Kehrseiten.
28. Januar 2016
Ich habe mein Gewerbe abgemeldet, denn im Nähzimmer stehen keine Nähmaschinen mehr auf dem Tisch. Dafür stehen dort drei Laptops, mit deren Hilfe Deutsch gelernt wird. Das klappt übrigens prima, denn die Bereitschaft sich gegenseitig zu helfen ist groß und die Motivation zu lernen bei den meisten noch viel größer.
Ich bin ein bißchen traurig, weil es mit dem Nähen nicht mehr hinhaut (und vielleicht wird mir auch das Geld fehlen), aber gleichzeitig bin ich glücklich, dass das mit den Rechnern so unkompliziert läuft. Und ich bin sehr dankbar, dass mir Menschen aus dem Internet ihre alten Laptops für mein kleines „Internetcafé“ überlassen wollen. Das ist so großartig!
Mittlerweile erzähle ich übrigens nur noch Ihnen so hemmungslos von meinen Aktivitäten, denn manche Reaktion von Menschen in meinem Leben ist eher … verhalten. Ein betretenes „ach. Interessant.“ samt raschem Themawechsel verunsichert mich, nachzufragen traue ich mich aber nicht. Ich habe Angst, dass ich Menschen, die mir sympathisch sind verliere, weil sie das nicht gutheißen (aus welcher Motivation auch immer) was ich tue. Und so meide ich das Thema Flüchtlinge, erzähle nicht, dass es mich jedesmal eine große Überwindung kostet, meine Tür für gänzlich fremde Menschen zu öffnen, sie in meine Lieblingsräume (Küche und Nähzimmer) zu lassen. Wie schwer es ist, einen Kontakt über Sprachbarrieren hinweg zu knüpfen und zu halten, die Balance zwischen Freundlichkeit und Distanz zu wahren und nicht selbstgefällig oder gar gönnerhaft zu wirken/werden. Aber dass mich dieses unbestimmte „ich will aber irgendetwas tun“ immer weiter antreibt. Die Menschen bei Twitter haben da eine häufig genutzte Phrase: „Es ist kompliziert.“ Und ja, das ist es.
Kompliziert ist es übrigens auch, über die nicht so schönen Flüchtingsgeschichten zu erzählen. Als nämlich der 33jährige, der seine Familie seit vier Jahren nicht mehr gesehen hat, der seit sechs Monaten ohne Anhörung und somit bisher ohne Asylantragstellung hier lebt, durch Beschäftigungsverbot zur Untätigkeit verurteilt, seinem Frust Luft macht. So laut und derb, dass der 20jährige Dolmetscher schamrot die Küche verlässt und „Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter übersetzen“ sagt. Diese Momente gibt es auch. Dann wird es mir mulmig, denn wie genau kenne ich denn meine Sprachschüler? Vielleicht lästern und lachen sie ja über mich, wenn sie sich in ihrer Muttersprache, derer ich nicht mächtig bin, unterhalten? Aber vielleicht denken sie das ja auch, wenn sie mit uns essen und wir uns viel zu schnell auf Deutsch unterhalten und laut lachen.
Ich habe neulich „Dann musst du deinen Pass nehmen und gehen“ zu meinem Sprachschüler nach seinem Ausraster gesagt, als er behauptete, in Deutschland gäbe es keine Rechte. Habe ihm versucht zu erklären, dass er in sehr vielen Ländern nicht willkommen ist, sogar im Gefängnis landen wird. Und dass er hier in Deutschland vor allem eines braucht: Geduld. Und dass er die Zeit des Wartens nutzen soll, um Deutsch zu lernen. Er hat sich beruhigt und verständig genickt. Und seine Hausaufgaben erneut nicht gemacht.
