20. November

20. November 2015

Uff. Die Tochter hat heute einen weiteren Sieben-Meilen-Schritt Richtung Abitur getan: die Kleider für Abschlussball und akademische Feier sind gefunden und gekauft.

Als wir vor zwei Jahren feierliche Bekleidung für den Großen kauften, bestand die größte Herausforderung darin, Hosen, Hemd und Jackett in Überlänge zu finden. Dazu ein Paar Schuhe, die genauso bequem wie seine geliebten Turnschuhe sind, dabei aber superschick aussehen. Diese Herausforderung meisterten wir.

Bei der Abschlussfeier des Jüngsten gab es keine Kleiderordnung, doch mit ordentlicher Hose und einem Hemd (und Chucks) sah das Kind sehr feierlich aus, eingekauft war schnell für ihn.

Dass die Suche nach einem festlichen Kleid keine leichte, kurze sein würde, war mir vorher schon klar. Ein wenig unklar war mir, warum Töchterlein ausgerechnet mich als Einkaufsberaterin wählte, denn ich greife gerne zu etwas unkonventionelleren Stücken und kann mich zum Beispiel auch sehr für Pailetten begeistern. Töchterlein hingegen stellte sich etwas Schlichtes vor, das aber doch irgendwie auffallend ist, eine super Figur zaubert (= betont), ohne allzu viel zu enthüllen, nicht ganz lang, nicht ganz kurz, nicht ganz eng aber halt auch nicht ganz weit, bunt, aber nicht leuchtend. Kennen Sie dieses „Dunkel war’s, der Mond schien helle …“-Gedicht? Dem Wunschkleid hätte ein Vers gewidmet sein können.

Als wir dann im Geschäft vor den vielen, vielen Kleidern standen, wurden wir beide sehr, sehr müde. So viele Abscheulichkeiten! Kleider in schrillen Bonbonfarben, mit sehr viel Rüschen und Satingeglänze. Kleider, für die wirklich viele Polyester sterben musste und Kleider, die so schlecht verarbeitet waren, dass … mir die Worte dafür fehlen. Meine Ansprüche an ein schönes Kleid sind womöglich auch durch die Damen von „go fug yourself“ geprägt, deren Kritiken über die Kleider der Reichen und Schönen ich seit Jahren mit großem Amusement lese, aber das, was da so hing, war schlicht gruselig.

Letztlich hatten wir ein schmales, schwarzes Kleid mit jede Menge Spitzengedöhns und Band zum Schleife am Rücken binden, ein schwarzes, schmales Kleid mit sehr vielen bunten Pailetten und ein blaues, weitschwingendes Kleid mit sehr enger Corsage in der engeren Auswahl. Alle drei nicht bodenlang. Das Spitzengedöhnskleid hing wie ein löchriger Putzlappen an Töchterleins Schultern, da konnte auch das Schleifenband am Rücken nichts mehr retten. Zufällig probierte in der Nachbarkabine ein anderes Mädchen ebenfalls dieses Kleid an. Auch bei ihr saß es hinten und vorne nicht.

Das Pailettenfähnchen schaffte erst gar nicht den Weg aus der Umkleidekabine heraus. Unter wildem Gekicher erklärten wir beide das Ding für völlig untragbar, trotz hübschem Geglitzer.

Das blaue Kleid … saß perfekt! Sitzt perfekt, wir haben es direkt gekauft. Der Rock wippt und schwingt ganz wunderbar, weil er ordentlich mit Tüll unterlegt ist, an der Taille ist eine sehr schöne Raffung eingearbeitet und die Farbe „mitternachtsblau“ passt perfekt zu meinem blonden, hellhäutigen Töchterlein. Äußerst glücklich und zufrieden verließen wir das Geschäft, kauften rasch noch drei Winterpullis für das arme Kind, das nichts zum Anziehen hat und stießen in einem anderen Geschäft auf ein schlichtes, schwarzes Etuikleid. Töchterlein zog es probehalber mal an und hat jetzt ein Kleid, das sie prima zur akademischen Feier tragen kann. Mission completed, hat nur drei Stunden gedauert!

