11. Juni 2020

11. Juni 2020

Weil der Gatte heute mit dem Hund rennen wollte, hatte ich den Vormittag frei und somit Zeit für ein ausgiebiges Beautyprogramm. Zu Kaffee und erster Internetrunde (Erkenntnis von dieser Runde: die Blogs kommen vielleicht langsam zurück. Also echte Blogs, solche, deren Inhalte schön zu lesen und nicht suchmaschinenoptimiert sind), lackierte ich meine Fingernägel. Sorgfältig mit Unterlack, Farbschicht und Überlack, so habe ich das im Internet gelernt. Meine Nägel sind jetzt so dick, dass ich Schlitzschrauben drehen kann. Falls ich also plötzlich ohne Werkzeug irgendwo gefangen bin, wird es ein Leichtes sein zu entfliehen. Die vielen Lackschichten haben übrigens nicht die Gartenarbeit überstanden und vielleicht wäre es ja auch klug gewesen, die Kiesel zum Beschweren der Wasserpflanzen mit Handschuhen aus dem Eimer zu klauben. DAS hat mir das Internet nicht beigebracht.

Als die Nägel aber noch hübsch aussahen, also die erste Stunde nach Lackauftrag, frühstückten wir frischen Hefezopf mit frischer Erdbeerkonfitüre, gemütlich zu dritt. Danach begann der Gatte Platz für weitere Bienenvölker zu roden, der Jüngste schob den Staubsauger durch alle Zimmer und ich widmete mich weiterhin meiner Schönheit: neue Farbe für die Haare. Frisörbesuche gehören sowieso nicht zu meinen Lieblingsevents, mit Maske derzeit noch weniger und so ist meine Frisur das Ergebnis eines beherzt angesetzten elektrischen Haarschneiders. Nicht so richtig gelungen, aber so kurz, dass ich sehr unbekümmert mit Farben spiele. Das Türkis der letzten Woche war nun sehr verblasst, neonblau wartete auf mich. Während die Farbe einwirkte (directions, übrigens), war Zeit für eine zweite Internetrunde, diesmal durch das Bilderinternet. Ich weiß gar nicht so recht, warum ich das tue – möglicherweise ist das halt so wie mit den Klatschzeitschriften im Wartezimmer: man schaut sie sich irgendwie fasziniert an. Ich blieb also hängen. Sah Schwangeren beim Bauchreiben, Kindern beim Eisessen und Babys beim niedlich Aussehen zu. Manchmal mit Werbung, meistens kombiniert mit merkwürdigen Fragen. „Findet ihr nicht auch, dass meine Kugel noch größer geworden ist?“ „Ist _das Baby_ nicht supersüß?“ und zum Baby durch die Kamera „oh, du bist SO süß!“. „Kinder dürfen irgendwelche belanglosen Fragen, die ihnen durch die Kamera gestellt werden, beantworten oder sie zeigen irgendwas. Das Spielzeug, das zu bewerben ist, zum Beispiel. Liest sich schon komisch, oder? Habe ich aber nicht erfunden oder auch nur überspitzt dargestellt. Leider.

Es gibt irrsinnig viele dieser Accounts und weil ich neugierig bin, habe ich in meiner Story nachgefragt, warum diesen Accounts überhaupt gefolgt wird, warum sie so erfolgreich sind? Was veranlasst Menschen dazu, „Boah, ja, du hast echt eine schöne Kugel!“ zu schreiben oder sich in sich überschlagenden Superlativen zu fremden Kindern zu äußern?

Zur letzten Frage bekam ich keine Antwort, vielleicht gibt es keine Schnittmenge zwischen mir und Mütteraccounts. Ansonsten ist es wohl eine Mischung aus Sensationslust, Gafferei und verschämtem Stillen von Neugier. Ich bekam etwa hundert Antworten in diesem Stil. hundertTAUSEND Menschen aber folgen diesen Accounts und bejubeln jeden noch so kruden Satz, beantworten jede „sagt doch mal, haben eure Kinder auch schon mal gepupst?-Aufforderung und überschlagen sich bei wirklich horizonterweiternden Fragen wie „Esst ihr lieber rote oder grüne Gummibärchen?“

Ach ja, ich schreibe mich in Rage, dabei ist dieses Thema so egal. Es ist so leicht, ein bißchen Wissen weiterzugeben, ein paar Geschichten zu erzählen, womöglich sogar ein bißchen aufzurütteln oder zum Nachdenken anzuregen. Stattdessen schauen sich die Menschen Lippenstift-, Tee- und Leggingswerbung an und füttern damit dieses ganze Werbungssystem, in dem Kinder arbeiten und Menschen mehr Bedeutung erlangen, als sie es je verdient hätten.

Den Rest des Tages war ich im Garten, vermied es, mich von Bienen stechen zu lassen, trank mit dem Gatten Kaffee, knuffelte Hund und Kater und knipste Blümchen-und-Bienchen-Bilder. War dann auch ok.

2 Kommentare zu “11. Juni 2020”

  1. Katharina sagt:

    Ach, ach. Was hab ich solche Texte vermisst. :)

  2. Daniela sagt:

    Als ich diese Story sah, wunderte ich mich (mal wieder) ganz gewaltig. Ich trage offenbar gut sitzende Scheuklappen. Noch nie sind mir solche Accounts auf den Bildschirm gekommen. Liegt es daran, dass ich solchen Hashtags und Accounts schlicht nicht folge? Die Frage mag jetzt blöd klingen, ist aber ernst gemeint. Ich wüsste nicht mal, dass es sowas gibt. Wären da nicht Ihre Stories. ?

    Werbung klicke ich vehement weg, gern mit Begründung. Denn da kommt ein solcher Mist daher, dass es mir die Tränen in die Augen treibt. Da werden teure, angebliche echte, Birkenstock als China Knock Off zu Spottpreisen verhökert und die Plattform merkt nicht mal, dass diese angeblich vielen Accounts ein und derselbe Spam Anbieter ist. Ganz schlimm auch die immer selbe, bekloppte, BH Werbung. Hier auch jedesmal angeblich ein anderer Anbieter.

    Accounts, die es wirklich nur auf Werbung abgesehen haben, selbst wenn sie zu meiner Zielgruppe gehören, lese ich nicht, bzw lösche sie aus meiner Liste. Ich suche Inspiration von privaten Leuten, keine Möglichkeit mein Konto zu leeren. Das klappt auch so ganz prima.

    Ich mag diese Plattform nicht wirklich. Da es aber kaum noch gute Blogs mit regelmäßigen Einträgen gibt, bleibt eigentlich nur diese.

    Irgendwo hier las ich, dass Blogs wieder im kommen sind. Den Eindruck habe ich so gar nicht. Was ich aber jetzt schon öfter gelesen habe sind Blogger, die das aussterben der Blogs bedauern und sich darüber ärgern, dass sie bei sogenannten Blogger Treffen nur auf Leute mit IG Accounts treffen. Kann ich verstehen. Ist ja nun wirklich nicht zu vergleichen.

    Gruß
    Daniela