Freundlichkeit und Distanz, immer wieder ein Thema. Genauso wie das klare Vermitteln: ich bin eine Frau und habe hier _trotzdem_ das Sagen, nimm mich ernst, ich weiß hier mehr als du, das musst du aushalten lernen. (Ich versuche mir vorzustellen, wie schwer es für _mich_ wäre, wenn ich plötzlich in einem Land lebte, in dem ich keine Rechte mehr hätte. Das hilft mir geduldig zu bleiben, wenn zu viel Testosteron in der Luft schwebt.)
Dass mich Manches frustet und Vieles beschäftigt … kann ich zum Glück im Blog lassen (und natürlich bei der Familie). Danke.
Nachtrag weil es so gut passt: lesen Sie bitte, was Anna aka Berlinmittemom gebloggt hat: Wir sind nicht mehr dieselben – Brief an eine Freundin.
28. Januar 2016 um 12:20
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28. Januar 2016 um 12:24
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28. Januar 2016 um 12:31
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28. Januar 2016 um 13:01
Ich bewundere deinen Mut das alles zu tun. Und auch wenn es nicht rund läuft und es zu Schwierigkeiten komm.
Inzwischen habe ich auch schon die ein und andere unschöne Szene erlebt die ich mir lieber erspart hätte mit Flüchtlingen.
Es gibt sie überall, die Undankbaren, denen nie was genug ist,
die,die über alles schimpfen.
Die die im neuen Land/Situation einfach ihr altes Leben weiterleben wollen.
Diese werden weder hier ankommen noch in ihrem Leben zurechtkommen.
Dabei ist es egal ob wir über Flüchtlinge, Arbeitslose Deutsche oder unzufriedene anerkannte Asylsuchende sprechen.
Sich der neuen Situation anpassen, dem neuen Land, den neuen Gegebenheiten ist ein muß für alle Menschen wenn sich das Leben so gravierend verändert. Und das braucht Zeit. Manchmal mehr als ich an Geduld aufbringen möchte für andere.
Aber auch das halte ich für menschlich.
Ich wünsche dir ganz viel Kraft für das was noch kommt und viele Menschen um dich rum die dir den Rücken stärken und eine helfende Hand reichen sowie ein offenes Ohr anbieten.
Claudia
28. Januar 2016 um 13:13
Ich ziehe immer wieder meinen nicht vorhandenen Hut :)
Danke :)
28. Januar 2016 um 13:39
ähnliche situationen – positive wie negative – habe ich schon vor vierzig jahren erlebt, als wir noch dolmetscher und begleiter spielten für russische emigranten, die über die jewish agency nach israel gelotst wurden und mehr oder weniger lang in wien stationiert waren. da war von „was, hier kann ein einzelner mensch einen ganzen fisch für sich ganz alleine kaufen, einfach so?“ bis zu „was, hier muss man sparen damit man sich ein auto kaufen kann?“ war da alles dabei. und dabei hatten diese menschen damals ein langwieriges ausreiseverfahren hinter sich, hatten sich oft jahrelang vorbereitet, aber die zensur in russland einerseits, und das „sich-selbst-besser-machen“ auf seiten derer, die schon im westen waren, hat da vielen menschen sehr üble streiche gespielt.
denn natürlich wurde in russland alles westliche verteufelt, und natürlich kamen nur verschlüsselte nachrichten durch. ebenso natürlich aber haben die, die schon „herüben“ waren, sich oft selber in die taschen gelogen. wer gibt schon freiwillig zu, dass er mit dem teils orientalischen lebensstil nicht zurechtkommt, die hebräische sprache nicht zu erlernen ist, das wetter einen krank macht, das leben gefährlich ist, und so weiter und so fort. dann gingen viele aus israel wieder weg, versuchten ihr glück irgendwo in europa, amerika, kanada, je nachdem wo sie freunde oder verwandte hatten. die hatten natürlich alle geschrieben, wie gut es ihnen ginge und wie froh sie seien jetzt hier (wo auch immer dieses hier sein mochte) zu sei.
