Heute eher unrund.

Pünktlich um 16:00 Uhr kam der 16jährige, direkt von der Schule. Ich lasse mir immer zeigen, was er in der Schule gemacht hat, um ihm gegebenenfalls noch etwas zu erklären. Danach zeigt er mir seine Hausaufgaben, die kann er, wenn er mag, mit mir zusammen machen. In der Schule sollte er heute in einer Gruppenarbeit eine Tabelle „Was ich mache“ mit Plus für gern oder Minus für ungern ausfüllen. „surfen“ stand in dieser Tabelle, „wandern“ und „malen“. Was Jugendliche halt so machen. Haha. Die Sprachlernklasse ist klein, nur zwölf Schüler, doch trotzdem beschränkt sich der Unterricht auf „abschreiben was an der Tafel steht“, für Erklärungen scheint keine Zeit zu sein. Ich erklärte heute also mit Hilfe von sehr schön von mir gemalten Bergen das Verb „wandern“ und wild gestikulierend, was „surfen“ ist. Denn es war nicht das Surfen im Internet gemeint.

(Ob das in der Schule wirklich nicht ganz optimal läuft, ist reine Interpretation von mir. Ich kann mir nur aus dem Wenigen, das mir mein Sprachschüler erzählt, ein ungefähres Konzept zusammen reimen. Und darf dabei nicht vergessen, dass er erst 16 ist und lieber mit den Freunden in der Stadt abhängen will. Der Unwille in diesem Alter Vokabeln zu lernen ist mir noch allzu gut im Gedächtnis.)

Um 16:30 Uhr kam der 33jährige Sprachschüler dazu. Direkt aus Mainz, wo er vier Tage in der Woche für vier Stunden einen Sprachkurs besucht. Ziel des Kurses ist die A1-Zertifikation laut der man einfachste Gespräche führen kann und sich alleine zurecht findet. 25 Schüler sitzen zusammen und schauen dem Lehrer zu, wie er Vokabeln an die Tafel schreibt, diese laut vorliest und dann neue dazu schreibt. Er ist äußerst frustriert, weil er keine Ahnung hat, was er abschreibt. Nachfragen kann er nicht, dafür ist keine Zeit und sein Wortschatz ist zu klein um „Was bedeutet das?“ zu fragen. Mit ihm beginne ich ab Donnerstag ganz von vorne. Er muss seine Unterlagen mitbringen und dann hoffe ich, ihm erklären zu können,was er da lernt. Seinen Frust und seine Unsicherheit kann ich sehr gut verstehen.

Da sich eine Sprache am Besten im Gespräch lernt, haben wir uns heute „unterhalten“. Die Vokabeln „Wetter“, „Winter“, „Schnee“ und „Regen“ waren der Aufhänger, „nass, kalt, grau“ kommt dabei automatisch. Ich fragte nach dem Winterwetter in Syrien (da, wo die beiden herkommen wird es nicht sehr kalt) und danach eben auch nach den Temperaturen im Sommer (mindestens fünf Monate sehr heiß, bis 48 Grad!). Leichte Konversation eben. Die Kunst dabei ist, vollständige Sätze zu sprechen, Unverstandenes nicht in doppelter Lautstärke oder in der falschen Form (Verben in der Grundform) zu wiederholen, sondern nach Synonymen zu suchen oder eben zu malen oder zu gestikulieren. Dabei wird sehr viel gelacht und Lachen hilft ja auch sehr gut bei der Überwindung von Sprachhemmungen.

Nachdem das Wetterthema wirklich erschöpfend besprochen war, wandten sich die beiden von sich aus ernsteren Themen zu. Man vertraute mir ein bißchen mehr Privates über die zurückgelassene Familie an. Das berührt mich sehr, denn ich sehe ja, wie schwer es ihnen fällt sich zu öffnen. Der Bruder des 16jährigen lebt seit zwei Monaten in Jever, vor einer Woche hat er das erfahren. Weil der Bruder aber schon 19 ist, ist die Familienzusammenführung schwierig und die Bürokratiemühlen mahlen langsam. Doch allein dass die Brüder sich gefunden haben ist schon wundervoll, da muss man erstmal nicht viel drüber sprechen.

