Böses Internet
5. September 2012
Gestern abend war ich auf dem Elternabend der Klasse des jüngsten Sohnes. Ein neuer Klassenlehrer schilderte die erste Kontaktaufnahme mit der Klasse, deutete katastrophale Zustände im Unterricht, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und große Nachlässigkeit beim Umgang mit Schulmaterialien und Hausaufgaben an. Alles in allem eine normale siebte Klasse.
Er bat eindringlich um die Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern, um etwas erreichen zu können. Und er schlug vor, das „Nein-Sagen“ zu üben und zu praktizieren, gerade im Umgang mit Medien. Der Computer solle öfter ausbleiben und die Nutzungszeiten reglementiert werden. Alles prima, dachte ich mir.
Unglücklicherweise kam dann der Diskussionsschwenk zum Thema facebook, bei dem die nur allzu gut bekannten Sätze fielen: facebook ist böse, facebook machte unsere Kinder zu Kriminellen, die mobben und sogar morden. „Ich habe keine Ahnung, was meine Tochter da so treibt und ich sehe es nicht ein, mich _dort_ auch anzumelden.“ „Wenn Sie da Gefühl haben, da läuft was schief, holen Sie sich Hilfe!“, rät der Lehrer, ohne zu konkretisieren, wer da Hilfe geben könnte und dann warnt er so eindringlich vor facebook, als sei Mr. Zuckerberg der verschollene Bruder des Beelzebub.
Ich wollte zunächst sehr arrogant und überheblich die Augenbraue hochziehen (denn das kann ich gut) und ein paar kluge Sprüche bringen. Hab ich dann aber doch nicht und das ist wohl auch gut so. Nachdem ich nämlich eine Nacht darüber geschlafen habe, bin ich milder gestimmt. Und sehr nachdenklich.
Es ist eben so, dass wir die allererste Elterngeneration sind, deren Kinder sich spielend in der medialen Welt bewegen und wir ziemlich hinterherhecheln müssen, um da einigermaßen den Überblick zu behalten. Und da spaltet sich das Elternlager. Es gibt die, die das Internet mit all seinen Facetten lieben und nutzen, die bloggen, twittern, sich auf facebook rumtreiben, Online-Ausgaben der Printmedien lesen und täglich komische Bilder auf Instagram stellen. Es gibt Eltern, die das Internet als erweiterten Dienstleistungsbereich sehen, die souverän sind im Online-Banking und von Socke bis Backofen alles im Internet bestellen oder bei ebay jagen. Und dann gibt es Eltern, denen diese Entwicklung zu schnell geht, die davor Angst haben. Die sich in „wir hatten das früher auch nicht und waren glücklich“-Aussagen retten, die sich in ihrer Angst bestätigt sehen durch Pressemeldungen über facebook-Partys und diesen Mordfall.
Seit drei, vier Jahren besuchen Lehrer mit ihren Klassen Weiterbildungen zum Thema „Suchtprävention“ oder „Mobbing“. Das hat meiner Meinung nach viel zu lange gedauert, bis man da pädagogisch in die Pötte kam. Dauert das jetzt mit dem Thema „Medienkompetenz“ genauso lang? Gibt es für Lehrer keine Fortbildungen in diesem Bereich oder gibt es sie und es erfordert Interesse und Eigeninitiative, sich zu informieren?
Ich finde es erschreckend, dass „das Internet“ gleichgesetzt wird mit „facebook“. („Musik“ = „Wildecker Herzbuben“?) Und dass das Thema Medienkompetenz zwar als überaus wichtig angesehen wird, aber doch eher träge und nur halb angegangen wird. Internetrecherche als Hausaufgabe, die Empfehlung, nicht zuviel Computer zu spielen und eine Einführung in Powerpoint scheinen mir nicht wirklich ausreichend.
