Sie ist dann mal weg.

31. März 2016

„Ja, und nach dem Abi marschiert sie mit zwei Freundinnen den Jakobsweg, dann reist sie nach Lissabon, betreut die Mädchenfreizeit und hinterher geht es nach Afrika. Ich werde sie kaum noch sehen, hahaha.“

So locker-flockig habe ich von den Reise- und Lebensplänen der Tochter erzählt und habe gleichzeitig beteuert, dass das alles gut ist, dass sie alt genug ist und nun eben flügge ist.

Und dann war plötzlich Ostern und einen Tag später, um kurz nach fünf am Morgen, brachten der beste Vater meiner Kinder, der gar nicht mehr so kleine Hund und ich die Tochter samt Freundin zum Bahnhof, wo sie auf die Dritte im Bunde trafen. Wir fuhren noch zwei Stationen mit dem Zug mit, bevor wir uns mit Umarmungen und besten Wünschen verabschiedeten. Dann spazierten wir mit dem gar nicht mehr so kleinen Hund am Rhein entlang, warteten auf den Sonnenaufgang und realisierten, dass die Tochter nun sechs Wochen nicht mehr daheim sein würde. Ganze sechs Wochen, so lange war in noch nie weg. Eine kleine Vorbereitung auf das ganze Jahr Abwesenheit, bevor vermutlich recht schnell im Anschluss der endgültige Auszug kommt.

Uff.

Was die Tochter da macht ist toll, ich bin sogar leise neidisch. Ich selbst in ihrem Alter hätte mich vermutlich nicht ohne Landessprachkenntnisse auf eine lange Wanderroute getraut. Davon abgesehen, dass sich mir das Konzept „wandern“ damals noch gar nicht erschlossen hatte. Ich hätte mich noch weniger nach Afrika getraut, selbst wenn ich von einer solchen Möglichkeit überhaupt gewußt hätte. Ich war vier Wochen in den Staaten, mit einer damaligen Freundin, bei deren Ex-AuPair-Familie. Alles organisiert und wohlbehütet, das einzige Abenteuer war mein Flug nach St.Louis, der 23 Stunden dauerte und mich leicht panisch machte.

Dank whatsapp, Blog und Instagram bin ich sehr gut informiert, dass es dem Kind gut geht, wir sind in Kontakt. Das ist ein Segen. Aber eben auch ein Fluch, denn ich warte nun auf Nachrichten, statt mich mit „keine Nachrichten sind gute Nachrichten“ abzufinden und mich auf eine Postkarte zu freuen. Denn zu diesem Loslassen gehört ja eben auch, sich nicht mehr täglich auszutauschen. Verflixt, es ist ein bißchen schwerer als ich dachte.

Und trotzdem. Sie erlebt ein großes Abenteuer, von dem sie sich hoffentlich jede Menge tolle Erinnerungen und Erfahrungen mitbringt; ich lerne, dass ich den Tisch derzeit nur mit vier Tellern eindecken muss.

Am Dienstag morgen reist die Tochter mit zwei Freundinnen nach Frankreich, um von dort über die Pyrenäen und durch Spanien zu wandern. Das Ziel heißt Santiago de Compostela, die Wanderroute ist der Jakobsweg. Der Rucksack steht gepackt im Zimmer, die Wanderschuhe sind geschnürt, auf dem Schreibtisch liegt der Stapel Kleider, die sie am Reisetag tragen wird, der Tolino ist mit Büchern gefüttert und morgen muss nur noch geklärt werden, wer die gemeinsamen Toilettenartikel (Haarbürste, Shampo und Duschgel) trägt. Die Tochter ist äußerst reisefiebrig und muss abgelenkt, bzw. beschäftigt werden. Ganz uneigennützig hat die gesamte Familie also vorgeschlagen, dass sie sich durch Beschäftigung der Hände beim Kleinschneiden von Gemüse, Reiben von Käse, Rühren von Soße und Anbraten von Hackfleisch prima ablenken kann und wir alle obendrein leckeres Essen auf dem Tisch stehen haben.

