gestatten: Frau Verschroben

20. Dezember 2008

Nach dem Weihnachtsfrühstück in der Klasse des jüngsten Kindes küssten wir die Kindelein, reichten ihnen ihre Übernachtungsklamotten und gaben ihnen liebe Grüße an die Großeltern mit.

„Tschüss bis Samstag!“

Ein gestresstes Elternpaar, das plötzlich gänzlich kinderlos dasteht und deshalb nicht weiß, was es mit seinen Stahlseilnerven anfangen soll, fährt noch mal schnell ins blaugelbe Möbelhaus, weil sowieso noch zwei Regalbretter für den Billy fehlen. Das entsprechende Regalfach war nämlich leer, neulich.
Ausserdem gab´s ja auch jede Menge reduzierte Kerzen. Kerzen sind wichtig, wenn es draußen suddelig, grau und ungemütlich ist. Und obendrein Weihnachten vor der Tür steht.

Die Menschenmengen hielten sich in Grenzen, offensichtlich ist das Weihnachtsgeld bereits ausgegeben. Mein (nicht existentes) Weihnachtsgeld habe ich – logisch – in Stoff angelegt. Und das, obwohl ich heroisch an der Stoffabteilung samt ihrer Restesäcke vorbeiwankte. Zum Verhängnis wurde mir die Fundgrube und die Tatsache, dass etliche „Schauzimmer“ umdekoriert wurden. In einem Einkaufswagen lagen sechs Meter Baumwollstoff in orange. Ohne Preis. Ich nahm ihn für sieben Euro mit. Etwa genausoviel Baumwollstoff in rot gab´s für sechs Euro und einem extrafreundllichen Lächeln für den netten Mitarbeiter mit dem kulanten Preisschildchendings. In einer Kiste fand ich einen grünen Samtvorhang. Grüne Samtvorhänge sind großartig hatten wir beim letzten Einkauf beschlossen und irrsinnige 60,- Euro für zwei Stück davon gelatzt. Dieser Samtvorhang kostete zehn Euro, ein weiterer, in wunderbarem orange, acht Euro. Hätte ich diese Schnäppchen liegen lassen sollen? Sehen sie. Ausserdem ist nun die „wie soll das Sofa winterlich-kuschelig werden?“-Frage geklärt.
Zur Belohnung für weitestgehende Einkaufszurückhaltung nutzen wir die Family-Mitgliedschaft mit einigen Tassen kostenlosem Kaffee aus, gemütlich in einer Ecke sitzend und Menschen beobachtend. (ich liebe das!) Als Highlight möchte ich aber die Lautsprecherdurchsage bezeichnen, die schallendes Gelächter durch das Restaurant tönen ließ: „Der kleine Leon-Raphael Schmitt sucht seine Vater. Der Kleine kann in der Umtauschabteilung abgeholt werden.“

Bis hierhin könnte man das Ehepaar R. aus N. als durchaus normal, vielleicht als ein wenig doof, weil Möbelhaus vor Weihnachten, bezeichnen.

Es folgte ein kurzer Abstecher nach Mainz, um Weihnachtsgeschenke, die es dieses Jahr eigentlich nicht geben soll, einzukaufen. Für den Großen dringend benötigte Kleidung (sehr wehmütig, da bereits mit klaren Auflagen,was geht und was nicht, und mit der Gewissheit, dass dies der letzte Klamotten-Überraschungseinkauf war) und eine Minimusikanlage, denn das Kind entdeckt Musik für sich. Andere Musik als wir sie so hören und auch in anderer Lautstärke. Die Mittlere benötigte ebenfalls Kleidung, wünscht sich zudem einen Kalender, lauter tolle Sachen und nochwas. Sie ist, mit anderen Worten, wunschlos glücklich, und wird deshalb ein wunderschönes Buch (wir blätterten neulich darin und sie war sehr begeistert und traurig, weil es zu teuer war, um es mal eben mitzunehmen) auspacken. Für den Jüngsten fehlte nur noch ein Kalender und nach den Pflichteinkäufen hätte eigentlich die Kür auf dem Programm gestanden: ein Bummel über den Weihnachtsmarkt und ein Treffen mit den Exkommilitonen des besten Vaters meiner Kinder.

Hier beginnt dann die Verschrobenheit.