da, wo in russland die obrigkeit von ausbildung über wohnung, eheschliessung, wohnort und arbeit alles bestimmt hatte, und zwar sehr viele generationen lang (erst durch die leibeigenschaften, dann durch den kommunismus), da musste man sich plötzlich selbst um alles kümmern, obwohl man es eigentlich gar nicht konnte, wie denn auch: musste alles selbst erarbeitet werden, jede information, jede möglichkeit. nirgendwo ein zentrales amt für irgendwas, in jeder zeitung stand was anderes, jeder fernsehsender verbreitete die eigene sichtweise zu einzelnen geschehnissen. nicht einmal das brot schmeckte so, wie man es gewohnt war.
beim helfen neutral zu sein war schwierig, weil man einerseits natürlich die eigenen erfahrungen und wünsche nicht ausblenden kann, andererseits aber auch die erwartungen der menschen, die man unterstützen möchte, nicht zu sehr enttäuschen darf, und enttäuschen musste man, immer wieder.
wenn ich die probleme, die sich heutzutage mit den flüchtlingen aus ganz anderen ländern und kulturkreisen ergeben, vergleiche, dann sehe ich im wesentlichen nicht viel unterschied.
ganz egal, warum die menschen land und leute verlassen: sie haben mit sicherheit die hoffnung, dass es woanders besser ist, auch wenn sie dieses „besser“ vielleicht gar nicht so richtig definieren können. oft es ist da, wo sie herkommen, einfach so besch…, dass „anders“ einfach zu einem synonym für „besser“ geworden ist. so wie andererseits für ganz viele menschen hierzulande „anders“ wiederum ein synonym für „schlechter“ (geworden) ist. schon das zu verstehen ist sehr schwierig, es zu vermitteln meist unmöglich.
liebe pia, ich wünsche ihnen ganz viel kraft für diese selbstgewählte aufgabe, sie werden sie brauchen. aber sie werden auch sehen, dass es immer wieder menschen gibt denen man wirklich helfen kann und sie in die richtige richtung schubsen, das belohnt einen dann wiederum. und ein wenig lautes geschrei und geschimpfe: jo eh, gehört dazu. man darf es nur nicht persönlich nehmen, auch wenn der dolmetscher schon aussieht wie ein glühwürmchen. auch russisch ist eine, nun ja, sehr, ähem, ausdrucksstarke sprache mit recht eigenwilliger idiomatik. das muss so. wussten sie übrigens, dass es im hebräischen keine richtigen schimpfworte gibt? die arabischen sprachen sind nämlich so voll davon, dass man sich einfach aus dieser überreichen auswahl bedient …
28. Januar 2016 um 14:05
Sie sind nicht die Einzige, glauben Sie es mir. Meine Freundin ist genau in diesem Bereich auch tätig und hat die gleichen „Gedanken“. Dazu gehören „besorgte“ Nachbarn, genauso wie Badelatschen und Sommerjäckchen bei -10 Grad, Kinder die nur bei Dauerlicht schlafen können aus Angst vor Bombenangriffen und abgehackten Köpfen von Schulkameraden, Männer eines anderen Kulturkreises, die erst einmal lernen müssen, dass Frauen hier einen anderen Status haben als in ihrer Welt oder auch die von Ihnen schon angesprochene Geduld. Ja, es ist kompliziert und das wird es auch erst noch bleiben.
Das was mir Zuversicht gibt, ist der immerwährende Kreislauf dass die Flüchtlinge, Migranten und Einwanderer von heute unsere Freunde, Mitbürger und Nachbarn mit allen Rechten und Pflichten von morgen sind.
28. Januar 2016 um 14:24
Hallo Pia,
ein ganz wunderbarer Artikel, so richtig „direkt aus dem Leben“, ohne Schönrederei und auch ohne Schlechtmacherei.
Ich kann Deine Zweifel gut nachvollziehen. Lass Dich nicht „verrückt“ machen, lass „die Leute“ denken, was sie wollen, solange sie Dir nicht zu nahe treten. Dann allerdings musst Du Dich wehren. Also alles genau richtig gemacht, ich zolle Dir gerne Hochachtung!
