Sentimentalitis

19. Januar 2006

An trüben, grauen Nachmittagen, wenn der beste Vater meiner Kinder im Homeoffice sitzt und kein Kind mit mir spielen will, bleibt nichts, als eine gemütliche Stunde mit Laptop auf dem Sofa. Von Seite zu Seite treiben lassen … und schließlich bei ihr einem link zu ihr zu finden, der mich umgehend in die „gute, alte Zeit“ katapultiert. *streicht sich die graue Dauerwelle aus den Stirnfalten*

Angesteckt und unter akuter Sentimentalitis leidend erinnere ich mich zurück.

Es war damals ungemein wichtig, dass Rollschuhe nicht mehr nur Eisengestänge mit Lederschnallen waren. Rollschuhe waren direkt an einem Stoffturnschuh festgeschraubt, hatten bunte, breite Rollen und einen Stopper, denn ich nie richtig beherrschte und der mich regelmäßig unschön zu Fall brachte. Sie hießen Rollerskates und wer nicht Rückwärtsfahren konnte, hatte die teuren Dinger eigentlich nicht verdient. Gebremst wurde in einem eleganten Kreis. Dazu musste man irgendwie die Füße parallel stellen und dabei nicht hinfallen.
Wer keine Rollerskates hatte, hatte vielleicht ein BMX-Rad, mit dem er über irgendwelche Erdhügel rumpelte. Mit BMX-Rädern konnte man tolle Kunststücke machen, man konnte mit ihnen Bordsteinkanten runter – und mit etwas Übung auch raufspringen. Echte Künstler konnten nicht nur auf dem Hinterrad stehend fahren, sondern auch auf dem Vorderrad. Für längere Strecken war das BMX-Rad aber ungeeignet. Ich bekam dafür ein Hollandrad mit drei Gängen und einem Ständer, der irgendwie um das Fahrrad herum geklappt werden musste.
Auf dem Kopf trug man einen Topfschnitt: der Nacken ausrasiert, das Deckhaar länger und kerzengerade ringsherum abgesäbelt. Und im Nacken „das Schwänzchen“, eine Haarsträhne, die besonders Mutige blondierten. Das Schwänzen wurde geflochten und mit Perlen verziert oder mit Haarspray irgendwie zu einem Ringelschwänzchen gezwirbelt. Und je länger, desto besser!
Die Haare wurden mit Apfleschampo gewaschen, das genau so roch, wie es aussah. Meine Mutter übersprühte den künstlichen Apfel auf ihrem Kopf immer mit Elnette Goldlack-Haarspray, für mehr Glanz und Fülle.
In der Werbung badeten die Frauen ihre Hände in grünem Spülmittel, Clementine kannte sich mit Waschmittel aus und der General wusste: „Nur was richtig sauber ist, kann richtig glänzen!“ (Klack, klack, klack, schon hatte die Putzende lustige Schulterklappen auf der Bluse).
Nach der Schule kicherten wir Mädchen uns durch die Cri-Cri-Geschäfte. Da die Leonardo-Gläser für den Taschengeldbeutel zu teuer waren, sammelten wir duftende Bleistifte und Radiergummis, Spitzer, die mit Glitzergel gefüllt waren und diese Plastikhüllenstifte, bei denen die einzelnen Spitzen von unten nachgeschoben worden konnten. Ausserdem gab es winzige Fläschchen mit Erdbeer-, Zitrone-, Heidelbeer-, Cola- und Kokos – Duft. Ich glaube, das war Parfüm.
Unser Taschengeld investierten wir aber auch in Süßigkeitn: Für einen Groschen gab es dieses Wassereis in der Plastikhülle. Das Plastik musste man abnagen und es gab zwei Methoden, dieses Eis zu genießen: 1. kräftig am Eis saugen, bis es Farbe und Geschmack verloren hat, das gefrorene Wasser wegwerfen. 2. das Eis schmelzen lassen und das gefärbte, süße Wasser trinken. Grün schmeckte am besten.
Überhaupt habe ich in meiner Kindheit viel Plastik gekaut, den zu meinen Lieblingssüßigkeiten gehörten auch diese langen Plastikröhrchen, die mit Brause gefüllt waren. An die Brause kam man nie so richtig dran und deshalb bissen wir einfach immer ganze Stücke vom Röhrchen ab, kauten die Brause heraus und machten den Plastikbrocken-Weitspucken. Brauner Bär war auch sehr lecker. Und Sugus. Und damals färbte die Ahoi-Brause noch das Wasser, die Zunge und die Klamotten.
Eine zeitlang trug man Ernesto-Jeans und Sasch T-Shirts und dazu die richtigen Turnschuhe. Entweder adidas allround oder chucks. Zwei oder vier Streifen gingen gar nicht und auf den Stoffturnschuhen musste Converse stehen. Man trug Clochard-Jeans, kurze Zeit später Reiterjeans. Ich hatte keine von beiden und danke heute meiner Mutter für ihren sicheren Geschmack.
Die meisten Mädchen lasen Denise-Romane, als ich noch auf fünf Freunde und die drei Fragezeichen stand. Und von Mitternachtspartys träumte, mit Dolly, Hanni und Nanni. Die Bravo las ich heimlich, anfangs tackerte ich die Aufklärungsseiten verschämt zusammen, später kaufte ich die Bravo nur noch wegen dieser Seiten. Ausserdem las ich die PopRocky. Irgendwann erweichte meine Bettelei auch die Herzen meiner Eltern und ich bekam einen Walkman. Es war eine echte Kunst, Musik aus dem Radio aufzunehmen, ohne die neuesten Verkehrsmeldungen mit drauf zu haben. Ich erinnere mich gerne an „Jeanniääääiiiiiiehh, live is not … *füüüüt*SWF 3 Verkehrsbericht“. Aus den Kassetten musste man so eine kleine Plastikzunge brechen, damit man sie nicht aus Versehen wieder überspielte. WENN man sie doch wieder überspielen wollte, trotz herausgebrochener Zunge, musste man aus Tesa ein küddelchen formen und dieses mit einem weiteren Streifen Tesa am untern Kasettenrand fixieren, eben dort, wo die Plastikzunge war. Mit dem Tintenkiller von geha konnte man Bandsalat am Schnellsten wieder aufwickeln..
Fernsehen gab es bei uns selten, meine Eltern waren streng. Aber beide waren berufstätig und in den Ferien gab es das Ferienprogramm dann eben heimlich: „Hal-lo Leute es sind Ferien, alle machen blau von Flensburg bis nach Oberammergau!“ Mit Wunschfilm! Mit meinem Opa sah ich Western von gestern, Bonanza, die Charlie Chaplin Filme und Peter Alexander als Charlys Tante.
An die meisten Sendungen kann ich mich kaum erinnern, aber die Titelmelodien sind sofort präsent. Ob ich irgendwann mal einen Nutzen daraus ziehen kann? „1, 2 oder 3, du musst dich entscheiden, drei Felder sind frei …“ *blobb*

