Die Ulli.
14. November 2012
Meine Freundin Ulli habe ich nur viermal getroffen. Viermal in vier Jahren.
Das erste Mal traf ich sie, als ich auf der Treppe vor der Wohnungstür des Schwagers saß, drei Schlüssel in der Hand und äusserst ratlos und verzweifelt, in welcher Reihenfolge ich die Schlüssel in die Schlösser stecken sollte, um die Tür öffnen zu können. Sie wusste das auch nicht, brachte aber genug Glück mit, so dass ich die rechte Kombination fand und sie verabschiedete mich augenzwinkernd, die Wohnungstür gegenüber öffnend.
Zwei Stunden später winkte sie mir fröhlich zu. Ich saß im Wohnzimmer des Schwagers und bloggte meine schrecklichen Erlebnisse in der großen Stadt, sie stand mit Kaffeetasse am Fenster, genau gegenüber meinem. Ich war etwas verwirrt, weil mich mein Orientierungssinn offensichtlich verlassen hatte, denn war sie denn nicht durch die Tür gegenüber … .? (später sollte ich erfahren, dass ihre Wohnung und die des Schwagers einst eine einzige, sehr große um einen Innenhof herum war, über eine ganze Etage. Und irgendwann wurde diese Wohnung geteilt.
Am nächsten Tag, nachmittags, klingelte es an der Tür des Schwagers. Mit vorgelegter Kette fühlte ich mich mutig genug, um die Tür zu öffnen. „Hallo, ich bin die Ulli, die Nachbarin. Du siehst so allein aus, komm doch heute abend rüber, wir feiern ein bißchen.“
Eine wildfremde Frau hatte mich, das Landei, in eine fremde Wohnung zu einer Feier mit fremden Menschen eingeladen.
Ich sagte zu und klingelte am Abend mit klopfendem Herzen und eiskalten, feuchten Händen an der Tür gegenüber. Und wurde herzlich begrüßt, in eine hübsche Küche gezogen und als Zünglein an der Waage bei der Entscheidung, welches der Chilis nun das Beste sei, bestimmt. Mit einem Glas Sekt in der Hand entspannte ich mich und als ich mich um vier Uhr morgens verabschiedete, hatte ich eine Freundin gefunden. „Nächstes Mal wohnst du bei mir!“, sagte Ulli auf dem Flur, denn vorsichtshalber hatte sie mich begleitet, falls das mit den Schlüsseln nicht klappen sollte.
Ein Jahr später traf ich mich nach meiner Ankunft in der großen Stadt zuerst mit Ullis Exmann, der mir einen Schlüssel zu Ullis Wohnung überreichte. Gleiches Haus, gleiche Etage wie letztes Jahr, aber diesmal die Tür gegenüber. Ein Gästebett mit Begrüßungsbriefchen und Willkommenschokolade, Ulli war noch im Dienst.
Am Abend kam sie heim und es war, als hätte ich am Tag vorher erst „Tschüss!“ zu ihr gesagt. Wir tranken die beiden Flaschen Niersteiner Wein und erzählten bis in die Morgenstunden. Drei Nächte hintereinander, dann reiste ich zum Glück wieder ab. Dieser Rhythmus hätte sie wohl ihren Job gekostet.
Eine wundervolle Zeit. Wir aßen eine großartige Carbonara in einem Ristorante mit nur drei Tischen, hoben einige Caches und ich erfuhr, dass sie als Jugendliche an Knochenkrebs litt. Und eine Brustkrebserkrankung sie ein paar Jahre vor unserem Kennenlernen die Brust und die gerade festgestellte Schwangerschaft kostete. Und so mischten sich Lachen und Tränen und als die Stimmung zu gedrückt wurde, zog sie ihr Shirt hoch, damit ich mich selbst davon überzeugen konnte, wie kunstvoll die Brust wieder aufgebaut worden war. „Pack mal an, da fühlste keinen Unterschied.“
Ich fühlte keinen Unterschied, aber eine große Nähe und Verbundenheit, die sich nicht durch räumliche Entfernung oder seltene Mails zerstören ließ. Manchen Blogeintrag schrieb ich mit dem Wissen, dass Ulli ihn gut finden würde. (und bekam prompt eine Mail darauf).