Wir hatten lange Diskussionen im Freundeskreis, über Dauer und Art des Konsums und wie entspannt wir sein dürfen, wenn unsere Kinder vor der Kiste sitzen. Die Meinungen gingen und gehen auseinander. Und trotz unterschiedlichster Ansätze und Regeln sind alle Kinder aus den Familien „etwas geworden“, keines ist vereinsamt, dick geworden oder hat andere aufgefordert, jemanden zu verprügeln. Das soll jetzt nicht heissen, dass ich in bester „laissez-faire“-Manier „das wird schon“ argumentiere. Ich möchte vielmehr aufrufen, sich mit dem bösen, fremden Internet zu beschäftigen. Und eben auch dahin zu schauen, wo sich die Kinder bewegen. Meinen facebook-account habe ich erstellt, weil ich wissen wollte, wie das funktioniert, was da passiert, was möglich ist und ob Mr. Zuckerberg tatsächlich meinen Erstgeborenen einfordern kann. (kann er nicht)
Und da Sie diesen Beitrag gerade gelesen haben, bin ich mit meinem Aufruf „weg mit der Angst, informiert Euch lieber“ eher an der falschen Stelle ;)
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Und falls es Sie interessiert, wie wir das mit den „Medienzeiten“ regeln: der große Sohn hat in Absprache mit ihm (wegen eingestandener Ablenkungsgefahr) tagsüber kein Internet in seinem Zimmer. Braucht er es für seine Hausaufgaben, dann nutzt er auf Nachfrage mein iPad. Abends kann er tun und lassen was er will, das kontrollieren wir nicht. Er ist fast siebzehn, irgendwann müssen wir daran glauben, dass die Werte, die wir erzieherisch vermitteln wollten, angekommen und verinnerlicht sind.
Die Tochter hat das Internet jederzeit zur Verfügung, nutzt es auch täglich für Hausaufgaben und ihre „geheimen facebook-Gruppen“. Insgesamt selten länger als eine Stunde pro Tag.
Der jüngste Sohn muss nachfragen, wenn er an den Computer will. Er spielt hauptsächlich, schaut kurz in facebook rein und schaut/hört Musik bei youtube. Eine Stunde, zwei, dreimal die Woche, wenn er Hausaufgaben zu erledigen hat, darf er das natürlich jederzeit ;)
Am Wochenende spielen alle drei oft vernetzt miteinander, eine kleine, private LAN-Party sozusagen, „Minecraft“ ist das favorisierte Spiel.
Früher galt zusätzlich noch die Regel: entweder Fernseher oder Computer. Derzeit ist der Fernseher eher aus, meistens läuft nur die Tagesschau. Die Tochter und ich arbeiten uns durch die ER-Staffeln, mit dem jüngsten Sohn schauen wir Scrubs. Selten. Im Winter wahrscheinlich wieder mehr.
Jedes Kind hat einen eigenen Rechner (was auch daran liegt, dass der beste Vater meiner Kinder da an der Quelle arbeitet), der auch regelmäßig aufgerüstet wird. Dafür haben wir einen ollen Röhrenfernseher, der links oben grün und rechts unten pink einfärbt. Die beiden Großen haben ein Smartphone, damit sie ihre Mutter mit Nachrichten über „what’s app“ zutexten können.
Wir lieben unseren Technik-Spielkram, sind aber alle durchaus in der Lage, zwanzig Minuten ohne auszukommen. Ungefähr.
politisch nicht korrekt, Teil II
4. September 2012
Warum ich erwähnt habe, dass unsere Nachbarn aus Polen sind?
Das hat schon seinen Grund, leider habe ich es versäumt, diesen herauszuarbeiten.
Ich bin der polnischen Sprache nicht mächtig, die Nachbarin spricht kein deutsch. Kommunikation, klärende Gespräche sind allein deshalb nicht möglich. (und bitte schlagen Sie mir jetzt keinen Dolmetscher vor)
Aggressiv klingendes Schreien und Brüllen erfährt eine besondere Brisanz, wenn man den Inhalt nicht versteht. Letzten Sommer war es auf der heimischen Terrasse ein Art „running gag“, sich das Toben der Nachbarin damit schönzureden: „sie ruft ja nur, dass es Eis für alle gibt“ „und die Kinder heulen, weil sie lieber Schokolade wollen.“
Dieses Jahr klappt das nicht. Meine Nerven liegen blank. Mein polnisch wird dafür schon besser und ich mag es nicht, als „kurva“ bezeichnet zu werden. Da spielen dann aber Sprache und Nationalität tatsächlich keine Rolle mehr.
Diese Woche entscheidet es sich, ob wir in unserem Haus wohnen bleiben können.
Figuren und Klamotten
4. September 2012
Wissen Sie, was mich an dieser ganzen Modesache wahnsinnig stört? Das sind nämlich nicht die dürren Lollipopmädchen, die die Klamotten auf ihren Beckenknochen balancieren oder die gephotoshopten „Models“ in Magazinen. Oder die Schaufensterpuppen, die mit Kleidern in Größe 36 behängt werden, die am Rücken noch mit Stecknadeln gerafft werden. Das gefällt mir nicht, doch daran muss ich mich nicht orientieren.
