spontane Regredienz
24. November 2006
So lautet die abschließende Diagnose.
Warum das jüngste Kind sich drei Stunden in Bauchkrämpfen krümmte ist nicht ersichtlich. Keine Entzündungsswerte, keine erhöhte Temperatur, eine weiche Bauchdecke, keine Geräusche in der Lunge, nichts, nada, niente.
Die Ärztin in der Uniklinik sagt: „Ich weiß es nicht. Er hatte was, das war nicht zu übersehen. Jetzt ist es weg. Spontane Regredienz. Wiedervorstellung bei erneutem Auftreten.“
Ich gehe jetzt in mein Bett zurück und bin gespannt, wie sich das Schonen weiterhin gestaltet.
blutige Details II
24. November 2006
wegen postoperativer Benommenheit nicht mehr mit der übersichtlichen minutiösen Einteilung.
Frau … äh … Mutti und ihr knurrender Magen lagen friedlich und weitestgehend schmerzfrei im Bett und alles hätte so schön sein können, wenn da nicht diese Ärztin gewesen wäre, die sagte: „Vielleicht kann ich ihnen in einer Stunde einen Zwieback und ein bißchen Tee schicken lassen!“
„Ich hab doch nix mit´m Magen!“, mault Frau … äh … Mutti und schielt begehrlich nach der Thermoskanne, die der beste Vater meiner Kinder am Morgen extra abgefüllt hatte: ein Drittel Kaffee, zwei Drittel Milch, so wie sie es mag, die Frau … äh … Luxusweib.
„Vielleicht heute abend eine Scheibe Toastbrot“, sagte die Folterärztin und verließ vorsichtshalber das Krankenbett.
Der beste Vater meiner Kinder packte die Thermoskanne zurück in seine Tasche, genauso wie die extragroße Tüte Taccos, die auch nicht in den Schonkostplan passen.
„Die Kaki und die Schokoriegel kannste dalassen!“, fordert Frau … äh … Mutti, besorgt um die Notreserve.
Der beste Vater meiner Kinder verließ schließlich sein nölendes Weib und dieses schlummerte sanft ein. Beim Aufwachen verspürte Frau … äh … Mutti das dringende Bedürfnis, eine Toilette aufzusuchen. Und zwar so richtig: aufstehen, hingehen, draufsetzen, entspannen. Kommen Sie mir nicht mit Bettpfannen, mit denen kann ich nicht.
Frau … äh … Mutti klingelt die Schwester herbei: „Ich geh dann mal auf Toilette!“
„Moment, ich begleite sie!“, sagt die Schwester, die Frau … äh … Mutti bis zur Schulter reicht.
„Geht schon“, sagt Frau … äh … Mutti und verhedert den Kochsalzlösungsschlauch aus der rechten Hand mit dem Wunddrainagenschlauch aus der linken Achsel, während sie schwungvoll in ihre Hausschuhe springt und dabei versucht, das Flügelhemd nicht zu verlieren. Die Krankenschwester wuselt ihr in den Füßen herum und wenn Frau … äh … Mutti tatsächlich umgefallen wäre (Fragen Sie mal irgendwen im Krankenhaus nach meiner Größe und meinem Gewicht. Ha!), gäbe es eine neue Patientin mit fiesen Quetschungen.
Die Toilettentür befand sich drei wackelige Schritte von Frau … äh … Muttis Bett. Die Schwester wartete vor der Tür und half dann Frau … äh … Mutti aus dem Schlauchknäuel zu steigen. „Das nächste Mal dürfen Sie alleine gehen!“, sagt die Krankenschwester und es hat den Anschein, dass sie leicht angestrengt ist, von Frau … äh … Muttis Hilfsbereitschaft und Mitarbeit.
„Haben Sie denn Hunger?“, fragt die Krankenschwester, die scheinbar nicht über das Grollen aus der Magengegend hinweg hören konnte.
