Durchgespielt!

24. Februar 2017

Der jüngste Sohn feiert heute seinen 18. Geburtstag.

Traditionell habe ich am Abend vorher den Küchentisch mit der entsprechenden Anzahl Geburtstagskerzen geschmückt, die eine zum Älterwerden steht in der Mitte. Da die Tochter beim Feiern fehlt, legte ich immerhin die Servietten, die sie uns geschenkt hat, auf die Teller.


Die Geschenke hatte ich schon tagsüber verpackt. Nur eine einzige große Überraschung war dabei: Konzertkarten für Santiano. (man muss den Musikgeschmack der eigenen Kinder weder lieben noch verstehen. Aber ab und zu mit ihnen zelebrieren, weil es ein echtes Fest ist, das Leuchten auf ihren Gesichtern zu sehen. Deshalb gehen wir mit zum Konzert.)

Es gab das blaue Kochbuch, den das bekam jedes unserer Kinder zum 18. Geburtstag. Und wie seinen großen Geschwister auch, schenkten wir dem Jüngsten ein Photobuch voller Bilder und kurzer Stichworte zu und über seine 18 Lebensjahre. (außerdem bekam er eine Packung Chips und eine Tüte Flips, eine Anspielung auf alte Geburtstagswunschzettel, auf denen das ganz oben stand)

Der beste Vater meiner Kinder hat einen Chocolat Fudge Cake und einen Käsekuchen gebacken, der Große sorgt dafür, dass die Geburtstagsparty demnächst rund läuft.

Heute nachmittag kommen die Geburtstagsgäste, Familie und Freunde, zum gemeinsamen Kuchen essen und feiern.

Mittlerweile sind wir wirklich routiniert und entspannt, selbst wenn die Feier größer wird, weil der Anlass ein besonderer ist!

Gerührt und ein bißchen wehmütig bin ich trotzdem, aber das haben Sie sicher schon vermutet. Es ist ja auch etwas ganz  Besonderes, dass jetzt alle drei Kinder erwachsen sind! Passend dazu gab es gestern in meiner Twitterblase einige Gedanken zum Kinderhaben und damit hadern. Ich bleibe dabei: gehadert habe ich nie, aber wenn ich zur Beruhigung nur ein paar Minuten lang in die Zukunft hätte spicken können … das wäre was gewesen!

So schaue ich in die Vergangenheit und freue mich über den Weg, den wir gegangen sind.


Die ersten Lebensjahre, in denen es manchmal so schwer war zu akzeptieren, dass die Entwicklung des Jüngsten langsamer und anders als bei den beiden größeren Kindern sein würde. Diese Jahre, in denen wir auf der Suche nach Ursachen, Diagnosen und Hilfe waren, diese Jahre in denen wir schwankten zwischen „wenn es doch etwas Eindeutiges wie eine Trisomie 21 wäre, damit man einfach den irritierten Mitmenschen erklären kann, was Sache ist“ und „joa, er ist wie er ist und es wird schon werden, geht keinen was an“. Das war schwer. Gleichzeitig unsagbar witzig und bereichernd. Und für die älteren Geschwister die beste Lehre in Sachen Geduld und Toleranz.

Für den Jüngsten war es eine weitestgehend unbeschwerte Zeit. Er war einfach unfassbar niedlich und fröhlich, alle Herzen flogen ihm zu.


