Freud und Leid
9. September 2010
Donnerstage sind besondere Tage.
Die Kindelein essen bei den Großeltern, ich muss nicht kochen. So kann ich ohne Zeitdruck tun und lassen was ich will, kann mir selbst statt morgens vernünftig zu frühstücken, einfach um halb zwölf ein vorgezogenes Mittagessen zubereiten, ohne für fünf kochen zu müssen. (Was mir im Übrigens sehr schwer fällt, mal eben eine kleine Portion zu kochen, den kleinsten Topf zu benutzen und nach drei Kartoffeln mit dem Schälen auf zu hören) Kann in Ruhe vor mich hinwurschteln, egal ob kreativ oder haushaltend.
Also kann ich behaupten, dass der Donnerstag ein Luxustag ist.
Aber.
Gegen Abend werden Donnerstage immer sehr intensiv und traurig. Dann nämlich, wenn die Kindelein wieder heimkommen und erzählen müssen, aufarbeiten müssen, was sie bei Oma und Opa erlebt haben. Letzten Donnerstag versuchte ich die Frage „Ist sie traurig, weil sie nicht mehr sprechen kann?“ zu beantworten. Wir redeten über die Vorteile von Urnenbestattungen und über Rollstühle, die Treppen steigen können. Über Geräte, die Schleim absaugen und über die Krankheit, die dies alles notwendig macht. Über Einsamkeit und Isolation, über Abschiednehmen und Erinnerungen. „Ich weiß nicht mehr, wie ihre Stimme klang“, sagen sie und das sticht ganz tief drinnen und lässt Tränen in die Augen schießen.
Trotzdem und auch deswegen wird es diese Donnerstage geben, bis es sie nicht mehr geben kann.
Der Tod gehört dazu, genauso wie die Geburt. Das sagt sich so leicht. Und alle Sprüche die es noch so gibt. Mittendrin zu stecken, unbefangen zu reden und zu erklären, zu stützen und auch zu trösten, das ist schwer. Doch wir haben uns entscheiden, alle Fragen zu beantworten, nichts zu verheimlichen, „schonungslos offen“ zu sein.
Man hadert und verzweifelt. Und manchmal will man auch, dass alles einfach vorbei ist. Egal wie.
Zum Glück ist der Mensch wohl so gebaut, dass ihn diese dunklen Momente nie lange begleiten. Lachen und Glück erobern sich ganz schnell wieder ihren Platz. Und das ist auch gut so.
9. September 2010 um 12:50
Ja, liebe Frau…äh…Mutti, solche Donnerstage sind wertvoll und kraftzehrend zugleich, denke ich.
Nicht mehr zu wissen, wie die doch so vertraute Stimme klang…schwer, schlucken müssen und eigentlich gar nichts dazu sagen können.
Genauso aber geht das Leben seinen Gang weiter, nimmt keine Rücksicht auf emotinale Leidgefühle, geht weiter in seinem Kreislauf von Leben, Leben enden lassen, neues Leben wird entstehen. Die Natur lebt es uns vor.
Herbstgrüße Ihnen!
P.s. Die Spiegelbilder sind toll! Besonders das gestrige hat mir gefallen und ich wüsste endlich, wozu ich so eine lange Strickjacke kaufen könnte – ich glaube allerdings doch leider, dass sich das dann im Rolli nicht so gut macht. Hm. Aber träumen…schön.
9. September 2010 um 13:08
Nehmen Sie sich Ruhe und schließen Sie die Augen. Dann kommt auch die Stimme zurück und Sie haben das Gefühl was schönes erlebt zu haben.
9. September 2010 um 14:01
Das ist wirklich traurig. Kennen Sie die „Erzähl mir dein Leben“-Bücher? Die Oma wird vielleicht nicht mehr schreiben können, aber der Opa doch wohl? Diese Bücher stellen Fragen zum Leben und bieten viel Platz für die Antworten.
Vielleicht mag der Opa eines ausfüllen, evtl. zusammen mit den Kindern, die können dann gleich sagen was sie festgehalten haben wollen. Und wenn die Oma sich noch irgendwie verständigen kann, kann sie auf ihre Art auch noch mitmachen und weiss das die Kinder eine bleibende Erinnerung haben werden.
Ich habe meiner Oma so ein Buch geschenkt (um es später zurück zu bekommmen), sie kann leider nicht mehr gut schreiben. Aber sie liegt nächtelang wach, weil ihr alte Geschichten einfallen an die sie Jahrzehnte nicht gedacht hat. So erlebt sie ihr Leben noch einmal und ist ganz glücklich darüber.
9. September 2010 um 14:09
Wie kommen Sie auf sowas? Manche RatSchläge sind Schläge. Abgesehen ist die Situation von Kindern eine andere als die von Erwachsenen.
9. September 2010 um 14:11
Sorry – Mein Kommentar bezog sich auf Kirstin.
9. September 2010 um 16:51
hut ab, das macht ihr aber großartig.
mehr darf ich nicht schreiben, denn das thema ist so sensibel. aber ich finde es großartigst, dass hier so ein trauriges thema mal nicht ausgegrenzt oder abgespalten wird.
es gibt nichts schlimmeres, wenn einer sich nicht wirklich verbaschieden kann!
liebe aufmunternde grüße, eva
9. September 2010 um 16:56
Ich finde es toll, dass Sie Ihren Kindern die Welt zeigen wie sie ist und für ihre Großeltern ist der Donnerstag bestimmt auch ein ganz besonderer Tag!
