Ein Plädoyer für die Familie

21. November 2008

Der Begriff Familie erschloss sich mir erst vor kurzem. Irgendwann, abends, mitten im zu-Bett-geh-Wahnsinn fühlte ich mich angekommen, angenommen und glücklich.
„Das ist meine Familie!“, dachte ich.

Er wisse nun, wie wichtig Familie sein, erzählte die Freundin heute beim Freitagmorgen-Kaffeeklatsch. Das habe er erkannt, ihr Vater, als er ein langes Wochenende im Krankenhaus auf den Befund wartete, der viel über die Dauer und die Beschaffenheit seines weiteren Lebens aussagen würde. Seine Kinder und Enkel waren da, seine Schwester, sogar die Exfrau mit dem neuen Mann. Alle bereit abzulenken, zu trösten, aufzufangen.
Wie wunderbar. Und wie beneidenswert. Und wie kostbar.

Familie bedeutete früher für mich: Treffen von vielen Menschen, mit denen man sich eigentlich nicht soviel zu sagen hat. Hektik, Aufräum- und Vorbereitungsstress vorher, gekünsteltes Lachen, blöde Gespräche und der obligatorische Streit. Dicke Luft hinterher.
Mein Vater hat vier Geschwister. Ab und zu besuchten die uns, zusammen mit Ehepartnern oder Lebensgefährten und Kindern. Man saß zusammen, man aß zusammen und dann erzählte man, wie das früher so war. Und dann stritt man sich, wer wessen Kaninchen wann nicht gefüttert hatte. Und dann stand einer beleidigt auf. Ich war noch ein Kind und habe vielleicht eine getrübte Erinnerung an reale Szenen. Doch das Gefühl für diesen „wir sind Geschwister, deshab müssen wir uns mögen“-Zwang und diese Gesprächspausen, die so lang und sehr still waren, weil man sich eben doch nichts zu sagen hatte … das alles ist noch im Kopf. Keine Familie. Ich habe keinen Kontakt mehr und vermisse nichts.
Von der Seite meiner Mutter aus gibt es niemanden. Sie ist einziges Kind wie ich, meine Großeltern sind tot. Es gibt weitläufige Verwandschaft, auch in fernen Ländern, doch keine Sehnsucht nach Kontakten.

Und dann sehe ich die Familie meiner Freundin. Die bei jedem Geburtstag zusammentrifft. Eltern, Stiefmütter, Stiefväter, Zieheltern, Geschwister, Cousinen, Onkel und Tanten. Man sitzt zusammen, man lacht zusammen. Gequetscht ins winzige Wohnzimmer der Freundin oder, wenn es das Wetter nur irgendwie zulässt, draußen, im kleinen Hof. Ich möchte gerne dazugehören. Auch eine solche große Familie haben, so viele Menschen, die mich auffangen, wenn es mir schlecht geht. So viele Menschen, mit denen ich feiern kann, wenn es mir gut geht.

Habe ich nun mal nicht. Und vielleicht ist es wie mit den Kirschen in Nachbars Garten, die bekannterweise immer süßer als die eigenen sind. Vielleicht sind große Familien auch eine Last. Oder nervig.
Genieße ich eben meine kleine Familie und leihe mir ab und zu mal die große der Freundin.

Ihnen ein feines Wochenende mit ihrer Familie. Wir werden diesmal überdurchschnittlich viele sein, da insgesamt fünf pubertierende Halbstarke von Samstag auf Sonntag mit dem Großen dessen Geburtstag feiern. Manchmal sind Freunde so wichtig wie Familie.

(Oh, und auf diesem Wege, weil er es bestimmt liest: Gute Besserung dem Eineiigen!)

9 Kommentare zu “Ein Plädoyer für die Familie”

  1. amidelanuit sagt:

    besonders der satz: „Manchmal sind Freunde so wichtig wie Familie“ finde ich sehr sehr wichtig. ich habe lange gebraucht um das zu begreifen. sie ersetzen einem familie nicht, aber sie geben einem eine form von familiengefühl, dass man bei seiner eigenen familie aus der man kommt nicht so findet.