Zwei Kleider für die Abiturfeier „müssen“ sein, weil es zwei Feiern gibt. Zuerst findet die akademische Feier statt, bei der die Zeugnisse ausgegeben und Schüler für herausragende Leistungen oder besondere Einsätze geehrt werden. Am Tag darauf wird dann gefeiert, bis die Schwarte kracht. Anfangs sind die Eltern dazu geladen. Dazu stellen sich die Leistungskurse vor, zeigen kurze Filme, singen Lieger, tragen Gedichte vor. Das ist alles sehr witzig, manchmal auch sehr rührend und als Eltern sitzt man zwischen Sentimentalitis und „endlich vorbei“-Erleichterung schwankend da und freut sich über feines Essen. Wenn die letzte Schülerrede gehalten und das letzte Taschentuch feucht ist, gehen die Eltern nach Hause und der Abiball beginnt. (Dieser endet in den frühen Morgenstunden.)

Zwei Feiern müssen sein, weil die fünften Klassen in den letzten Jahren achtzügig  sind und bis zum Abitur bleiben mindestens 230 Schüler übrig. Allein die Ausgabe der Zeugnisse dauert zwei Stunden, für die Darbietungen der LKs bliebe keine Zeit mehr.

Im Januar schreibt das Töchterlein seine Abiturarbeiten in Mathe, Physik und Deutsch, im März ist die mündliche Prüfung, in welchen Fächern weiß sie noch nicht. Immerhin kann sie jetzt unbelastet weiterlernen, nachdem die Kleiderfrage aus der Welt ist. :)

19. November

19. November 2015

Aufgestanden bin ich mit leicht erhöhter Temperatur, dafür ohne Stimme. Das wäre ein guter Grund gewesen, um mich direkt wieder hinzulegen, doch der Hund musste raus, obendrein treffe ich mich jeden Donnerstag mit zwei Frauen und deren Hunden. Donnerstage sind also ganz schön schön und deshalb warf ich Ibuprofen ein, um für Hundespielverabredung und -runde fit zu sein. Trotz Sturm und Nieselregen genoss ich es dann sehr unterwegs zu sein und fühlt mich ganz gut.

Wieder daheim waren Lola und ich platt, die Wirkung meiner Tablette ließ nach und das kurze Ausruhen auf dem Sofa ließ mich knapp vier Stunden später wieder erwachen, mich deutlich besser fühlend.

Ab und zu kam kurz eines der Kindelein heim um dann direkt wieder zu verschwinden. (Sie erinnern sich: Opa-Tag) Ich buk eine Fuhre Kekse und dann war Sprachkurszeit. Mittlerweile kann ich ganze sieben Worte arabisch und die Schrift kein Stück weit lesen, obwohl mir das heute gezeigt wurde. Im Gegenzug lernte mein eifriger Schüler, dass „ch“ unterschiedlich ausgesprochen wird, das „sch“ ein einziger Laut ist und dass „ä,ö und ü“ für einen arabisch sprechenden Menschen sehr schwer zu bewältigen sind. Zum Lernen gab es Kekse und weil die Sprachübersetzungsapp meines Schülers nur sehr merkwürdige Sachen ausspuckte, schenkte ich ihm mein Wörterbuch. (Ich kaufe mir direkt morgen ein Neues.) Und weil er seine Schulmaterialien auf den Gepäckträger geklemmt hatte und es wieder regnete, kramte ich noch eine Tasche aus dem Fundus. (Morgen suche ich mal nach einem Rucksack.) Wir verabschiedeten uns und es fiel mehr sehr schwer, ihn wegradeln zu sehen, ich glaube, ihm fiel das nicht weniger schwer. Mal sehen, wie sich das weiter entwickelt.

Die Abendrunde übernahm der beste Vater meiner Kinder und jetzt sitze ich, nach knapp einem halben Kilo Maronen zum Abendessen, wieder auf dem Sofa, merke wie das Fieber zurückkommt und bin trotzdem seltsam zufrieden mit diesem sehr langsamen, unaufgeregten Tag.

18. November

18. November 2015

Weihnachten naht.

