Seit drei Tagen will ich einen fiesen, scharfzüngigen Artikel übers Aufräumen schreiben. Doch je mehr ich im Kopf formuliere, je sarkastischer der Text wird, desto ungerechter wird er auch. Denn nur weil ich diese Aufräumsache mittlerweile* im Griff habe und meine Kleidung nicht in Rechtecke falten mag … heißt das halt nicht, dass es doof ist, wenn es bei anderen anders ist. Doof ist nur, dass ich damit kein Geld verdienen kann, denn mal GANZ ehrlich, was uns Frau Kondo in ihrer Netflix-Serie erzählt ist wahrlich nix Neues. Runtergebrochen auf das Wesentliche sagt sie eigentlich nur: schaut, was ihr braucht und trennt euch vom Rest. Und lasst den Kram nicht rumliegen. Das esotherische Gefasel und Getue drumherum ist dann die Verkaufsmasche, denke ich.

Ich persönlich würde ja im Zuge meiner neugewonnenen Nachhaltigkeitsmanie ergänzen: Und schafft euch erst gar nicht so viel Kram an, womöglich auch nicht fünfzig verschiedene Kisten und Kästen, um euren Krusch und Krempel zu verstauen. Aber das ist eben ein ganzer Schritt weiter und ich glaube zu verstehen, dass es wirklich schwer sein kann, einen Weg aus dem Chaos zu finden, einfach weil die schiere Menge an Durcheinander einschüchtert. Wenn Frau Kondo es dann schafft, einen Anfang zu zeigen oder gar zum ersten Schritt zu motivieren, dann soll mir das recht sein und jeder scharfzüngige Kommentar dazu wäre nur fieses Gelästere.

Was mich aber wirklich zum Lästern bringt, ist jede einzelne Folge der Kondo-Serie auf Netflix. Und ich habe sie mir alle angesehen, teilweise saßen wir alle (auch die Söhne) Tränen lachend da. Zum Beispiel die Folge, in der es dem jungen Mann wirklich wichtig ist, dass seine Eltern auf Grund seiner aufgeräumten Wohnung nun erkennen, dass er wirklich und ganz in echt erwachsen geworden ist. Und deshab zeigt er ihnen, als sie ihn besuchen, direkt nach der Begrüßung seinen Kleiderschrank. Und seine reduzierten Küchenutensilien. Woraufhin sein Vater ganz brav spricht: Ja, er ist wirklich erwachsen geworden! Gescriptetes Trash-TV, Lachgarantie. Das Lachen bleibt mir aber angesichts der Menge an Kram, hauptsächlich Kleidung, den die Menschen anschaffen im Halse stecken. BERGE von Klamotten. Schuhe. Zeug! Selbst wenn das kein hochpreisiges Zeug ist: welche Werte sich da ansammeln! So viel, da kann ja nix mehr joy sparkeln! Dieses Anhäufen und immer-mehr-kaufen ist unfassbar für mich.

Ich hab die Serie jetzt durch und kann das Thema informiert abhaken.

*Und „mittlerweile“ ist das Stichwort, denn als die Kindelein klein waren oder wir hier in der Grünen Villa mit Baustellencharme lebten, war Ordnung halten ein echter Kampf. Heute gibt es eine Grundordnung, die schon deshlab leicht zu halten ist, weil jeder sie kennt und die meisten Menschen der Familie sowieso den größten Teil des Tages außer Haus sind.

Entweihnachten

6. Januar 2019

Das Weihnachtsschnickeldi ist ordentlich wieder in Kisten und Kästen verpackt und im Regal in der Halle verstaut. Und weil ich dieses Jahr besonders streberhaft bin, sind die Lichterketten auf leere Klopapierrollen gewickelt. Die noch streberhaftere Tochter hat die defekten Lämpchen mit Maskingtape markiert, so dass sie leicht ausgetauscht werden können, der organisierte Gatte hat direkt neue bestellt. Wir sind für die nächste Weihnachtszeit gerüstet!

