Sie komma die Rabenmutter

23. März 2009

Liebe Frau Ami,

ich würde Ihnen wirklich gerne einige hilfreiche Ratschläge geben. Die passenden Kügelchen nennen, die Bauanleitung eines Bioresonanzkastens schicken oder die besten Rezepte für „beam mich einfach weg“-Drinks zusammenstellen. Aber Sie ahnen es bereits: da hilft eigentlich nix.

Sie machen das gut. Wirklich.

Sie sind keine Rabenmutter, nur weil sie Ihr Kind am kleinen Zeh aus dem Fenster hängen wollen. Sie tun es ja nicht.

Sie müssen sich nicht beknackt fühlen, nur weil sie eigentlich genauso trotzig wie das Kind herumpöbeln wollen. Immerhin reizt das Kind Sie bis auf´s Blut.

Ich kann Ihnen nicht sagen: noch vier Wochen, dann haben Sie´s überstanden.

Ich kann nicht mal sagen, dass so eine Trotzphase irgendwann vorbei ist.

Ich hätte obendrein die fiese Prognose, dass aus Trotzköpfen pubertäre Rotzlöffel werden und dass sie das, was Sie jetzt lernen, nochmal brauchen werden. Allerdings für einen dann sprachlich gleichgestellten „Gegner“, der sich und sein Können obendrein noch gnadenlos überschätzt.

Liebe Frau Ami, aus diesen Trotzköpfen wachsen wunderbare, willenstarke Jugendliche heran, die nicht immer mit dem Strom schwimmen und ziemlich klar im Leben stehen. Sie werfen sich nicht mehr auf der Straße mit Händen und Füßen strampelnd auf den Boden, sondern knallen stattdessen Türen und üben den dramatischen Weltschmerz, rebellieren gegen Fahrradhelme und Schlafenszeiten, gegen warme Jacken und Schuhe, hassen Obst wegen der Vitame und bevorzugen Chips und Schokolade. Sie werden sich bei dem Gedanken ertappen, dass Sie so etwas Ähnliches doch schon mal erlebt haben?!

Haben Sie.

Und genau so, wie Sie die Trotzphase jetzt überleben werden, werden sie jede weitere Phase überstehen. Es kommen deren viele. Ich schätze, die ganze Kunst ist, das Dazwischen nicht zu übersehen. Auch die Trotzköppe sind großartige Kinder (manchmal halt auch erst dann, wenn sie tief und süß schlafen). Es hilft auch, sich ein bißchen zurück zu erinnern, an das, was man vielleicht schon bewältigt hat.

Durchatmen, joggen gehen und bloggen. Wunderbarer Ausgleich. Sie sind nicht allein!

Mit solidarischen Grüßen, immer die Ihre,

Frau … äh … Mutti

P.s.:

Was hab ich diesen Blick gehasst. DER Blick.

Gefolgt von energischem, alles zerschlagendem „NEIN!“ oder „WILL NICHT!“ oder „ALLEINE!“.
Ich wollte sie schütteln, schlagen, an der Autobahnraststätte aussetzen. Habe bereut, ein zweites (und drittes) Kind bekommen zu haben, überhaupt Mutter geworden zu sein, unfähig dieses Gör zu erziehen, ihm einfachste Umgangsregeln beizubringen.
Sie schrie nachts bis zu zwei Stunden. Einfach so. „pavor nocturnus“ wurde das genannt und ich saß im Bad auf dem Wannenrand, vor mir auf dem Boden mein kreischendes Kind, das nicht erreichbar war. Ich saß auf meinen Händen, damit ich diesem Kind nichts antat. Ich war so müde. Fühlte mich so unzulänglich. Unfähig. Wertlos.

Morgens weigerte sie sich Schuhe anzuziehen. Und die Jacke. Und die Mütze. Und sie weigerte sich zu laufen. Warf sich auf den Boden. Und die Nachbarinnen, die auf ihre Besen gestützt auf der Straße standen, tuschelten. Die andere Nachabrin fragte: „Hatte dein Kind gestern abend Schmerzen? Sie hat so geschrieen!“. Ich schämte mich. Schämte mich für mein Kind. Und für mein Versagen. Alle Kinder waren fröhlich. Nur meines bockte herum.