Darauf vertrauend, dass auch hier die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut, orderte Frau … äh … Mutti ein Mittagessen. Immerhin war sie stabil genug, um ggfs. allein kotzen gehen zu können. Zu Testzwecken (wie belastbar ist der Magen) verspeiste Frau … äh … Mutti einen Schokoriegel, bevor sie Selleriesüppchen, Schweinenackensteak natur, Salzkartoffeln, Speckbohnen und Pfirsichjoghurt bekam. Und noch einen Schokoriegel.
Nach dieser leichten Mahlzeit setzte die große Krankenhaus-Langeweile ein. Das Schmerzmittel, das direkt nach der OP verabreicht worden war, wirkte noch wunderbar und Frau … äh … Mutti fühlte sich sehr gesund. Doch scheinbar wird der Krankenhausluft irgendein Beruhigungsstoff zugesetzt: sowie man sich länger als eine halbe Stunde im Krankenhaus aufhält, wird man automatisch müde. Und so dämmerte Frau … äh … Mutti bis zum Abendesen vor sich hin. Las eine halbe Seite, schlief eine Viertelstunde. Und so weiter.
Zwischendurch dachte Frau … äh … Mutti, dass sie sich garantiert wohler fühlen würde, wenn sie etwas ordentlicher bekleidet sei. Die aufregenden Strümpfe durften nicht ausgezogen werden, aber das neckische Höschen und das Flügelhemd hatten wohl ausgedient. Mit Snoopy auf dem Hintern und dem „Evolution“-Shirt vom besten Vater meiner Kinder fühlte Frau … äh … Mutti sich tatsächlich wohler, so dass es ihr beinahe gelungen wäre, die Wunddrainage aus der Wunde zu reissen. Der darauffolgende Schmerz prügelte alle überschäumende Aufmüpfigkeit wieder in den Keller und Frau … äh … Mutti legte sich so brav, wie es sich für eine Frischoperierte gehört, ins Bett.
Als letzter Höhepunkt des Tages ist der Besuch der Nachtschwester zu nennen, die mit betont fröhlicher Art die Zimmertür aufriss, an das Bett der armen Frischoperierten rumpelte und schallend eine Gute Nacht wünschte. Frau … äh … Mutti erbettelte sich eine Schmerztablette (die sie auch bekam) und dann folgte eine eher unruhige Nacht. Zwar allein im Zimmer, aber als Bauch- oder Seitenschläferin auf den Rücken gefesselt ohne rechten erholsamen Schlaf.
Und so war Frau … äh … Mutti wach und munter, als um sieben Uhr drei Schwestern das Zimmer stürmten. Eine Schwester bohrte ein Ohrthermometer in Muttis Ohr, eine zweite nahm den Blutdruck und die dritte jagte die Thrombosespritze in Frau … äh … Muttis zarten Schenkel. Danach musste das Bett gemacht werden und die Lernschwester durfte auch mal probieren. Frau … äh … Mutti lächelte verständnisvoll beim dritten Versuch der Lernschwester, irgendwann muss sie es ja lernen. Schade, dass die Tür nicht zu ist. Aber soviel ist ja garnicht los, da draußen auf dem Gang, und wer will schon Frau … äh … Mutti in pinkfarbener Snoopy-Unterhose sehen? Der ältere Mann der seinen Urinbeutel neben sich herschleift als er an der Tür vorbeigeht, schaut jedenfalls betreten weg.
Kurze Zeit später wird das Frühstück serviert und noch bevor Frau … äh … Mutti die Zeitung gelesen hat, erklärt ihr eine Ärztin, dass die Wunddrainage schon morgen gezogen wird.
„MORGEN?! Ich dachte, ich gehe heute heim?“, Frau … äh … Mutti ist ehrlich entsetzt.
