Erziehen leicht gemacht

20. September 2017

Sagen Sie mal, Frau Mutti, wie haben Sie das mit ihren Kindern eigentlich so gut hingekriegt? Wie haben Sie es geschafft, dass Ihre Tochter ein Faible für MINT-Fächer hat? Wie haben Sie erreicht, dass Ihre Söhne jederzeit bereitwillig mit anpacken, egal ob im Haus oder im Garten?

Sie fragen mich das öfter und eigentlich schon seit vielen Jahren erreichen mich Anfragen nach Erziehungsratschlägen. Und weil das so ist, tue ich jetzt mal so, als würde ich einen Erziehungsratgeber schreiben. Erstens tun Bloggerinnen das früher oder später und zweitens bin ich ja fertig mit der Erzieherei und kann wohlwollend aufs Ergebnis schauen. Heißt: ich weiß total gut, wie es zu laufen hat.

Würde ich wirklich einen umfassenden Erziehungsratgeber, also einen von „Null bis fertig“, schreiben, wäre dies mein erster Ratschlag: Lesen Sie keine Erziehungsratgeber. Und auch keine Bücher, in denen steht, wann Ihr Kind was können muss. Und wenn Sie es trotzdem tun, weil das muss man halt tun, weil man will ja nix falsch machen, dann lesen Sie, suchen Sie sich aus, was Ihnen gefällt und warten Sie ab, wie sich alles entwickelt. Immer bereit, dass es ganz anders sein wird.

Säuglinge sind im Grunde genommen wirklich pflegeleicht. Ich weiß nicht, wer den Satz geprägt hat, doch ich zitiere ihn gerne und häufig, weil er so wahr ist: Das Baby wird oben befüllt, unten sauber gewischt und in der Mitte warmgehalten. Wie das geht, bekommt man in der Regel von einer Hebamme oder Säuglingsschwester gezeigt. Vielleicht auch von einer erfahrenen Mutter und vermutlich ist das die Zukunft, dass sich werdende Mütter erfahrene Mütter als Beraterinnen suchen müssen, denn Hebammen werden in diesem unseren Staate rar.

Was dann passiert, entscheiden Sie. Kein Erziehungsratgeber, kein Blog, keine (selbsternannte) Beraterin kann Ihnen vorschreiben, wie „es“ geht. Wie Sie Ihr Zusammenleben gestalten, wie und ob Sie erziehen oder nicht, ob Ihr Kind Sie siezen  oder mit dem Vornamen ansprechen muss, ob sie bis zur Volljährigkeit stillen oder nicht, ob sie im Familienbett schlafen oder Ihr Kind im eigenen Bett, in der Wiege oder der Sockenschublade schläft. Sie entscheiden, ob Sie ihr Kind in mundgesponnene Biowolle hüllen oder in Plastikwindeln kacken lassen, ob sie Brei kochen, Gläschenkost füttern oder stillen, bis das Kind „Darf ich bitte auch eine Portion Farfalle al Gorgonzola haben?“ fragt.

Sie werden feststellen, dass sehr viele Menschen eigentlich alles besser wissen als Sie und manche wissen so beharrlich alles besser, dass Sie selbst ganz unsicher werden. Das Internet ist hier wirklich Fluch und Segen, denn wenn man sowieso unsicher oder gar in Sorge ist, dass etwas gerade schief läuft, wird man mit ziemlich großer Sicherheit sehr häufig rückgemeldet bekommen, dass man zwar bemüht ist, dass aber das Kind nur dann wirklich richtig glücklich ist, wenn man alles anders macht. Und zwar genau so, wie die Person, die das analysiert hat. Und obendrauf gibt es pseudowissenschaftlich belegte Texte, die halt den Erziehungs (oder Nicht-Erziehungs)-Ansatz der ratgebenden Person als einzig richtigen Weg „beweisen“.

In meinem Ratgeber stünde:

  • Fragen Sie nie im Internet nach, wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Baby krank ist. Fragen Sie einen Kinderarzt/eine Kinderärztin! Die sind nicht böse, wenn Sie lieber einmal zuviel kommen, statt erst mit richtig schlimm kranken Baby, weil Sie vorher eine Diagnose aus dem Internet hatten, die in etwa so aussieht:“Das Baby der Cousine der Schwester meiner Freundin hatte auch ein Bläschen an der Lippe und da haben sie Muttermilch drauf gemacht und schon war es gesund. Muttermilch heilt nämlich ALLES!“
  • Finden Sie das, was allen Familienmitgliedern gleichermaßen gut tut. Wirklich allen. Auch Ihnen. Das kleine niedliche Baby hat viele Bedürfnisse, Sie aber auch und Sie müssen an sich denken, wenn Sie fit und glücklich bleiben wollen. (weil das jetzt sehr theoretisch ist, gebe ich Ihnen ein Beispiel aus unserem Familiennähkästchen, nicht ohne vorher ganz deutlich zu sagen: das war bei uns so, bei einem Kind und das hat genauso gepasst, damals, bei diesem einen Kind. Das Kind schlief zwischen uns im Bett, doch der Schlaf wurde immer unruhiger, die Abstände zwischen den Stillmahlzeiten immer kürzer, wir Eltern schliefen nicht mehr, das Kind nicht und die Stimmung sank rapide in den Keller. Wir legten das Kind in den Stubenwagen neben unserem Bett und von da an schliefen wir alle deutlich besser.)
  • Wenn Sie ein Fallbeispiel wie das, was ich Ihnen eben gab, im Internet schildern, aus welchem Grund auch immer, werden Sie sehr viele Reaktionen in der vollen Bandbreite bekommen. Es wird „Ja, bei uns auch“-Antworten geben, aber auch „die lügt doch!“-Aussagen. Man wird Ihnen aufdröseln, das das Kind letztendlich halt einfach nur resigniert hat und so leise ob seiner Verlassenheit in sein Kissen geschluchzt hat, dass wir ignoranten Eltern das nicht hörten und man hätte uns das Kind besser wegnehmen sollen, Skandal! Deshalb: stellen Sie nur dann im Internet Fragen zum Thema Erziehung, wenn Sie ein sehr dickes Fell oder jede Menge Humor haben und im Grunde genommen ziemlich genau wissen, wie sie es machen wollen.
  • Was das „Ich weiß genau, wie es laufen soll“ anbelangt: Sie werden vermutlich feststellen, dass das, was heute passte, morgen schon wieder hinfällig ist und deswegen sage ich: Erziehung ist ein ständiger Prozess, der niemals allgemeingültig ist und den man deshalb nicht richtig oder falsch machen kann.
  • Der Umgang mit Babys ist also so lange ziemlich leicht, so lange man es sich verkneift, das eigene Baby mit anderen (Wunder)Babys zu vergleichen, die selbstverständlich sprechend, laufend und mit geregelter Darmtätigkeit geboren wurden. Und von Anfang an durchschliefen, natürlich.
  • Sollte ich eine passende Beschreibung finden, für diese erste, spannende Zeit, dann wäre das: Gelassenheit. Oder Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Echt interessant wird die Erzieherei eigentlich  im Kleinkindalter, da kann man sich mit anderen Eltern erst so richtig uneinig sein!

16 Kommentare zu “Erziehen leicht gemacht”

  1. Simone Heller sagt:

    Genau Ihrer Meinung!
    Viele Grüße Simone

  2. Bine sagt:

    Ich lese bei Ihnen schon seit Jahren still mit, aber heute kommentiere ich zum ersten Mal einen Beitrag und zwar weil ich bei jeder Zeile das Bedürfnis hatte, „Stimmt genau“ zu rufen!
    Ganz herzliche Grüße an Sie und Ihre tolle Familie!

    Bine

  3. Brigitte sagt:

    Ich würde vielleicht noch hinzufügen, dass wenn Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrer Mutter haben und eine glückliche Kindheit hatten, können Sie auch mal da nachfragen. Hat sich bei mir damals sehr bewährt.
    Jetzt die Stunde der Wahrheit: das erste Enkelkind. Was wird anders gemacht als damals, was wird übernommen. Spannend.
    Lachen musste ich nur, als die Tochter sagte: „Du bleibst immer bei Mutti“…hahahahahaha. Die Tochter war zwischenzeitlich in Australien und Neuseeland, studierte z.T. in Schweden, arbeitete eine Zeitlang in der Schweiz und das fand ihre Mutti auch voll ok. Die Meinungen ändern sich, wenn die Kinder größer werden. Wir jedenfalls waren damals sehr froh, als wir das Projekt „Auswilderung“ erfolgreich abgeschlossen haben.
    Viele Grüsse Brigitte

  4. Big M sagt:

    Liebe Frau Mutti!
    Besser kann man es nicht beschreiben!
    Bin vierfache „Privat-Expertin“
    und hundertfache im beruflichen Bereich.
    Eigentlich wollte ich im www. immer nur still vor mich hin lesen und nie „die Klappe aufmachen“, aber heute kann ich mich nicht beherrschen.
    Vielleicht könnte man diesen, (Ihren) Text auf Windelpackungen oder Spucktücher drucken lassen?
    Oder gleich auf die Rückseite des Mutterpasses?
    Amüsierte und zustimmende Grüße!