Es war verdammt schwer, diese rote Wut auf das Kind, auf mich, auf das Leben nicht gewinnen zu lassen. Mein Weg war, dass ich begann, kleine Geschichten über die Kinder zu schreiben. Was mich tagsüber an den Rande des Nervenzusammenbruches brachte, wurde abends zu einer locker-flockigen Geschichte. Zuerst landeten die Geschichten in einem Eltern-Forum und ich bekam Resonanz: „Ja! Kenne ich!“. Später gab´s eine kleine html-geschraubte Homepage mit Geschichten von „Ranz, Motz und Schlunz“. Und mit jeder Geschichte, die ich schrieb, schrieb ich mir Wut und Verzweiflung von der Seele.

Die Geschichten sind mir heute so sehr fremd. Auch das motzende Kind da oben auf dem Bild finde ich einfach nur noch süß und ich ertappe mich bei rosarot verklärten Erinnerungen. Insofern bin ich Ihnen sehr dankbar, liebe Frau Ami, dass Sie mir einen Blick in die Vergangenheit gewährten. Denn dieser Blick zeigt mir, dass ich doch schon einiges geschafft habe und dass ich auch die Pubertät überstehen werde. Vielleicht ein bißchen faltenreicher und mit dem einen oder anderen grauen Haar, aber ohne nennenswertere Verluste. Und mit der Gewissheit, dass es weitergeht und das Zurückschauen tröstend sein kann. Danke.

19 Kommentare zu “Sie komma die Rabenmutter”

  1. IneS. sagt:

    Danke für Ihre Sicht der Dinge. Jetzt nochmal in schriftlicher Form. Denn ich finde es immer wieder erstaunlich, wie gut es tun kann, mit jemandem darüber zu reden oder es niederzuschreiben.

    Ein herzliches DANKE, liebe Frau Mutti!

    :)

  2. ami sagt:

    ich weiss nicht was ich sagen soll. ich bin zu tränen gerührt, weil das alles so wahr ist was sie schreiben und ich denke und hoffe, so sehr hoffe, dass ich auch eines tages so ein ps. schreiben kann. ich danke ihnen von ganzem herzen für diesen post – der macht mut und gibt kraft und lässt mich schmunzeln und ein bisschen fürchten vor der pubertät:)) aber wissen sie was? in all dem rot sehen und allem dem kackelkram wenn geschrien und getobt wird: gestern nacht, als ich ins bett wankte, leicht betüttelt vom wein des vergessens – da lag ben in unserem bett. er schnarchte, die locken kringelten sich und er sah so entspannt aus. so entspannt wie kaum tagsüber. und da fiel mir etwas sehr wichtiges ein und auf: es bin nicht nur ich als mutter, die stress hat. auch er hat stress. auch ihn stresst die brüllende mutter, auch ihn stresst sein hin und her. das hat mir ziemlich geholfen.

    danke, sie liebe. von herzen danke.

    (ach übrigens….wissen sie woher ich grade komme? vom joggen. rischtisch:)

  3. Ins ♥ getroffen « Der Schäfer-Clan sagt:

    […] tut gut, zu wissen, dass auch andere Mütter die selben Probleme plagen. Schon immer geplagt haben (nachzulesen bei ihr) und auch in Zukunft plagen werden. Und das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche. Und auch das […]

  4. Britta sagt:

    liebe fr.mutti..

    mein sohnemann ist nun schon erwachsen aber wie gut kann ich mich an diese zeit erinnern..
    ach *lach* was war das manchmal ein theater..ausser *nein will nicht*hörte man nichts..wie oft ich aus dem supermarkt bin mit einem schreienden bündel unter dem arm kann man gar nicht zählen..und eins stimmt..diese phase geht übergangslos..in die Pubertät ..*ich bin erwachsen ihr habt mir gar nichts zu sagen* über.
    aber auch ich habe diese zeit überstanden..und wenn ich mir heute meinen sohn anschaue war es das alles wert ;-)

    ps..manchmal aber wirklich nur manchmal wünsche ich ihm viele kids..mit seinem starken willen;-)

