Vor fünf Jahren

11. September 2006

Von ihm angeregt erinnere ich mich.

Ob der beste Vater meiner Kinder mich anrief oder ob ich die Meldung im Radio hörte weiß ich nicht mehr.
Aber ich erinnere mich daran, dass ich in strahlendem Sonnenschein auf der Terrasse stand und in den Himmel sah. Und fürchterliche Angst hatte. „Die Kinder!“, dachte ich nur, „Was ist, wenn es nun Krieg gibt?“
Und dann holte mich der Alltag mit drei kleinen Kindern ein, da musste gespielt und beschäftigt werden, gewickelt und gefüttert. Nebenbei lief das Radio. Und alles schien unwirklich.

Der Fernseher stand damals ungenutzt in der Halle, doch an diesem Abend holten wir ihn nach oben und bastelten mit einer Zimmerantenne einen leidlichen Empfang. Im Spielzimmer der Kinder, eine Matratze davor und wir sahen die Bilder der Flugzeuge, die in die Türme rasten. Und die Menschen, die aus den Fenstern sprangen.
Ich weiß, dass mir die Tränen liefen und dass mir nach lauthalsem Schluchzen zumute war. Dass ich mich aber zusammenriss, denn der Große stellte viele Fragen, die ich doch auch nicht beantworten konnte. Ulrich Wickert ist mir in Erinnerung, wie er mit versagender Stimme und Tränen in den Augen die neuesten Meldungen ansagte.

Wir saßen bis spät in der Nacht vor dem Fernseher, schalteten von Sender zu Sender, sahen immer wieder diese Bilder und ich konnte mich nicht losreißen. Im Kopf ging ich hektisch die Liste der Freunde und Verwandten durch: ist jemand gerade in New York? Kann ich die Sorge, die ich empfinde auf einen Einzelnen richten?

Die Nachricht von zwei weiteren entführten Maschinen registrierte ich nur am Rande, zu sehr hatten sich die Bilder der brennenden und einstürzenden Türme in meine Augen gebrannt. Die Menschen, die durch die Luft flogen. Was muss in ihnen vorgegangen sein? Wie verzweifelt ist man, bevor man von ganz oben springt? Was dachten die Menschen in den Flugzeugen? Wem galt ihr letzter Gedanke?

Die Angst vor Krieg oder Anschlägen begleitete mich mehrere Tage. Und das schien mir so egoistisch, denn immerhin gab es tausende Menschen, deren Kummer und Angst begründet war. Ich war verwirrt und musst für die Kinder wieder funktionieren, denn der Alltag ging normal weiter. Ein fieser Zwiespalt.

Die Militäranlage der US-Soldaten im Nachbardorf wurde in eine Festung umgewandelt, Soldaten waren überall präsent in meiner kleinen, heilen Welt.

Das blanke Entsetzen und die Angst von damals haben sich in eine Art dumpfen Schmerz verwandelt. Bilder bringen mich immer noch zum Weinen. Meine Tochter war vor drei Monaten auf der Suche nach Informationen über New York für die Schule. Wir suchten in der wikipedia und stießen auf dieses eine Video. Ich habe geheult und die Mittlere schloss sich solidarisch an. Im nachfolgenden Gespräch versuchte ich die Begriffe „Terror“ und „Attentat“ begreiflich zu machen. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist.

Bei meinem Zahnarzt hängt im Behandlungszimmer 1 ein Bild der New Yorker Skyline. DAVOR. Wir scherzen immer, der Zahnarzt und ich, dass dieses Bild bald sehr viel Wert sein wird.

5 Kommentare zu “Vor fünf Jahren”

  1. jette sagt:

    Meine Schwester und ich waren damals auf dem Darß, ein bisschen erholen. Wir saßen draußen im Eiscafé, als mein Freund mich anrief, und „beim ersten“ waren wir erschrocken über so einen schrecklichen Unfall und wie so was nur passieren kann …
    Beim erneuten Anruf kurz darauf und „dem zweiten“ waren wir entsetzt. Herrliches Wetter war, und ich seh noch die paar zufriedenen Urlauber um uns herum, von denen noch keiner irgendwas wußte. Wir liefen zur Ferienwohnung und verfolgten stundenlang fassungslos die Nachrichten.

  2. Die Rabenfrau sagt:

    Ja, es weiß wohl fast jeder, was er an diesem 11. September getan hat… Ich auch…
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  3. Dirk Frieborg sagt:

    Schön, daß Du dran denkst.
    Schön, daß Du Dir Gedanken machst.

    Aber eine Lösung oder auch nur Antworten wirst Du (wie wir alle) nicht finden.

    Ich möchte fast sagen: Also belaste Dich nicht damit.

    Ich hätt's nicht mal gewußt…

  4. Ringelstruempfe sagt:

    Ja, meine eigentlich „billigen“ Urlaubsbilder von der Skyline 1999 waeren jetzt vielleicht auch viel wert. Nur ansehen mag ich sie mir nicht mehr. Noch immer waren wir nicht da, am Ground Zero. Ich habe so schoene Erinnerungen an damals. Vorher. Irgendwann werde ich bestimmt fahren. Irgendwann wird auch unser Sohn fragen. Die Bilder bleiben fuer immer. Die Veraenderungen hier bei uns werden auch fuer immer bleiben. Aber es tut gut zu wissen, dass ueberall Menschen noch daran denken.

  5. Wörmchen/Sandra sagt:

    Ich habe 2000 bis Anfang 2001 bei einer amerikanischen Firma gearbeitet. Diese Firma hatte ein Büro im WTC – im paarundneunzigsten Stock. Ehemalige Kollegen sozusagen. Ich hatte keinen der Kollegen persönlich gekannt (hätte es aber gern). Nur geschäftliche E-Mails. Selten mal ein kurzes Telefonat mit meinem stammeligen Englisch. Und dann hab ich sie im Fernsehen springen sehen. Ich kann das nicht beschreiben…

    2003 war ich in New York, hab am Ground Zero gestanden und hab gelernt, dass man an einem Kloss im Hals beinahe ersticken kann…

    Jetzt hab ich alles andere gelöscht, was ich noch schreiben wollte… Irgendwie klingen alle Worte, die ich dazu finde, unpassend oder würden weiterer Erklärungen bedürfen. Deine Beschreibung ist sehr lebendig. Schön, wie du daran denkst :)

    Liebe Grüße
    Sandra