Zwei große Pakete standen gestern im Weltladen, beide voller Geschirr, das wir noch für die Wiedereröffnung bestellt hatten. Ich musste auspacken, die Ware überprüfen, auszeichnen und zuletzt hübsch ins Regal packen.

Eine zeitaufwändige Sache, doch meistens geht mir so etwas schnell von der Hand. Gestern aber nicht, denn gestern musste ich ganz viel aus dem Schaufenster schauen und amüsiert grinsen. Weil: gegenüber des Weltladens ist ein Pokétreff. Und weil gestern das Spiel pokémonGO epidemieartig auch Nierstein überschwemmte, konnte ich sehr viele Jugendliche beim Pokémonfangen beobachten. Praktischerweise wurde halbstündlich ein Lockmodul geschaltet, so dass ich nicht nur beobachten, sondern auch viele tolle Pokémons selbst fangen konnte.

Die Epidemie hat mich nämlich auch erwischt und ich verfalle ihr nur allzu gern! Es ist einfach zu witzig, diese merkwürdigen Pokémons aufzustöbern und letztlich auch zu fangen. Dass man sich dabei draußen auch noch bewegen muss, ist ein erfreulicher Nebeneffekt und sollte doch der „die Jugend von heute versauert vor ihren Endgeräten“-Fraktion den Wind aus den Segeln nehmen.

Früher (2005) jagte man Pokémons übrigens so:

Fernsehen war zu dieser Zeit weitestgehend uninteressant, am Computer spielen oder mit dem Gameboy zu versacken hingegen das Allergrößte. Es begann also das Thema „Medienerziehung“ bei uns und wenn ich heute Artikel zu „unerzogen“ und „selbstbestimmt“ lese, muss ich schon sehr kichern, denn ohne Reglementierung und Einmischung von uns Eltern wären die Kindelein hinter diesen Geräten vor Faszination vermutlich schlicht verhungert. (Wir beschlossen übrigens: eine Stunde Medien, welcher Art auch immer, ansteigend mit wachsendem Alter, Hausaufgabenrecherche am Rechner zählt nicht. Falls es Sie interessiert.)

Wenn die Kindelein in ihren Betten lagen, durfte endlich ich auf dem Gameboy Pokémons jagen. Allerdings niemals meinen Spielstand speichern, denn ich spielte ja das Spiel der Kinder weiter, mehrere Accounts konnte man nicht anlegen. Angefangen zu spielen hatte ich, weil ich natürlich wissen wollte, was die hinreißenden Bestien da so fesselte, weitergespielt hatte ich, weil es mich gleichermaßen fesselte. Gameboy/Pokémon-Verbot gab es übrigens auch zwei,dreimal für den Großen, als jeder seiner Sätze mit dem Namen eines Pokémons begann und sein Leben nur noch um dieses Thema kreiselte. Die anderen beiden stiegen nie so exzessiv ins Thema ein. Ich schon, ich bekam eine Sehnenscheidenentzündung vom Daddeln und das war mir dann auch eine Lehre.

Damals war das neu, dieses Spielen an Gameboy oder Computer. (am Computer übrigens die grandiosen Spiele von Terzio. „Klopf an!“ als Einstieg, später die verschiedenen „Max und …“-Spiele. Oder die witzigen „Petterson und Findus“-Spiele.) Wir Eltern hatten keine Ahnung, was das mit unseren Kindern macht. Ob sich nun alle Kinder plötzlich in zappelige Hibbelkinder ohne Konzentrationsvermögen verwandeln würden, sie früher oder später erblinden könnten oder von Stund an einsam, als bleiche Made, sich nur noch von Pizza ernährend vor dem Rechner versacken würden. Im Freundeskreis diskutierten wir heiß, letztlich suchte jede Familie die für sich beste Lösung. Unsere – schnell zusammengefasste – Lösung war: Faszinierendes Zeug, Zugang ermöglichen, immer am Ball bleiben und ein bißchen darauf achten, dass der Stellenwert nicht zu hoch wird, Alternativen finden. Und auf gar keinen Fall verteufeln oder verspotten, stattdessen interessiert und tolerant für vielleicht Neues/Merkwürdiges sein.

Damit lebten wir prima.