Ich habe das bisher ziemlich erfolgreich verdrängt, zumal sich vor Weihnachten die Familiengeburtstage drängeln. Aber: „Du musst jetzt ganz dringend die Weihnachtssachen in die Schaufenster räumen!“ (oder so ähnlich) quengelte Oma Eis und da hat sie ja recht. Nur weil es mir noch nicht weihnachtlich zumute ist … der Kunde ist König und der König kauft seine Weihnachtsdeko rechtzeitig, um für den ersten Advent gerüstet zu sein.

Schaufenster dekorieren klingt ja erstmal leicht. Man stellt halt die hübschen Weihnachtssachen nett arrangiert ins Schaufenster, fertig. Fast. Denn bevor das nette Arrangieren kommt, muss das Schaufenster von der letzten Dekoration befreit werden. Da das Schaufenster des Niersteiner Weltladens gleichzeitig Verkaufsfläche ist, gibt es immer jede Menge Kram, der irgendwo im Laden untergebracht werden muss. Ebenfalls nett arrangiert, in den Regalen halt. Diesmal war ein Schaufenster mit allerlei Räucherzeug vollgeräumt und ich versichere Ihnen: es ist kein Vergnügen Räucherstäbchen in 30 verschiedenen Duftrichtungen hin- und herzuräumen.

Zwei Stunden später waren die Schaufenster leer und sauber, der Laden aufgeräumt und ebenfalls sauber. (und ich hatte erstmal keine Lus mehr. Aber nun ja. Einer muss ja.)

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Vier sehr große Kartons voller Weihnachtsschnickeldi musste ich aus- und einräumen, außerdem die drei künstlichen Nadelbäume zusammenbauen. Wie jedes Jahr zog ich zu allererst den Fleischwurschtengel aus den Kisten.

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Der Fleischwurschtengel ist der letzte aus dem Dreierset „musizierende Engel“ aus Peru. Alle drei von ausgesuchter Hässlichkeit. Letztes Jahr wurde der Frankensteinengel (blau, mit Flöte) verkauft, an das Schicksal des anderen Engels (grün, Trommel) kann ich mich nicht mehr erinnern. Seit vielen, vielen Jahren habe ich sie jedes Jahr vor Weihnachten ausgepackt und nach Weihnachten wieder liebevoll in Noppenfolie gehüllt schlafen gelegt. Als ich den Fleischwurschtengel vorhin auspackte, brach die Fleischwurst samt Hand ab. Ich habe mit sehr viel Kleber erste Hilfe geleistet und endlich das Preisschild abgeschnitten, denn nun ist er endgültig unverkäuflich. Ins Schaufenster wurde er trotzdem gehängt, denn irgendwie gehört er ja dazu.

Nach weiteren drei Stunden waren alle Kisten und Kartons leer, dafür alle drei Schaufenster sehr voll. Es glitzert und funkelt verheißungsvoll weihnachtlich, während draußen ein eher laues Lüftchen weht. Aber so ist das halt. Bis Weihnachten werden die drei Schaufenster mindestens noch zweimal bestückt werden müssen, die Nachfrage nach Kugeln, Sternen, Kerzen und Schnickeldi ist immer hoch. Außerdem werde ich in den nächsten Wochen mit Oma Eis zusammen noch sehr viele Geschenktüten packen (und aufhübschen=Nadelzweig und Schnickeldi dranbinden), damit die „auf den letzten Drücker“- und die „ich weiß nicht, was ich Omma schenken soll“-Käufer auch noch glücklich werden.

So sieht der Weltladen derzeit von außen aus. (die Fensterrahmen stelle man sich unspektakulär weiß dazwischen selbst vor). Sehr bunt, sehr voll. Hoffentlich wird alles verkauft, damit ich den ganzen Kram nicht wieder einzeln verpacken muss.

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Ladendienst mache ich übrigens keinen mehr, dafür habe ich leider keine Zeit mehr. (aber für VIP-Führungen und Sonderverkauf reicht es noch :))

17. November

17. November 2015

Mein Tageslichtblick findet genau jetzt statt: die Migräne, die mich seit gestern quälte, verabschiedet sich. Zurück lässt sie nur dieses wattige Gefühl im Kopf und die feste Überzeugung Millionen von Hirnzellen verloren zu haben.

