Auf ein Neues
24. August 2009
Ich habe die ersten Schultage nach den Ferien immer geliebt.
Mindestens zwei Wochen lang war ich voll guter Vorsätze, beschriftete liebevoll und mit Herzchen verziert meine Hefte und Schulbücher, lernte meine Vokabeln, trug den Stundenplan gewissenhaft in das Hausaufgabenheft (das ich mindestens genauso gewissenhaft und ohne „fehlende Hausaufgaben“-Stempel führen wollte) ein, spitzte alle Stifte, befüllte den Lieblingsfüller (Pelikan, nach hinten schmal zulaufend wie eine Feder, schwarz, mit breiter Spitze) mit der veilchenfarbenen Tinte die angeblich nach Veilchen duftete, klemmte einen neuen, unangekauten, unbemalten, unzerbröselten Radiergummi in das Mäppchen, neben die Filzstifte, die wie ein Regenbogen angeordnet waren, schwarz und braun außen links.
Nach der Schule setzte ich mich direkt an meine Hausaufgaben, an meinen ordentlich aufgeräumten Schreibtisch. Auf dem Schreibtisch stand ein Stifteutensilo, solch ein „drei Röhren in unterschiedlicher Höhe“ – Ding, in dem das 30 cm Lineal, der Zirkel, gespitzte Ersatz-Bleistifte und solch ein Pfeifenreinigeräffchen an Pfeifenreinigerpalme auf Holzstäbchen, das mal meinem Eisbecher „Copa Cabana“ schmückte, steckten. Daneben ein Schälchen mit Büroklammern und einer leeren Patrone, in der ich die Kügelchen der anderen leeren Patrone sammelte.
„Hausaufgaben“ schrieb ich über dieselben, entweder mit dem Lineal unterstrichen oder, wenn der Lehrer nicht allzu konservativ war, eine Schlängellinie mit kontrastfarbigen Punkten im Geschlängel. Und das Datum rechts an den Rand.
Und nach den Hausaufgaben packte ich die aktuelle Lieblingstasche. Manchmal einen weinroten Aktenkoffer, manchmal ein uralter Lederranzen, manchmal eine Tasche, die ich mir aus einer alten Jeans genäht hatte und manchmal auch nur eine olle Plastiktasche, immerhin mit Erdbeeren darauf.
Die guten Vorsätze schwanden gleichzeitig mit der Motivation, die Stifte wurden nicht mehr nachgespitzt, dafür angenagt, der Radiergummi bekam erste Bleistiftbohrlöcher und mit den ersten Eselsohren in den Bücher begann auch die Zeit der morgendlichen Hausaufgaben am Bahnhof. Oder rasch vor der Stunde noch hingeknäult und abgeschrieben.
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25 Jahre später beobachte ich mit wissendem Lächeln meine Tochter dabei, wie sie ihren Schreibtisch für das neue Schuljahr dekoriert. Schaue dem Jüngsten zu, wie er liebevoll Hefte und Schnellhefter beschriftet und seine Sportsachen packt. Und lausche dem Großen, während er seine guten Vorsätze den Matheunterricht betreffend, vor mir ausbreitet.
Ich genieße es, dass die drei sich auf die kommenden Schulwochen freuen und freue mich, dass sie ihre teuren Materialien so liebevoll behandeln. Und das mache ich ganz schnell, denn schon nächste Woche kann es passieren, dass ich im Hausaufgabenheft des Großen unterschreiben muss, dass zum wiederholten Male die Hausaufgaben in Mathe fehlten. Und dass ich eine Grundsatzdiskussion mit der Mittleren führen muss, weil sieben Quadratzentimeter freie Fläche auf dem Schreibtisch nicht für sorgfältige Hausaufgaben reichen. Und was mit dem jüngsten Kind in diesem Schuljahr auf mich zukommt – ach. Ich mag noch garnicht daran denken.
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Mitgebracht bekommen habe ich heute zwei Informationszettel, die Schweinegrippe betreffend. Bei geringsten Anzeichen möge man bitte sein Kind daheim behalten, die Schule verständigen und einen Arzt aufsuchen. Anzeichen wie: verstopfte Nase. Weia. Hab ich seit Wochen. Mir wächst ein Schweinerüssel, fürchte ich.
