Nur eine Schüssel aus Glas
4. Juli 2016
Gestern war in Wallerfangen ein Keramikmarkt. Wallerfangen ist bekannt für sein (altes) Villeroy&Boch – Geschirr und auf diesem Markt lassen sich echtenSchätze erjagen. Die Oppenheimer Freundin kommt ursprünglich aus dieser Kante und freut sich jedes Jahr auf den ersten Sonntag im Juli, wenn der Markt stattfindet. Und dieses Jahr nahm sie mich mit. Zum Glück!
Ich mag schönes Geschirr sehr gerne und jetzt, wo die Familie endlich, endlich aus dem zerbrechlichen Alter heraus ist, gedenke ich mir auch schönes Geschirr zu gönnen. Ein paar Stücke jedenfalls.
Angefangen habe ich gestern mit diesen wunderschönen Terrinen, der Kaffeekanne und dem Milchkännchen.
„Burgenland“ in blau, passt prima zu meinem blauen Friesland. :) Gelernt habe ich gestern, dass die Stempelfarbe etwas über die Qualität des Geschirrs aussagt. Die Terrinen haben einen blauen Stempel, sie sind also zweite Wahl. Die Kannen haben einen grünen Stempel, sie sind perfekt. Perfekt sind alle Stücke für mich, noch perfekter auch deshalb weil jedes Stück nur zwei Euro kostete.
Etwas ausgefallener und ein klitzekleines Bißchen teurer war dieses Geschirr:
Ziemlich alt, Ende Jugendstil vermutlich. Ich schlich ziemlich lange um den Stand herum, vermutlich so lange, bis der Verkäufer hinreichend eingeschüchtert war und mir das Geschirr für 60,-€ verkaufte. Ein Blick ins hilfreiche Internet zeigte, dass ich damit wohl ein echtes Schnäppchen geschossen habe. Obendrein bin ich sehr verliebt in meine Fischteller.
Am allerallertollsten war aber der Fund dieser Schüssel aus Glas.
„Unser täglich Brot gib uns heute“ steht auf dem Rand und naja, das ist irgendwie kitschig und so sehr habe ich es ja nicht mit der Religion. Aber lassen Sie mich ausholen:
Meine Großeltern wurden als Banatdeutsche von Tito aus ihrer Heimat – Jugoslawien – vertrieben. Nach Internierungslager und Entbehrungen kamen sie zusammen mit meiner damals fünfjährigen Mutter in ein winziges Dorf in Rheinhessen. Nur mit dem was sie am Leib trugen und was in den kleinen Koffer passte. (ein Nudelholz zum Beispiel, mit dem der beste Vater meiner Kinder am Samstag den Pizzateig ausrollte) Eine Nachbarin war in Sorge: „Was wärd dann dess jung Fraasche ihrm Kind schunn koche kenne?“ und brachte zur Begrüßung Kartoffelsalat in einer Glasschüssel.
Diese Glasschüssel war bei Oma Eis täglich in Gebrauch und sie zersprang vor ein paar Wochen in tausend Scherben, als ein Gewürzglas darauffiel. Man kann wegen einer zerbrochenen Glasschüssel weinen, wenn sie so viele Erinnerungen trägt.
Die „neue“ Glasschüssel ist nicht die, die ursprüngliche Erinnerungen trägt. Sie ist jetzt zuständig für die Erinnerung an die Erinnerung. Das klingt kompliziert, aber vielleicht verstehen Sie ja was ich meine.
(und genau wegen solcher Geschichten, werden wir hier immer zwischen Krusch, Kram und Krempel leben. „Unwichtige“ Dinge, die Erinnerungen tragen und die Geschichten erzählen. Bleiben Sie mir weg mit diesem reduzierten Wohnen!)
4. Juli 2016 um 12:56
Tolle Schnäppchen. Und eine wunderbare Geschichte. Danke fürs Teilen. Die Erinnerung an die Erinnerung ist sehr viel wert.