Was mich wirklich nervt ist die Tatsache, dass Klamotten zwar Größenschildchen haben, diese aber genau keine Aussagekraft haben. Eine vierzig ist nicht immer eine vierzig, nicht mal beim selben Hersteller! Letztes Jahr war ich auf der Suche nach Hosen. Becken und Po sind breit, Schenkel eher schmal, Beine sehr lang. 42 vielleicht? 42 war zu weit, genauso wie 40. Die 38 saß, auch noch knapp in der Länge. Eine Röhrencordhose mit Elasthananteil, der Vollständigkeit halber. Eine andere Hose der gleichen Marke passte auch in 44 nicht. Ich möchte eine Marke finden, die meine Figur angenehm einkleidet, um dann „blind“ Nachschub kaufen zu können, ohne mich in Umkleidekabinen quetschen zu müssen, ohne große Retourepakete auf den Weg bringen zu müssen.
Es ist mir Wurscht, ob in meinem Shirt ein S oder ein XL steht, ich wünschte nur, ich müsste das nicht jedes Mal auf’s Neue rausfinden.
Waist/Length-Größen bei Hosen funktionieren leider auch nicht immer. Seit drei Schwangerschaften meine Hüften auf ewig für die einst heißgeliebten 501er „ausleiert“ haben, suche ich nach „meinem“ neuen Lieblingsjeansmodell, das weder meinem Boyfriend passt, noch so skinny ist, dass es mir die Kniescheiben in die Kniekehlen presst. Jeans. Normale Jeans, ohne Schlag, ohne Glitzer, ohne Ziernähte, ohne Löcher.
Und wenn ich die gefunden habe, so als Folgewunsch: siehe oben. „blind“ Nachschub kaufen.
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Ich habe begonnen, meine Kleidung selbst zu nähen. Bei Oberteilen tue ich mich derzeit noch etwas schwer, aber Röcke habe ich mittlerweile um die dreissig. Das ist natürlich nicht die Lösung für jedermann, aber eben meine. Wenn der Prophet nicht zum Berg … Quatsch. Wenn die Mode mir nicht passt, nähe ich mir eben eine eigene.
#609060
2. September 2012
ist derzeit einer meiner liebsten tags bei Instagram. (neben den täglichen Sachen wie #photoadaysept oder die täglichen Farben von @colorsoftheweek)
Unter #609060 zeigen mittlerweile eine Menge Menschen Selbstportraits. Aus der Hüfte geschossene Selbstportraits, ungeschönt, unbearbeitet (sieht man von den Instagramfiltern ab) und meistens könnten Bildaufteilung und Beleuchtung sehr viel besser sein. Ich mag diese Bilder in ihrer ganzen Unperfektheit, weil sie meilenweit von Werbebildchen weg sind und … richtig … das ist ja auch der Sinn der Aktion. Ich schau mir gerne die Klamotten an, frage mich ab und zu, wo die Leute immer nur so hübsche Jeans finden, weil für mich gibt es nie welche und obendrein mag ich den kleinen Blick in fremde Wohnungen.
Weswegen jetzt eine Diskussion entbrennen muss, ob die sich selbst photographierenden Menschen sich nun „normal“ oder „echt“ oder „real“ nennen sollen und warum da nur Menschen in Konfektionsgröße bis maximal 40 anzutreffen sind, ist mir etwas unverständlich. Scheint aber so ein typisches Internet-Ding zu sein: einer hat ne feine Idee, einige machen mit und plötzlich fällt auf, dass die Sache ja doch nicht so toll ist, weil XYZ nicht berücksichtigt wird. Das Ende vom Lied ist, womöglich an diesem Beispiel, dass ich demnächst unter mein Bild schreibe: normale, echte, reale Frau, 41 Jahre alt, 178,5 cm groß, 74 kg schwer, dreizehn Jahre nach der Geburt, Konfessionsgröße von 38 bis 44, bzw. M bis XL, je nach Hersteller, tragend, weiß aber schnell bräunend, wirbelsäulenverkrümmt, Bauchspeck behaftet und gerne den Valencia-Filter benutzend. Ohne Vorurteile gegenüber großen, kleinen, dicken, dünnen, farbigen, bunten oder fremden Menschen. Und immer auf der Suche nach der passenden Schublade, in die endlich alle Bilder einsortiert werden können.
Mööönsch.