Liebe Grüße
moni
28. Januar 2016 um 14:31
Ich bin froh, dass du so offen darüber schreibst. Und ich bin froh, dass ich durch die Arbeit bei der Kirche doch ein paar Menschen kenne und dort nun Freunde habe, mit denen ich darüber reden kann. Im Freundes- und Bekanntenkreis außerhalb der Kirche ist das nämlich nicht mehr möglich. Wenn von langjährigen Freunden im gemeinsamen Urlaub verächtliche Gutmensch-Parolen in den Raum gespuckt werden, ist das sehr verstörend. Und ich konnte an der Stelle nur schweigend und sehr getroffen den Raum verlassen (oder eher flüchten). Ich habe bis heute keine Ahnung, ob das überhaupt bemerkt wurde…
Vor allem deswegen (aber nicht nur) bin ich etwas trotzig in unseren ökumenischen Arbeitskreis Asyl eingetreten und ich freue mich auf die baldige Eröffnung unseres Cafés :-)
Bitte mach weiter und berichte. Das gibt Mut und Gewissheit, nicht allein zu sein…
Liebe Grüße
Sandra
28. Januar 2016 um 18:52
Jeden einzelnen Satz kann ich nachvollziehen! Seit es in unserer Stadt eine Erstaufnahmestelle – eine LEA – gibt, bestimmt das Thema Flüchtlinge täglich die Gespräche. Im Büro, beim Treffen mit Bekannten, zuhause.
Von Anfang an gab es die, die dagegen waren. Vor allem aus Angst um die Sicherheit im Allgemeinen und um die Sicherheit ihrer Kinder im speziellen. Und ich gehöre zu denen, die von Anfang an versuchen, gegen diese Ängste zu argumentieren. Gegen diese irrationale Hysterie, die durch jeden einzelnen negativen Beitrag in den Medien erneut angestachelt wird. Langsam bin ich müde und ertappe mich dabei, dass ich die Klappe halte, nur, um nicht wieder in einem „fast“-Streitgespräch mit Kollegen zu landen, die mich als naiven Gutmenschen bezeichnen und mich mitleidig anlächeln, weil sie es selbst einfach besser wissen. Die mir unterstellen, dass ich mir alles nur „schönrede“ und die Realität nicht sehen will. Dabei stimmt das absolut nicht. Ich habe selbst genauso Ängste, habe selbst zwei Töchter und mache mir Gedanken, in was für einem Deutschland die beiden ihr Leben werden leben müssen. Frage mich, ob der Staat wohl endlich in die Puschen kommt und endlich etwas bewegt, wo schon lange hätte was bewegt werden müssen. Ob es endlich voran geht und nicht nur „Wir schaffen das“ gesagt, sondern auch getan wird. Ich mache mir Sorgen, ob und wie die Integration gelingen wird und was passiert, wenn sich tatsächlich noch mehrere Millionen Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen, oder bereits auf dem Weg sind. Was wird mit diesen Menschen passieren? Können wir da wirklich noch helfen? Wo führt das alles hin. Nein – ich bin weit davon entfernt, KEINE Angst zu haben, bzw. alles durch eine rosa Brille zu sehen. Aber ich sehe eben keinen Sinn darin, ständig über diese Ängste zu lamentieren, schwärzer zu sehen als nötig, die Politiker zu verdammen, weil sie ja alle zu doof sind und weil eine andere Partei an der Macht ja sicher alles viel besser gemacht hätte, bzw. machen wird, usw. Die Situation ist, wie sie ist. Natürlich hätte man früher sehen müssen, was da kommt. Aber über hätte-hätte-Fahrradkette… Was soll das? Was war können wir nicht mehr ändern, auf die Zukunft müssen wir hoffen und darauf, dass die, die Verantwortung im Land haben, nun endlich das richtige tun. Das richtige, das dann alle einbezieht und einigermaßen zufriedenstellt…soweit das eben geht. Aber ich schweife ab…sorry….