Vor ein paar Jahren habe ich übrigens beschlossen, dass wir nun genug Weihnachtsschnickeldi besitzen und ich wirklich, wirklich nichts Neues mehr kaufen muss. Diesen Entschluss habe ich beinahe gut eingehalten, denn unglücklicherweise werde ich schon ab August den allerschlimmsten Verführungsversuchen ausgesetzt! Im August beginnen wir nämlich das Weihnachtssortiment für den Weltladen zusammenzustellen. Während man bei dreißig Grad auf der Terrasse sitzt, lässt es sich prima prahlen, dass diese entzückenden Kugeln, diese filigranen Glasornamente oder diese witzigen Schallplattenengel toll anzusehen sind, dass die eigenen Schnickeldikisten aber ausreichend befüllt sind. Wenn ich dann kurz vor dem ersten Advent den Weltladen einmal komplett auf Weihnachten krempele und gleich drei Weihnachtsbäume für die Schaufenster schmücke, kommt meine Entschlossenheit stark ins Wanken und wenn dann womöglich aus dem Vorvorjahr ein Glitzerengel übrig ist, so ganz ohne zugehörige Krippe oder Glitzerengelfreunde und er deshalb auch noch reduziert wird … naja. Glitzernde Engel müssen gerettet werden.

Grundsätzlich halte ich mich aber an meinen Vorsatz und es ist ja auch so, dass die Grüne Villa nicht größer wird oder sich neue Fenster wachsen lässt. Irgendwann ist alles voll. Obendrein versuche ich diese Nachhaltigkeitssache ein bißchen hochzuhalten und dazu gehört eben auch, nicht jeder Versuchung, jedem Kaufimpuls nachzugeben. Mit Klamotten und Schuhen klappt das schon seit Jahren gut, die anderen Bereiche meines Lebens sollen da nun endlich nachziehen. Mein Klamottenkaufverhalten hat übrigens nicht nur dazu geführt, dass mein Kleiderschrank übersichtlich ist, sondern auch dazu, dass ich beinahe nur Kleidungsstücke besitze, die ich sehr mag und wertschätze.  Außer in akuten, womöglich hormongebeutelten „ich hab nie irgendwas Schönes anzuziehen“-Phasen hat sich mein Tagesbeginn damit erheblich erleichtert. (und mittlerweile ist es mir ziemlich egal geworden, was gerade Mode ist. Hauptsache ich finde noch irgendwo Ersatz für zerfallende Lieblingsteile gibt.)

Vor der absoluten Nachhaltigkeits-Heiligsprechung gibt es aber noch eine Menge zu unterlassen. Spontan Geschirr zu kaufen, beispielsweise. Oder zu lernen, dass es kein bißchen schlimm ist, wenn ich nicht für zwölf Personen einheitlich den Tisch zu decken. Herrjeh.

WMDEDGT 01/19

5. Januar 2019

Frau Brüllen ruft zum Tagebuchbloggen auf! Das macht sie seit fünf Jahren, ich folge dem Ruf sporadisch.

Mein Tag begann sehr früh. Irgendwann gegen halb drei, als der Große heimkam, schwungvoll gegen den Schuhschrank rumpelte und danach mit Schmackes die Badtür schloss. Kurz danach krachte seine Zimmertür zu, wenige Minuten später kam der Gatte von seinem Treffen mit den Exkommilitonen heim. Alles genauso geräuschvoll wie der große Sohn, zusätzlich mit einer guten Portion Eau de Irish Pub. Ich schlief mit dem Wissen, dass die Joggingrunde des Gatten am Morgen garantiert nicht stattfinden würde.

Kurz bevor ich wieder selig einschlief, sprang ein nasser, kalter Kater auf mein Bett und versuchte sich an meinen Füßen zu wärmen. Da meine Füße empört unter dem Deckbett verschwanden, verzog er sich letztlich in sein Körbchen.

Gegen halb acht erwachte der Kater und kletterte aus dem knarrenden Körbchen. Dies weckte den armen, vernachlässigten Hund, der umgehend Liebe, Zuneigung und Aufmerksamkeit verlangte. (Dies tut er, in dem erreichbare Körperteile abschleckt oder, falls alle Körperteile in Sicherheit vor rosa Hundezungen gebracht wurden, durch genervtes Murren auf Kopfhöhe. Meiner Kopfhöhe, denn der Gatte ist mit allerliebster Tiefschlaf gesegnet.

