Brot für den Müll
13. November 2012
Als ich heute nach dem Ladendienst Richtung Grüne Villa trabte, hatten die Schüler gerade Schulschluß. Ein Trupp Mädchen kicherte vor mir her und hielt kurz am Mülleimer an. Schultaschen wurden geöffnet, Brotdosen hervorgezogen und deren Inhalt in den Eimer gekippt.
Mein erster Impuls war: „WAAAH! Wie können die nur?! Lebensmittel wegwerfen! Geht gar nicht!“
Immerhin hatte ich am Morgen im Weltladen Besuch von zwanzig Schülern, die gelernt hatten, warum Lebensmittel im Weltladen teurer als im Supermarkt sind.
Der zweite Gedanke war: „oh ja, richtig. Hab ich auch oft gemacht, früher.“
In meinem Kinder/Jugendzimmer stand eine große Truhe, beklebt mit Folie in Holzoptik mit einem Deckel zum Klappen. Der war mit rotem Polster beklebt und eigentlich war diese Kiste als Spielzeugaufbewahrungskiste gedacht. Zum Draufsitzen. Nach dem „aus den Augen, aus dem Sinn“- Prinzip warf ich meistens die ungeliebten, in Cellophan gewickelten Schulbrote hinein. Da die Kiste leider kein Dimensionsloch war, blieben die Brote an Ort und Stelle und begannen zu gammeln. Dank gründlicher Cellophanumhüllung hielt sich die Geruchsentwicklung in Grenzen, doch irgendwann klopfte das schlechte Gewissen aufdringlich laut genug an und ich entsorgte stinkige, schimmlige Schulbrote. Und schwor mir, nie wieder welche in die Kiste zu werfen. Tat ich natürlich trotzdem.
Einmal warf ich sogar einen ganzen, missglückten Kuchen hinein, aber das ist eine andere Geschichte.
Manchmal hortete ich Schulbrote auch im Ranzen. Oder Bananen. Als mir aber eines Tages der Ranzen aus dem fahrenden Zug flog (und ich beinahe hinterher, hätte mich nicht ein freundlicher Mitreisender am Arm wieder hineingezogen) und die sich darin befindliche drei Tage alte Banane schlimme Dinge mit meinen Schulbüchern angestellt hatte, fanden ab und an Ranzenkontrollen statt. Keine Chance, Schulbrote zu vergessen.
Fast schon daheim angelangt überlegte ich, warum Eltern so sehr auf das Schulbrot bestehen. Wenn Sie mal einen Blick in Mülleimer an Schulen, Bahnhöfen oder Bushaltestellen werfen, könnten Sie sich die gleiche Frage stellen.
Ich mochte morgens noch nie gerne essen. Meine Mutter zwang mir „wenigstens“ einen Kakao auf, den ich oft einfach wieder ins Klo spuckte, weil mir furchtbar übel davon wurde. Und während der Pausen in der Schule … blieb keine Zeit zum Essen. Da musste geschwätzt, gekichert, gespielt, später Jungs angehimmelt werden. Oder rasch noch ein paar Hausaufgaben nachgeholt werden.
Mittags war ich äusserst hungrig und ein Teil meines Taschengeldes wurde am Bahnhofskiosk ausgegeben, für Zehn-Pfennig-Wassereis oder Brausestäbchen in der kleinen Schnuckeltüte für dreissig Pfennig. Ich war weder unterernährt oder sehr mager, nicht müde oder unkonzentriert. Essen war nicht wichtig und scheinbar auch nicht nötig. Und am Bahnhofskiosk lernte ich rechnen und mit dem Taschengeld haushalten :)
Bei den eigenen Kindern ist es ähnlich. Die Frühstücksabneigung haben sie nicht von mir geerbt, dafür aber die Vorliebe des besten Vaters meiner Kinder für doublefrostedsugarbombflakes mit Milch. Müsli, nennen sie das beschönigend, ich kichere dann nur. Müsli war es früher, als es noch Haferflocken mit geriebenem Apfel und gematschter Banane gab :)
Für den Kindergarten bekamen die Kinder ein Viertel Käsebrot und ein bißchen Obst/Gemüse im das Täschchen gepackt. Das Käsebrot kam wieder heim, Obst/Gemüse waren eher aufgegessen.
Um nicht immer olle Käsebrote essen zu müssen, gaben wir den Kindern schließlich nur noch Obst/Gemüse mit, meistens den gewünschten kleingeschnittenen Apfel.
Während der Grundschulzeit musste ich nachmittags immer den bräunlichen, labberigen Frühstücksapfel des großen Sohnes essen. Er hatte morgens keinen Hunger/keine Zeit/keine Lust zu essen erklärte er uns und bekam daraufhin nichts mehr mit. Bis heute ist das so und er ist trotzdem fast zwei Meter hoch gewachsen.
