Politisch nicht korrekt

29. August 2012

und wahrlich dünnes Eis, auf dem ich mich da bewege. Ich erzähle es Ihnen jetzt trotzdem.

Unsere Nachbarn kommen aus Polen. Nicht schlimm, ehrlich
Als sie vor ein paar Jahren in das Haus schräg gegenüber einzogen, war die Bude voll. Das Elternpaar und fünf Kinder. Nicht schlimm, wirklich.
Nach kurzer Zeit zog der Ehemann und Vater aus. Schlimm für die Nachbarin und die Kinder.
Ein neuer Mann zog ein. Schön für die Nachbarin, das sechste Kind wurde geboren.
Der neue Mann ging nicht zur Arbeit. „Keine Lust, zu anstrengend.“, sagte er selbst und das war schlimm für die Vermieterin des Hauses, denn die bekam kein Geld mehr.
Die Beziehung der Nachbarn schien zu leiden und eskalierte häufig lautstark und handgreiflich. Schlimm für die Kinder, blöd für die Anlieger: wann muss man denn da einschreiten, wann braucht es dort Hilfe, wann ruft man die Polizei?
Die Polizei kam oft. Die Streitereien im Nachbarhaus erreichten ungeahnte Maße, Kinder weinten, der Hund winselte und jaulte und die Anlieger mieden die Straße, aus Sorge angeschrieen und beschimpft zu werden.
Der Lebensgefährte zog aus, ein neuer zog ein. Arbeiten geht er nicht, aber austeilen kann er prima. Die Streitereien und das Geschrei werden mehr und lauter.
Mittlerweile steht zum vierten Mal ein Termin zur Zwangsräumung. Miete und sämtliche anfallenden Kosten hat die Verbandsgemeinde übernommen. Fein für die Vermieterin, die nun wieder Geld sieht.
Am 15. September soll geräumt werden. Doch wahrscheinlich wird auch dieser Termin ohne besondere Vorkommnisse verstreichen, denn eine Mutter mit sechs Kindern muss erstmal untergebracht werden können. Sozialwohnungen vom Amt gibt es keine.

So weit die Fakten, beinahe sachlich formuliert.

Und nun die emotionale Seite.

Ich werde krank, ich kann das nicht mehr aushalten. Das Geschrei und Gekeife, das täglich, stündlich auf mich einprasselt, zermürbt mich. Macht mich aggressiv. Macht, dass ich das Fenster aufreissen und auch mal „HALT’S MAUL!“ schreien will. So sage ich nur so vor mich hin: „sei endlich, endlich still. Hör auf zu schreien.“
Ich meide den Garten, besonders den vorderen Teil, der direkt an die Straße grenzt. Zu laut, zu viel.
Wenn wir auf der Terrasse sitzen, finden wir den Frankfurter Fluglärm nicht mal mehr so schlimm, der übertönt wenigstens den Streit.
Die Schwätzchen mit den anderen Nachbarn auf der Straße finden kaum noch statt. Keiner mag stehen bleiben, weil man angepöbelt oder beschimpft wird. Oder den Hitlergruß gezeigt bekommt.
Ich möchte die Grüne Villa verkaufen und wegziehen.

Und dann wohnen diese zwei Seelen in meiner Brust.
Die soziale, verständnissuchende, ewig harmoniesüchtige, kritische Seele, die forscht, ob ich da nicht vielleicht überreagiere, womöglich schon darauf warte und lausche, ob sie wieder schreit und ich mich aufregen kann. Und den Kindern geht’s doch ganz gut, die sind hier sozialisiert, zumindest die jüngeren Kinder gehen in Kindergarten und Grundschule. Und bald kommt ja auch der Winter, da sind alle Fenster und Türen zu. Und gerade eben höre ich ja auch nix.
Dann ist da die böse, schwarze, irrational wütende Seele, die schreit und tobt und einen Dreck auf Gerechtigkeit, Anstand und politische Korrektheit gibt. Die sich sarkastisch überlegt, wieviel Hilfe und Unterstützung ich als alleinerziehende Deutsche in Polen bekäme, die mal quer rechnet, wieviel wohl die Zigaretten für vier Raucher kosten und die Anschaffung, bzw. der Unterhalt von drei Smartphones. Und wie bescheuert der beste Vater meiner Kinder ist, dass er Tag für Tag schuftet, statt mit mir draußen zu sitzen und das Klischee-Frühstücksbier zu trinken. Wir können uns dann auch gerne ein bißchen anschreien.

Diese wütende Pia mag ich gar nicht. Zum allerersten Mal im Leben bin ich ganz und gar hilf- und ratlos. Und sehr, sehr erschöpft. Oh, und nicht allein damit, was aber kein bißchen hilft.