  2. Brassica oleracea convar sagt:

    wir sind auch eine Patchwork Familie,wie bei Ihrer Freundin.Der Anfang war schwierig, aber heute sind wir eine tolle Truppe. Mit Ihren 3 tollen Kinder haben Sie doch schon einen Grundstein für grandiose Familienfeste gelegt. (ich habe 4 28,27,25 und 16, da ist immer was los)

    In diesem Sinne feiern Sie schön und ein schönes Wochenende :)

    liebe Grüße
    Rotkraut

  3. Claudia sagt:

    Hach… Sie sind immerhin Mutti und in kürzester Zeit (so geschätzte 10-20 Jahre) wird´s doch automatisch eine Großfamilie, wenn die lieben Kinder sich lieben und vermehren. Ich habe wg. Vaterstreß (blöde neue Frau) gerade nur eine Minifamilie (Bruder, Frau, Nichte, mein Schatz+ich) aber lieber klein und fein als gar nichts…
    Vorweihnachtsmelancholische Grüße
    Claudia

  4. Budenzauberin sagt:

    Ich behaupte mal, daß diese harmonisch-idyllischen Großfamilientreffen eine Ausnahme sind. Auf die darf man zwar auch mal ein bißchen neidisch sein, aber fragen Sie doch mal die Freundin, ob sie sich nicht manchmal, nur hin & wieder, ein klitzekleines Bißchen mehr Ruhe bzw. weniger Leute um sich herum wünscht. Mit weniger Terminen, die die „Verpflichtung“ der gegenseitigen Besuche ja oft mit sich bringt.
    Und: wenn es darum geht, Menschen um sich herum zu haben, mit denen man das Leid halbieren und die Freude verdoppeln kann, spielt es meiner Meinung nach keine Rolle, ob man es mit Familienmitgliedern oder Freunden erlebt.
    Den Vorteil, den ich darin sehe, ist: meine Freunde kann ich mir aussuchen. Meine Familienmitglieder (und damit meine ich natürlich nicht meine Kinder und meinen Mann :D) nicht.

    Antwort von Frau … äh … Mutti:

    Klar ist die Freundin ab und zu genervt, klar wird in dieser Familie sogar übereinander gelästert oder die Stirn gerunzelt. Was mich beeindruckt und auch neidisch macht, ist dieses bedingungslose zueinanderstehen, wenn es nötig ist. Der eine war krank und voller Sorge und alle anderen waren einfach da.

    Ich finde das so großartig!
    (kenne ich so nicht. Versuche es aber zu leben, in meiner "neuen" Familie und mit den Freunden)

  5. peppinella sagt:

    Hm…liebste Frau…äh…Mutti….Ich denke, sie sind glücklich, so wie es ist. In allen Ihren geschriebenen Worten sehe ich das pure Familienglück, so wie es sein soll: humorvoll und souverän…seien Sie glücklich damit

  6. zaraffel sagt:

    also ich kann mit der familie meines mannes ehrlich gesagt als familie nicht viel abgewinnen, weil die leider selber garnicht wissen was familie bedeutet. meinerseits sind wir nur noch eher eine kleine runde..1 schwester+kind+mann, meine ellis und 1 opa + 1 omma…aber am wohlsten fühl ich mich in meiner eigenen kleinen familie hier zu hause… ;)

  7. Sven sagt:

    Japp, diese Familie ist auf Ihre eigene Art was ganz großes! :)

  8. MINERVA sagt:

    Worte, die mir bekannt vorkommen. Zum Glück hab ich eine kleine Herkunftsfamilie, mit der ich beide Seiten kenne: das anschweigen und das glücklich beisammensein. Manchmal wünsch ich mir auch das große Nest – doch ich hab es nicht. ich kann nur versuchen, meiner kleinen familie wäre und geborgenheit zu geben und ihr ein hort zu sein.

  9. vauka sagt:

    Ja, sie ist großartig – diese Familie. Und ich möchte sie nicht missen!

    Antwort von Frau … äh … Mutti:

    :-)

    (bis zum Weihnachtsblasen)