Ein paar Jahre später boomte geocaching. Mit dubiosen Kästchen in der Hand wanderten Menschen durch teils unwegsames Gelände, um Plastikdosen zu finden und sich in ein Logbuch einzutragen. „Kann man nicht einfach nur wandern?“, fragten viele Menschen, „Immer muss alles irgendwie mit Computern zu tun haben.“ Wir cachten mit Begeisterung und befanden: „Ja, dank Computer macht dieses Rumwandern noch viel mehr Spaß! Auch – und gerade – den Kindern.“

Die Kinder bekamen eigene Rechner, eine Wii zog ein. Die Kinder kauften sich neue, bessere Computer und jedes besaß plötzlich ein Smartphone. Sie verbrachten und verbringen sehr viel Zeit an und mit diesen Geräten, genauso wie wir Eltern. Nebenbei haben sie es aber trotzdem geschafft, lebenstüchtige, kluge junge Erwachsene mit stabilem Freundeskreis zu werden. (wir klopfen uns dafür selbstverständlich auf die Schulter und ich werde demnächst ultimative und allgemeingültige Ratgeber schreiben, um mir endlich eine goldene Nase damit zu verdienen)

Ich spiele nicht mehr jedes Conputerspiel um mitreden zu können, halte aber beim Internetgeschehen ganz gut mit. Und versuche weiterhin tolerant und interessiert Neuem/Merkwürdigem gegenüber zu sein. Weil es nämlich neu ist und wir noch gar nicht wissen können, ob es wirklich so furchtbare Dinge mit uns Menschen anstellt, wie man befürchten könnte. Gestern habe ich erlebt, wie sich verschiedenste Jugendliche an der frischen Luft (!) trafen, die einzige Schnittmenge der Gruppen war ein ziemlich schlichtes Computerspiel. Alle freuten sich, als ein Enton auftauchte, alle waren sich einig, dass es viel zu viele Taubsis und Zubats gibt. Team Rot saß bei Team Blau und als einer von Team Gelb vorbei kam, wurde er bemitleidet, weil er so alleine war.

Es klingt merkwürdig, was diese Pokémonspieler da sprechen und ein bißchen dämlich sieht es auch aus, wie sie da rumstehen und mit dem Zeigefinger über eine Glasplatte zu wischen, um ein virtuelles Wesen zu fangen. Das muss aber niemandem Angst oder Sorge bereiten, denn da haben Menschen einfach nur Spaß an etwas Neuem. Kein Grund zu spotten oder abwertende Bemerkungen zu machen.

Morgen freuen sich wieder alle über Fußball. Oder das Dschungelcamp.

14 Kommentare zu “Vorgestern, gestern, heute und morgen?”

  1. Caramelia sagt:

    Liebste Frau … äh … Mutti!
    Vielen vielen Dank für diesen tollen Bericht, wie tolerant und erfreut man mit medienbegeisterten Kindern umgehen kann.

    Ich bin auch total dem Pokemonfieber verfallen und was soll ich sagen … es tut meiner Fitness gut, die Grundstimmung hat sich gebessert (viele viele kleine Erfolgserlebnisse über den Tag verteilt) und ich habe erstaunlich viele nette, freundliche, mehr-oder-weniger junge Leute kennengelernt – alle auf der Jagd! Ich für meinen Teil bin restlos begeistert von dem Spiel und hoffe, dass die Nörgler irgendwann kapieren, dass – wenn man mit ein bisschen Hirn und Verstand dran geht – nichts negatives dabei ist.

  2. Maufeline sagt:

    Es war soooo nett, am Mittwoch in der Stadt auf so viele Spieler zu treffen! Wir waren eher die „älteren“ mit 35 und 43, die meisten waren so um die 20.
    Und als mein Jüngster mit dem Sartphone irgend etwas einfing. da leuchteten die Augen der anderen Spieler, weil „SOOOOO toll, dass die Kleinen das schon alles so mitbekommen!“

    Außerdem ist mein großer Sohn mit seinem Freund anderthalb Stunden spazieren gewesen. Kleines Weltwunder ;-)

    Liebe Grüße,
    Katha

  3. aprikaner sagt:

    Danke für den Artikel, wir sind auch angefixt und haben durch das Spiel den Pubi schon den 2. Tag lange an die Frische Luft bekommen *gg* schon dafür ist es toll!

    ganz liebe Grüße
    Anja

  4. Tellerränder sagt:

    Bingo! Genauso war es bei uns auch. Und jaaa , meine Jungs ( heute 24 und 28 Jahre alt) haben auch diverse Ballerspiele mit Begeisterung gespielt, genau wie der komplette Freundeskreis. Auch diese Phasen gingen vorbei. Bei uns war die Intensität mit der gedaddelt wurde , auch sehr von den Jahreszeiten abhängig. Im Sommer wenig, im Winter ganz viel.

    Jetzt also Pokemon Go! Warum nicht!