    britta

  5. Patsy sagt:

    Ach ist das schön zulesen, daß es auch andere Mütter gibt die so denken.
    Meine Tochter ist mittlerweile 19, ich bin seit 17 Jahren alleinerziehend und sie war in der Pubertät gut für 3.
    Als sie 14 war hatte ich im Büro phasenweise 14-Stunden-Tage. Ich sagte ihr, sie solle zuhause ihr Zeug aufräumen. Als ich abends nach Hause kam sah es aus, als ob ne Bombe eingeschlagen hatte. Sie lag auf dem Sofa vor dem TV. Ich musste die Küche erst saubermachen um was zu Essen machen zu können. Ich habe innerlich gekocht und sie stand plötzlich hinter mir und fragte: Wann gibts was zu essen?
    Ich kam mir verarscht, nicht ernst genommen vor. Was hab ich falsch gemacht? Und als alleinerziehende musste ich jedesmal ran, ich konnte nicht sagen, geh zu Papa, klär das mit dem. Manchmal hatte ich Zweifel, ob ich die Pubertät meiner Tochter überlebe. Manchmal war ich ganz kurz davor, ihr den Koffer zupacken und sie auf immer und ewig bei Oma unterzubringen.
    Als sie Baby war habe ich mir geschworen, nie den Satz zu sagen „Solange Du Deine Füße unter meinem Tisch hast …“. Inzwischen hab ich den Satz schon mehrfach angebracht. Laut werde ich nur in ganz wenigen Ausnahmefällen, eigentlich. Doch zu der Zeit wurde ich auch mal rein prophylaktisch laut. Das hielt dann 2 Wochen und wenn die Klamottenhaufen größer wurden wusste ich, es ist wieder mal Zeit.
    Und heute? Sie ist zu einer sehr verantwortungsvollen jungen Frau herangereift mit sehr guten Schulnoten, beginnt ihre Lehre im September und kocht und putzt und bügelt.
    Es geht alles vorbei und wird gut :-)

  6. EvilEnte sagt:

    wieso habe ich jetzt das bedürfnis, meine mama in den arm zu nehmen und ihr zu danken, für alles was sie für mich und meinen bruder getan hat?

    danke liebe frau..ähh..mutti, :D danke für den blick in den kopf einer mutter, den man als „erwachsene“ tochter selten hat, da man keine Kinder hat.

  7. fuchsia sagt:

    Vielen Dank für ihre Worte. Heute rege ich mich zwar ausnahmsweise mal über alle anderen Generationen auf, außer der meiner Kinder, aber vielleicht haben genau denen auch einfach nur ermutigte Mütter gefehlt.

  8. Anett sagt:

    vielen dank für ihre worte
    tut gut, sehr gut sogar

  9. blixum sagt:

    seitdem ich eigene kinder habe, kann ich meinen eltern so einiges verzeihen!
    lg
    christine

  10. eva sagt:

    das schöne an der welt ist doch: frau ist nicht allein!
    und anstatt sich zu behacken oder konkurrentinnen zu sein, sollten wir uns wir frauen (oder auch die erziehenden männer/väter) unterstützen.
    mothers unite !!
    lg eva

  11. turkish mom sagt:

    Heute brauche ich diesen Text nicht. Heute war entspannt. Heute waren Hausaufgaben in nullkommanix erledigt, heute wurde das Zimmer zuegig aufgeraeumt, heute wurde die Tasche fuer den morgigen Schultag sofort nach den Hausaufgaben gepackt…

    Aber morgen, morgen kann alles wieder ganz anders aussehen und dann, dann werde ich wiederkommen, mir diesen Text zu Gemuete fuehren und denken; Danke, Danke, Danke… Ich wusste, ich bin nicht allein auf dieser Welt

  12. Astrid sagt:

    Wie immer finden sie die richtigen Worte! Vielen Dank dafür. Auch wir haben die Trotzphase bereits hinter uns, stecken aber leider mit beiden Füßen voll im Beginn der Pubertät;0) Ich warte nur darauf, wann sie endlich ein Buch schreiben in ihrer wunderbaren, ehrlichen, realistischen, fröhlichen Art. Würde bestimmt ein Bestseller.