Das dritte Mal war nur ein ganz kurzes Winken, denn ich war mit Freundinnen unterwegs. Wie sehr ärgere ich mich, dass ich nicht einen Freundinnenabend geopfert habe, um Ulli zu besuchen. Hätte ich damals gewusst, dass unser nächstes Treffen das Letzte sein würde.
Dieses Jahr im Mai, als ich vor den vielen Fremden auf der re:publica floh und mit gemischten Gefühlen klingelte, unangemeldet und vielleicht auch unerwünscht. Ankam, meine Freundin fand, hinter Schmerzfalten und Medikamenten ein Lächeln in ihren Augen entdeckte und einen Rest ihrer Unerschrockenheit.
Knapp zwei Stunden später ging ich. Weinend, Ulli umarmend, „Tschüss!“ und nicht „Auf Wiedersehen!“ sagend.
Über ein Jahr lang hat Ulli mit unsagbarer Kraft und großem Galgenhumor gegen einen unheilbaren Krebs, einem Mesotheliom, gekämpft – letzte Nacht ist sie gestorben. Daheim, in den Armen ihres Mannes, wie sie es sich gewünscht hat.
Reise gut, liebe Ulli. Die Gneisenaustraße ist ein Stückchen grauer geworden ohne Dich.
14. November 2012 um 21:28
Was für eine tragische Geschichte.
Was für ein wunderbarer Nachruf.
Ich weine mit um Ulli.
14. November 2012 um 21:59
Traurig. Und ganz viel Gänsehaut.
14. November 2012 um 21:59
:(
14. November 2012 um 22:02
Ja liebe Frau Mutti,
ich kann das gut nachvollziehen. Vorige Woche ist eine liebe Freundin von mir an Krebs gestorben. Ich habe das Gefühl mir sterben die Leute weg…schon der 3. Todesfall heuer…nicht schön. Ich bin froh wenn das Jahr vorbei ist.
14. November 2012 um 22:05
Mir fehlen die Worte.
Das ist so ungerecht.
:(
14. November 2012 um 22:07
Ich lese die Zeilen, spüre Vertrautheit, Nähe, Geborgenheit, Wärme und Verständnis.
Bei den letzten Zeil wird mir kalt.
Eine Gänsehaut zieht auf.
Sprachlos und hilflos fühle ich mich.
Und bin traurig.
Alles Gute, Ulli, in der Anderswelt.
14. November 2012 um 22:44
*tränchenwegwisch*
14. November 2012 um 23:03
:´(
14. November 2012 um 23:46
Achjeh, wie traurig! :(
15. November 2012 um 00:05
Traurig und schön, die Geschichte. Schön und traurig. Ich habe letze Woche eine enge Kindheitsfreundin beerdigt, die an Krebs gestorben ist. Das bricht mir schon ein kleines bisschen das Herz. Krebs IST ein Arschloch.
15. November 2012 um 07:58
meine mutter ist im mai an darmkrebs gestorben, und mein vater wird wohl weihnachten nicht mehr erleben. lungenkrebs. drei kinder, zwei enkelkinder, eins davon 16 monate. es wird nicht sehr einfach.
gruß
ina
15. November 2012 um 08:06
puh….heftig
15. November 2012 um 08:52
Eben noch mit meinem derzeitigen Leben hardernd, lese ich ihren Post und schlagartig wird mir wieder einmal klar, wieviel Glück ich habe, gesund zu sein, gesunde, tolle Kinder zu haben und den Fortgang der Jahre erleben zu dürfen! Und schon schrumpfen meine Probleme auf Erbsengröße! Vielen Dank Regine
15. November 2012 um 08:52
Mir kommen spontan die Tränen, auch wenn ich sie und ihre Freundin nicht persönlich kenne, aber es berührt mich sehr.
Meine beste Freundin ist nun schon seit drei Jahren verstorben, auch an Krebs. Fühlen sie sich gedrückt.
Liebe Grüße sendet Liane W.
15. November 2012 um 09:06
So eine liebevolle Schilderung einer wunderbaren Frau.
Danke.