9. September 2010 um 17:50
Ach, Frau, äh, Mutti…
Ich umarme Sie mal, wenn ich darf!
9. September 2010 um 18:08
ich zieh den hut vor ihnen… ♥
9. September 2010 um 20:21
Seit längerer Zeit ebenfalls in einer vergleichbaren Situation, bin ich mittlerweile eher zu der Überzeugung gelangt, dass es für die Angehörigen eines Menschen besser ist, Zeit zum Abschiednehmen zu haben. Ob für den Betroffenen selber die gegenteilige Variante nicht vorteilhafter ist, bleibt dahingestellt …
Ich denke an Sie und Ihre Familie.
9. September 2010 um 20:32
Das hat mich sehr berührt. Ich finde es toll, wie Ihr die Situation handhabt und schicke unbekannterweise herzliche Grüße. Melanie
9. September 2010 um 20:47
auch wenn es noch so schmerzlich ist, ist diese art des umgangs und abschiednehmens doch die allerallerbeste!
es sind intensive erfahrungen, die zu ganz wertvollen erinnerungen werden, seien sie gewiß. und die kindelein werden es ihnen danken, daß sie es sie haben miterleben lassen, statt drumrum zu reden und zu verheimlichen.
was die stimme angeht: vieleicht kann die oma noch summen, einfache lieder, mit und ohne die kinder. das dann aufzunehmen wäre eine möglichkeit der erinnerung an die stimme.
ich denke an sie!
9. September 2010 um 21:37
Ohweh!
Aber sowas gehört wirklich zum Leben dazu.
Ganz klar.
Und man soll echt nichts verheimlichen, das bringt nichts.
Offenheit ist das Vernünftigste, eigentlich immer.
Nun wisst ihr also, dass es den Abschied in mehr oder weniger absehbarer Zeit geben wird. Das ist schon eigentartig, so konnte ich es nie erleben.
Ich wünsche gute Gefühle trotz aller Trauer.
10. September 2010 um 08:21
Sie machen das mit ihren Kindern großartig. Sie haben ein Recht darauf, dass man auch in dieser situation ehrlich zu ihnen ist. als unser Großer erlebte, dass unser Kleiner tadkrank war, hat er auch danach gefragt, wie lange er ihn noch um sich haben wird und wir haben ihm ehrlich geantwortet, dass sein Bruder nie erwachsen sein würde. Der Große war damals 10 Jahre alt und heute, als Erwachsener, sagt er mir immer wieder, wie wichtig es ihm war, das zu erfahren und zu wissen, weil er dadurch die wenige verbliebene Zeit mit seinem Bruder sehr intensiv gelebt hat. Und der Abschied, so schmerzlich er dann auch war, kam nicht so völlig unerwartet…
Ich wünsche ihnen Kraft und möchte sie unbekannterweise umarmen. Gunilla
10. September 2010 um 15:40
Ich finde es richtig und wichtig, dass die Kinder lernen, dass auch Abschied nehmen und Tod zum Leben nun mal dazu gehören.
Wir „leben“ das hier auch jeden Tag. Wir haben einen großen Sohn, der seit 2001 durch einen OP-Fehler im Wachkoma liegt und er lebt bei uns zu Hause und wird von uns gepflegt. Und wir haben einen (bald) 3jährigen Sohn. Der es nicht anders kennt und damit aufwächst. Und natürlich kommen jetzt auch manchmal schon die ersten Fragen, warum der große Bruder krank ist und nicht sprechen kann. Aber wir gehen damit auch ganz ehrlich um. Was sollten wir auch anderes tun? Es schönreden geht wohl kaum. Und sicherlich werden die Fragen, wenn der Kleine noch etwas älter ist, auch noch konkreter werden.
Andererseits wurde mir jetzt von einer Erzieherin im Kiga gesagt, dass der Kleine sehr mitfühlend gegenüber den anderen Kindern ist und man jetzt schon seine soziale Kompetenz erkennen würde.
Ich denke einfach, er ist damit bisher aufgewachsen, er kennt es nicht anders. Für ihn ist das ganz normal und er geht damit ganz unbefangen um.
Ich hatte mal im Rahmen einer Spendenübergabe eine Rede zu dem Thema gehalten. Wer Interesse daran hat, kann gerne hier http://www.hannelore-kohl-stiftung.de/rat_hilfe/erfahrungsberichte/danielle_klatt.html
nachlesen. Aber Achtung!!! lang….
Herzliche Grüße unbekannterweise.
Daniele
12. September 2010 um 13:46
Ja, das macht ihr richtig, finde ich. Ich weiß noch, der letzte Besuch bei Oma, mit meinem Bruder und seinem Söhnchen. Oma wusste nicht mehr, wie der Kleine. heißt, war aber sehr glücklich, ihm beim Rumtoben zusehen zu können. Mein Bruder und ich wussten, dass das der Abschied ist und wir haben ihn ausgekostet. Als Oma ein paar Tage später friedlich starb, waren wir zwar sehr traurig, aber innerlich ruhig. Wir sind immer noch dankbar dafür, dass wir bei beiden Großeltern die Zeit zum Abschied hatten.
Ich denke an euch.