Solange wir also darauf warten, was wird, helfe ich im Kleinen. Im viel kleineren als Sie, liebe Frau Mutti, aber eben in meinem Rahmen. Ich helfe bei Nähaktionen mit, nähe im Akkord Taschen oder Kindermützen, oder was eben gerade gebraucht zu werden scheint. Ich geben Nachhilfe, helfe bei der Möbelsuche oder beim Möbeltransport. Und rede nicht mehr darüber, weil ich auf der einen Seite das Stirnrunzeln der Leute nicht mehr sehen mag, das mir immer das Gefühl gibt, ich müsste mich für ein besonders dummes Verhalten meinerseits rechtfertigen und weil ich andererseits die Ausreden der Freundin nicht mehr hören mag, die bei jeder Aktion, die ich ansprach bisher irgendwelche Gründe fand, weshalb sie DABEI nun gerade nicht mitmachen wolle und dabei dann aber hin und wieder doch ein halblebiges „…aber wenn Du mich brauchst, dann sag es!“ hinten anfügte, das ich irgendwie nicht mehr so ganz ernst nehmen kann.
Und da es vorhin um meine Ängste ging, fällt mir noch etwas ein, wovor ich ganz besondere Angst habe. Nämllich davor, dass die, die viel Energie ins Mosern und Schimpfen und hysterisch-werden stecken, meinen, es wäre eine tolle Idee, bei den nächsten Wahlen die aktuelle Regierung abzustrafen, indem man Parteien wählt, die außer ein paar markigen Parolen, die momentan viele hören wollen, nichts an Konzept zu bieten haben, das dazu taugt, ein Land zu regieren, geschweige denn aus einer Krise zu führen. Ich habe Angst davor, dass die Menschen sich eine politische Situation in unserem Land schaffen, die sie im Grunde selbst nicht wollen können, nur weil ihnen vor lauter Angsthaben irgendwie ihr Hirn abhanden gekommen ist.
Wenn ich z.B. höre, dass die Freundin ja so viel Verständnis dafür hat, dass ihre Nachbarn und Freunde die A.. wählen werden, weil sie ja so viel Angst vor der Zukunft haben und weil ja nix passiert und blablabla… dann denke ich immer nur, ja, ich habe auch Verständnis für Ängste, aber nicht dafür, dass man damit Dummheit entschuldigen will.
Verflixt… ich schweife schon wieder ab. Kommt wohl daher, dass mich dieses Thema ziemlich dauerhaft beschäftigt…auch wenn ich mit kaum noch jemandem darüber reden mag.
Liebe Frau Mutti – seit Jahren verfolge ich ihren Blog. Meist ohne groß zu kommentieren. Aber ich bin sehr häufig ganz bei Ihnen (um ein beliebtes geflügeltes Talkshowzitat mal zu bemühen) und kann Ihnen in der aktuellen Situation nur sagen, machen Sie weiter! Bitte! Jeder einzelne Mensch, dem Sie damit helfen, ist es wert. Egal, wieviele Idioten es da draußen gibt, die es vielleicht nicht verdient haben.
Und wer weiß schon, was die Zukunft bringen wird. Ob nicht vielleicht wir einmal an der Stelle derer stehen, die Hilfe brauchen? Wer weiß das schon…
LG
annilu
28. Januar 2016 um 20:11
Liebe Frau Mutti
Sie machen das verdammt gut!
28. Januar 2016 um 20:13
Ich arbeite (ehrenamtlich, also unbezahlt- um es wegen des Verlaufs der Geschichte noch einmal zu betonen) in einer Kleiderbörse, in der die Flüchtlinge ihre Erstausstattung bekommen, und, wenn sie noch mehr benötigen, gegen einen kleinen Obolus auch kaufen können. Unsere Chefin ist zusätzlich auch noch Deutschlehrerin für die Flüchtlinge und kennt somit auch „ihre Pappenheimer“ ein bisschen.