15. November 2012 um 09:40
Das ist so traurig. Vor allem weil es so wenige Menschen gibt, zu denen man so eine Nähe spürt.
Alles Liebe
Jutta
15. November 2012 um 11:05
so ein schöner Nachruf *drück*
15. November 2012 um 11:22
Liebe Frau Mutti, ich drück Sie mal, in Gedanken. Wir kämpfen noch mit dem bösen Tier! nNch 1,5 Jahren „Arthrosebehandlung“ und Sätzen wie „Haben Sie sich nicht so, man halt halt mal Schmerzen!“ wegen starker Hüftschmerzen fand man die Ursache:Prostatakrebs, metastasiert von der Schädelbasis bis zur Hüfte. Es ist ein Arschloch, diese Krankheit und sie frißt mir den einzigen Menschen, der immer für mich und meine Kinder da war. Sunni
15. November 2012 um 11:35
Eine kleine leise virtuelle Umarmung von mir, wenn ich darf..
Ich hatte diese Nachricht im September..
(http://nilineandertal.blogspot.de/2012/09/warum.html)
Diese Krankheit begleitet mein Leben seit 1988. Es ist ein Teufel.
Ich wünsche Ulli unbekannterweise eine gute Reise auf die andere Seite…
15. November 2012 um 12:17
meine Tränen fliessen – ich drücke Sie, Frau Mutti!
15. November 2012 um 12:20
Liebe FrauMutti,
nun sitze ich hier mit Kloß im Hals und Tränen in den Augen. Natürlich traurig (unbekannterweise den Personen gegenüber, nicht dem bösen fiesen Krebs…) und freue mich dennoch, dass Ihre Freundin und Sie das Glück hatten, sich gegenseitig kennengelernt zu haben.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und dass Sie sich immer an die schönen Stunden erinnern werden können.
lajulitschka
15. November 2012 um 13:42
Was für eine wunderbare Freundschaft!
Ein ganz toller Nachruf für eine offenbar ganz tolle Frau! Bemerkenswert.
15. November 2012 um 13:56
…und wenn es dann bei mir soweit ist, dann hoffe ich, dass ich solche innigen Gefühle erfahre wie Ihre Uli.
Tieftraurig
Ilona
15. November 2012 um 15:04
Ach je…
Ich weiß noch und grüß Sie mal ganz lieb Frau Mutti.
Susanne
15. November 2012 um 15:07
Es ist und bleibt eine Dreckskrankheit. LG
15. November 2012 um 15:26
Das macht so traurig. Ein schöner Nachruf auf Ulli. GlG.Petra
15. November 2012 um 16:30
Ich weine in Gedanken an die mir völlig unbekannte Ulli und ihre Hinterbliebenen – zu denen auch Sie als Freundin gehören – und ich weine um Freunde und Bekannte, die auch viel zu früh gehen mussten :-(
Wir müssen uns immer dessen bewusst sein, dass unser Leben nicht selbstverständlich ist.
Fühlen Sie sich gedanklich umarmt!
15. November 2012 um 17:19
tiefberührt und tieftraurig, wegen Uli und alle, die in meinem Lebensbereich in diesem jahr gehen mußten.
Drück Sie
15. November 2012 um 20:20
Das ist so eine gemeine Dreckskrankheit. Wir, mein Mann und ich, hatten eine ähnliche Freundesgeschichte. Mein Mann kannte ihn länger, ich habe ihn nur etwa sechs- siebenmal getroffen und mochte ihn extrem gern. Plötzlich bekam er im Januar vor fast drei Jahren diese fiese Krankheit. Ausgerechnet er, dieser zähe, disziplinierte, durchtrainierte Mann. Im Mai 2010 haben wir ihn das letzte Mal gesehen. Wir waren auf der Durchreise. Wir tranken Kaffee mit ihm und seiner Frau. Er sagte noch, das nächste Mal lade ich Euch in mein Lieblingslokal ein. Dann feiern und lachen und erzählen wir mal wieder so richtig. Und dann stand er plötzlich abrupt auf, rief seinen Dackel und sagte, er müsse jetzt kurz ins Dorf fahren. Eine herzliche Umarmung noch und er fuhr. Das war seine Art, ohne grosse Umstände Abschied zu nehmen. Sentimentalitäten waren nicht sein Ding.
