Rituale

9. November 2010

Ich bin schon immer ein sehr großer Fan von Ritualen. Egal ob geerbte, übernommene, angeheiratete oder neu gewachsene Rituale. Wiederkehrendes, das Halt gibt, auf das man sich freuen kann oder das einfach irgendwie dazu gehört.

Plätzchen backen in der Vorweihnachtszeit, Vorlesen vor dem Einschlafen, Kastanien sammeln im Herbst sind ganz klassische Vertreter, denke ich.

Manche Rituale verlieren sich, weil sie nicht mehr passen oder nicht mehr benötigt werden. Andere Rituale entstehen aus Ritualen. Wenn diese erzählt werden, wenn ich den Kindern erzähle, was sie früher gemacht haben, was wir früher mit ihnen gemacht haben. Dann werden diese Geschichten zu Ritualen, weil sie stets gleich erzählt werden müssen. Manche Worte müssen immer auftauchen, dramatische Pausen an der immer gleichen Stelle eingefügt werden und mit großer Spannung wird auf den Höhepunkt der Geschichte gewartet. Auch wenn den schon jeder kennt.

Ein neues Ritual schleicht sich hier gerade ein, das Dienstag-mit-Oma-Eis-Mittagessen-und-von-früher-erzähl-Ritual. Schön ist das, wenn wir da gemeinsam mit Oma Eis am Tisch sitzen und erzählen. Auch wenn dabei die Zeit zu verfliegen scheint und plötzlich nur noch sehr wenig Zeit für sehr viele Hausaufgaben übrig bleibt. Doch die Frage, was wichtiger ist, die stellt sich nicht.

*****

Plätzchen backen. Bald. Gestern erzählte ich der allerliebsten Freundin, dass ich noch unbedingt die Plätzchen-back-Beilage aus der Brigitte brauche, denn aus der letztjährigen habe ich zwei neue Rezepte übernommen.

„Lohnt sich nicht“, behauptete die allerliebste Freundin, „ich hab´s schon und das steht nix Dolles drin.“

Ich konnte das natürlich nicht glauben, denn ich weiß ja immer alles besser. Doch tatsächlich: nix Neues. Ausstechplätzchenvariationen und eine Menge Altbekanntes wie Vanillekipferl und Betmännchen. Und zwischendurch höchst merkwürdige Rezepte die mit den Worten: „Man nehme einen fertigen Sandkuchen“ beginnen. Ich bin enttäuscht.

Deshalb bleibe ich dieses Jahr ebenfalls beim Altbekannten und Bewährten.

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Zum Thema Lesen und Vorlesen: ich finde es wahnsinnig wichtig, dass Kinder lesen und deshalb haben wir eine recht ansehnliche Sammlung von Kinderbüchern. Der Große und die Mittlere haben sich auch interessiert und begeistert durchgearbeitet und sind mittlerweile in unseren Bücherregalen gelandet. Der Jüngste hingegen tut sich schwer mit dem Lesen. Schon immer. Weder das Vorlesen will richtig klappen, noch das Selbstlesen. Es mangelt nicht am Textverständnis, die Augen sind in Ordnung und genug spannende Bücher verschiedenster Richtug gibt es auch. Einzig Comics verschlingt er. Vorgelesen bekommt er sehr gerne und deshalb gehört das bei ihm auch noch immer zum Abendritual: er muss vorlesen und bekommt danach noch vorgelesen. Auf diese Weise ist er nun in die wunderbare Welt des Herrn Tolkien eingetaucht, „Der kleine Hobbit“ als Einstieg. Seit dem Wochenende hat er nun den ersten Band von „Herr der Ringe“ als Hörbuch. Und er ist begeistert. Er hört und hört und hört, mit roten Wangen und glänzenden Augen, ein Anblick, den ich nur von Töchterlein kenne, wenn sie ein neues Buch in den Fingern hat.

Und langsam beginne ich umzudenken. Beginne zu verstehen, dass Lesen nicht das Medium des Jüngsten ist. Das es ihm weder Vergnügen bereitet noch zur Entspannung führt. Und so lerne ich, dass hören genauso toll sein kann wie lesen. Hauptsache der Zugang zu anderen Welten, Spannung und Sprache ist offen.