    Besser als vor dem TV hängen und sich das Hirn mit „Bauer sucht Sau“ „Frauentausch“ “ Ich verklag dich“ oder ähnlichen Sozialpornos verblöden zu lassen.

    Viel Spaß beim Jagen und Fangen! LG Tellerränder

  5. Antje sagt:

    Wie immer sehr schön, humorvoll auf den Punkt gebracht :)
    Ich würde mir wünschen ich könnte das so schreiben – ich teile es einfach auf FB *g* ist ja ganz meiner Meinung – sogar die gleichen Erziehungsmethode sind wir gefolgt.

    Leider habe ich bei meinem Laden keinen Poketreff/Stopp etc. und auch mein Gassi/Arbeitsweg hat keine Pokémons und dann bin ich auch noch Team gelb beigetreten *alleinalleinsing* ;)

  6. Ich sagt:

    Klar, jeder wie er mag.
    Aber ich finde das Bild mit den drei Kindern heftig, die ihre Umwelt nicht mehr wahrnehmen.
    Und, ehrlich gesagt, diese Kinder machen keine Arbeit! Es ist einfach sie so vor dem Handy/Spielkonsole und was auch immer ihr alles habt, zu parken.

    Sei ehrlich, denkst du nicht, dass die massiven Probleme deines Sohnes mit dem immensen Medienkonsum zusammenhängen ?

  7. Frau Miest sagt:

    .

  8. Nicole sagt:

    Manchen Kommentatoren hier würden Medikamente vielleicht guttun. Vielleicht ist es dafür aber auch achon zu spät.

  9. Rona sagt:

    Sehr geehrte Frau „Ich“,

    ich lese Ihren Kommentar und ärgere mich über Sie!

    Denn es ist
    a) einfach, im Netz sich hinter einem „Ich“ zu verstecken und zu lästern,
    b) durch ein Foto (eine Momentaufnahme) auf eine Familiensituation zu schließen.

    Alle, die den Blog von Frau….äh….Mutti schon länger verfolgen, wissen, dass genau Ihre Wahrnehmung/Ihr Bild nicht zutrifft.

    Ich frage mich, wer/wie/was Sie sind? Verbittert? Einsam? Kinderlos? Neidig? Eifersüchtig?
    Oder einfach nur im „eigenen ICH“ gefangen ……
    Ohne der Fähigkeit, den Beschreibungen von Frau…äh…Mutti zu folgen und sie aufzunehmen?

  10. Dörthe sagt:

    Wieder mal ein toller Artikel. Es ist immer gut, den goldenen Mittelweg zu finden.
    Hier ist auch das große Pokémon-Fieber ausgebrochen, allerdings nicht bei mir.
    Viele Grüße, Dörthe

  11. Petra sagt:

    „Aber ich finde das Bild mit den drei Kindern heftig, die ihre Umwelt nicht mehr wahrnehmen.“

    Wie so oft … hätten die Kinder statt der Gameboys (oder was auch immer da zu sehen ist) Bücher in den Händen, wäre die heile Welt für „Ich“ wohl in Ordnung, dann wäre das „die Umwelt nicht mehr wahrnehmen“ ganz wundervolles „in einer Phantasiewelt versinken“ und pädagogisch allerhöchst wertvoll.
    Selbst wenns der blödeste Schinken der Welt wäre – Hauptsache, es ist analog … *augenverdreh*

  12. Brigitte sagt:

    Da hat doch jede Generation das ihre: in der Generation meiner Großeltern galten lesende Mädchen als „Blaustrümpfe“, die dann in späteren Jahren eher eheuntauglich waren (ach du liebe Zeit!), meine Geschwister und ich hingen Sonntag Nachmittag bei bestem Sommerwetter im abgedunkelten Zimmer vor dem Fernseher (Ivanhoe! Rinaldo Rinaldi! Daktari!)und in dieser Generation sind es eben die Gameboys. Hier schleichen auch die Kinder und Jugendlichen mit gezücktem Handy ums Haus. Da wünsche ich viel Spass!
    Viele Grüsse, Brigitte

  13. Svenja sagt:

    Ein ENTON? Ahhh, ich suche und finde keines :( Neid :D

  14. Sunni sagt:

    Ach, Frau Mutti…., das ist aber mal ein „netter “ Trollkommentar. Meine Güte aber auch, was Menschen aus Langeweile und Fantasielosigkeit so alles einfällt. Und sich ICH zu nennen ist ja schon mehr als genug Zeichen. Wie ich Sie kenne, haben Sie herzhaft gelacht. Alles Gute für alle in der Familie! was macht das Afrikakind eigentlich? Herzlich, Sunni