Die meisten der geflüchteten Leute sind-naja, Leute halt. Wollen lernen, wollen sich anpassen- auch wenn es ihnen etwas schwer fällt. Aber es ist ja klar, es ist nicht leicht für sie. Trotzdem, sie strengen sich an.
Aber bei Deiner Geschichte von demjenigen, der seinen Wutausbruch hatte, ist mir sofort „der eine“ eingefallen, der immer in die Kleiderbörse kommt, sobald geöffnet ist. Er ist, laut Chefin, sehr faul, will nicht deutsch üben, hat aber sonst nix zu tun. Arbeiten will er, hat aber noch keine Qualifikation. Die Gemeinde hat ihm angeboten, auf dem Bauhof zu arbeiten, auch andere Flüchtlinge arbeiten dort schon. Viel verdienen kann er da nicht, aber er hätte Arbeit, die im Lebenslauf zeigt: Hat gearbeitet, ist willig. Aber: Das ist ihm zu schlecht bezahlt für die schwere Arbeit. Er will etwas leichtes tun, und dafür viel Geld bekommen. Deswegen steht er jedes mal in der Kleiderbörse und fragt, ob er da arbeiten könnte.
Es interessiert ihr auch nicht wenn wir sagen, dass NIEMAND von uns Geld bekommt. „But you love it, you don’t want money!“ sagte er da. Er könnte ne ordentliche Bezahlung aber gut brauchen.
Und dann schimpft er über Deutschland, über alles. Alles scheiße hier. Langweilig, kein Geld, alles Arschlöcher hier.
Manchmal, wenn er nicht schimpft, probiert er im Laden Kleidung an, die er nicht kauft, erwartet von uns, dass wir ihm sagen ob es gut aussieht, stopft es IREGNDWIE wieder in die Regale zurück und hat dann die Hand dauernd im Schritt. Macht dann mit seinem (stilleren) Kollegen irgendwelche Witze, guckt uns von oben bis unten an und lacht dreckig.
Dieser eine ist der Prototyp des „Asylantenpacks“, dass gewisse „besorgte Bürger“ proklamieren… und ich bin froh, dass ich ihm nur im Laden oder eben mal auf der Straße begegnen muss… (aber wie gesagt: es ist einer von sehr vielen! Aber das Negative fällt natürlich immer besonders auf…)
„Sehr schön“ ist es aber auch, die „gute deutsche“ Gegenseite zu sehen, die wir ebenfalls im Laden zu spüren bekommen- „Pfui Teufel“ Briefe, anonym und mit der Drohung, den Laden anzuzünden, wenn wir weiterhin das Dreckspack mit Almosen zuschmeißen bekommen wir auch.
Toll, wir müssen jetzt einfach vor jedem Angst haben!
Wie habe ich neulich in einem Comic gelesen?
-Ich fühle mich in meinem Land nicht mehr Sicher- nicht wegen der Asylbewerber, sondern wegen den ganzen Leuten, die plötzlich so agressiv werden, obwohl man vorher dachte sie seien sympathisch…
Man kann nur das Beste daraus machen. Das Schlechteste machen andere ja schon.
Liebe Grüße
Katha
28. Januar 2016 um 20:18
Menschen haben vor unbekanntem Angst. Ich wohne weniger als 50 km von New York City, und kenne Leute, denen es nie einfallen wuerde, nach New York zu fahren, oder, um Gottes Willen, mal UBahn zu fahren. Das ist ja gefaehrlich!
Ich hatte zwei Bekannte, die sich fest weigerten, auf der (amerikanischen!) Autobahn zu fahren.