„Ich gehe davon aus“, sprach Frau … äh … Mutti zu ihrem großen Sohn, „dass du dieses Infoblatt gelesen hast. Und dass du klug genug bist, nicht irgendwelche Symptome vorzutäuschen (was wahrhaft leicht wäre), nur um Schule schwänzen zu können.“
„Natürlich nicht!“, erwidert der Große empört, doch das „Mist, sie kennt alle Tricks!“ steht auf seiner Stirn.
Ha. Es wird ihm schwerfallen, Ausreden zum Blaumachen zu finden, ich habe die selbst alle durch. Und habe ihm sogar mal erzählt,dass ich ganz genau weiß, was passiert, wenn man ein Fieberthermometer an die Glühbirne hält.
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Während ich dies schrieb, hat das jüngste Kind das erste Kapitel seiner neuen Lektüre „Lena fährt auf Klassenfahrt“ gelesen und zwei Fragen dazu beantwortet. Und sitzt jetzt genervt vor dem Blatt, auf das er sein Lieblingsknuffeltier malen muß. Danach sind noch zehn Fragen zu beantworten und für Mathe muss er hohe Zahlen aus Zeitungen oder dem Internet suchen. Sagt er. Ich schätze, dass er in etwa einer Stunde fertig ist. Uff. Auf ein Neues, hallo Altbekanntes und für sechs Wochen Verdrängtes.
24. August 2009 um 14:34
Am ersten Schultag schon Hausaufgaben? Wei oh wei.
Noch drei Wochen, dann geht’s hier auch los — Grundsatzdiskussionen über den Schreibtisch des Mittleren (bzw. die Ordnung bzw. Unordnung) führen wir aber schon jetzt.
So long,
Corinna
24. August 2009 um 14:35
Liebe Frau..äh..Mutti,
herrlich! Gut, dass Sie das alles so schön und ausführlich beschrieben haben mit dem Schulanfang früher. So kann ich es mir sparen, denn bei mir war es genauso! Wunderbar – ich sah meinen damals heißgeliebten Bundeswehrrucksack direkt vor mir.
Schöne Grüße
Gartenliesel
24. August 2009 um 14:41
ab dem 16ten september hab ich hier auch ein schulkind! ich hoffe, das mit den guten vorsätzen ist in der grundschule noch nicht nötig. so war es zumindest bei mir. während der grundschulzeit fand ich ferien echt doof (einzelkind), das hat sich ab der 5ten gymnasium aber schlagartig geändert ;-) ihre beschreibung: toll! fühl mich grad 20 jahre zurück versetzt….
lg
24. August 2009 um 14:52
Genau so war es, vor über 30 Jahren!!! Blaue oder schwarze Tinte ging gar nicht, nein die wurde selbst gemischt, türkis, lila oder braun. Scheee wars, im Nachhinein!!!!
LG irene
24. August 2009 um 14:56
Oje, da musste ich schmunzeln. Ich habe auch immer Löcher in den Gummi gebohrt und Patronenkügelchen gesammelt, wobei ich die „Sammelpatrone“ hinten im Füller hatte, damit es schon raschelt beim Schreiben. Und wenn ich ehrlich bin, war ich aber NIE so ordentlich wie Sie. Auch in den ersten 2 Tagen nicht!
Freundliche Grüsse
24. August 2009 um 14:56
Hallo, liebe Frau..äh..Mutti,
Schulanfang ist wie Silvester: Man nimmt sich Großes vor, will ordentlich sein, alles besser machen… und die guten Vorsätze lassen dann auch schnell mal wieder nach…
Ich kenne alles, was sie beschreiben, haar-ge-nau!
Viele Grüße
24. August 2009 um 15:17
Ich könnte Ihrem Ältesten noch ein paar Tipps geben, gegen die Mütter nichts machen können…(Kopfschmerzen haben z.B. – da kann man schlecht beweisen, ob das stimmt oder nicht)..
Ich hatte auch mal eine Zeit, da habe ich nur mit türkiser Tinte geschrieben, blau war vorgeschrieben und Pflicht, vor allem in Tests, aber ich habe dann immer gesagt: „Hellblau ist auch blau“ und dann konnten die Lehrer nix dagegen sagen. Hat auch den Vorteil gehabt, dass ich immer gleich wusste, welcher Test, welches Blatt, welches Heft von mir war…Ich wünsche Ihnen und Ihren Kindern einen schönen Schulanfang,
Studentenleben
24. August 2009 um 16:40
Oh! Zumindest der erste Absatz hätte von mir sein können! Eins zu eins… und ich hab die leise Befürchtung, dass es mit dem neuen Lebensabschnitt und dem Studium ab Herbst ähnlich laufen wird.