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Die Tochter erklärte sich bereit einen Tacosalat zuzubereiten. Den nimmt sie ständig für andere auf irgendwelche Feiern mit und wir gehen dabei meistens leer aus, was sehr schade ist! Ein Tacosalat hält nämlich ganz prima die Balance zwischen frischem Gemüse (= reines Gewissen) und ungesunden Tacos (= unentbehrliches Fett wegen der fettlöslichen Vitame im Gemüse) und Salz für den zu niedrigen Blutdruck.

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Damit wir auch morgen noch satt werden – denn morgen haben wir keine Zeit/Lust zum Kochen, weil die letzten Vorbereitungen für das große Osterfamilientreffen einen großen Teil des Tages fressen werden – hat die Tochter direkt das doppelte Rezept zubereitet. Wir lieben sie dafür sehr! (nicht nur dafür, selbstverständlich.)

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Die erste Schüssel haben wir mit Hilfe der allerbesten Freundin bereits geleert und es ist mir nicht gelungen, ein Bild zu machen, auf dem der Salat nicht wie das aussieht, das man unter dem Tisch, auf  dem das kalte Buffet steht, hervorkehrt.

Tacosalat

1 Eisbergsalat

4 Tomaten

3 bunte Paprika

2 Salatgurken

1 Dose Mais

1 Dose Kidneybohnen

500g Rinderhack

2 Becher Saure Sahne

1 Becher Schmand

Parmesan

Salsa Soße

400g Cheddar

beliebig viele Nachos/Tacos, die Sorte ist egal

-> Hackfleisch anbraten, mit Salz, Pfeffer und scharfem Paprika pikant würzen

-> Saure Sahne und Schmand verrühren, mit Parmesan, Salz, Pfeffer und Salsa Soße abschmecken (darf scharf werden!)

-> Salat schichten nach Angabe der Zutaten

-> die Nachos/Tacos erst kurz vor dem Servieren überstreuen

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Ich mag am Liebsten eine Mischung aus Paprikatacos und Nacho Cheese! Und nach einer Portion bin ich sehr lange satt, was womöglich mit den 234678 Kalorien pro Gabel zusammenhängt.

Guten Appetit!

 

Einer „meiner Syrer“ hat das Asylverfahren durchlaufen, er darf bleiben. (ich weiß,warum er hier ist und deshalb weiß ich auch, dass eine Heimkehr für ihn derzeit den Tod bedeutet) Die große Freude über das Bleibendürfen setzt aber eher verhalten ein, denn … tja. Es ist kompliziert.

Flüchtlinge werden bis zu ihrem positivem Asylbescheid hier von der Verbandsgemeinde betreut. Das bedeutet: die Verbandsgemeinde hat sich in sämtlichen Ortschaften nach Wohnraum umgesehen, Sammelunterkünfte sollen noch immer weitestgehend vermieden werden. Leerstehende Häuser und Wohnung, die von privat angeboten wurden, wurden angemietet, ggfs. hergerichtet und dann mit Flüchtlingen belegt. In einer 4-Zimmer-Wohung kommen locker neun Flüchtlinge unter. Für unsere Lebensvorstellungen ist das eng, für einen Flüchtling, der aus einer Sammelunterkunft der Erstaufnahme kommt, schlicht das Paradies. Die Verbandsgemeinde und zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter sorgen für Sprachunterricht, einen Berechtigungsschein für die Tafel, Zugang zur Kleiderkammer und starten erste Anläufe zur Integration. Es kommen immer mehr Flüchtlinge, die Verbandsgemeinde sucht händeringend Wohnraum,die Ehrenamtlichen sind überlastet, trotzdem sind das hier immer noch goldene Zustände im Vergleich zu der Situation in Großstädten.

