26. November

26. November 2015

„Ich würde ja gerne helfen, aber ich weiß gar nicht, was ich tun könnte!“

Weil ich diesen oder einen ähnlichen Satz schon oft gehört habe, will ich heute mal erzählen, wie der „Sprachunterricht“ abläuft. Ich setze „Sprachunterricht“ ganz bewusst in Gänsefüßchen, denn es geht nicht um das Erlangen eines Zertifikats, das womöglich zum Studium berechtigt (das gibt es tatsächlich) oder darum, dass meine Sprachschüler in kürzester Zeit fließend Deutsch sprechen (was cool wäre, aber unrealistisch ist). Es geht um den Abbau von Hemmungen, um den Einstieg in unsere Sprache, die völlig anders als die eigene klingt und um das erste Zurechtfinden in unserem Leben. Es geht um Kontakt, Willkommen heißen und Integration. Und Freundschaft.

sprachkurs

Meine Sprachschüler kommen aus Syrien. Sie sprechen Arabisch. Nur Arabisch, kein Bröckchen Deutsch, kein bißchen Englisch. Das macht die Sache ein bißchen verzwickt, denn mein Arabisch beläuft sich auf (mittlerweile) neun Worte, das reicht einfach nicht zur Verständigung. Zum Glück ist die Lateinische Schrift kein Problem! Es gibt nämlich ganz wunderbare Deutschkurse, die beim Lehren unterstützen.

Für meine Sprachschüler habe ich im Internet einen Sprachkurs gefunden. Zusammengestellt von der Flüchtlingshilfe München e.V. (oben rechts im Bild). Ein wunderbarer Deutschkurs, denn zur einfachen Zeichnung gibt es neben der Deutschen Bezeichnung auch die Arabische. Das erleichtert wirklich Vieles!

Angefangen haben wir übrigens mit ganz formalen Dingen. Gelesen wird hier von links nach rechts. Im Arabischen ist das umgekehrt. Ich fordere das sehr streng ein, denn es _ist_ eben so.

Die ersten Schritte in unsere Sprache waren genau so, wie man jede Sprache lernt. Hallo, ich heiße …, Wie geht es dir?, Tschüß!  In sehr kurzer Zeit waren wir bei Lebensmitteln, Körperteilen, Haushaltsgegenständen angelangt, kurze Sätze wie „Ich esse kein Schweinefleisch“ und „Ich habe Husten“ sind das nächste Ziel.

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Das Thannhauser Modell ist ein toller Sprachkurs. Leider können wir ihn derzeit nicht nutzen, weil die „Untertitel“ in Englisch sind. Doch ich bin mir sehr sicher, dass wir demnächst quereinsteigen können.

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Für ganz große Sprachnotfälle, wenn Mimik, Gestik und die wenigen Brocken nicht ausreichen, hilft der Klassiker. Meinen Sprachschülern habe ich ebenfalls einen Langenscheidt gegeben, mein Dank geht hierbei an den AK Asyl Nierstein, der die Kosten übernommen hat.

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Neben diesen ganzen Hilfsmitteln braucht es ein wenig Phantasie. Und eine Portion Empathie. Und sicherlich auch Mut. In der Nacht vor meiner ersten „Unterrichtsstunde“ konnte ich nicht schlafen, weil ich mich in sämtliche Sorgen und Ängste hineinsteigerte: was, wenn sie mich nicht mögen? Was, wenn ich nichts beibringen kann? Was, wenn das fiese Typen sind, immerhin sitzen die in meiner Küche!? Was, wenn, was wenn, WAS WENN?! Ich will es nicht schön reden: die erste Stunde war krampfig. Wie das halt so ist, wenn sich Menschen begegnen, die sich völlig fremd sind. Und die nicht mal eine gemeinsame Sprache sprechen. Aber manchmal muss man eben einfach durch und wenn es nicht klappt, dann ist das auch in Ordnung.

Heute war wieder Deutschstunde in meiner Küche. Ich habe gelernt, was Knoblauch, Reis und Nase auf Arabisch heißt und erntete für meine offensichtlich miserable Ausprache wildes Gekichere. Im Gegenzug durfte ich auch kichern, denn ä, ö, und ü sind Laute, die anscheinend nur sehr schwer über die Lippen kommen. Um den „Unterricht“ aufzulockern, rannte ich in meiner Küche herum und hielt Gegenstände hoch, die benannt werden sollten. Es hat Spaß gemacht!

In nächster Zeit möchte ich praktischen Sprachunterricht machen, gemeinsam kochen und backen (was bestimmt hochspannend ist, weil es da evtl. kulturelle Grätschen zu machen gilt), außerdem habe ich Einkaufstouren geplant, deutsche Bäckereien müssen irre verunsichern. SO VIELE Brotsorten! Die Kindelein planen gemeinsamen Sport- und Jugendkreisbesuche, wir laden alle zu Weihnachten ein. (hoffentlich klappt das irgendwie mit der Verständigung bei der Einladung!)

Ich glaube, dass mit einem solchen „Sprachunterricht“ nichts falsch zu machen ist. Nur ganz viel richtig.