Ich stand auf, zog mich an, kochte Kaffee und Tee, aß eine Scheibe vom Dresdner Christstollen und zerrte denn furchtbar müssen Hund vom Küchensofa zur Hunderunde.

Die Hunderunde habe ich in letzter Zeit sehr häufig geschwänzt, immerhin hatte die gesamte Familie Urlaub und insbesondere Töchterlein hatte große Lola-Sehnsucht und sehr viel Lust, die langen Morgenrunden zu übernehmen. Dass ich ziemlich außer Form bin, merkte ich nicht nur an kneifenden Klamotten, sondern auch als ich auf der Hälfte der Großen Steig pustete und schnaufte und mir ziemlich warm wurde. Ganz oben war es dann prima. Der leichte Nieselregen hörte auf, doch der Wind trieb dramatisch graue Wolken vor sich her und daran kann ich mich einfach nie sattsehen. Ich lief und lief, der Hund trabte fröhlich mit und nicht nur mein Schrittzähler, der während der letzten Wochen vor sich hingewimmert hatte, jubelte.

Wieder daheim spürte ich Oberschenkel und Waden, leider auch das rechte Knie, aber vermutlich werden ab nächster Woche, wenn die langen Runden wieder Routine sind, Muskeln und Gelenke wieder wie geschmiert laufen.

Der Große kroch aus dem Bett, wenige Minuten später zeigte sich auch ein gänzlich unverkaterter Gatte. Der Jüngste wurde zum gemeinsamen Frühstück geweckt, danach verzog ich mich ins Nähzimmer. Während ich dort vor mich hinwurschtelte sah ich zwei Folgen der Aufräumserie bei Netflix und weil ich aus dem Staunen und Lachen und Kopfschütteln nicht herauskam, beschloss ich bei Gelegenheit weitere Folgen zu schauen, um umfassend informiert einen längeren Text darüber schreiben zu können.

Um noch etwas Sinnvolles in den Tag zu packen, überredete ich den Gatten zu einem Besuch des Baumarktes, denn seit einem Jahr hängen verschiedene Farbmusterkarten in der Küche und vor ein paar Tagen habe ich mich für eine entschieden. Wir fuhren los, verabschiedeten vorher die Söhne, die zu wilden Dungeons&Dragons-Schlachten loszogen und vergaßen nicht mal die leeren Milchflaschen, damit diese auf dem Rückweg befüllt werden konnten. Ich widerstand im Baumarkt sämtlichen reduzierten Weihnachtsartikel! Sogar den Kerzen!

Weil sich das Wetter immer noch nicht zwischen Regen und Sonne entscheiden konnte, schalteten wir den Saunaofen an. Eine Stunde braucht dieser und in diese Stunde passte eine Tasse Kaffee (sogar ganz romantisch bei Kerzenschein), die Abendhunderunde (der Gatte) und das Aufhängen der neuen Vorhänge im Wohnzimmer (ich). Und ja, dieses IKEA-Gardinen-System mit den Röllchen, die in einer Schiene laufen, ist doof. Zum einen lassen sich die Haken nur unter brachialen Kraftaufwand in die Röllchen drücken und zum anderen musste der Gatte erst auf den Speicher kriechen und Holzbretten von oben gegen die Rigipsdecke schrauben, damit die Vorhangschiene samt Gardinen und Decke nicht runterkratzt. Ok, Letzteres ist kein IKEA-Problem, aber trotzdem lästig. Jetzt hängen die neuen Vorhänge und verhindern hoffentlich, dass man auf dem Sofa keinen Zug bekommt.