Die Tochter hat den Apfel erst vor kurzem aufgegeben, der jüngste Sohn liefert mittags brav eine leere Brotdose ab, aber ich weiß, dass die leergegessen wird. Sollte er nichts mehr mit in die Schule nehmen wollen, habe ich nie wieder einen Grund, zu einem Tupperabend zu gehen, denn dann brauchen wir keine Klapp-Brotdosen mehr.
Ich verstehe diesen Bohei um die Pausenbrote einfach nicht. Natürlich bin ich wahnsinnig fasziniert von diesen bunten Bentoboxen und staune sehr, wie phantasievoll und abwechslungsreich diese befüllt werden. Aber muss ich mein Kind wirklich mit Käsewürfeln in Sternform, zu Delfinen geschnitzten Bananen und Eiern in Autoform zum Essen animieren? Geschmacklich ändert dass ja nix und ausser dass ich meinem Kind irgendwann erklären muss, dass Bananen eigentlich ganz anders aussehen und Hühner keine Autoeier legen, sehe ich keinen wahsinnigen Nutzen darin, mich jeden Tag mit Essenskunst abzugeben. Ich bin wahrscheinlich hoffnungslos altmodisch wenn ich mich hinstelle und sage: wer Hunger hat, isst auch langweiliges Essen. Und wer nicht essen möchte, sollte kein schlechtes Gewissen deswegen bekommen müssen. Oder diese Tatsache gar verheimlichen (= Brot entsorgen) müssen.
Ich wünschte, die Eltern der oben erwähnten Mädchen würden dies hier lesen. Und mit mir zusammen vom „Boah, die schmeissen ihr Brot weg“ zu „Boah, warum müssen die ihr Brot wegschmeissen“ kommen.
(Mein Wort zum Dienstag und natürlich weiß ich, dass jeder es halten kann, wie er will. Dies der Vollständigkeit halber und um allen Menschen, die sich auf den Schlips getreten fühlen zu sagen, für Euch funktioniert das eben anders, prima, finde ich toll.)
Das Alter,
11. November 2012
in dem man sich wehmütig an die guten, alten Zeiten erinnert. Scheinbar bin ich da jetzt drin, denn als ich heute morgen erwachte, galt mein erster Gedanke Manuela Pospolitak, die im zarten Alter von vier Jahren mit der Stirn auf einen Holzlaster fiel und daraufhin die gesamte Bauecke des Kindergartens vollblutete. Ich war damals recht neu im Kindergarten und war sehr sicher, dass dieses Haus mit den vielen Kindern, dessen Türen morgens ab- und mittags um zwölf erst wieder aufgeschlossen wurden, nicht der rechte Platz für mich ist.
„Was wohl aus Manuela geworden ist?“, war also der Gedanke beim Aufwachen und schon der nächste war: „Ich kann ja mal im Internet nachsehen.“
Könnte ich, klar. Auch wenn es etwas schwierig wäre, denn immerhin ist meine einzige Erinnerung an sie die eines blutüberströmte, kleinen Mädchens. Mittlerweile ist sie wahrscheinlich sehr viel größer und hat möglicherweise auch den Nachnamen abgelegt, der mir als Kind so sehr gefiel, dass er sich unauslöschbar eingeprägt hat. Und selbst wenn ich sie auftäte, da in den unendlichen Weiten, was geschähe dann? Sollte ich Kontakt aufnehmen? „Hallo! Ich bin das kleine, pummelige Mädchen mit den dicken Zöpfen, das damals so erschrocken ist, als du dir im Kindergarten eine Platzwunder zugezogen hast. Erinnerst du dich?“ Sicher wird sie sich erinnern und wir werden gemeinsam über diese Zeiten kichern. Wie sich alle Kinder um das Kettcar im Hof stritten. Und wie ähnlich sich die Zwillinge Gerd und Günther sahen. Und wie Lars immer ausbüxte, bis die Kindergärtnerinnen (so hießen die damals eben noch) die Lücke im Zaun fanden und schließen ließen.
Wenn ich mich recht erinnere, besuchten wir sogar zusammen die Grundschule und dann trennten sich unsere Wege. Wir waren nicht mal befreundet.