„Na, dann schau ich mir mal die Wunde an“, sagt die Ärztin und rupft zwanzig Quadratzentimeter Pflaster und Haut unter Frau … äh … Muttis Arm ab. (und quer über die Brust und von den Rippen). Die Wunde sieht ganz gut aus, erfährt Frau … äh … Mutti. Die Ärztin will mit einem anderen Arzt Rücksprache halten, aber vorher wird noch der Zugang aus der Hand gezogen. Das übernimmt die Krankenschwester, während die Ärztin gleichzeitig am linken Arm Blut abnimmt. „Bitte abdrücken!“, sagen Ärztin und Krankenschwester gleichzeitig und Frau … äh … Mutti dankt wem auch immer für hypermobile Gelenke. (Aufgabe: drücken Sie mit dem Daumen der linken Hand auf die Mitte ihrer rechten Hand, während sie mit Zeige- und Mittelfinger der rechten gleichzeitig ihre rechte Armbeuge drücken. Ganz einfach!)
Zwanzig Minuten später öffnet die Ärztin erneut die Zimmertür, strahlt Frau … äh … Mutti an und sagt: „Ich habe gute Nachrichten! Sie dürfen heim!“
Vorher wird die gerade frischverpflasterte Wunde nochmals freigelegt, die Wunddrainage wird gezogen (tiiieeef einatmen!) und ein abschließender Ultraschall gemacht. Alles Bestens. Frau … äh … Mutti erhält Pflaster zum Wechseln, einige Instruktionen (schonen, schonen, schonen), verspricht weder anzuschwellen noch zu bluten, zieht sich an, packt ihren Kram, sagt den Schwestern Tschüss, bezahlt zwanzig Euro an der Abmeldung und wartet dann auf dem Parkplatz auf den bereits verständigten besten Vater meiner Kinder.
Daheim warteten Bett, Mandarinen und der ganze Verwöhnservice. Und ein Päckchen aus Berlin von ihr mit diesen herrlichen, miefigen Lush-Kugeln. (und die halten ja auch noch eine zeitlang, weil Baden geht vorerst noch nicht.)
Frau … äh … Mutti drückt sich die nächsten Tage im Bett herum, lässt sich verwöhnen und hofft, dass das jüngste Kind, welches gerade von seinem Vater vom Training abgeholt wird, nicht ernstlich krank wird. Der Trainer hat nämlich angerufen und gesagt, dass der Kleine schlimme Schmerzen in
der Seite hat. Hatten wir das nicht erst neulich?
Ich hoffe nicht, hier in nächster Zeit eine weitere Krankenhausgeschichte erzählen zu dürfen.
Blutige Details
24. November 2006
Aufgrund bohrender Nachfragen wird Frau … äh … Mutti einen Blick in ihr Krankenhausköfferchen gewähren: zwei pinkfarbene (Frau Jette, ich musste an Sie denken) Höschen, ganz ohne String dafür mit angedeutetem Bein und Snoopy auf dem Hintern. Zwei Paar dicke Socken (Frau Miest, ein Paar von Ihnen). Eine pinkfarbene Schlumberhose. Zwei T-Shirts vom besten Vater meiner Kinder, weil schön weit. Zwei Trägerhemden, falls das mit den T-Shirts nicht geht. Kulturbeutel, zwei Bücher (Moers, „Die Stadt der träumenden Bücher“ und Hornby, „A long way down“), Handtücher, den iPod, Geldbeutel, Handy.
Donnerstag morgen,
7:00 Uhr:
Frau … äh … Mutti quält isch aus ihrem kuscheligen Bett, in dem sie die ganze Nacht lustige Träume von sämtlichen Krankenhausserien hatte, die sie jemals in ihrem Leben sah. (die etwas intensivere Szene mit George Clooney wird hier allerdings nicht anschaulich beschrieben)
Unfairerweise serviert der beste Vater meiner Kinder keinen Kaffee und eine gewisse Mürrischkeit macht sich breit.
7:15 Uhr:
Mit dem Köfferchen im klammen Händchen steht Frau … äh … Mutti mit ihrem jüngsten Kind am Straßenrand und wartet auf die Schulbusfahrerin, die sich just an diesem Morgen verspätet. „Stau!“, entschuldigt sich die Busfahrerin fünf Minuten später.
7:54 Uhr:
Das war jetzt die achte rote Ampel.