Vier Wochen später standen wir vor seinem Grab. Ich denke oft daran und Ihre lieben Worte an Ihre verstorbene Freundin haben mir auch gerade wieder die Tränen in die Augen getrieben.
Sie leben weiter, solange wir sie nicht vergessen. Und das werden wir nicht. Herzliche Grüsse von Nina
15. November 2012 um 20:48
:(
16. November 2012 um 10:39
Und wieder schnürt es mir die Kehle zu. Ich hoffe sehr, dass später auch über mich so herzlich gespochen wird.
16. November 2012 um 13:56
Seit 2 Tagen weiss ich, dass meine Mutter nicht wie gehofft eine Runde Ruhe in ihrem Kampf gegen den Krebs bekommt, sondern sich auch in der Leber Metastasen gebildet haben. Hilflosigkeit ist ein Sch..gefühl.
Ganz herzliche Grüße und ja, auch ich drück Sie, Frau Mutte
16. November 2012 um 15:34
Danke für so schöne Zeilen. Ich habe das ja im Mai mitbekommen und oft an Deine Freundin unbekannterweise denken müssen.
Mir bleibt nur Dir zu sagen, möchtest Du zu ihrer Beerdigung kommen – hier ist ein Bett für Dich, Wohnungsschlüssel, Katzen, viel Wein und ich bin für Dich da und auch weg, wenn Du Ruhe brauchst. Fühle Dich willkommen – auch heulend! Sehr gerne! ;-)
Liebe Grüße
Claudia
16. November 2012 um 15:42
Manchmal gibt es Freundschaften die sind so intensiv das sie in ganz kurzer Zeit ganz viel bedeuten und schenken. Alles Gute für Ulli und Sie liebe Frau Mutti.
16. November 2012 um 20:22
Ich drück dich, wenn auch nur virtuell. Ich bin sicher, die Ulli hätte sich über diesen Post auch gefreut.
Liebe Grüße,
Bine
16. November 2012 um 21:08
…Ulli sitzt auf Ihrer Wolke, es geht ihr nun gut und Sie freut sich, dass Du uns Ihre Geschichte erzählst. Das Leben ist oft nicht leicht! Fühl Dich gedrückt. Melanie
17. November 2012 um 10:56
Gute Reise Ulli!
18. November 2012 um 00:02
So traurig.
Birgit
18. November 2012 um 21:22
Oh Gott, wie schrecklich.
Möge sie in Frieden ruhen.
19. November 2012 um 11:03
*schluck*
das ist sehr traurig und gleichzeitig etwas sehr besonderes… ich hätte eurer freundschaft noch viele jahre mehr gewünscht….
19. November 2012 um 19:50
Liebe Frau Mutti,
den Beitrag 100 mal auf- und wieder zugeklickt – tausend Gedanken zu dieser intensiven (Seelen-)Freundschaft und deren viel zu frühen Ende gehabt – nicht gewusst, was ichschreiben soll, weil so viel gefühlt (und mit-gefühlt)….
Ich lese Ihren Blog seit langem, fühle mich aber nie so wirklich berufen, hier zu kommentieren, weil ich immer denke, dass das, was ich zu sagen habe, andere Menschen schon längst gesagt oder gedacht haben.
Summa summarum:
DANKE, liebe Frau Mutti, für so schöne Worte über Ulli.
Ich glaube, Ulli würde sich freuen. Sie war bestimmt alles außer gewöhnlich.
19. November 2012 um 22:44
Ich glaube, Uli hätte Ihnen ob dieser traurigen, anteilnehmenden und Worte so voller Liebe eine Mail geschrieben, weil sie sehr berührt gewesen wäre. So stelle ich mir Ihre Ulli vor. Eine tolle Frau scheint sie gewesen zu sein!
Es tut mir sehr leid für Sie, dass Sie Ihre Freundin verloren haben. Mein aufrichtiges Beileid an Sie und noch viel mehr an Ullis Mann.
Gruß,
Maren
20. November 2012 um 14:11
Scheiß Krebs!
23. November 2012 um 17:28
Es ist zum heulen.