geblieben. Und ich habe nicht vor, sie in nächster Zeit zu verbrennen.)

(Dann denke ich, dass ich diese ganzen peinlichen, doofen, blöden, belastenden, schweren Erinnerungen gerne genauso ins Feuer werfen würde, damit sie einfach weg sind. Doch gleichzeitig denke ich, dass das ziemlicher Quatsch ist, denn ohne sie, wer wäre ich dann? Und was können sie mir heute noch tun, außer als Geschichtenbasis „als ich in eurem Alter war, liebe Kinder …“ dienen.)

Genug Geschwurbel für heute.

17 Kommentare zu “Weg mit alten Zöpfen”

  1. Silberpfeil sagt:

    Das finde ich sehr mutig von Ihnen. Und wahrscheinlich war und ist es befreiend. Ist es doch immer schwierig loszulassen.
    Ich habe meine gesammelten Erinnerungen ungewollt verloren. Mein Elternhaus ist während meinem Studium niedergebrannt. Anfangs hatte ich sehr Mühe, den Verlust bedauerte ich stark. Mit der Zeit stellte sich eine gewisse Erleichterung ein. Ich konnte wie nochmals beginnen. Fazit, nun fast 20 Jahre später, ich sammle ausgewählter. Fotos zum Beispiel (meist digital zwar) sind mir heilig. Davon kann ich mich schwer trennen.
    Liebe Grüsse und hoffentlich einen sehr erfolgreichen Weihnachtsmarkt
    Andrea

  2. Caramellita sagt:

    Ich habe mal in meinem jugendlichen Leichtsinn mein dickes Tagebuch verbrannt. Aus Angst, dass es jemals jemand findet. Mein Kinderzimmer lag im Keller, direkt neben dem Heizungsraum. Manchmal denke ich dran, was da wohl für Erinnerungen drin stehen. Aber dann denke ich andersrum, dass es für mich in dem Moment o.k. so war und dass ich es sicher (aus damaliger Sicht) jederzeit wieder so gemacht hätte. Für manche Erinnerung ist es auch gar nicht soo schlecht, wenn sie ganz hinten im Hinterkopf – wenn überhaupt – versteckt ist!
    Viele liebe Grüße!
    Caramellita

  3. Antje sagt:

    NIE! hätte ich das gemacht :)

    Aber ich habe auch nicht so viele Liebesbriefe von meinen Verflossenen bekommen (woran das wohl liegt *g*).
    Meine „Vergangenheit“ (ab wann beginnt die eigentlich – gestern?) ist zum Glück eh nicht so „schlimm“ das ich etwas vergessen müsste ;)
    Ich trage das alles gerne mit mir herum und empfinde das nicht als Last.

  4. Kleiderschmiede sagt:

    Von Nähsachen trenne ich mich besonders schwer, oder gar nicht. Da bekommt das „kann man ja immer noch mal brauchen“ ganz neue Dimensionen.

    Von sonstigen Sachen trenne ich mich doch durchaus mittlerweile ganz einfach. Erst letzte Woche warf ich viele Dinge, die meine Mutter um meine Geburt herum gesammelt hat (Broschüren, Infoblätter,…) weg, da ich damit keinerlei Erinnerungen verbinde. Das waren nicht meine Erinnerungen, sondern es sind die meiner Mutter. Und die wollte den Krempel auch nicht ;).

  5. Alltagsheldin sagt:

    Ich war eigentlich – was gewisse „Erinnerungsstücke“ angeht – immer ein kleiner Messie. Meinen Terminplaner, von damals, als ich 15 war, den hab ich noch. Briefe. Fotos.
    Doch wie Sie schon schrieben, irgendwann muss man damit abschließen, loslassen und… vielleicht fühlt man sich dann auch besser?!
    Briefe verbrennen, das steht auch noch an…

  6. Claudia sagt:

    Gut so! Von Erinnerungsstücken, die einen – aus welchen Gründen auch immer – traurig, bedrückt, wütend oder bedrückt machen – soll man sich trennen. Ich möchte keine Dinge um mich haben, die ich nicht mit Freude und Liebe, oder wenigstens gern anschaue. (Schon gar nicht in den eigenen vier Wänden – draußen muß man ja manchmal Kompromisse eingehen ;-) ) LG, Claudia aus Maintal.

  7. Nicole sagt:

    Sehr gut gemacht!!! Es ist erstaunlich, wie befreiend es sein kann, zu „entrümpeln“ im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht auch eine Frage des Alters, jahrelang habe ich auch gehortet wie ein Hamster, nun kann ich nicht genug ausräumen und das loswerden ist ja noch gleich ein anderes Thema. Denn nicht alles lässt sich einfach verbrennen (davon abgesehen, müsste ich in Ermangelung eines Ofens im Hof ein offenes Feuerchen machen) und so stapeln sich hier Kartonweise Bücher, die ich aussortiert habe, Klamotten vom Kind ab Babygröße bis mehr oder weniger heute (erst ab Gr. 104 begann ich endlich mal Zeug zu verkaufen/verschenken und heute ist das Kind 9 Jahre alt.. ), Babysitze etc. pp. blockieren teilweise immer noch Dachboden und Keller. Eigentlich eine gute Idee für heute Nachmittag .. *grübel*.
    Liebe Grüße,
    Nicole

  8. steffi sagt:

    seit ich 13 war, hatte ich jedes jahr ein kalenderbuch. da stand alles drin. ka-termine, noten, dates und vieles, vieles mehr. beim umzug in „unser“ haus vergangenes jahr hab ich alle entsorgt. bis auf 2003 und 2008 (erste feste nahrung, erster zahn, erste schriite…..). ich fand es sehr befreiend und kann sie sehr gut verstehen…..

    lg

  9. Frische Brise sagt:

    Ich finde es gut.
    Habe neulich auch alte Tagebücher entsorgt. Das Lesen darin hat mir keine Freude bereitet und ständig hatte ich Sorge, irgendwer würde sie finden. Jetzt geht es mir besser.