8:06 Uhr:
Frau … äh … Mutti betritt Zimmer 310 und betrachtet die erotische Krankenhauskleidung, die für sie bereit gelegt wurde: ein in unschuldigem weiß gehaltenes Hemd mit sündigem Rückenausschnitt, nur gehalten von einer neckischen Schleife im Nacken. Dazu ein weißes Nylonhöschen in Pantieform, verbirgt nichts. Ausserdem weiße, halterlose Strümpfe mit einer neckischen Öffnung an der Fußspitze (Zeh-ouvert).
Leider lag die Kamera daheim, so dass es kein aufregendes Bild gibt.
8:45 Uhr:
Frau … äh … Muttis Magen knurrt. Und das ist sehr affig von ihm, weil er sonst auch nichts um diese Zeit bekommt. Ausser dem zweiten Viertelliter Kaffee. Der Magen des besten Vaters meiner Kinder knurrt solidarisch mit.
9:30 Uhr:
Die Tür öffnet sich und eine Schwester teilt mit, dass die Operation etwa kurz nach elf stattfinden wird.
Sie führt eine Frau ins Nachbarbett und hängt ihr einen Chemotropf an. Frau … äh … Mutti fühlt sich sofort sehr viel gesünder.
10:00 Uhr:
„Dann geh halt was essen!“, sagt Frau … äh … Mutti zum betsen Vater meiner Kinder, als dessen Magen immer lauter knurrt. Und tatsächlich lässt der treulose Mann sein leidendes Weib zurück.
10:30 Uhr:
Es geht los. Eine asiatische Schwester, die knapp über das Bett schauen kann, schiebt Frau … äh … Mutti in den Aufug. Im Aufzug befinden sich drei weitere weißgekleidete Menschen, die sich um das Bett drängen und freundlich auf Frau … äh … Mutti herablächeln. Der Aufzug fährt zwei Stockwerke nach oben und drei weitere Menschen drängen sich um das Bett. Vier Stockwerke nach unten, aber da wollte niemand hin. Ein weiteres Stockwerk nach unten und zwei Leute steigen aus. Und dann geht es nochmal ganz nach oben, die asiatische Schwester hat diesen Knopf garantiert nicht gedrückt, kalauert Frau … äh … Mutti äusserst schwarzhumorig und völlig lautlos vor sich hin.
Irgendwann ruckelt der Aufzug ins richige Stockwerk und das Bett samt schlechtgelauntem Inhalt wird in den Vorraum des Vorraums des OP-Raumes geschoben.
10:45 Uhr:
Die asiatische Schwester verabschiedet sich und Frau … äh … Mutti muss auf eine Art Servierplatte aus Edelstahl klettern. Die Platte war aber beheizt, so dass das nicht so schlimm war.
10:47 Uhr:
Kaum auf der Servierplatte heimisch gefühlt, musst Frau … äh … Mutti runter auf eine schmale Pritsche. Die Schwester, die beim Rüberrollen assistierte, verhinderte mit vollem Körpereinsatz, dass Frau … äh … Mutti schwungvoll von der Pritsche auf den Boden krachte. Mutti samt Pritsche wurden in den Vorraum gefahren.
10:49 Uhr:
„Hallo, wir sind für die Narkose zuständig!“ sagten zwei Augenpaare über grünem Papier zu Frau … äh … Mutti.
„Wollen Sie andere Musik im OP?“, fragte das eine Augenpaar.
„Äh? Höre ich denn überhaupt Musik in der Narkose?“, Frau … äh … Mutti war verwirrt.
„Nö, aber es steht zwei zu zwei. Wir wollen was Fetzigeres und wir dachten, dass SIE die entscheidende Stimme geben würden.“
Mozart war eigentlich ganz hübsch, aber da Frau … äh … Muttis Leben buchstäblich in den vier Händen dieser Männer liegen sollte: „äh, fetzig ist gut?“, stammelt Frau … äh … Mutti und bekam zur Beruhigung ein kleines Becherchen voll BÄH!-Saft zur Neutrlisierung der Magensäure.