  5. Iris sagt:

    Moin.
    Ich lese ihr Blog schon länger und stillvergnügt. Auch heute finde ich wieder ganz wunderbar was sie schreiben und auch wie sie es schreiben. Einen wichtigen Tipp haben sie aber vergessen, Humor. Gelassenheit und Humor, damit haben wir unsere Kinder groß bekommen und wie ich finde gut groß bekommen. Keiner von uns hat erkennbare Schäden davon getragen.
    Nordische Grüße von Iris

  6. Alexandra sagt:

    Moin,
    ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich vor 18 Jahren 1. eine wunderbare Hebamme hatte und 2. auf mein Bauchgefühl und nicht auf Andere (womöglich völlig Fremde aus dem Internet) gehört habe. Heute lese ich still lächelnd, manchmal auch fassungslos staunend von bedürfnisorientierter Erziehung, Familienbetten und Einschlafbegleitung und erpresse nebenbei unseren 14jährigen…;) Liebe Grüße aus Ostfriesland, Alexandra

  7. Ute sagt:

    Danke, Frau Mutti, danke, danke und nochmals danke!
    Ich lese hier seit Jahren still mit und bin Ihnen und den Schilderungen Ihres Familienlebens sehr dankbar, lerne ich doch so, dass was Mann und ich so an Erziehung auf unseren Kleinen „loslassen“ so schlecht noch nicht ist, denn es ist unser Weg und nicht von jemand anderem.
    Gelassenheit, Humor und gesunder Menschenverstand bringen einen um einiges weiter.
    Nochmals danke und viele Grüße aus den Niederländer

  8. Ev sagt:

    Jedes Kind ist anders. Und jede Mutter auch ;).
    Gelassenheit. Gelassenheit und Liebe. Zum Kind und zu sich selbst, das empfinde ich als ganz wichtig.
    Hatte beim Lesen den C. vor mir. C. im Sandkasten mit den anderen und den meinigen. C. der im Sandkasten immer ganz in Weiß gewandet war und nach drei Stunden immer noch ganz in unbeflecktem Weiß wieder daraus hervor kam.
    C. war das erste Kind mit einem festen, durchgetakteten Terminkalender bereits im Kindergarten. Und seine Mutter sprach, als er so 3 war, von Abitur und Studium und nähte ihm zum Fasching ein Mozartkostüm aus Brokat, das er stilecht mit weißer Mozartzopfperücke, Minigeige und schwarzen Lackschühchen trug.
    Abitur, Studium – ja, Jura – wurden wahr. Er ist nur blasser und magerer als damals im Sandkasten. Alles perfekt. Nur sein bezauberndes Lächeln, das ist spurlos verschwunden.
    Herzliche Ihnen,
    Ev

  9. fraurage sagt:

    ich dachte, ich hätte in sachen foren alles durch und alles gelesen. dann kam der hund ins haus und ich hatte das problem, das nach drei wochen keiner mehr bei ihm im wohnzimmer schlafen wollte, wie es gemeinhin empfohlen wird.

    tja. hundeforen toppen alles und ich mach es jetzt wie bei den kinder«problemen»; ignorieren und aufs bauchgefühl hören.

  10. Ingrid sagt:

    Hallo, wie schön beim Beitrag zum „Loslassen“ der Tochter, finde ich auch hier Ihre Meinung und Einstellung großartig! Viele junge Eltern sind so verunsichert und möchten von klein an ihren Kindern nichts verwehren und am besten alles mitentscheiden lassen!

  11. Ingrid sagt:

    Ich habe die Grüße vergessen! Herzliche Grüße und Danke schön für den tollen Blog Ingrid

  12. MoneBohne sagt:

    So isch ’s! :-)

    Ich würde Ihre Empfehlungen über das Internet hinaus auf Krabbelgruppen, Elternabende usw. ins „real life“ ausweiten wollen.

    Herzliche Grüße
    Mone

  13. Frau Irgendwas ist immer sagt:

    So und nicht anderes, wie beschrieben habe ich es erlebt bei den Frauen die ich Freundinnen nennen darf und denen ich, als ahnungslose Kinderlose, mit Rat und wohl oft wichtiger mit Tat und Humor zur Seite stehen durfte.

  14. Agata sagt:

    Danke Frau Mutti!!!!

  15. Daniela sagt:

    Herrlich. Ich musste grad ans ErE denken… 😂

    LG

  16. Mama nadelt sagt:

    Danke. Ich atme massiv auf. Und denke mir, daß ich, wenn meine Kinder in zwanzig Jahren sagen, daß es „ganz okay“ war, meinen Job als Mutter nicht komplett versaubeutelt habe.
    Jedes meiner Kinder ist anders und hat eigene Bedürfnisse. Da muß ich für jeden einen Weg finden. (Und dafür sorgen, daß ich kein Fall fürs Mütterverwesungswerk werde…)