13 Kommentare zu “26. November”

  1. Asty sagt:

    Liebe Frau…äh…Mutti

    ich denke, das ist eine der besten Arten zu unterrichten. So praktisch. Sicher gibt es auch immer Menschen, die das, was sie lernen sollen, lesen oder aufschreiben müssen (Lerntypen und so), aber ich merke es bei meinen Schülern auch. Je weniger Theorie und Grammatik, desto interessanter ist der Unterricht und desto mehr Spass haben die Teilnehmer. Und sie lernen ja trotzdem etwas.
    Was ich allerdings nicht machen würde: den Unterricht bei mir zu Hause. Das wäre mir zu privat. Ich hatte für meinen Unterricht mit den Asylbewerbern einen Raum in der Grundschule zur Verfügung gestellt bekommen. Das war sozusagen „neutraler“ Boden und ich fand das für beide Seiten besser.
    Ich wünsche Ihnen viel Erfolg weiterhin und viel Spass beim Arabisch lernen. :-)
    Liebe Grüsse
    Asty

  2. Frau Mutti sagt:

    Liebe Asty, danke für die Erfolgswünsche, es wird! Dass der Unterricht bei mir daheim stattfindet, bietet mir sehr viel Sicherheit, weil hier mein Terrain ist. Liebe Grüße!

  3. Gabi K sagt:

    Ich bewundere Ihr Engagement!

    Vielleicht finden Sie hier auch noch etwas:
    https://www.facebook.com/illustratorenfuerfluechtlinge/

    Der Illustratorenverband hat seine Mitglieder aufgefordert, Grafiken zu erstellen, an denen die Flüchtlinge lernen können. Ich fand die Idee gut. Kann kostenlos runtergeladen werden.

  4. Frau Mutti sagt:

    Danke sehr, schau ich gleich mal rein!

  5. kinderdok sagt:

    Liebe Frau … äh … Mutti,
    vielleicht ist auch das hier was für Dich::
    http://www.refugeespeaker.org/deutsch.html

  6. Frau Mutti sagt:

    ja, Danke! Gerade schon auf Twitter gesehen!

  7. Kirsten sagt:

    Deutsche Bäckereien sind selbst für Deutsche manchmal einschüchternd, wenn man angesichts der Brötchen- und Brotfülle erst mal überlegen möchte (mit drei Metern Abstand zum Verkaufstresen) und von der Verkäuferung belagert wird, was man denn will

  8. Webschaf sagt:

    Oh, Du bloggst wieder! Wie schön! Das war an mir vorbeigegangen.
    Ich finde Deinen Mut einfach Deutschuntericht in Deiner Küche zu geben sehr bewundernswert.

  9. Nane sagt:

    Mich berührt das zutiefst und es ist nur richtig!
    Grüße von Herzen, Nane

  10. Katrin sagt:

    Liebe Frau….äh…Mutti,

    seit Anfang der Woche wird das Heft aus dem Thannhäuser-Projekt jetzt über den Auer-Verlag vertrieben (http://www.auer-verlag.de/deutschkurs-asylbewerber). Gibt es jetzt auch mit arabischen, englischen oder französischen Untertiteln. Vielleicht mache ich das auch bald- mal sehen, was sich hier ergibt.
    Und wenn ich eine Anmerkung für Ihre WE-Denkaufgabe anmerken darf: Sie würden das schaffen, wenn Sie sich dafür entscheiden sollten. Davon bin ich überzeugt.

    Liebe Grüße

  11. Rosel Keitel sagt:

    Hallo Frau Mutti, schön ,dass Sie wieder da sind. Ich begleite auch Flüchtlinge, und kann Ihnen sehr die kostenlose Arabisch-Deutsch App ans Herz legen. Sie sprechen das Gewünschte ins Handy und schon kommt die arabische Übersetzung. Für den Anfang Gold wert. Liebe Grüße aus der Nachbarschaft Worms

  12. Bleistifterin sagt:

    Liebe Frau Mutti,
    wir hattens ja auch schon über Twitter, und ich glaube in der Tat auch, dass man gar nichts falsch machen kann.
    Es geht ja um Verständigung, und da sind dann grammatische Feinheiten erst einmal weniger wichtig als die Möglichkeit, endlich wieder miteinander kommunizieren zu können. Ob es „der“, „die“ oder „das“ Brot heißt ist zweitrangig, wenn man endlich Brot kaufen kann. (Wird natürlich trotzdem mit unterrichtet. Aber Süd-und Norddeutschland sind sich bei Butter, Tellern, Tunneln und Nutella auch nicht immer einig über den Artikel…)

    „Meine“ Flüchtlinge kommen aus Eritrea und Tigrinya ist leider in der refugeespeaker-App noch nicht drin…

    Was ich aber sagen wollte: wer helfen möchte und sich das Unterrichten nicht zutraut kann auch einfach anbieten, mit auf die Ämter zu gehen. Das Ausfüllen der Formulare ist schon für Muttersprachler schwierig genug, und leider macht man doch die Erfahrung, dass die Abläufe und Umgangsformen immer mal wieder, nun, sagen wir, „runder“ laufen, wenn ein deutches/weißes Gesicht dabei ist. Nicht unbedingt aufgrund systemischen Rassismuses auf allen deutschen Amtsstuben, ganz sicher aber weil alle Seiten dankbar sind, wenn irgendjemand versteht, was eigentlich gerade verlangt wird… auch hier: Kommunikation ist Trumpf.
    In diesem Sinne eine gesegnete Weihnachtszeit!
    Bleistifterin

  13. Zora sagt:

    Liebe Frau … äh … Mutti,

    ich bin eigentlich eine heimliche und sehr stille „Mitleserin“, aber hier geb ich mal meinen Senf dazu.
    Ich finds toll, daß es Menschen wie Sie gibt, die sich so engagieren.
    Falls Sie es noch nicht kennen, hier ein Link zum Goethe-Institut für Deutsch-Lernende und Deutsch-Lehrende:
    https://www.goethe.de/de/spr/flu.html?wt_sc=willkommen
    Vielleicht ist hier das eine oder andere dabei, was Sie nutzen können.

    Schöne Grüße aus dem östlichen Süden,

    Zora