Einer „meiner Syrer“ hat das Asylverfahren durchlaufen, er darf bleiben. (ich weiß,warum er hier ist und deshalb weiß ich auch, dass eine Heimkehr für ihn derzeit den Tod bedeutet) Die große Freude über das Bleibendürfen setzt aber eher verhalten ein, denn … tja. Es ist kompliziert.

Flüchtlinge werden bis zu ihrem positivem Asylbescheid hier von der Verbandsgemeinde betreut. Das bedeutet: die Verbandsgemeinde hat sich in sämtlichen Ortschaften nach Wohnraum umgesehen, Sammelunterkünfte sollen noch immer weitestgehend vermieden werden. Leerstehende Häuser und Wohnung, die von privat angeboten wurden, wurden angemietet, ggfs. hergerichtet und dann mit Flüchtlingen belegt. In einer 4-Zimmer-Wohung kommen locker neun Flüchtlinge unter. Für unsere Lebensvorstellungen ist das eng, für einen Flüchtling, der aus einer Sammelunterkunft der Erstaufnahme kommt, schlicht das Paradies. Die Verbandsgemeinde und zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter sorgen für Sprachunterricht, einen Berechtigungsschein für die Tafel, Zugang zur Kleiderkammer und starten erste Anläufe zur Integration. Es kommen immer mehr Flüchtlinge, die Verbandsgemeinde sucht händeringend Wohnraum,die Ehrenamtlichen sind überlastet, trotzdem sind das hier immer noch goldene Zustände im Vergleich zu der Situation in Großstädten.

„Mein Syrer“, übrigens der, der fast fließend Deutsch spricht und der sehr, sehr fleißig lernt, um hier irgendwann sein Studium wieder aufnehmen zu können, hat nun seinen positiven Asylbescheid. Dies bedeutet, dass die Verbandsgemeinde ihre Zuständigkeit an das Jobcenter übergibt. Mit allen Konsequenzen. Er muss aus seiner Wohung, bzw. seinem Zimmer raus, das Jobcenter vermittelt neuen Wohnraum. Oder er findet selbst eine Bleibe. Er darf jetzt arbeiten und hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein deutscher Arbeitsuchender. Er darf auch studieren, wenn er die Qualifikation erlangt. Für Letzteres muss er noch ein bißchen lernen, aber arbeiten wird er sicher gerne, ihm fällt sowieso die Decke auf den Kopf.

Bleibt die Sache mit dem Wohnraum. Ich schrieb es oben: die Verbandsgemeinde sucht händeringend, dem Jobcenter geht es nicht besser. Es gibt keine zur Verfügung gestellten Wohnungen mehr, reale Mieten sind hier im Rhein-Main-Gebiet kaum zu stemmen, das Jobcenter übernimmt die nicht. „Mein Syrer“ wird nun also ins Hinterland müssen, in eine Sammelunterkunft. Ich hab vor ein paar Wochen darüber gescherzt, dass es wohl bald Sammelunterkünfte für Bewilligte geben wird. Tja, wirklich prophetisch war das auch nicht.

Und nun? Warum beschreibe ich dieses Einzelschicksal so detailliert? Weil sich daran sehr schön zeigen lässt, wie fies diese ehrenamtliche Arbeit ist, bei der man Beziehungen zu Menschen aufbaut.

Wäre es nicht „mein Syrer“, würde ich vermutlich „Jo. Immerhin kann er bleiben, ist in Sicherheit, hat ein Dach über dem Kopf und was zu essen. Das Weitere wird sich finden!“ sagen.

Da es aber nun mal „mein Syrer“ ist, sage ich: „Verflixt! Das wirft ihn total zurück. Er ist hier integriert, kann hier seine Sprachfähigkeiten verbessern und hat was zu tun! Da hinten auf’m Land wird er komplett untergehen und versauern, wenn er nicht vorher in der Unterkunft durchdreht.“

Ich kann nicht jeden retten, nicht mal einen Einzigen, um genau zu sein. Ich kann mir keinen Wohnraum aus dem Ärmel schütteln, ich kann der VG oder dem Jobcenter keine Millionen zum Neubau spenden. Ich kann nicht meinen eigenen Wohnraum anbieten. Notfallmäßig ja, aber regulär geht das nicht, ich mag nicht mehr in einer WG leben.