Die Sauna war heiß und ganz genau die richtige Idee für unausgegorenes Usselwetter. Ich hatte trotzdem schon nach zwei Gängen genug und nutzte die Zeit, die der Gatte für den dritten Gang brauchte, um ein Bananenbrot zusammenzurühren und in den Ofen zu schieben. Zusammen mit dem Gatten sorgte ich für ein feines Abendessen, eines für uns, eines für die Jungs, die beide zwar Rosenkohl mögen, aber irritierenderweise nicht in Kombination mit Maronen. Deshalb zauberte der Gatte Nudeln mit unserer neuen Lieblingsküchhenmaschine, dem Pastamaker. Von der Lasagne war noch Soße übrig, ein prima Abendessen für müde gekämpfte Söhne. Während der Essensvorbereitung kicherten wir uns gemeinsam durch zwei Folgen Aufräumserie und wissen jetzt, dass wir endlich super erwachsen sind, wenn wir gefaltete Waschlappen im Schrank liegen haben. (Ich muss da wirklich länger zu schreiben!

Mit Rosenkohl, Maronen und Riesling vom Schwabsburger Schloss zogen wir uns aufs Sofa zurück. Mittlerweile sind die Söhne da (hungrig, weil sie sich Nudeln mit Soße in eine Auflaufform geschichtet und mit Käse überhäuft haben und das Ganze brodelt nun im Backofen vor sich hin), das Bananenbrot duftet auf dem Tresen, das zweite Glas Riesling ist zur Hälfte geleert und ich weiß, dass ich morgen früh noch einmal ausschlafen darf, der Gatte rennt mit dem Hund.

So weit, so unspektakulär, so schön.

geschafft.

4. Januar 2019

Heute sind die Feiertage ganz offiziell vorbei. Das letzte Plätzchen ist verspeist, ein einziger Lebkuchen und ein kleiner Rest vom Stollen werden im Laufe des Tages verschlungen und dann möchte ich bitte zehn Monate lang weder Zitronat noch Rosinen in meinem Essen.

Das Töchterlein hat sich um sieben Uhr verabschiedet. Sie reist heute für drei Monate nach Gilching. Neue WG, neue Menschen und am Alleraufregensten: der Praxisteil ihres Studiums beginnt, sie darf mit Robotern spielen. Meine Vorstellung deckt sich da womöglich nicht ganz mit ihrer Realität, denn ich sehe sie mit irgendwelchen Joysticks und Fernbedienungen hantieren oder bäuchlings auf dem Boden liegend zuschauend, wie der Fischertechnik-Roboter auf wackeligen acht Beinen durch das Zimmer stapft … ich weiche ab. Letztlich wird sie sehr viel Zeit programmierend am Rechner verbringen. Es ist mir unverständlich, wie so etwas Spaß machen kann, aber ihr geht es genauso, wenn ich ihr erkläre, wie der Quilt aussehen wird, den ich ihr für ihr Mannheimer WG-Zimmer nähen werde.

Mit der Abreise der Tochter gehört das Haus wieder uns, das begrüße ich sehr. Selbst der freundlichste, liebenswerteste Besuch ist mir irgendwann zuviel, sitzt rum, wo ich gerade saugen will, hat seinen Kram rumliegen, wo er doch nicht hingehört und will ein Schwätzchen halten, wo ich doch gerade leergequatscht bin. In meiner Phantasie bin ich eine warmherzige Gastgeberin, die Ihren Besuch mit offenen Armen empfängt und über Wochen verwöhnt. In der Realität entgleitet mir die Warmherzigkeit nach etwa drei Tagen. Beim gemütlichen Abschiedsgespräch mit der Tochter zeigte sich dann aber, dass sie sich sehr wohl als Besuch empfindet, sich aber nicht hinausgedrängt fühlt.

Ab ungefähr Mitte des Jahres entspannt sich die Besuchssituation sowieso, denn dann wird es in der Grünen Villa ein echtes Gästezimmer geben. Der Große beendet dann nämlich seine Ausbildung und egal wo er was arbeitet – er wird ausziehen müssen, es ist allerhöchste Zeit. (Keine Sorge, wir streiten uns nicht! Er ist einfach so weit, Er kann sich versorgen und theoretisch seinen eigenen Haushalt führen, muss dies ja aber nicht tut, weil ich da bin. Das führt zu gewissen Unzufriedenheiten meinerseits und ach, es ist halt Zeit.)