Nach vier Ständen verließ uns die Lust. Vor dem Stand, der allerlei wunderliche Dinge feilbot (Silikonbackformen für jeden Geschmack in geschmacklosen Farben) sahen wir uns tief in die Augen und erklärten uns, dass wir weder Lust auf fettige Kartoffelpuffer, noch auf Menschenmassen, die uns diese auf die Jacken kleckern, oder gar auf billigen, schlechten, dafür aber maßlos überteuerten Glühwein haben. Wir küssten uns und schlenderten einträchtig zum Parkhaus.

Nur ein bißchen verschroben, denn viele Menschen meiden Weihnachtsmärkte aus den angedeuteten Gründen.

Statt heim zu fahren, suchten wir den nächsten Supermarkt (Öffnungszeit bis 22 Uhr war ideal, denn es war ja bereits halb neun) auf, begeisterten uns für Lindtschokolade in wundervollen Verpackungen (diese russische Kollektion ist eine Augenweide!), luden den größten Endviensalat den wir finden konnten in den Einkaufswagen, gruselten uns vor Kartoffelpufferteig in der Flasche, wollten uns vor weihnachtlich beduftetem Klopapier gruseln, fanden aber keines, ekelten uns ein bißchen vor der riesigen Kühltheke voller Hafermastgänsen und erstanden Mohnstollen und Croissants für das kinderlose Frühstück am nächsten Tag. Und amüsierten uns prächtig.

Im Auto musste ich dann rasch dreimal in den Mohnstollen reinbeissen.

Daheim gab es eine sehr große Schüssel Endiviensalat mit Äpfeln und Kürbiskernöl, dazu Käse-Laugencroissants und „Fluch der Karibik“, Teil 1.  Kapitän Barbossa hatte Elizabeth gerade klargemacht, dass man tatsächlich noch dürrer als sie sein kann, als mich der heimtückische Sofaschlaf niederstreckte.

So romatisch können kinderfreie Tage/Abende sein. (verschroben, wir sind verschroben)

5 Kommentare zu “gestatten: Frau Verschroben”

  1. Heike sagt:

    „grusel“..weihnachtlich beduftetes Klopapier..nee nicht wirklich oder doch?…ich weiß wo ich am Montag bei meinen wirklich letzten Einkäufen bestimmt nicht vorbeischaue…gruß Heike

  2. Evelyn74 sagt:

    Einfach HERRLICH! das! Ich finds einfach immer so nett hier! :ok:

  3. PiaPessoa sagt:

    Nun, Sie sind sicher auch recht verschroben, Frau Mutti, aber in diesem Beitrag konnte ich davon recht wenig entdecken (nun ja, der Ausflug zum blaugelben – aber sie nähen ja). Also Verschrobenheit für mein Empfinden nur vor der Ankündigung derselben.

    Wenn ich Ihnen etwas weihnachtlich beduftetes Klopapier zukommen lassen soll, sagen sie bescheid. Ich fand es gestern im Supermarkt (ich wollte ja nicht glauben, dass es so etwas wirklich gibt. Nun weiss ich: Ja, gibts. Spekulatiusduft.) So als Dankeschön für die immer wieder interessanten Einträge ih Ihrem Blog.

    In diesem Sinne: Schönen Urlaub und Frohe Weihnachten,
    Pia Pessoa

    (und nicht dass Sie jetzt meinen, ich hätte das Beduftete erworben)

  4. creezy sagt:

    Ihr könnt ernsthaft auf Weihnachtsmärkten Kartoffelpuffer links liegen lassen? Könnte ich nie! Nicht mal nach drei Portionen Grünkohl, sechs Rostbratwürsten und vier Glühweinen … ,-)

  5. ladybird sagt:

    Das hört sich doch wenig verschroben und wunderbar romantisch an. Ich finde es wunderbar,zu später Stunde durch einen großen Supermarkt zu schlendern, einfach hier und dort schauen und sich vom Angebot inspirieren lassen. Oftmals kann man bei Obst und Gemüse noch Schnäppchen machen.
    Schöne Weihnachtstage wünsche ich ihnen und der Familie.
    ladybird
    P.S. Nun auch in ihrem Blog passwortgeschützte Einträge? Nicht schlimm, wenn es für Normalos auch noch was zu lesen gibt.