Reduziertes Wohnen mag ja ganz schick sein und irgendwie auch praktisch, je weniger Kram man hat, desto weniger muss man sich darum kümmern. Doch was ist mit dem Leben in den Dingen, die man besitzt? Die Erinnerungen, die Geschichten. Für manche mag es Kram und Kruschel sein, für die anderen steckt ein Leben darin, eine Geschichte, eine Erfahrung, Tränen oder ein Glück. Und das ist es doch, was das Leben ausmacht. Und nicht die glattgebügelte Oberfläche…
4. Juli 2016 um 13:16
Einfach nur wunderbar zu Herzen gehend ♥!
Auch hier bei uns in der Familie ein ganz ähnliche Geschichte und auch hier werden vermeintliche Kleinigkeiten sehr, sehr hoch geschätzt deshalb – und nicht reduziert gewohnt :) – für mich der Satz des Tages.
Herzliche,
Ev
4. Juli 2016 um 15:56
hier haben auch die meisten dinge eine eigene geschichte, manche schon weit über 100 jahre, ich würde ja, wenn man mich denn liesse, auch gerne in einem museum wohnen.
da haben sie wunderbare schnäppchen gemacht auf diesem markt, herzlichen glückwunsch! und schön vorsichtig sein beim spülen mit der hand!
4. Juli 2016 um 16:16
Nochmal : Danke, danke, danke.
Ich hatte heute Morgen schon einen dicken Kloß im Hals,
oder vielleicht war es ja auch Kartoffelsalat.
Die Schüssel sieht genauso aus wie die zerdepperte.
Deine Mama
4. Juli 2016 um 16:38
Und ich glaube, dass es in reduzierten Wohnungen ganz schnell auch Erinnerungsstücke gibt. Mich freut ja diebisch dass es dann mit dem „Reduzierten“ schnell zu Ende sein wird. Ich komme aus Ihrer Generation und versuche eine Mischung aus Erinerungsstücke aufbewahren und „es soll nicht zu viel werden“ zu leben. Scheitert immer wieder grandios! Also Alles gut! Tine
4. Juli 2016 um 18:10
Danke, auch hier gibt es viele unwichtige „wichtige“ Dinge…du weißt das.
Der Oma Eis sei z.B. gesagt, dass im Wohnzimmer im Bücherregal immer noch das Lavendelherz liegt, was es auf der Gartyparty zum mitnehmen gab…es riecht zwar nicht mehr sonderlich nach Lavendel, aber die Erinnerung an unser erstes Treffen ist damit immer noch innig verbunden!
In diesem Sinne…ein reduziertes Wohnen ist hier leider auch nicht möglich! Dumm nur, dass hier manchmal Dinge nicht genutzt werden aus Sorge sie könnten kaputt gehen:-(.
Lieben Gruß Uschi
4. Juli 2016 um 18:34
Die passende Platte zu Ihrem wundervollen neuen Geschirr und leider kein Schnäppchen!
http://www.ebay.de/itm/272277035436?clk_rvr_id=1056850724335&rm
Lieben Gruß (ansonsten stille Leserin)Andrea
4. Juli 2016 um 20:27
.
(und was für ein Glück dass diese Glasschüssel Ihren Weg kreuzte. Erinnerungen an die Erinnerung – unbezahlbar!)
5. Juli 2016 um 16:49
Bleiben Sie mir weg mit diesem reduzierten Wohnen!
DANKE! DANKE! DANKE! Den Satz werd´ ich mir merken!
Ruth
5. Juli 2016 um 20:28
Das Fischgeschirr ist ja toll! Das hätte ich auch sofort gekauft, wenn ich es gesehen und mein F. aus dem zerbrechlichen Alter heraus wäre.
5. Juli 2016 um 20:54
Liebe Frau Mutti, diese Schüssel habe ich auch und nutze sie als Obstschale. Ihre Erinnerungen haben mich sehr berührt. Liebe Grüße, aus dem Odenwald
Doris
6. Juli 2016 um 20:32
achhhhh Frau Mutti,
Danke für ihre wunderbaren Geschichten ,mit den passenden Bildern….
immer so herzlichst ,bei Ihnen mit zu lesen…
Mein besonderer dank ,gilt für :
„bleiben Sie mir weg mit dem reduzierten Wohnen“
herzliche Grüße
ihre Brigitte
7. Juli 2016 um 07:25
Großartig!!!