Zum Glück war es ein eher lascher Migräneanfall, denn gestern war ein sehr aufregender Tag. Nach über zehn Jahren marschierte ich wieder zur Schule um ein Kind, naja: einen Jugendlichen abzuholen. Wir hatten uns am Sonntag nur sehr kurz gesehen, ein bißchen angelächelt und mit ein paar Gesten signalisiert, dass das schon laufen würde. Ich habe nämlich zugesagt, dem jungen Mann Deutschunterricht zu erteilen. Spontan und natürlich hatte ich nicht zu Ende gedacht, ob ich das überhaupt kann und was das bedeutet. Und so schlief ich in der Nacht von Sonntag auf Montag sehr, sehr schlecht, träumte, dass ich durch ganz Mainz irre und dort die Niersteiner Realschule nicht finden kann. Sehr logisch und wahrscheinlich war diese Hinrverrenkung in Kombination mit schlechtem Schlaf dann auch die Ursache für die Migräne.

Um mich wenigstens ein bißchen vorzubereiten, druckte ich mir einen Sprachkurs aus. Und hoffte, dass mein künftiger Sprachschüler das lateinische Alphabet beherrscht, denn Englisch spricht er auch nicht.

Ich war sehr aufgeregt. Sehr!

Und irgendwie klappte es dann ganz gut.

 

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Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Und wie schnell. Er ist sehr motiviert und grinst sich eins, wenn ich versuche ihm nachzusprechen. Denn immer wenn er das deutsche Wort nachspricht, muss ich das arabische sagen. Und ich kann Ihnen versichern: das ist richtig schwer. Scheinbar muss man bei manchen Worten die Zunge einmal komplett umdrehen und dabei einatmen oder so. Und ja, ich bin völlig eingerostet was Lernen anbelangt. Es zeichnet sich sehr deutlich ab, dass er viel schneller lernt als ich.

Damit das mit der ehrenamtlichen Lehrtätigkeit nun auch ordentlich ablaufen kann, ordentlich im Sinne von „bringt was“, habe ich mich direkt für einen Lehrgang angemeldet. Und mir ein Wörterbuch arabisch-deutsch/deutsch-arabisch gekauft.

Ich wünschte, wir könnten uns schon unterhalten!

15. November

15. November 2015

„Und nach der Begrüßung könnten wir eine Schweigeminute wegen der Ereignisse der letzten Tage und Stunden abhalten“, wurde besprochen. Ich mag Schweigeminuten nicht, ich mag nicht auf Kommando betreten und betroffen sein oder innehalten. Da wehre ich mich dagegen, da sträubt mein innerer Igel sämtliche Stacheln.

Und als nach der Begrüßung der Gäste des Café Welcomes zur Schweigeminute aufgerufen wurde, nachdem die Worte des Übersetzers verklungen waren und Ruhe im Saal eingekehrt war, ließ ich trotzig meinen Blick schweifen. Ich sah den jungen Mann aus Eritrea, der sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte und seine Frau an der Hand hielt, sah die Gruppe Männer aus Syrien, die mit gesenktem Kopf einfach dastanden und still waren, genauso wie die vielen anderen Menschen in diesem Raum, sogar die Kinder.

Die letzten zehn Sekunden habe ich auch zu Boden geschaut, ziemlich beschämt, und ich habe gespürt, dass dieses Schweigen verbindet und dass es nicht schlimm ist, sich darauf einzulassen. Dass es keine „wir müsen halt irgendwas ganz doll Symbolisches mit Außenwirkung tun“-Handlung ist, sondern einfach nur ein gemeinsames Schweigen.

Danach lacht es sich auch gleich wieder viel leichter.

*****

Mein heutiger Tageshöhepunkt war meine spontane Zusage von etwas, dass ich zwar vorhatte, das aber, je länger es sich nicht erfüllte, immer unwirklicher wurde. Jetzt passiert es aber doch und ich habe ein bißchen, nein eher große! Angst vor der eigenen Courage und bin sehr gespannt, was da ab morgen auf mich zukommt. (ich lasse das hier noch ein bißchen kryptisch stehen, weil ich mich wahsinnig gerne interessant mache. Oder weil ich noch nicht genau weiß, wie weit ich was und wieviel hier öffentlich machen werde.)

Ich bin aufgeregt und das wirkt sich wirklich sehr erfreulich auf meinen Blutdruck aus!