    Alles Liebe
    Astrid

  13. Frau Suppenklar sagt:

    Liebe Frau Mutti, die kleinen Rotzeblitze in den Augen kenne ich von meiner Murekline SO gut. Schlimm ist, wenn sie dabei noch so oberschlau rüberkommen. Echt zum Kotzen, so ne kleine naseweise fast Vierjährige, die partout ihren kleinen dicken Stahlschädel durchsetzen will…manchmal wünsche ich die Stilldemenz zurück! Die nächtlichen Angstzustände kennen wir hier auch, mit allem, schlagen, wie abgestochen schreien und um sich treten. Hab auch schon heulend auf der Badewanne gesessen und mich ehrlich gefragt, warum man Kinder bekommt…und dann kurz vorm Durchdrehen kommt wieder so eine Phase, da läuft kurzzeitig alles rund – Krafttanken für die nächste Phase.

    Und trotz allem lieben wir unsere Murkel, weil es da so kleine Momente gibt, in denen man mächtig stolz ist, vor Liebe überfließt und lachend vor dem Kugelschreiber verzierten Flur sitzt und sich fragt, warum man das alles nicht leichter sehen kann.

    Das ist einer der Gründe, warum ich angefangen hab, in Blogs, wie dem Ihren zu lesen – man fühlt sich nicht so allein mit dem Alltag, dem Kind, dem ganzen Wurstsalat, den man täglich über den Kopf gegossen bekommt. Das beruhigt, und wenn ich jetzt aus dem Büro komme, dann kann ich leichter über die bemalte Schrankwand, die verklebten Haare und das komplette Salz im Bett hinwegsehen. Wir sind alle Menschen und das ist das Beste, was wir den kleinen Monstern zeigen können!

    Vielen Dank für die klaren Worte!

    Frau Suppenklar

  14. workingmum sagt:

    Frau … äh… Mutti – tausend Dank, so ist es tasächlich. Aber wie immer ist es gut zu lesen, dass ich (wir) nicht allein sind

  15. Susanne sagt:

    Auch von mir danke. Sind sie echt sicher, dass man das überlebt? Mein Mann meint, nein. Dabei ist unserer („nur“ ein Kind) jetzt sechs. Das gilt als einfaches Alter. Außerdem ist er auswärts brav, intelligent, ruhig, umgänglich, kreativ und alle loben ihn über den grünen Klee. Sozial verträglich ist er auch. Darüber will ich mich auch gar nicht beschweren, könnte ja ganz anders sein, aber wie soll ich bitte den Leuten erklären, dass mich das Kind den letzten Nerv kostet? Täglich seit Jahren?

    Nicht, dass ich ihn missen möchte, ich hätte es bloß gerne weniger anstrengend.

    (Ich sage mir übrigens gerade schön vor, dass nicht bei allen Kindern die Pubertät ganz schrecklich wird…)

  16. sabrina sagt:

    Nun zittern wir alle vor der Pupertät aber die ist ja noch weeeeit weg…. ich denke auch, das man über so manche Dinge später lachen kann und auch unsere Eltern haben diese schwierigen Zeiten überstanden und ich ernte heute keine bösen Blicke mehr von meiner Mutter :-)

  17. SabrinaS sagt:

    Ich atme tief durch…ich habe ja noch ein paar Jahre bis zur Pubertät meiner Jungs, wenn ich optimistisch bin 8 Jährchen. Sie sind 7 und 5, ein herrliches Alter, das mich wundern lässt, wie ich folgende Aussage vor ein paar Jahren, am Rande des Zusammenbruchs, machen konnte:

    Wenn jetzt jemand an der Türe klingelt, gebe ich ihm 10 Euro, wenn er dich mitnimmt!

    Und ja, ich liebe meine lauten, frechen und lebensfreudigen Jungs.

  18. Frau Mam sagt:

    Danke für diesen tollen Beitrag und ich bin sehr gespannt auf die Pubertät meiner kleinen „Terrorzicke“ :-))

  19. Chinomso sagt:

    Es ist überall das gleiche Drama und alle Mütter fühlen sich mal so. Aber Sie können es so schön beschreiben. Da bin ich immer wieder platt und freu mich neu, hier hin gefunden zu haben.