Lieben Gruß vom Platypus
24. August 2009 um 18:53
Hach ja *in Erinnerungen schwelg*, was hab ich mich immer in der letzten Ferienwoche darauf gefreut die neuen Schulsachen, feinsäuberlich vorzubereiten für das neue Schuljahr. Diesmal doch alles von Anfang an sauber und ordentlich und regelmäßig zumachen. Der erste Schultag hat da meist schon gereicht um mich aus meinen „Wunschvorstellungs“träumen aufwachen zu lassen, was fand ich es doof gleich am ersten Tag schon Hausaufgaben aufzubekommen und dann auch immer gleich so viele und dann wurde für die kommende Woche schon der erste Test angesagt, nö.
Am meisten lies mich gerade der Satz mit der Patrone für die Kügelchen der leeren Patronen, schmunzeln. Die waren wie ein kleiner Schatz, aber mehr als sie zusammeln, konnte man damit auch nicht anstellen ;o)
24. August 2009 um 18:57
Ich hab es auch getan- aber wozu brauchte man die Kügelchen eigentlich ?!? Hab ich ’nen Allzheimer-Schub, oder gabs wirklich keinen Grund?
Erinnernde Grinsegrüße Heike
24. August 2009 um 19:20
Erst ein kleines Erinnerungstränchen weggedrückt (habe auch so gerne meine neuen Schulhefte und Bücher beschriftet und liebevoll unterstrichen ;0)
und dann ganz laut über den Schweinerüssel gelacht!
@linea: Die Kügelchen sammelt mein Kleiner auch akribisch, wehe ich schmeiß eine weg! Wozu sie gut sind? Weiß er auch nicht, aber die anderen sammeln die auch!
24. August 2009 um 20:55
Oh Sie Ärmste, immerhin bin ich Ihnen schon eine Woche voraus und es zeichnet sich ein klein wenig (WINZIG) Routine ab.
Nur noch 7 Wochen bis zu den Herbstferien ist doch mittlerweile häufig mein Gedanke.
Was ich mich frage ist: WIESO hat meine Mutter immer so oft laut und deutlich in den Ferien den Satz von sich gegeben: „Kinder, bin ich froh, wenn die Schule wieder anfängt!“ Da muss sich doch zwischenzeitlich irgendewtwas ganz gewaltig geändert haben!!!???
Mitleidige Grüße ins andere Bundesland
Gruß Uschi
P.S. Und die Perlchen in den Patronenhüllen kommen mir doch SEHR bekannt vor;-)
24. August 2009 um 21:18
ja, uns hat der (Schul)Alltag auch wieder…
liebe Grüße
25. August 2009 um 13:11
Jetzt mache ich mir doch seit gestern Mittag darüber Gedanken, was passieren kann wenn ein Fieberthermometer an die heiße Glühbirne gehalten wird. Zugegeben, ich habe das während meiner Schülerlaufbahn auch gemacht und der Trick funktionierte, meine Mutter schrieb umgehend eine Entschuldigung. Also, was kann passieren außer einem zu langen „Erhitzen“ und der damit einhergehenden unmenschlich hohen Temperatur-Anzeige? Ich bin so was von gespannt.
LG
Barbara
25. August 2009 um 18:10
Ich habe einen Schluck heißen Kakao unter der Zunge gelassen vorm Fiebermessen. Hat für glaubwürdige Temperaturerhöhungen bestens funktioniert.
26. August 2009 um 14:47
Hach, danke für die Erinnerung an Patronenkügelchen und Bleistiftbohrlöcher im Radiergummi. Sehe ich gerade deutlich vor mir und habe dabei den Geruch meiner geliebten Jute-statt-Plastik-Schultasche in der Nase.
Und ich fürchte, das mit den guten Vorsätzen wird bei mir zum Semesterbeginn in vier Wochen genauso aussehen wie in der Schule. Zwei Wochen lang wird brav in der Vorlesung mitgeschrieben und nachbereitet, und dann …