Wir verabschiedeten uns, verabredeten vorher einen neuen Termin und ich weiß jetzt, dass wir nochmal die Wochentage durchgehen müssen und dass das mit den Uhrzeiten auch noch nicht rund läuft. Wir werden regelmäßige Verben deklinieren und vielleicht auch ein paar unregelmäßige, weil man die eben auch braucht. Der Ältere ist noch unsicher mit den Possessivpronomen, der Jüngere kichert dann immer, wenn er sie falsch benutzt. Und vielleicht schwätzen wir danach noch ein bißchen über das Essen dort und hier.

Es ist immer noch sehr, sehr anstrengend und diese Sprachkursgeschichte beschäftigt mich, verfolgt mich bis in meine Träume, weil ich ständig auf der Suche nach Methoden bin. Vielleicht bekomme ich irgendwann ein bißchen Routine, kann auf Bewährtes zurückgreifen. Bis dahin weiß ich aber, dass ich nichts falsch machen kann, vielleicht nur weniger umständlich. Und dass es nicht schlimm ist, wenn wir uns gegenseitig völlig hilflos anlachen, mit den Schultern zucken und das nächste Thema suchen. Irgendwann holen wir alle unbeantworteten und unbeantwortbaren Fragen nach.

12 Kommentare zu “Sprachunterricht – und wie läuft das so?”

  1. Maufeline sagt:

    .

  2. Erika sagt:

    Meine grosse Hochachtung für Ihr Engagement!
    Sollte ich eine neue Fremdsprache lernen, würde ich mir wünschen dies in realen Situationen zu lernen. Im Geschäft, beim spazieren gehen, kochen, Gärtnern…
    Weiterhin viel Erfolg und Geduld. Liebe Grüsse Erika

  3. Tine sagt:

    Ich finde es super, was Du machst! Und freue mich über jeden neuen Beitrag von Dir, wie der Unterricht so läuft.

    Hier in Leipzig hat das Orientalische Institut der Uni Leipzig ein Arabisch-Phrasenbuch mit Hörbeispielen rausgebracht.

    http://www.miteinander-phrasenbuch.de/de/pages/welcome

    Vielleicht hilft es Dir ja?

  4. Evi Balzar sagt:

    Wer mit so viel Hingabe und Engagement Menschen unterrichtet, die er bis vor Kurzem gar kannte, der kann meiner Meinung nach gar nix falsch machen. Mag sein, dass manches unregelmäßige Verb etwas umständlich erlernt wird. Wer wird sich in einigen Jahren noch dran erinnern. Was Ihren Schülern ewig in Erinnerung bleiben wird, das ist die Herzlichkeit, mit der Sie sie willkommen heißen.

  5. junikind22 sagt:

    Wir arbeiten seit Jahren mit Schülern, die in der Sekundarstufe I nach Deutschland kommen.
    Die Kollegen arbeiten mit den Materialien des Hamburger Sprachförderkonzepts und finden die wohl wirklich gut.

    Viel Erfolg und Freude bei der Arbeit!

  6. junikind22 sagt:

    Hier nochmal ein Link zu Materialien:

    http://li.hamburg.de/contentblob/4616024/data/pdf-unterrichtseinheiten-zea.pdf

    http://li.hamburg.de/faecher-und-lernbereiche/sprachbildung/material/

  7. Kat sagt:

    Vielleicht hilft ja das hier? Das ist sehr alltagsbezogen:

    http://www.deutschkurs-asylbewerber.de/

    Da gab es auch einen ZDF-Bericht dazu, den findet man hier

    http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2456534/Deutschkurs-fuer-Asylbewerber#/beitrag/video/2456534/Deutschkurs-fuer-Asylbewerber

    Ich hoffe, der Link tut noch. P.S.: Grad getestet, er funktioniert noch. :-)

    Viel Erfolg weiterhin, Kat

  8. susalabim sagt:

    Hallöchen ;-)
    ich finde die Idee ganz gut, alles im Haus mit post-ist zu beschriften… der Kühlschrank, das Bett, der Tisch, die Milch… (immer die Artikel dazuschreiben, das wurde nämlich bei meinen Bekannten damals vergessen und er hat neulich erzählt, dass die nicht-mitgelernten-Artikel noch seine größte Schwierigkeit sind…) … das funktioniert zwar besser, wenn Lehrer und Schüler auch zusammen leben, aber vielleicht lässt es sich trotzdem irgendwie als Anregung verwenden…
    Liebe Grüße von susa

  9. Gabi K sagt:

    .