  10. minibar sagt:

    Mit Briefen das Aufräumen zu beginnen, ist wohl ziemlich unüblich.
    Aber wenn es gut tat, warum nicht?
    Ich habe meine Blusen aussortiert, trage ich seit Jahren nicht mehr, nur noch T-Shirts.
    Wieder ein wenig Platz im Schrank.

  11. Kate sagt:

    Ich kann mich gut und schnell von altem Krempel trennen!
    Konnte ich schon immer!
    Und habe ich gerade in den letzten Wochen wieder gemacht, Dachboden und Keller ausgemistet und entrümpelt.
    „Simplify your life“, weg mit dem ollen Kram, wenn wir nicht mehr sind kommt eh alles in den Container, also weg damit und Platz für Neues!
    Es befreit! Und man kann wieder besser durchatmen!
    LG
    Kate :)

  12. Pfiffika sagt:

    Das ist kein Geschwurbel! ;-)
    Ich musste vor ein paar Jahren die Wohnung meiner Eltern auflösen; dort war ich 22 Jahre lang aufgewachsen. Und auch wenn diese Zeit ein Vierteljahrhundert her war, konnte ich es nicht.
    Ich habe mir nur die Fotos gegriffen, Porzellan und dann haben wir eine Entrümpler kommen lassen. An die Weihnachtskugeln, die meinen Großelten gehörten, an die Kochbücher meiner Mutter aus ihrer Schulzeit habe ich nicht gedacht.
    Auf der einen Seite erfüllt mich das gerade jetzt mit Wehmut, auf der anderen Seite ist Platz, um mit meinen Kindern neue Traditionen zu finden.
    Und von den Kugeln kann ich auch durchaus noch erzählen :-)
    Danke!

  13. Frau Mena sagt:

    Und schwupps habe ich gestern ganz spontan die Schundromane ins Altpapier gesteckt, die schon ewig auf dem Boden lagen. Ich hätte sie ja irgendwann mal wieder lesen können wollen ;) Briefe habe ich auch mal verbrann. Die Briefe vom Ex auf intensive Bitte des aktuellen Freundes. Nee, darüber habe ich mich später wirklich geärgert. Aus freiem Willen geht das besser …

    Viele Grüße,
    Frau Mena.

  14. Christiane sagt:

    Ach, da bin ich ja beruhigt – ich habe meine Briefe vor 15 Jahren auch weggeschmissen(naja die meisten) – in den Altpapiercontainer. Das ist weniger romantisch als ein Ofenfeuer, aber ähnlich befreiend!
    Die Gefühle und Gedanken daran hat man ja noch, Lesen musste ich das Zeug nicht mehr!!!

  15. Sonja sagt:

    Meine Grossmutter hat uns vor etwa 20 Jahren mitgeteilt, sie hätte nun alle ihre Liebesbriefe verbrannt -sie war damals über 70- die gingen niemanden etwas an. Und wir Kinder und Enkel waren so was von erstaunt, dass unser Grosi überhaupt mal Liebesbriefe kriegte -und diese dann auch immer noch aufbewahrt hatte! (Sie hatte übrigens wirklich noch ihren alten Haarzopf aufgehoben, den sie uns nochmals zeigte -waaas, Du hattest mal so lange so dunkle Haare??- und dann mitverbrannte. Uns Enkel beeindruckte das wirklich.

  16. Daniela sagt:

    Nennen Sie mich profan, aber ich habe mangels Kamin die alten Tagebücher in den Altpapiercontainer entsorgt. Der Entschluss war unglaublich gut und richtig, weil mich diese entsetzlichen pubertären Enttäuschungen auch noch gewurmt haben, als die Bücher schon Jahre im Keller standen. Weg war besser :-)

  17. Die Keks sagt:

    Ich habe jetzt immer noch Herzklopfen, nachdem ich Ihren Eintrag gelesen habe. Briefe! Verbrannt! Ach du meine Güte!

    Ich kann mich gut von sämtlichen Dingen trennen, die man im Notfall schnell wieder beschaffen kann (und meist dann ja auch noch in einer besseren Ausführung). Also Keller, Küche, Kleiderschränke sind kein Problem.

    Aber diese privaten, einmaligen Dinge … selbst wenn sie schmerzen … das könnte ich nicht. Es ist diese Angst „und wenn ich in zwei Stunden feststelle, dass ich sie doch lieber behalten hätte?!?“. Dann sind sie weg. Futsch. Für immer.

    Also jede Menge Respekt für Ihren Mut. Und wenn es Ihnen jetzt leichter uns Herz ist, haben Sie ja alles richtig gemacht. :-)