Wann der Jüngste auszieht, ist sehr ungewiss, aber das eilt auch nicht. In drei Wochen hat er praktische Prüfung. Sollte er diese bestehen, wird er ziemlich sicher vom Ausbildungsbetrieb übernommen und dann kann Entspannung einsetzen. Und neue Ziele in Angriff genommen werden. Vielleicht macht er den Führerschein, vielleicht doch noch mal einen längeren Urlaub, vielleicht will er doch ausziehen. Es wird sich finden.

Jetzt steht hier beinahe etwas wie eine Jahresplanung. Das ist natürlich Quatsch, denn erfahrungsgemäß läuft das eh alles anders. Und eigentlich wollte ich wirklich nur rasch erzählen, dass das Familienfest gestern abend relativ früh endete, weil die Schwagerfamilie heute früh schon wieder abreist und ich bin wirklich froh, dass es nicht spät wurde. Ich bin keine Langschläferin und die Schlafenszeiten der letzten Wochen, die immer deutlich nach Mitternacht lagen, taten mir nicht gut. Deshalb: hallo langweiliger, spießiger „um elf Licht aus“-Alltag, ich freue mich, dass du wieder da bist. Kann noch jemand rasch das Küchenchaos der letzten Feier beseitigen?

Vorsätze?

2. Januar 2019

Aber sicher! Die meisten beinhalten irgendwas mit „mehr“, viele beginnen auch mit „weniger“, alle so vage formuliert, dass sie mit reinem Gewissen einfach verschwinden können.

Tatsächliche Vorsätze sind:

  • keinen einzigen Vorsorgetermin, sei er noch so unangenehm, zu schwänzen. Auch nicht den beim Zahnarzt im Juni.
  • mich damit abfinden, dass ich kein kerngesunder Mensch mehr bin. (und das Jammern darüber möglichst gering halten)
  • Kochbücher nicht mehr nur lesen und anschmachten, sondern tatsächlich ganz viel daraus zu kochen
  • das Treppemhaus zu renovieren (Vorsatz seit etwa fünf Jahren, das Ding wird einfach nicht von allein hübscher)
  • nachsichtiger mit Menschen zu sein (nun ja. Herausforderungen halten jung.)
  • jeden Tag zu notieren, wieviele Kilometer ich mit dem Hund unterwegs war. Um es mal schwarz auf weiß zu sehen und um stolz darauf zu sein. Heute: null Kilometer. Der Gatte rennt die Morgenrunde, den Nachmittag übernimmt der Jüngste. Bisherige Kilometer in diesem Jahr: 5.07 km. (Migräne bremst mich)
  • bloggen (und das erstmal nirgendwo zu erwähnen)

Um dem letzten Punkt direkt abzuarbeiten:

Am ersten Januar ziehen wir gemeinsam mit den Kindern los und besuchen die Verwandtschaft in Nierstein. Angeblich ist das altes Brauchtum, der Verwandtschaft so lange Böller vor die Haustür zu werfen, bis diese sich mit Silvestergeld freikauft. (und irgendwie werden auch noch ein paar böse Geister vertrieben) Wir machen das schon so lange mit den Kindelein, dass ich nicht mehr weiß, ob es sich tatsächlich um Brauchtum handelt oder ob nicht womöglich wir Eltern die sehr viel jüngeren Kindelein unter diesem Vorwand (Böllern! Gegen Bezahlung!) aus dem Haus lockten. Wie auch immer das Ganze entstand, es besteht bis heute und bereitet uns allen große Freude!