„Mein Syrer“, übrigens der, der fast fließend Deutsch spricht und der sehr, sehr fleißig lernt, um hier irgendwann sein Studium wieder aufnehmen zu können, hat nun seinen positiven Asylbescheid. Dies bedeutet, dass die Verbandsgemeinde ihre Zuständigkeit an das Jobcenter übergibt. Mit allen Konsequenzen. Er muss aus seiner Wohung, bzw. seinem Zimmer raus, das Jobcenter vermittelt neuen Wohnraum. Oder er findet selbst eine Bleibe. Er darf jetzt arbeiten und hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein deutscher Arbeitsuchender. Er darf auch studieren, wenn er die Qualifikation erlangt. Für Letzteres muss er noch ein bißchen lernen, aber arbeiten wird er sicher gerne, ihm fällt sowieso die Decke auf den Kopf.

Bleibt die Sache mit dem Wohnraum. Ich schrieb es oben: die Verbandsgemeinde sucht händeringend, dem Jobcenter geht es nicht besser. Es gibt keine zur Verfügung gestellten Wohnungen mehr, reale Mieten sind hier im Rhein-Main-Gebiet kaum zu stemmen, das Jobcenter übernimmt die nicht. „Mein Syrer“ wird nun also ins Hinterland müssen, in eine Sammelunterkunft. Ich hab vor ein paar Wochen darüber gescherzt, dass es wohl bald Sammelunterkünfte für Bewilligte geben wird. Tja, wirklich prophetisch war das auch nicht.

Und nun? Warum beschreibe ich dieses Einzelschicksal so detailliert? Weil sich daran sehr schön zeigen lässt, wie fies diese ehrenamtliche Arbeit ist, bei der man Beziehungen zu Menschen aufbaut.

Wäre es nicht „mein Syrer“, würde ich vermutlich „Jo. Immerhin kann er bleiben, ist in Sicherheit, hat ein Dach über dem Kopf und was zu essen. Das Weitere wird sich finden!“ sagen.

Da es aber nun mal „mein Syrer“ ist, sage ich: „Verflixt! Das wirft ihn total zurück. Er ist hier integriert, kann hier seine Sprachfähigkeiten verbessern und hat was zu tun! Da hinten auf’m Land wird er komplett untergehen und versauern, wenn er nicht vorher in der Unterkunft durchdreht.“

Ich kann nicht jeden retten, nicht mal einen Einzigen, um genau zu sein. Ich kann mir keinen Wohnraum aus dem Ärmel schütteln, ich kann der VG oder dem Jobcenter keine Millionen zum Neubau spenden. Ich kann nicht meinen eigenen Wohnraum anbieten. Notfallmäßig ja, aber regulär geht das nicht, ich mag nicht mehr in einer WG leben.

Ich muss schlucken, größer denken (immerhin überlebt er!) und mich abschotten. Denn er wird nicht der Letzte sein, der weiterzieht oder weitergeschickt wird oder womöglich ganz zurück muss. Ich kann nur heute, jetzt, hier ein klitzekleines Bißchen helfen und ich sage Ihnen, das ist schwer zu schlucken und kaum auszuhalten.

Abi und aus.

17. März 2016

Die ganze Schminkerei hätte ich mir sparen können,denn 1. war es in der Halle, in der die akademische Feier stattfand, dunkel und 2. verabschiedeten sich Wimperntusche und Lippenstift recht schnell. Letzteren nagte ich mir vor Aufregung von den Lippen, Erstere lief mit ein paar Freuden- und Rührungstränchen über die aufwändig gerougte Wange. Bevor die Abiturzeugnisse überreicht wurden, baten Oberstufenleiter und Direktor einige Schüler auf die Bühne. Diese wurden wegen besonderer Leistungen und/oder ihres Engagements geehrt.

(Natürlich hatte ich es gehofft, immerhin kannte ich den Notendurchschnitt schon)

Aber als die Tochter auf die Bühne gerufen wurde – blieb mir ein bißchen das Herz stehen. Sie wurde gleich zweimal geehrt: für das drittbeste Abitur mit einem Schnitt von 1,1 und dafür, dass sie die besten Leistungen im Fach Physik erbracht hat.