Ich muss schlucken, größer denken (immerhin überlebt er!) und mich abschotten. Denn er wird nicht der Letzte sein, der weiterzieht oder weitergeschickt wird oder womöglich ganz zurück muss. Ich kann nur heute, jetzt, hier ein klitzekleines Bißchen helfen und ich sage Ihnen, das ist schwer zu schlucken und kaum auszuhalten.

13 Kommentare zu “Bleiben dürfen. Und dann?”

  1. Gabi K sagt:

    oh man… so weit denken sicher sehr wenige…
    Ich schicke einfach mal eine virtuelle Umarmung an Sie und an „ihren“ Syrer. Ihm wünsche ich viel Glück und Ihnen, dass Sie diesen Gefühlsspagat hinbekommen.

  2. Pia sagt:

    .

  3. Seifenfrau sagt:

    Seufz.

  4. Bar sagt:

    das ist wirklich sehr schwer.

  5. MonikaZH sagt:

    .

  6. Graugrüngelb sagt:

    Mist

  7. Sina sagt:

    Vielen Dank für deinen Einblick. Schön eine andere Sichtweise zu lesen – eine persönliche! Irgendwie ist alles Mist und der wird auf unschuldigen Menschen abgeladen :(

    Alles Liebe Sina

  8. PaulineM sagt:

    Liebe Frau Mutti,

    Vielleicht gäbe es Möglichkeiten für „Ihren Syrer“, wenn wir insgesamt etwas mehr über ihn erfahren könnten. Wie viel Deutsch kann er schon? Hat er schon eine der Sprachprüfungen geschafft? Spricht er besser Englisch als Deutsch? Welches Studium hat er in Syrien bereits angefangen und wie weit ist er im Studium? Ich wohne in einer Unistadt und wäre gern bereit mich zu informieren, ob und wie ein Zugang erleichtert werden kann. Vielleicht könnte man Zeit auch durch ein fachnahes bezahltes Praktikum überbrücken.

  9. Sigrid sagt:

    schwierig, schwierig
    zumal ein Studium ja auch finanziert werden muss

  10. fujolan sagt:

    Ja.
    Ja verdammt.
    Eine aus unserer weiteren Familie hat beschlossen, dass ihre Wohnung WG tauglich ist und dort lebt seit 3 Monaten eine Flüchtling.

    Die Tschetschenin, deren Bruder ermordet, die Familie verfolgt und sie Überlebende eines Säureanschlags, hat grade ihren ablehnenden Asylbescheid bekommen.
    F….ing Dublin-Verordnung, derentwegen sie ihren Antrag in Polen stellen muss. Demnach Ausreise (bzw. Klage gegen den Bescheid).
    Ihre zwei Schwestern sind in Deutschland. Sie ist schwer traumatisiert und müsste in Polen neu anfangen?

    Verdammt nah dran. Und nicht alle retten können und sehen was das genau bedeutet. Tut weh

  11. Maria sagt:

    Danke, Frau Mutti, für den Einblick und danke auch an fujolan. Ich wünschte auch, man könnte besser/mehr helfen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich in meinem Umfeld als Einzige so denke. Alle anderen pauschalisieren einfach und sind dagegen. Es sollen Unterkünfte gebaut werden und dagegen (gegen den Standort – gegen den Bau an sich kann man nicht) wird protestiert :(

  12. Manu sagt:

    Sie tun schon sehr viel und sind engagiert,das ist toll- evtl. ergibt sich durch Zufall eine Wohnmöglichkeit.

    Eine Freundin hat in München bei Kirchengemeinden und Studentenwohnheimen nach Wohnraum für Flüchtlinge nachgefragt und hatte Glück. Für 2 Mädels aus Uganda hat sie so tolle Unterkünfte gefunden – obwohl das ursprüngl. auch hoffnungslos war.. Ich drücke die Daumen

  13. Petra sagt:

    An und für sich bin ich soeben hier gelandet, da ich scharf auf das auf Instagram angepriesene Tacosalat Rezept ihrer Tochter war. Ich habe mir stattdessen die Geschichte „ihres Syrers“ durchgelesen. Ich muss sagen, ich bin sehr berührt und ich habe grosse Achtung und Respekt vor dem, was Sie da tun. Ich wünsche Ihnen und ihrem Syrer von Herzen alles erdenklich Gute. Manchmal ergeben sich Möglichkeiten, an die man vorher nicht dachte. Vielleicht auch hier. Fühlen Sie sich gedrückt, Frau Mutti.