*****

Das bescheuertste Ritual hier im Haus ist übrigens dieses „ich bin im Raum, während du Hausaufgaben machst, damit ich dir notfalls helfen kann“. Das würde ich nur zu gerne abschaffen, doch ich fürchte, es begleitet mich noch ein paar Jahre.

hmpf.

23 Kommentare zu “Rituale”

  1. Kerstin sagt:

    Liebe Frau Mutti, ich war schon mal auf der Suche nach neuen, leckeren Keks- und Tortenrezepten – vielleicht ist ja etwas für Sie dabei

    http://www.cityblick24.de/fuer-den-gaumen/weihnachtsbaeckerei.html
    http://www.cityblick24.de/fuer-den-gaumen/festliche-torten.html

    … ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, dass ich die Links eingefügt habe – können Sie auch sofort wieder rausnehmen.

    Viel Spaß beim Backen – Kerstin

  2. frau siebensachen sagt:

    ja, die kinder/menschen sind verschieden.
    es gibt eben augen-menschen, die gern lesen, und ohren-menschen, die lieber hören.
    ich denk, es ist hirnorganisch, da kannze nix maachen. (so wie männer eben ein anderes chromosom haben als frauen und deshalb manches bei ihnen eben anders läuft)

  3. Bianca sagt:

    Auch ich habe in der letzten Brigitte-Beilage nicht allzu viel neues entdeckt, dennoch die Chili-Schoko-Kekse und den Schokoladen-Ausstech-Teig schon ausprobiert und auf meiner Seite darüber berichtet. Diese beiden Rezepte sind sehr lecker und gelingen garantiert.

    Schön, was Sie da über Rituale und über’s Lesen geschrieben haben. Mein Großer liest sich gerade mit Begeisterung durch den Harry Potter Band 4, und ich freue mich wirklich unsagbar darüber, dass er den Zugang zum Lesen gefunden hat!

    Das „bescheuerte“ Ritual haben wir übrigens auch! Und auch ich empfinde es als überflüssig – der Große besteht aber drauf (allerdings auch nur, wenn ich diejenige bin, die die Hausaufgaben beaufsichtigt…).

    LG, Bianca

  4. christina sagt:

    *wissend nickend* ….ja so ist das auch bei uns, mit den Ritualen….ja, doof das mit den Hausaufgaben, aber da ist dann wenigstens Zeit dafür die Küche aufzuräumen und die Wäsche zu bügeln….das geht auch neben den Hausaufgaben und ganz ohne Mitdenken!
    Grüße von der rituellen
    Christina

  5. DüneSieben sagt:

    Das mit dem Lesen, bzw. lieber Hörbuch hören sehe ich genau so. Mein Sohn hat jahrelang nur gehört und ist darüber zum mehr lesen gekommen.

  6. majorahn sagt:

    Liebe Frau, äh Mutti.
    Sie sind ein Unikum! Ich lese gerne abends Ihre Blogbeiträge.
    Ich darf das gar nicht meinen lieben, langjährigen Freundinnen erzählen, denn die lesen am liebsten in echten Büchern! Internet – das ist nur was für Ausgeflippte, Kontaktscheue, die, die keine echten Freunde haben, behaupten sie.
    „Nein, stimmt doch gar nicht … kuck doch mal selbst. Das ist lustig, spannend, Inspiration pur!“ Das interessiert sie aber nicht. Abends ist es schön ein gutes Buch zu lesen, sich mit dem Ange(ver-)trautem zu unterhalten und und und … behaupten sie.
    Ich gebe Ihnen Frau … äh Mutti vollkommen recht, Rituale verändern sich.
    Und … Ihr Sohn ist ein kluges Kerlchen.
    Viele Grüße majorahn.
    PS: die neue Frisur: toll! Und die Farbe der heutigen Stickjacke: toll! Selbstgestrickt?

  7. fraumutti sagt:

    Frau Majorahn, neinnein, nicht selbstgestrickt. Ich kann nur Schals stricken.

  8. minibar sagt:

    Oh backen werde ich nicht viel.
    Wichtig sind bei uns die Nussecken und die Butterknöpfchen.

    Das ist ja prima, dass der Jüngste so ganz nebenbei auf eine neue Art an Literatur herangeführt wird. Echt Klasse.

    Und am nächsten Dienstag bitte ganz liebe Grüße an Oma Eis.