(da stand mein Mädchen auf der Bühne, Stolz und voller Gück, mir fehlen da leider ein paar Worte, um meine Freude darüber zu beschreiben)

Leider nicht im Publikum saß der Physiklehrer, der der zehnte-Klasse-Tochter erzählte, Mädchen könnten kein Physik. Er ist nicht mehr an der Schule, was gut für alle naturwissenschaftlich interessierten Mädchen* ist. Ich hätte ihm gestern Abend aber gerne einen Blick zugeworfen und meine ganze „siehste!“- Verachtung hineingelegt. Stattdessen habe ich mich bei dem Lehrer bedankt, der der Tochter damals die Verunsicherung bei der Wahl ihrer Leistungskurse nahm. Und zu uns Eltern sagte: „Die Anne? Die kann doch alles!“

Und so ist das jetzt auch, die Welt steht ihr offen.

*an dieser Stelle fügen Sie bitte ein flammendes Plädoyer für Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern ein. Dazu ein paar eindringliche Worte, dass Mathematik, Physik und Chemie für diejenige, die sich dafür interessiert, nicht schwerer als Sprachen, Geschichte oder Biologie sind. Oder Sport, Musik und Kunst. Es gibt keine Jungen- und Mädchenfächer, aber es gibt alte Strukturen, auch an ganz modernen Schulen und in den Köpfen junger Eltern. Es gibt leichtfertig daher gesagte Sätze wie „Mädchen können kein Mathe“, die wir nie benutzen würden, dafür sagen wir aber Sachen wie „Ich war ja auch nie gut in Mathe, das ist so abstrakt mit dieser ganzen Buchstabenrechnerei.“ Und nehmen damit unseren Töchtern die Möglichkeit ganz unvoreingenommen selbst feststellen zu können, ob sie mit Buchstaben rechnen mögen oder Physik wahnsinnig spannend finden.

Heute habe ich mithilfe eines Anleitungsvideos dreierlei Schichten Farbe auf meine Gesichtshaut geklopft, -tupft und -pinselt, habe hellen, dunkleren und noch dunkleren Lidschatten auf verschiedene Partien über und um das Auge herum gepinselt und verblendet, habe einen perfekten Lidstrich (links) und einen schwarzen Balken (rechts) gezogen, eine Wimperzange todesmutig vor meinem Augapfel zuschnappen lassen und braune Striche in meine Augenbrauen gemalt. Und zum Schluss sogar noch Lippenstift aufgetragen.

Das Ergebnis war eine mir fremde Frau im Spiegel, doch der beste Vater meiner Kinder zwinkerte mir anzüglich zu und küsste mir die überschüssige Schicht Farbe von den Lippen. „Ist doch gut!“, sprach die Tochter, deren Schminkerfahrung auch nur vier Wochen älter ist als meine.

Aber das Anpinseln hat sehr viel Spaß gemacht und wäre mein linkes Auge nicht blind, wäre die Augenschminkerei wirklich leichter. Zum Abschminken reichte mir der beste Vater meiner Kinder äußerst hilfreich und ein klitzekleines Bißchen demotivierend die neue Schleifmaschine ins Bad, aber nach dem vierten Kosmetiktuch und nicht nenneswertem Farbverlust im Gesicht, war ich kurz in Versuchung mit ganz feingekörntem Schleifpapier …

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Meine (alten) Wickelkleider sind für die beiden anstehenden Feiern aufgefrischt, demnächst zeige ich beide. Die Tochter wird zur akademischen Feier ein Etuikleid tragen, dazu einen schmalen Gürtel. Bis vorhin war dieser noch langweilig schwarz. Dank Stylefix und einem neongelben Webband mit grauen Sternen hat der Gürtel und somit auch das Kleid ein bißchen „eigenen Stil“ bekommen, die Tochter ist begeistert. Und ich auch.

anne

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Die Freundin der Tochter wird ebenfalls ein Jahr in Afrika entwicklungspolitische Arbeit leisten und darüber bloggen. Auf der Suche nach einem Blognamen verbrachten wir vorhin ein höchst vergnügliche Stunde mit den Vorschlägen, die aus meiner Twitterbubble kamen. Sehr großartig, aber keinen einzigen Vorschlag hat die Tochterfreundin abgenickt. Falls Sie eine Idee haben: aus und mit „Marie und Tansania“ darf gewortspielt werden!