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Vor ein paar Jahren, als „wer kennt wen“ neu, spannend und noch lustig war, „entdeckte“ ich eine alte Freundin. Sie war ein paar Jahre lang _die_ Freundin, begleitete mich durch einige Teenagerhöhen und -tiefen und wie es manchmal so passiert … Wir verloren uns aus den Augen. Sie hatte einen Freund, ich hatte einen Freund. Wir trafen uns seltener, die Schule war vorbei, die Freundschaft auch. So ist das machmal. Aber ich hatte sie entdeckt, zufällig, über viele Ecken und ich schrieb sie an. Wie geht es dir, was machst du, weißt du noch …? Sie antwortete und einige mails gingen hin und her. Der Job, die Ehe, die Kinder und klar, früher. Gemeinsamkeiten gab (und gibt) es sicher, doch keinem von uns war es wichtig genug, diese zu finden und zu vertiefen. Und so fand das geplante Treffen nicht statt und der Kontakt schlief wieder ein. Geblieben ist ab und an der Gedanke am Morgen: „Wie es Susanne wohl geht?“
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Letztes Jahr erreichte mich eine mail von Carola. Wir hatten uns 1990 im Zeltlager kennengelernt. In Niederwiesen, einem klitzekleinen Dörfchen hinter Alzey, in der rheinhessischen Schweiz. Sie kam mit 25 Kindern aus Kamenz, der Partnerstadt Alzeys, zum Freizeitaustausch. Kamenz ist in der Nähe von Dresden, die Mauer war noch kein Jahr geöffnet und nicht nur sprachlich gab es da ein paar Kluften. Doch wir mochten uns auf Anhieb und trafen uns auch im Jahr darauf wieder im Zeltlager. Ich besuchte sie in Dresden, wo sie studierte und sie besuchte uns in Bingen, wo der damals noch nicht „beste Vater meiner Kinder“ sondern nur „Mann an meiner Seite“ studierte. Zur Geburt unseres ersten Sohnes schenkte sie uns einen Wagen wundervoller Bauklötze aus dem Erzgebirge. Und dann schlief der Kontakt langsam ein. Nicht nur die vielen Kilometer trennten uns, sondern auch völlig unterschiedliche Lebensweisen, die Studentin und die junge, eher übereifrige, Mutter. Letztes Jahr also schrieb sie mir. Sie hatte mich im Internet aufgetan und wusste durch dieses, mein Blog recht gut über mein Leben Bescheid. Ich freute mich und einige mails gingen hin und her. Ich weiß nicht spontan, wer die letzte schrieb und wer „dran“ ist, der Kontakt ist wieder eingeschlafen. Ganz leise bedauere ich das, wahrscheinlich wegen dem, was früher war. Doch das reicht mir scheinbar nicht, um da am Ball zu bleiben, mails zu schreiben, nachzufragen, nachzuhaken, zu erzählen und wieder anzufreunden.
Es gibt derzeit knapp zehn Menschen in meinem Leben, die mir außer der Familie wichtig sind. Deren Freundschaft mir wichtig ist und um deren Freundschaft ich mich bemühe. Und dann gibt es einen ganzen Schwung Menschen die ich mag, mit denen ich mich hier und da treffe, die aber ansonsten ihre Wege gehen. Und ich meine.
Vielleicht hat es einen Grund, warum sich Freundschaften von früher nicht wiederbeleben lassen. Immerhin hat es ja auch einen Grund gegeben, weswegen sie überhaupt einschliefen.
(… hier könnte jetzt ein langer Absatz folgen, über meine Schwierigkeit, mich mit fremden oder fremdgewordenen Menschen zu unterhalten, über die Anstrengung derer es bedarf, einen Smalltalk zu führen und wie sehr ich mich schon über mich geärgert habe, weil ich nicht einfach drauflosschwätzen kann, über’s Wetter oder über alte Geschichten oder momentane Begebenheiten. Hab ich aber, glaube ich, schon so oft erwähnt, dass es beinahe schon wie eine Ausrede klingt, deshalb lasse ich es. Heute. :))
So bleibe ich dabei, morgens, direkt nach dem Aufwachen, ein paar Gedanken an Menschen zu schicken, die ich früher mal kannte und mochte. Und stelle mir vor, dass die das auch tun. Das würde mir gefallen. Und reichen.
Von Menschen (und mir)
3. November 2012
Manchmal und aus mir unerfindlichen Gründen verspüre ich das dringende Bedürfnis, mich unter viele, fremde Menschen zu mischen. Das war im Mai diesen Jahres so, als ich nach Berlin zur re:publica fuhr und das war gestern Abend so, als es mich nach Wiesbaden in diesen Gewölbekeller zog, zur Vorstellung dieses Buches. Im Schlepptau von Herrn Skizzenblog und Mme Ouvrage übrigens, allein wäre ich erst gar nicht auf die Idee gekommen, nach dieser Woche, zu der ich gleich mehr erzähle, am Abend noch nach Wiesbaden zu fahren.