Die ersten drei Jahre in der Sprachheilschule waren wunderbar für ihn. Klassen mit zehn Schülern, von denen jeder sein eigenes Päckchen zu tragen hatte, so dass ein etwas langsamerer, komisch redender Junge kein Exot war. Das kam dann in den Jahren danach, als der Wechsel in die Regelbeschulung stattfand. In Klassen von 30 Kindern, in denen eine Lehrkraft allen gleichermaßen gerecht werden wollte, den Nachzüglern, den Überfliegern und denen, die unbemerkt im Mittelfeld vor sich hintreiben. In der Grundschule gab es eine pädagogische Fachkraft, die die „besonderen Kinder“ fangen und fördern sollte. Zwei Stunden in der Woche, eingesetzt in zwei Grundschulen. Eine Farce und ich könnte mich in Rage schreiben. Doch wir haben das überstanden, der Jüngste hat das überstanden und seine Sache prima gemacht! Seine Unbefangenheit verlor er trotzdem immer mehr, denn eine Entwicklungsverzögerung ist eben doof, wenn man damit irgendwie viel jünger (langsamer und naiver) als Klassenkameraden ist. Kinder sind nicht mit Absicht grausam, aber sie suchen sich Freunde, mit denen sie sich messen können. Keiner mag sich über längere Zeit mit einem Schwächeren messen.

Und so gingen die nächsten Jahre dahin. Der Jüngste fand seinen Platz und sein Glück im CVJM. Überstand die Schulzeit, fand einen Ausbildungsplatz, Sie wissen das, Sie lesen ja schon lange mit. Seine körperliche Entwicklung ist abgeschlossen, dafür steckt er jetzt psychisch mitten in der Pubertät. Das äußert sich unter anderem darin, dass er puterrot wird, wenn seine Eltern sich unziemliche Dinge sagen. Mit einer gehörigen Portion Selbsthumor kann er aber darüber kichern und wahrscheinlich ist er in ein paar Monaten durch. Ich bin sehr gespannt, welchen Sprung er dann nochmal getan haben wird!

Das fasst es übrigens ganz gut zusammen: wir waren immer gespannt, welchen Sprung er tut. Wir hatten niederschmetternde, kaum Zukunft bietende Diagnosen, aus denen ist er lachend herausgesprungen. Es gab Situationen, in denen wir kapitulierten und mit trotzig gerecktem Kinn sagten: dann wird er das halt nicht können, na und? Bis er einen Sprung tat und es doch konnte. Er machte vom mühsamen Buchstabieren einen Sprung zum Lesen von Terry Pratchetts Büchern, er sprang von „eins, zwei, viele“ bis zu den Berechnungen, die er während seiner Ausbildung und später im Beruf können muss.

Ich möchte immer noch für fünf Minuten zehn Jahre weiter spicken, würde zu gerne wissen, ob es da eine Beziehung geben wird, vielleicht sogar Kinder. Doch die Dringlichkeit, damals geboren aus Entmutigung und Erschöpfung, ist reiner Neugier gewiechen. Und die kann ich aushalten, denn ich weiß ja jetzt, dass letztlich doch alles irgendwie gut wird. Möglicherweise ganz anders, als ich das je vermutete.


Herzlichen Glückwunsch, Felix.

23 Kommentare zu “Durchgespielt!”

  1. Spontiv sagt:

    Hach! Und ich wedele weiter still mit dem Fanclub-Fähnchen und freue mich das auch hier trotz komischer Prognosen ein toller Mensch groß geworden ist. Glückwunsch zum Geburtstag.

  2. Antje sagt:

    Herzlichlichen Glückwunsch und eine schöne Vielfeierei!

  3. Sanddorndiva sagt:

    Was der Herr Spontiv sagt. Und zu dem Glückwunsch zum Geburtstag noch einen Glückwunsch zu den Eltern dazu!

  4. Sigrid sagt:

    Auch aus Sachsen die herzlichsten Glückwünsche!
    Euer jüngster gab und gibt mir immwer wieder die Zuversicht, wenn mich mal wieder die LRS des kleinen Waldkindes belastet. Eswird alle gut!
    Faszinierend finde ich ja die Variationen der Haarlänge.

  5. Kaltmamsell sagt:

    Ganz herzlichen Glückwunsch der ganzen Familie.
    (Und ihr habt schon mal einen darin, der seinen Job in coolen Klamotten macht.)