Wir beginnen die Runde stets mit einem Besuch bei dem Bruder meines Schwiegervaters, der direkt um die Ecke wohnt. Mit Hilfe einiger Knallfrösche wurden Schwiegervaterbruder, seine Frau und der älteste Sohn der beiden aus dem Haus gelockt und weil es leicht regnete, wurden die Neujahres-Wünsche und sonstigen Neuigkeiten nicht im Hof ausgetauscht, sondern wir wurden ins „Sauställsche“ gebeten. „Kummt emol erinn!“ Das Sauställsche wurde nach Verzehr der letzten Bewohnerin zu einem hübschen Raum umgestaltet, in dem sich prima feiern lässt. Der Ofen bollerte, Plätzchen wurden auf den Tisch gestellt und die ganz alten Geschichten ausgepackt. Die Hochzeitsreise im Motorrad mit Beiwagen, der Flieger, der über Nierstein abgeschossen wurde und wie es als absolut ausreichende Sicherheitsmaßnahme durchging, Phosgen auf dem Balkon vor dem Labor zu lagern. Nach sehr viel Gelächter und wieder auf dem neuesten Stand, was unser Leben und das der Nachbarn angeht, verabschiedeten wir uns uns. Leider habe ich vergessen zu fragen, ob auch in diesem Jahr wieder ein Skiurlaub ansteht. Letztes Jahr flitzte der Schwiegervaterbruder noch mit großer Begeisterung die schwarzen Pisten hinunter (runner laafts jo vunn selbscht). Noch mehr Freude als das Skifahren selbst bereiten ihm aber vermutlich die entgleisenden Gesichtszüge der Menschen beim Skiverleih, denen er seinen Ausweis vorzeigt. Er wird dieses Jahr 89.

Der nächste Halt ist bei meinem Schwiegervater. Auch wegen seiner Schwerhörigkeit klingeln wir, damit er auch ganz sicher mitbekommt, dass ihm Böller vor die Tür geworfen werden. Immerhin wohnt er im vierten Stock. Gestern abend gab es neben den allerbesten Neujahrswünschen, dicken Umarmungen und Silvestergeld für die Kindelein einen wirklich widerlichen Sekt, für den er sich aufrichtig entschuldigte. (ein Geschenk vom alten Arbeitgeber, der zwar bekannt ist, aber das mit dem Wein und dem Sekt trotzdem nicht hinbekommt) Wir kippten den Sekt weg und bekamen stattdessen ein Glas Wein. Und ein paar Cracker. Da mein Schwager samt Familie seine Anreise für den Abend angekündigt hatte, verabschiedeten wir uns bald, damit meine Schwiegervater die Wohnung weiterhin besuchsfein machen konnte. (morgen kommen alle zu uns zum Essen und danach setzten die vagen „mehr“- und „weniger“- Vorsätze hier ein).

Die nächste Station war beim Bruder meiner Schwiegermutter. Der hat mich vor vielen Jahren als erster ganz offiziell in der Familie aufgenommen, in dem er von mir verlangte, ich möge ihn Duzen und beim Vornahmen nennen, allenfalls hieße ich für ihn nur „Kloakinnerschulstande“ (Kleinkinderschulstante). Dem Wunsch kam ich gerne nach. Ein weiteres Glas Sekt später sprachen wir, die wir sonst beinahe dialektfrei reden, fließend Niersteinerisch, knabberten uns durch mehrere Tüten Chips, Flips und Zwiebelringe und hielt uns die Bäuche vor Lachen. Wir lernten zum Beispiel, dass man frisch erlegten Lappingen immer ordentlich den Urin ausdrehen muss und wer weiß, wenn die große Zombie-Apokalypse kommt, kann man das ja vielleicht gebrauchen. „Lapping“ ist vermutlich ein Sprachüberbleibsel aus der französischen Besetzung, den „Lapin“=“Kanninchen“. Ich freue mich jedesmal, wenn ich wieder eines dieser Wörter oder gar eine ganze Redewendung höre. Es gab Geschichten über getrennte Betten, Silberrücken im Reisebus und Elefantenfleisch in Dosen beim Nutzkauf. Dazu Multivitaminsaft für die Kindelein, den diese nicht mögen, aber einmal im Jahr gehört er dazu.

Mit über einer Stunde Verspätung erreichten wir schließlich unser letztes Ziel. Mme Ouvrage und Herr Skizzenblog hatten feines Essen, noch mehr Sekt, Espresso und Käsekuchen, neue und alte Geschichten für uns, wir noch drei Böller für oder gegen irgendwas. Egal.

Hauptsache nächstes Jahr wieder.