Die Bevoelkerung hier hat auch Angst vor Einwanderern aus dem Mittelmeergebiet, dabei wird nicht die Angst ausgesprochen, dass man durch den Waffenwahn hier im Land im Kino, beim Vorbeifahren eines Autos, sinnlos getoetet werden koennte, was wirklich eine reale Angst sein koennte.
Es hat nicht jeder den Mut, sein und das Leben seiner Lieben zu veraendern, zu bereichern, in unbekannte Bahnen zu leiten.
Also, gehen sie Ihren Weg. Ihr ‚Bauchgefuehl‘ oder was immer Sie es nennen, bringt und haelt Sie auf dem richtigen Weg.
28. Januar 2016 um 20:55
Ganz pragmatisch:Mir hat das geholfen: http://www.youswear.com/
Ich hatte gehofft, es nie zu brauchen. Es war dann aber doch hilfreich und am Ende nicht für mich und meine Freunde beschämend, dass wir beschimpft wurden, sondern für denjenigen, der nie auf den Gedanken gekommen wäre, ich könnte es verstehen und ihm antworten. Seitdem hat er einen sehr schweren Stand bei seinen netten Landsleuten.
28. Januar 2016 um 20:56
Immer wieder bewundere ich es , wie gut Sie den Ton treffen und ihre Meinung und Gefühle zu sehr schwierigen Themen beschreiben. Ich finde es sehr, sehr gut, was Sie machen und es hört sich für mich auch so an, dass Sie es wirklich richtig handhaben.
Viele Grüße
Barbara
28. Januar 2016 um 23:45
Ich lese schon seit vielen Jahren hier mit, und das, was Sie jetzt tun, zwingt mich dazu, Ihnen mitzuteilen, dass Sie meine größte Hochachtung haben und ich gespannt weiter verfolgen werde, wie es läuft. Ich wünsche Ihnen sehr viel Geduld, Ausdauer, Optimismus, und immer das Bewusstsein, dass Sie damit die Welt ein kleines bisschen besser machen. Danke dafür.
Liebe Grüße
Birgitt
29. Januar 2016 um 09:08
Danke für eure Arbeit und eure wunderbaren Beiträge hier!
Liebe Grüße, Kat
29. Januar 2016 um 10:09
♥
29. Januar 2016 um 12:32
Leider hat es bei diesem Thema nie einen echten Dialog gegeben, weder politisch und offensichtlich auch kaum privat, die einen waren „gut“, die anderen „rechts“, dabei ist der Kern einer Demokratie, Meinungen zu diskutieren, dies habe ich bisher kaum erlebt. Und jetzt ist der Korken aus der Flasche und die Geister sind los. Schweigen, beschönigen, unter den Teppich kehren, Anschuldigungen sind sicherlich nicht die Antwort auf das komplexe Thema Krieg und Frieden.
1. Februar 2016 um 10:15
Danke, dass Sie so offen mit dem Thema umgehen. In der Zeitung lese ich selten so offene Berichte, weil wohl große Angst vor Hetzparolen herrscht. Dass die Probleme aber verschwiegen werden, halte ich für noch gefährlicher, weil einseitig und damit verzerrend. Da wird der leser für dumm verkauft.Deshalb nochmals Danke für die Offenheit!
Und dass Freunde verhalten reagieren, erkläre ich mir damit, dass sie beschämt sind, selbst nicht bereit zu sein zu helfen. Das kann vielerlei Gründe haben; wenig Zeit, Angst vor dem Fremden oder vor Veränderung oder vor Verantwortung, oder einfach keine Lust… Aber das will man niemandem sagen, der gerade erzählt, dass er seine eigenen Türen weit öffnet.
Liebe Grüße,
Katharina
2. Februar 2016 um 11:43
Danke ! Ich bin froh , dass es Menschen wie Sie gibt. Danke für Ihren Mut , mit dem Sie den Menschen Ihr Haus geöffnet haben. Es wird mir etwas leichter, wenn ich hier lese, dass es doch auch anders geht.
Liebe Grüße, Petra