  10. Maike Zoua sagt:

    Liebe Frau-Mutti,
    ich möchte mich meinen Vor“rednerinnen“ anschließen und Ihnen noch sehr das Kurz-Lehrwerk “Erste Hilfe Deutsch, Kursmaterial für Flüchtlinge & Asylsuchende“ vom Hueber-Verlag, 5,95€, sehr ans Herz legen, gerade Ende 2015 erschienen! In 22 Kapiteln, auch optisch sehr schön, modern und der Situation der Lerner werden hier die wichtigsten Themen und Bereiche der deutschen Sprache und des Lebens in Deutschland vermittelt und geübt. Es gibt ausserdem noch Links zu kostenlosem Zusatzmaterial zum Buch dazu. Ich habe das Lehrwerk gerade im Dezember bei meinem letzten Besuch in Deutschland in der Fremdsprachenabteilung einer großen und gut sortierten Buchhandlung entdeckt und bin wirklich angetan. Ich arbeite schon sehr lange u.a. im Bereich Deutsch als Zweit- und/oder Fremdsprache und habe die Erfahrung gemacht, daß das Lehrwerk bzw. das Material natürlich doch sehr an die verschiedenen Lerner-Gruppen und ihre besonderen Bedürfnisse angepasst werden sollte…
    Übrigens…ich finde Ihren Einsatz (und den aller, die sich in diesem so aktuellen und akuten Bedarfsfall engagieren) ganz toll und bewundernswert… wenn auch das Engagement beileibe nicht nur auf die vielen Schultern der Freiwilligen verteilt werden sollte!!!
    Und…ich lebe und arbeite mit meiner großen Familie, die immer kleiner, weil die Kinder größer (…) wird, schon seit über 12 Jahren nicht mehr in Deutschland, hole mir aber regelmäßig, fast täglich mein kleines Stück “Heimat“ u.a. beim Lesen Ihres Blogs, DANKE dafür!
    In diesem Sinne ganz herzliche Grüße in die grüne Villa
    schickt
    Maike (momentan aus Riyadh…in Saudi Arabien)

  11. Karo sagt:

    Das finde ich ganz großartig.
    Ich selber lerne derzeit portugiesisch in Portugal und es ist gar nicht leicht. Mein Problem hier ist, dass ich oft auf englisch ausweichen kann. das verzögert den Lernprozess schon stark.

    Von daher ist die Kommunikation mit Händen und Füßen gar nicht verkehrt, weil man so eben gezwungen ist alle Vokabeln zu nutzen die man schon kann.
    Dir als „Lehrer“ kommt die Aufgabe zu in den richtigen Momenten zu berichtigen ohne den Mut und das Selbstvertrauen zu nehmen (ich bin dann nämlich schon irgendwann gehemmt wenn ich ständig korrigiert werde)
    Mein Freund (Russe) hatte einen Deutsch-Sprachkurs und dort nutzten sie „Netzwerk – deutsch als Fremdsprache“ vom Langenscheidt Verlag. Das kommt mit CD und ist daher auch zum Selbststudium geeignet.

    Ansonsten kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass lesen und fernsehen sehr helfen. Hier ist es wichtig, dass man etwas schaut/liest was den eigenen Interessen nahe kommt. Dann ist das Verständnis noch einfacher. Das gestaltet sich in Portugal schwieriger, weil hier Filme nur in Originalsprache laufen…
    In Deutschland läuft ja aber alles in deutsch – dann noch Untertitel für Gehörlose hinzu und schon ist das Selbststudium perfekt. Beim Lesen kann man vielleicht mit der Zeitung oder einer Zeitschrift anfangen. Beim Lesen kann man toll die Aussprache üben und direkt an Beispielen Fragen zu bestimmten Vokabeln beantworten oder aus dem Text heraus die Verben konjugieren lassen.

    Das mal so als Hilfestellung.
    Ansonsten: Geduld. Vor allem an die Schüler: Man muss Geduld mit sich selber haben. Man lernt eine Sprache einfach nicht in ein paar Wochen. Immer dran bleiben und auf einmal ist man überrascht wieviel man versteht.

  12. Myrine sagt:

    Ich bin gerade über eine App gestolpert, die vielleicht hilfreich sein könnte: https://www.ankommenapp.de/

    Entwickelt vom Goethe-Institut, BAMF, Bundesagentur für Arbeit und Bayrischem Rundfunk gibt sie auf Arabisch, Englisch, Farsi, Französisch und Deutsch Infos zum Leben und zum Asylprozess in Deutschland – und einen kleinen Deutschsprachkurs mit Übungen zum Selbermachen.

    LG