  6. Marion sagt:

    Herzlichen Glückwunsch zum 18., Felix!
    Und herzlichen Glückwunsch zu drei nun offiziell erwachsenen Kindern! ?

  7. Das Nordlicht sagt:

    Ich sitze hier mit Tränen in den Augen- was für ein wunderbarer Geburtstagspost !
    Ihnen alle herzlichen Glückwunsch zum Jubeltag und dem Jüngsten unbekannterweise ein: Gut gemacht. weiter so!

  8. Lilli sagt:

    Herzlichen Glückwunsch!
    Hier ist auch von dreien einer, der aus der Reihe tanzt, der sich nicht an Entwicklungszeiten halten wollte, der bis zum Alter von 9 keine „Diagnose“ hatte (brauchten wir für uns dann auch nicht mehr, ist nur für die Umwelt einfacher zu kapieren), der seinen eigenen, besonderen Weg gegangen ist und der uns immer wieder überrascht hat und es noch immer tut.
    Von daher kann ich Ihre Worte soo gut nachvollziehen! Mir hätte es auch gutgetan, zu wissen, dass der Fünfjährige, der kaum und unverständlich gesprochen hat, der buchstäblich nicht bis drei zählen konnte, mal ein Nachrichtenjunkie und Zahlenliebhaber werden wird, dass er sich gleichermaßen für Benzinpreise und keltische Bodendenkmäler und Pflanzennamen interessieren wird – das wäre eine tolle Perspektive gewesen. Sprechen, lesen, schreiben, rechnen – das schienen unerreichbare Ziele. Auch bei uns war die Förderschule ein Segen und ich sehe der Inklusionsgleichmacherei sehr skeptisch entgegen. Nachdem ich selber einige Jahre dort gearbeitet habe, wüsste ich nicht, wie die meisten der Kinder dort mit „normalen“ Klassengrößen und Lernbedingungen zurechtkommen sollten. Ich bin dankbar, dass unser Sohn insgesamt 14 Jahre an zwei speziellen Schulen verbringen durfte ( 2 Jahre Vorschulzeit und 2 Berufsbildungsjahre eingeschlossen).
    Glückwunsch auch an Sie als Eltern, das haben sie gut hingekriegt! :-)

  9. Seifenfrau sagt:

    Ich gratuliere auch,
    und das haben Sie wunderbar geschrieben!

    Seufz…zu gerne würde ich auch über meine Kinder schreiben, aber … da darf ich allermeistens nicht zu viel verraten.

    Liebe Grüße!

  10. maren sagt:

    Liebe Frau Mutti.
    Ich lese seit Jahren und immer still bei Ihnen.
    Der Kleine hier ist Ihrem Jüngsten so ähnlich.
    Und während wir hier im Moment wieder hadern mit der Maschinerie Schule und dem Diagnostikmarathon ohne Ziel, macht es das Herz leichter so etwas lesen zu dürfen.
    Felix, der Glückliche!
    Danke.

  11. unugunu sagt:

    Liebe Frau Mutti,

    neben einem herzlichen Glück- und Segenswunsch an die Familie eine Prognose:
    Felix wird Sie noch oft überraschen!

    Meine Tochter wird in diesem Jahr 40 und tut es immer noch.

    Lieb Grüße

  12. Wilma sagt:

    Hach, von mir auch die allerbesten Geburtstagswünsche. Feiert schön und genießt die Zeit, irgendwann sind sie alle aus dem Haus. Und zu Santiano würde ich auch mitkommen, sehr außergewöhnlicher Musikgeschmack für so einen jungen Menschen. Aber interessant, so viele Gemeinsamkeiten mit meinem Jüngsten (er liebt die 70er und 80er Hits, die Kameraden gucken da nur mit großen Augen)..
    Liebe Grüße von Wilma den Rhein herab..