Natur und so

28. August 2012

Mal eben die Birke umhauen möchte ich eher nicht.
Fragen sie mich in sechsachtzehn Wochen mal, wenn die Terrasse unter gelben Blättern begraben ist. Nein, nicht was Sie denken: dann kommt kein Jammern und Klagen. Ganz im Gegenteil. Diese leuchtendgelben Herbstbirkenblätter leuchten noch vor dem allertrübsten Himmel und sind absolutenStimmungsheber. Und sie geben mir den nötigen Tritt, meinen Hintern nach draußen zu bewegen und zu kehren. Im Sommer bin ich gerne draußen, da brauche ich weder Druck- noch Lockmittel. Im Herbst allerdings schlägt das Igel-Gen zu: fettfressen und unter warmen Schichten zusammenrollen.

Die Birke bleibt. Spätestens Ende Februar, wenn die Spitzen an den dünnen Ästchen ganz zart grün schimmern, habe ich sie wieder lieb.
Ausserdem … würde ich heute die Birke fällen, müsste ich konsequenterweise morgen den verwilderten, riesigen Kirschbaum folgen lassen. Der blüht zwar wundervoll und üppig, doch im Sommer produziert er Millionen von Kirschen. Oder etwas, von dem er denkt, es seien Kirschen. Es sind nämlich Kerne mit roter Haut drüber, nicht mal Maden haben da Platz zum Wohnen. Und weil niemand diese Kirschen möchte, ausser ein paar Amseln, die dann rote Flecken auf die Terrasse und die darauf trocknende Wäsche kacken, fallen sie eben runter. Und plötzlich interessieren sich eine Menge Viecher für die gärenden, faulenden Dinger auf dem Boden. Schmeißfliegen zum Beispiel. Und Wespen. Ich, als alte Barfußläuferin, umlaufe den Baum großräumig oder trage Flipflops. Zusammenrechen geht nicht, einzeln aufsammeln ist mühselig und eklig. Liegenlassen und zwei Wochen Geruch und Gesumm ertragen führt zu einer Kirschbaumexplosion im folgenden Frühling, mindestens zwei Drittel der verschmähten Kirschen treibt aus. Rasant, zäh.
Äste schmeisst der Kirschbaum auch ab, deutlich größere und knorrigere als die niedlichen Birkenreisige. Dafür sorgt er aber dafür, dass wir auch im Hochsommer draußen sitzen können.

Rausschmeissen müsste ich übrigens auch die großen Holunderbüsche. Jaja, ich weiß, alle Welt kann nicht mehr ohne Hugo leben. (Hugo hieß früher einfach Sekt mit Holunderblütensirup, ein bißchen Eis und Wasser und Minze, wer mag). Wohl sei also dem, der im Frühling Holunderblütensirup ansetzt, damit er im Sommer kühle Erfrischung genießen kann. Leider sitzt oft Laus an Laus im Frühling im Holunder, so dass ich keine Dolden schneiden und ansetzen mag. Nennen Sie mich gerne pinzig ;)
Übrigens riecht es im Garten zur Zeit des blühenden Holunders so, als haben sich alle Katzen der Nachbarschaft zum Wettpinkeln getroffen. Wenn es dann endlich kräftig regnet, ist der Geruch weg. Die Läuse auch und aus den hübschen Sternchenblüten sind kleine, grüne Beeren geworden. Zu spät.
Aus den kleinen, grünen Beeren werden dicke, lila, sehr saftige Beeren, die niemand in der Familie mag. Die Vögel mögen sie gerne, immerhin. Ein Großteil der Beeren landet also auf dem Boden und … im Frühling gibt’s eine Holunderexplosion.
Aber in den Holunderbüschen nisten eine Menge Vögel, unsere Hängematten passen dazwischen und Holunder schickt die allerersten Frühlingsboten: schon Ende Januar zeigen sich kleine Blättchen.

Ich möchte manchmal den Garten „anhalten“. Im Frühling zum Beispiel, wenn ich im allerersten Arbeitseifer alles gerodet habe und das Farbfeuerwerk aus Akeleien, Tränendem Herz und verschiedensten Tulpen leuchtet. Oder wenn die Obstbäume blühen. Selbst wenn nur der so-tun-als-ob-Rasen gemäht ist ;)
Ich liebe Gartenbücher, lese wahnsinnig gerne Blogs von Menschen, die tolle Sachen in und mit ihren Gärten machen, kaufe ständig Saatgut, Knollen, Zwiebeln und mehrjährige Stauden (und werfe das Zeug den Schnecken zum Fraß vor). Ich weiß genau, wie mein Garten aussehen soll. Aber mein Enthusiasmus und Arbeitseifer reicht nicht für den Traumgarten. So kommt es, dass ich zum Beispiel über Birken schimpfe. Weil die eben Arbeit machen, nie endende Arbeit. Wie dieser ganze verwilderte, blöde, verwucherte, tolle, geliebte Garten.