    Das mit der anderen Kamera ist mir sofort aufgefallen. Der Hintergrund ist Klasse, und die Frau davor sowieso ;-)

  9. Blogolade sagt:

    Immerhin haben Sie zwei Lesefreudige Kinder.

    Wenn ich auf meine Geschwister schaue, liest meine Schwester erst seit ihrem 25. Lebensjahr immer mehr (Rosamunde Pilcher und Thriller, eine interessante Mischung wie ich finde), mein großer Bruder liest einzig Bücher wo Abenteurer von Weltreisen mit dem Motorrad oder dem Leben in Kanadas einsamen Wäldern berichten.
    Der Kleine Bruder liest auch nur Comics oder Fachbücher fürs Studium.
    Meineeine hat früher tausende Bücher verschlungen, heute ist es aus Zeitgründen weniger geworden, doch am liebsten immer noch spannende Romane. Manches, was ich mag, auch immer und immer wieder :)

    (Die Tolkienreihe habe ich auch mal zu Weihnachten bekommen, aber das war so kompliziert. Ich glaube es war auch der kleine Hobbit, den ich angefangen hatte aber da wurden zu viele Personen vorgestellt dass ich nach 30 Seiten den Überblick verloren hatte)

    Sie sehen, sowas kann man nicht beeinflussen. Freuen Sie sich, dass der jüngste Bücher immerhin akustisch konsumiert. Vielleicht vielleicht fängt er irgendwann in zehn oder zwanzig Jahren doch nochmal an, die Bücher zu lesen. :)

    ….
    vielen Dank übrigens für den Einblick in Ihre Ritualwelt! Ich finde das toll!

  10. Caramellita sagt:

    Comics lesen ist gar nicht so schlecht, wie es den Ruf hat! Im Gegenteil…
    Und auch Hörbücher fördern die sprachliche Entwicklung. Wenn der Jüngste da richtig zuhören kann und sich konzentriert ist doch schon viel gewonnen. Jedem sein Ding – ich zum Beispiel schlaf bei Hörbüchern immer ein ;-)
    Einen schönen Abend!
    Caramellita

  11. Martina sagt:

    Hören ist genau so klasse wie Lesen. Das weiß ich weil ich, seitdem ich ohne Brille nix mehr lesen kann und mir das zu ungemütlich ist mit Brille, Hörbücher geradezu verschlinge. Also hören lassen, den jungen Mann. Die Geschichten werden sogar bei guten Sprechern noch besser…..

    Liebe Grüße
    Martina

  12. Frische Brise sagt:

    Das Dienstag-mit-Oma-Eis-Mittagessen-und-von-früher-erzähl-Ritual finde ich wunderbar!
    Wir haben leider keine Großeltern vor Ort, ich denke, es werden viele Geschichten verloren gehen.

  13. Leseratte 37 sagt:

    Liebe Frau äh Mutti,

    mein Großer kam auch übers Hören zum Lesen. Der kleine Hobbit war auch eines unserer ersten Hörbücher und heiß geliebt. Ebenfalls große Begeisterung haben die Eragon-Hörbücher hervorgerufen. Inzwischen liest er seit ca 1,5 Jahren auch dicke Bücher und ist im Moment bei Harry Potter 5, denn es gibt immer erst den Film zu sehen, wenn das Buch gelesen ist. Da bin ich ausnahmsweise ganz konsequent. Er hört aber doch lieber als selberlesen, alles was mit Drachen und Abenteuern zu tun hat. Gerne kann ich Ihnen eine ausführliche Liste zukommen lassen.
    Ich freue mich schon auf die Weihnachtsbächerei und muss hier mal die Favoriten abfragen.
    Liebe Grüße

    Leseratte37

  14. sudami sagt:

    Liebe Frau Mutti,

    zum Thema Lesen oder Hören: Am 25. November ist bei Ihnen in Nierstein der fabelhafte Rainer Rudloff mit einer „Lese-Performance“ zu Gast. Läuft bei uns unter geschlechtsspezifischer Lesemotivation bereits zum 7. Mal und begeistert eigentlich alle, besonders aber „jung + männlich“. Vielleicht macht das dem Jüngsten Spaß?
    Liebe Grüße aus der Leseförderfraktion der Stadtbibliotheken
    sudami

  15. asty sagt:

    Oh ja, Frau…äh..Mutti, dieses bescheuerte Hausaufgabenritual haben wir hier auch.
    Und das merkwürdigste ist, dass der Mittlere seine Hausaufgaben viel besser und schneller macht, wenn ich nicht im Raum bin. Das merken wir leider immer erst, wenn schon das grosse Geheule angefangen hat, weil er gar nichts versteht und alles viel zu viel ist und überhaupt.
    Kaum ist er dann in einen anderen Raum gegangen (die Aufgaben werden am Esstisch gemacht von allen dreien), ist innerhalb von 10 Min. alles erledigt.
    Wir arbeiten daran…………
    Liebe Grüsse
    asty

  16. julia sagt:

    ich bin auch ein wenig leser, was unteranderem daran liegt, daß ich untertags noch nie die Ruhe dazu hatte, da bin ich einfach zu wuselig, und abends schlafe ich einfach dabei ein. No chance.

    Mit Hörbüchern ist das anders. Die kann man wunderbar mit zum beispiel Handarbeiten o.ä. verbinden. Abends z.B. mit einem Strickprojekt ein Hörbuch zu hören ist einfach wunderbar.
    Das ist eine tolle Entwicklung mit den Hörbüchern.

    Meine Kinder verschlingen vorgelesene Bücher. Jeden abend geht fast eine Stunde fürs Lesen bzw Bücher gucken drauf. Ich kann mir allerdings z.B. meine Tochter irgendwo mit einem Buch lesend kaum vorstellen. Mal schauen.

  17. Frau Spätlese sagt:

    Ich hab‘ die Erfahrung mit dem Kronsohn auch gemacht – Lesen ist nicht unbedingt seins. Und die Erpressung mit ‚erst liest Du und dann lese ich‘ gibt es im Hause Spätlese auch. Trotzdem hat es damit geendet, dass ich ihm ‚Desperaux‘ fast komplett allein vorgelesen hab – ganz einfach, weil ICH unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. Trotzdem werden es wohl doch die Hörbücher werden . . . Aber es stimmt schon – Hauptsache Fantasie – egal ob gelesen oder vorgelesen.

    LG Frau Spätlese

    P.S. Und ich freu mich auch schon auf die Abschaffung des ‚bei-den-Hausaufgaben-begleiten-Rituals‘. ;-)

  18. fraumutti sagt:

    Frau Spätlese, Erpressung ist das bei uns nicht, sondern Training für ein sprachauffälliges Kind.

  19. Lakritz und Schokolade sagt:

    Was den Jüngsten betrifft (Sie wissen ja, ich mag ihn besonders), da habe ich heute morgen im Blog meines Lieblingsautors Neil Gaiman eine tolle Geschichte gelesen:

    http://journal.neilgaiman.com/2010/11/where-i-am-and-what-i-am-doing-also.html

    Einfach runterscrollen, bis Sie zu der Geschichte des Jungen namens Jared kommen. Ist ein Kommentar einer Leserin, der mich zu Tränen gerührt hat.

  20. Sylvia sagt:

    Mein buchstabenhassener Junior hat mich auch zur Verzweiflung getrieben. Es gab Zeiten, da befürchteten wir, das Kind würde niemals richtig lesen und schreiben lernen.

    Doch vor einigen Monaten hat er „Gregs Tagebuch“ entdeckt und alle 4 Bände verschlungen. Die Sprache ist zwar nicht so der Brüller, aber der Inhalt passend für Jungs in der Vorpubertät, die Schrift groß und garniert mit vielen Comics.

    Ich kann’s wirklich empfehlen als Lesestoff für Nicht-Leser.

  21. fraumutti sagt:

    Sylvia, Gregg haben wir diurch :)

  22. annicee sagt:

    oh ja, bei uns so: das donnerstags-abends-bei-oma-kaffeetrinken werde ich immer vermissen, -auch wenn ich längst erwachsen bin und die oma verstorben ist…
    das ritual hatte über 25 jahre in wechselnden zusammensetzungen bestand.

  23. Frau Spätlese sagt:

    Oje – ich bemerke eben meinen Fehler. NATÜRLICH gibt es auch im Hause Spätlese KEINE Erpressung. Selbstverständlich nicht. Bei uns gibt es die: ‚motivierende Lesekompetenzförderung‘. Selbstverständlich.
    Ich bitte mein Verschreibsel vielmals zu entschuldigen.
    ;-)
    Freundliche Grüße
    Frau Spätlese