Wer hat an der Uhr gedreht ?! Schluss für heute.

diesmal der Schornsteinfegerin.
Die durfte heute lernen, dass ein Schornstein auf dem Dach ist.
Manche Dächer kann man nur von außen erreichen. Unseres zum Beispiel.
Das ist aber gar nicht so schwer, wenn man eine Leiter benutzt. Die stellt man einfach an der Terrassenseite gegen die löcherige Regenrinne und überwindet einen Höhenunterschied von etwa 2,50 Metern. Oben trifft man auf einen kleinen Steg, denn der Schornsteinfegerkollege vor ein paar Jahren auf unser entzückendes Eternitdach gebaut hat, um zu verhindern, dass die fiesen Asbestplatten durch Schornsteinfegertritte Löcher bekommen und vom Schornsteinfegerkonto ersetzt werden müssten.
Diesem Steg folge man bis zum Schornsteig.
Reinigen, runterklettern, Unterschrift einfordern, Tschüss sagen und gehen.

Morgen setzen wir das heute Gelernte um und bringen eine Leiter mit, ok?
Schornsteinfeger – Leiter! Eins, zwei, drei, vier – das Glück gehört mir.

how to be happy

18. Januar 2006

Öffne das Paket mit den erwarteten Schuhen.
Freue Dich darauf und darüber.
Entdecke eine Tafel Schokolade, die die freundliche Firma mal eben dazu gelegt hat.

Schuhe UND Schokolade – scheint doch ein guter Tag zu sein.

Das Grauen

17. Januar 2006

vor der Tür.
Regen, Schnee, Schneeregen.
Wegen glatter Straßen arbeitet der beste Vater meiner Kinder im homeoffice, der Kleinste wurde eine Stunde später geholt und der Große fuhr mit dem Zug.
Und Muttern? Die weiß nicht, wie sie stehen, sitzen, liegen soll, kann nicht tippen und gar nix. Nur etwas gegen die Schmerzen und geschwollenen Gelenke einwerfen.
Nasskalt = Rheuma.

Und deshalb: bis morgen oder bis zum nächsten klar-kalten odere noch lieber: warmen Tag!

Das Knastblog.

Frau … äh … Mutti erwägt für sechs Wochen hinter Gittern zu verschwinden, quasi von der schwedischen Möbeleinrichtung hinter schwedische Gardinen. Alternativ könnte sie auch 1000,- Euro Strafe zahlen.
Dies natürlich nur dann, wenn sie am 18.05.2006 nicht vor Gericht erscheint um eine Zeugenaussage zu machen. Die Lust dazu hält sich doch deutlich in Grenzen, zumal der Organisationsaufwand nicht unerheblich ist. (hallo liebe Schwiegermutter, würdest du bitte meine Kinder übernehmen, kochen, Hausaufgaben … und falls du nicht da sein solltest – liebe Freundin könntest du … etc.)

Wenn die Kinder bei diesem Gedanken nicht sofort in lauthalses Protestgeschrei ausgebrochen wären und der beste Vater meiner Kinder mir nicht glaubhaft versichert hätte, dass ich im Knast weder Laptop noch Internet habe, hätte mich ein sechswöchiges Knastblog wirklich gereizt: „Die Knastschwester“ oder so.