Ja nun. Da daß ich also auf einem türkisfarbenen Plüschsofa in einem Gewölbekeller, klammerte mich an meinem Bier fest und schaute mir Menschen an.
Einschub: es wurde ziemlich viel geraucht in diesem Keller und es ist schon erstaunlich, wie wenig einem die verqualmten Lokalitäten im Leben fehlen. ;)
Menschen. Nicht so viele Menschen, aber eben fremde Menschen. An einem mit fremden Ort. Und es passierte das, was eben immer passiert: ich verwandelte mich in eine ausgesprochen unsichere Person, die hölzern und ungelenk nach Worten ringt, immer auf der Suche nach witzigen Phrasen oder eloquentem Auftreten. Ich kann das nicht, den lockeren Smalltalk, dieses leichte Geplänkel, anschreiend gegen die Musik womöglich noch. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich das jemals lernen werde. Oder ob ich das jemals lernen muss? Sozial eher inkompetent ist das Stichwort und vielleicht ist es eben so, dass ich besser schreiben als reden kann. Es ärgert mich trotzdem, wenn ich irgendwelchen Blödsinn brabbele, obwohl mir mein (fremdes) Gegenüber durchaus sympathisch und von den täglichen #609060 Bildern beinahe vertraut ist.
Wie auch immer, es war nett, aber zu viel. Und bevor mich das dritte Bier dann doch noch den Weg zur Tanzfläche finden ließ (beschallt von Nils Bokelberg, um mal mit einen semi-prominenten Namen um mich zu werfen), fuhren wir wieder heim ins beschauliche Nierstein, auf vertrautes Terrain. Ich war äußerst erschöpft.
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Was die Woche sonst noch geschah? Das Übliche, was so in der Grünen Villa vor sich geht, wenn es so aussieht, als gäbe es ein wenig Ruhe, Frieden und Erholung: wir tauschten rasch zwei Zimmer. Der jüngste Sohn hatte den Wunsch geäußert, sich mit seinem großen Bruder den dunklen Keller (= die Räume unter der Terrasse, einer davon mein Nähzimmer) zu teilen und ich war daraufhin nur zu gern bereit, sein Zimmer zu übernehmen. Weil es nämlich der allerschönste Raum im Haus ist. Und auch der Einzige, der bisher immer von irgendeinem Kind bewohnt wurde. Jetzt bin ich dran!
Den Donnerstag verbrachte ich damit, mehrere Kilo Stoff in Kisten zu packen und das ganze Schnickeldi bruchsicher zu verstauen. Kisten, Kästen und Körbe stapelte ich im Zimmer des großen Sohnes, darauf achtend, dass im ein Weg zum Bett offen blieb. Immerhin.
Der beste Vater meiner Kinder sortierte in der Zwischenzeit Millionen von Legosteinen im Zimmer des Jüngsten und schon nach fünf Stunden Packerei waren wir beinahe fertig damit.
Am nächsten Tag begann das Möbel-Tetris. Ein höheres Level, da große, sperrige Möbelstücke vom Nähzimmer durch das Zimmer des Großen, durch den Flaschenkeller, durch die Halle, aus dem Hallentor heraus auf die Straße (einmal wenden) und direkt durch die Haustür wieder hinein, die Treppe hoch geschleppt werden müssen. Und umgekehrt. Große Söhne sind dabei von unschätzbarem Wert. Die tonnenschweren Umzugskisten wuchtete der große Sohn ebenfalls.
Das neue, tolle, große Nähzimmer wäre nun fast perfekt, gäbe es im blaugelben Möbelhaus noch dieses Tagesbett aus Metall. Gibt es aber nicht mehr, obwohl wir in allen Ecken geschaut haben. Bei Roller fand ich auf der Internetseite ein weißes, metallenes Tagesbett, das hübsch aussah. In natura war es ein wackeliges, schäbiges Ding, das ich wirklich nicht in meinem Zimmer stehen haben will. (wie übrigens der ganze Kram, den es in diesem Laden gibt. Schlimm, schlimm.)
Die große Lücke im Nähzimmer könnte ich nun mit den Unzugskartons füllen, doch ich gedenke diese heute brav zu leeren. Und als Übergang, bis ich doch noch das perfekte Tagesbett gefunden habe, stelle ich das Korbsofa aus dem Wintergärtchen. Das muss über den Winter sowieso weichen, weil wir Platz für den Wäscheständer brauchen.
Und falls Sie es schon vermuteten: natürlich ist diese ganze Umräumerei reine Vermeidungsstrategie, um nicht doch für den Weuhnachtsmarkt nähen zu müssen. Der letzte Drücker ist noch nicht da.
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(mit Kaffee im Bett zu liegen und lange Texte über nix zu bloggen, fällt wohl auch in diese Kategorie.)