1. Kellerräume, die zu Wohnräumen umgebaut wurden. Außer man schafft sich zeitgleich mit Bezug der Räume eine hohe Spinnentoleranz an. Irgendwo im Garten leben handtellergroße Spinnen, denen die ersten herbstlichen Nächte draußen langsam zu kühl werden und die es total klasse finden, fett und haarig an der Decke zu sitzen.
Ich mag Spinnen. Draußen. Hinter Gittern. Im Fernsehen. In Bildbänden. Oder VOR dem Fenster, so wie die dicke Kreuzspinnendame, die ihr Netz vor das Fenster gesponnen hat, so dass ich einen natürlichen Mückenschutz dort habe.
Spinnen, die nachts heimlich über mir entlang kriechen sind unerwünscht.

2. Und weil ich gerade den Herbst erwähnte: niemals sollte man sich Birken in den Garten pflanzen. Die Birke in unserem Garten war schon da und ich fand sie toll. Damals, als wir im Dezember einen etwas struppigen, aber doch charmanten (dachten wir) Garten besichtigten. Toll fand ich auch, dass im Frühling die Birke das erste zarte Grün ins Gestrüpp zauberte. Dann begann sie zu blühen. und zu verblühen. Und Verblühtes auf unsere Terrasse zu werfen. Von dort trugen wir verblühtes in jede Ecke des Hauses. Als endlich alles, was Verblühen und Runterfallen kann, verblüht, runtergefallen und in unserem Haus verteilt war, warf die Birke trockene Ästchen ab. Je heißer der Sommer, je kräftiger die Sommergewitter, je stürmischer ein Sommerwind, desto größer die Ästchen, die sich auf der Terrasse stapelten. Sehr zur Freude der Kater, die das Verteilen von dürren Birkenästen in unserem Haus als Lebensaufgabe betrachten und diese gewissenhaft erledigen. Wenn man glaubt, die Birke müsse nun endlich fertig sein, ist das, was im Frühjahr geblüht hat, zu lustigen Würstchen herangereift. Birkensamenwürstchen. Birkensamenwürstchen werden nicht als ganzes abgeschmissen, sondern sie dröseln auf. Ein Würstchen enthält etwa achtzig Millionen plus/minus sieben einzelne Samen, die wirklich überall hinfliegen. In Kochtöpfe, in die Unterwäscheschublade und in die mehlmottensicheren Plastikdosen. Auf der Birke wachsen soviele Würstchen, dass man mehrere Regenwälder wieder aufforsten könnte. Ich verbringe also meine Tage derzeit damit, Birkensamen aufzukehren, abzusammeln, wegzusaugen und mit spitzen Fingern aus den Regenwasserabflüssen der Terrasse zu polken. Dort treiben sie nämlcih umgehend aus und versuchen unser Haus zu assimilieren. „Wir sind Birk. Widerstand ist zwecklos.“
Die drei Tage im Jahr, an denen die weißschwarze Birkenrinde vor eisigem, blauem Winterhimmel glänzt, wiegen den ganzen Mist nicht auf. Ehrlich!

3. Joggingschuhe. Weil wenn man die erstmal im Haus hat und vielleicht sogar eine Menge Geld dafür gezahlt hat, wird entweder das schlechte Gewissen ständig „die Schuhe waren teuer und du wolltest immerdauerndoft laufen gehen“ murmeln bis schreien oder die erschrockenen Muskeln werden murren, weil sie immerdauerndoft beansprucht werden. Ich suche noch die Balance, scheine aber bei „jeden zweiten Tag“ angelangt zu sein.

4. Hier könnte jetzt „Kinder“ stehen und ich könnte ähnlich wortreich wie bei den Birken und vielleicht ein bißchen witzig erzählen, wie mir die Brut das Leben schwer macht, doch, auch wenn man das kaum glauben mag und diese süße Harmonie fast klebrig ist: alles toll, alles prima, alles rund. Ich bin stolz, glücklich, überaus entspannt und zufrieden. Und (aus derzeit auch sehr persönlichen Gründen) froh, Kinder zu haben.

5. Katzen. Falsche, fiese, flusige Viecher. Schleppen Birken, tote Tiere und lebende Zecken ins Haus, kotzen Grasbüschel unter den Küchentisch, verlieren das ganze Jahr über soviele Haare, dass es mittlerweile Bastelbücher über das Filzen mit Katzenhaaren gibt und sind so niedlich und lustig, dass man den Rest beinahe vergisst.