  13. Jana sagt:

    Ach Mensch, nun hab ich doch wirklich ein paar Tränen in den Augen. Viele Jahre habe ich mitgelesen und -gefiebert. Sie haben, wie ich finde, eine wunderbare Einstellung zum Thema Entwicklung und Erziehung – die drei Kinder können sich glücklich schätzen.

    Alles alles Gute zum Geburtstag an den Jüngsten. Und herzlichen Glückwunsch auch an Sie und den besten Vater Ihrer Kinder. Toll gemacht!

  14. Iris sagt:

    Auch von mir die herzlichen Glückwünsche zum 18 jährigem Sohn und an den 18 jährigem Sohn. Ihre Idee mit dem in die Zukunft schauen finde ich wunderbar, auch wenn meine Kinder schon 27 und 31 sind, würde ich das auch gerne können wollen.
    Ich freue mich sehr auf Ihre weiteren Posts, ich lese So gerne bei Ihnen mit.
    Feiern Sie schön mit Ihren Lieben.
    Nordische Grüße von Iris

  15. Marion sagt:

    Herzlichen Glückwunsch!

  16. Christina sagt:

    Hach, Frau Mutti,
    das haben sie aber wieder schön geschrieben.
    Herzlichen Glückwunsch zum 18. ihrem Felix.

    Und ein Santiano-Konzert haben wir mit unserm Jüngsten auch schon besucht, weil er ein großer Fan ist. Das schöne dabei ist, das man prima mitsingen kann, auch wenn man die Texte nicht kennt, die Lieder werden so lange in Dauerschleife gespielt, bis auch der letzte „Es gibt nur Wasser, Wasser, Wasser überall“ mitsingen kann.
    Uns hat es trotzdem gut gefallen, und die machen echt ne tolle Show.

    Man muss auch mal Dinge tun, die man ohne Kinder vielleicht nicht tun würde.

    Ich würde sagen, in Sachen Kindererziehung haben sie alles richtig gemacht, sind drei richtig tolle junge Erwachsene draus geworden.
    Liebe Grüße
    Christina

  17. Sunni sagt:

    Glückwunsch, dem Sohn und den Eltern! Alles wird werden, ganz bestimmt. Sunni

  18. Antje sagt:

    Herzlichen Glückwünsch zum Geburtstag! Es ist so toll das zu lesen. Ich fand es immer sehr ermutigend hier die Entwicklung der Kinder zu begleiten, unser Sohn hat auch einige Probleme, doch es gibt Hoffnung.
    Alles Gute weiterhin für die ganze Familie!

  19. PaulineM sagt:

    Herzlichen Glückwunsch dem Sohn zum 18. und Ihnen zu Ihrem Sohn. Wenn einer so fröhlich lachen kann, dann ist ganz viel in seinem Leben gut gewesen. Das zählt.

  20. Croco sagt:

    Felix, der Glückliche! Er hat den richtigen Namen bekommen. Und wie Sie voller Verständnis über Ihren Sohn berichten, der seine eigene Geschwindigkeit in allem hat, ist ganz besonders liebevoll und wunderschön.
    Herzlichen Glückwunsch dem Sohn, und den Eltern.

  21. Evi sagt:

    Ihren Kindern herzlichen Glückwunsch zu diesen Eltern und dem jüngsten Sohn happy birthday.

  22. frau siebensachen sagt:

    alles gute dem glückskind für den weiteren weg und überhaupt!

  23. Graugrüngelb sagt:

    Ich lese ja hier schon ewig mit – als die Kinder noch lustige Namen hatten und als es hinreißende Bestien waren … ich habe immer wieder mitgelitten (damals als der Schulwechsel nicht so einfach war, zum Beispiel) und mich noch häufiger mitgefreut, wenn irgendwas gut lief. Gerade der Jüngste macht mir Hoffnung, dass es für jeden einen Weg gibt. Ich hoffe, ich kann in ein paar Jahren ein ähnlich positives Fazit meiner Erziehungszeit ziehen wie Sie.

    Alles Gute dem Jüngsten und der ganzen Familie!