6. Ein Hobby. Weil Zeit hat man eh nie dafür. Und wenn man Zeit hat, keine Lust. Aber vielleicht weiß ich morgen ja auch wieder was, worüber ich schreiben könnte. ;)

dies und das

21. August 2012

Ich würde gerne einen längeren, zusammenhängenderen Artikel schreiben, aber der Lüfter meines Computers pustet warme Luft durch die Gegend. Und mal ehrlich: warme Luft gibt es draußen genug. (warme FEUCHTE Luft sogar und die kann gerne verschwinden)

Deshalb gibt es hier nur rasch Stichworte.

 

– der jüngste Sohn geht weiterhin fleissig zur Logopädin. Jedesmal wenn ich ihn abhole und mir berichten lasse, was getan wurde und was er üben muss, mutiere ich zu einem stotternden, lispelnden Irgendwas, das keinen gerade Satz rausbringt. Die Logopädign spricht so klar akzentuiert und moduliert, das schüchtert mich völlig ein.

– das captcha-Dings ist vorerst weg. Deshalb darf ich mir gerade wieder an vermehrt auftretendem Spam-Scheiß erfreuen. Mal umsehen, welche Lösung es gibt.

– neulich schrieb ich, was ich mir für ein paar Milliönchen leisten würde. Ich ergänze die Liste um einen eigenen See. Mit hübscher Sandbucht, einem Steg ins Wasser, tollem Baumbestand drumherum und voll mit glasklarem, kühlen Wasser. Und wenn ich schon träume: Mücken würden diesen See aus irgendwelchen, für Menschen garantiert nicht schädlichen Gründen meiden und es würden keine stachligen Algendinger auf glitschigem Seeboden wachsen. Alles feiner Sand ohne spitze Steine in meinem See.

– Der Pfarrwiesensee in Gimbsheim ist nicht ganz so wie mein See, aber trotzdem sind wir dort so oft wie möglich. Am Schönsten ist es dort wenn es so aussieht, als würde es gleich regnen. Oder nach 19.00 Uhr. Beinahe menschenleer. Und das Wasser ist wie Seide, schwimmen darin macht so sehr Spaß, dass schwimmen das laufen derzeit ablöst. Scheint auch freundlicher für meinen Kreislauf zu sein.

– Neues vom Franz? Das rote Katertier ist mittlerweile ein Jahr alt, viel größer als der dicke Martin und sieht neben diesem geradezu verhungert aus. Ausserdem ist er ein neugieriger Kater mit einem seltsamen Faible für Wasser. Nichts macht ihn glücklicher als in einer kleinen Pfütze in der Badewanne zu liegen. Gestern plumpste er ins Plantschbecken. Er lag etwas erstaunt im Wasser, sprang heraus, schüttelte sich, leckte sich und kletterte erneut auf den Rand des Beckens. Entweder ist er doof, vergesslich oder schlicht nicht nachtragend.

– Bilder zeige ich demnächst mal, jetzt muss ich den Rechner wieder ausmachen.

zermürbend.

17. August 2012

Sie schreit und schreit und schreit, die Nachbarin. Wütend, mit sich überschlagender Stimme, voller Zorn und Hass, seit zwei Jahren mittlerweile. Tag für Tag. Ich weiß nicht, was sie da schreit, ich spreche ihre Sprache nicht. Aber ich kann es mir vorstellen, denn wenn sie richtig in Fahrt ist, beschimpft sie die andere, über siebzigjährige Nachbarin als „Hure und Arschloch“. Sie schreit die Kinder an, sie schreit den Hund an, sie schreit und schreit und schreit. Die Kinder heulen und jammern, der Hund jault und winselt und dazu dröhnt die Musik von Sido über die Straße.
Die Polizei kommt mittlerweile in schöner Regelmäßigkeit, für Mitte des nächsten Monats gibt es eine erneute Räumungsklage, die vierte bisher.
Wir halten die Fenster geschlossen, ich meide den vorderen Gartenteil, man trifft sich nur noch selten zu einem Schwätzchen auf der Straße, zu oft kam es vor, dass man angeschrieen wurde. In der Straße herrscht eine ungesunde Mischung aus Angst, Gereiztheit und Wut. Große Hilflosigkeit. Ich spüre, wie die Aggressivität in mir hochwallt, wenn es „drüben“ wieder losgeht. Versuche in mich hineinzuspüren, ob mich vielleicht „die Fliege an der Wand“ stört und ich überreagiere.

Fakt ist: ich mag so nicht mehr wohnen. Mag das nicht mehr aushalten. Heul.