Eine Blutdruckmanschette wurde um den rechten Knöchel geschnallt, ein Zugang in die rechte Hand gebohrt, ein Pulsmesser über den rechten Zeigefinger gestülpt und EKG-Saugnäpfe auf die Schulterblätter geklebt. „Dann mal los!“, sagte eines der Augenpaare und schob Frau … äh … Mutti in den OP. Und bevor diese richtig Angst bekommen konnte, wurde über den Zugang etwas gespritzt, das ein wunderbar warmes, weiches Gefühl machte und alles war gar nicht mehr schlimm. Dann kam das zweite Mittel und Frau … äh … Mutti schlief ei …
12:45 Uhr:
„Ah, da sind sie ja!“, sagte die Schwester im Aufwachraum.
„hmmm“, nuschelte Frau … äh … Mutti.
„Geht es ihnen gut? Ist ihnen übel?“
„n-n, hmm.“, Kopfschütteln ist auch nicht leicht.
„Alles ist gut gegangen, in zehn Minuten bringen wir sie auf Station“
„rüh-ück?“, Frau … äh … Muttis Stimme kommt noch nicht mit ihren Wünschen mit.
13:00 Uhr
Zurück auf Station und der beste Vater meiner Kinder behauptet, Frau … äh … Mutti sei nicht verwirrter als sonst.
Lesen Sie im zweiten Teil, wie Frau … äh … Mutti im Krankenbett nahezu verhungert, in Schwesternbegleitung die Toilette aufsucht, sich der Krankenhauskleidung entledigt und weitere „spannende“ und „mitreissende“ Geschichten. Jetzt erst eine kurze Pause.
(ist das schön, wieder eine Tastatur auf dem Bauch zu haben!)
Im eigenen Bett
24. November 2006
ist es sehr nett.
Bin daheim. Sehr müde, ziemlich verkrampft noch und mit einem Hauch Krankenhausduft umweht. Tippen geht derzeit nur einhändig, das ist sehr mühsam, deshalb hebe ich mit die blutigen Details für später auf.
Ich versprach der netten Ärztin weder anzuschwellen noch zu bluten, mich mindestens eine Woche ganz und gar zu schonen und etwa sechs Wochen langsamer zu machen. Noch schmerzt die Wunde, noch fällt mir dieses Versprechen leicht.
Morgen kann das ganz anders aussehen ;-)
In diesem Sinne: Schlafenszeit, bis später.
Wieder daheim!
22. November 2006
Allerdings nur bis morgen früh um acht. Zwischen neun und elf irgendwann wird es ernst. Danke für Wünsche und Krankenhausmodetipps, ich habe immer noch nicht gepackt und werde dies auch nur sehr sparsam tun … WEIL: ich wahrscheinlich nur EINE Nacht im Krankenhaus bleiben muss. Wenn nicht eines der vielen „Wenns“ eintritt.
Wollen Sie lesen, wie mein Tag heute war? Na gut.
Als engagierte Patientin stand Frau … äh … Mutti um halb neun, eine halbe Stunde vor Termin, im Foyer der Klinik.
„Was muss ich denn jetzt machen?“, fragte sie die freundliche Dauergewellte an der Information.
„Sie misse in de dritte Stock nuff!“, sagte diese und Frau … äh … Mutti stieg in den Aufzug.
Im dritten Stock rannte Frau … äh … Mutti prompt in die Stationsschwester hinein und wurde daraufhin wieder nach unten geschickt, zur Anmeldung.
Die dunkel gefärbte Dame mit der komischen Unterlippe an der Anmeldung befragte zu solch intimen Daten wie Familienstand, Beruf und Konfession und erklärte Frau … äh … Mutti nun als hochoffiziell aufgenommen: „Morgen müssen sie dann direkt auf Station!“
Zurück auf Station bot man Frau … äh … Mutti einen Platz an der Sonne an, einen Stuhl vor dem bodentiefen Fenster, durch dessen Ritzen es wie Hechtsuppe zog. „Sie müssen einen Moment warten, die Ärzte sind noch bei der Visite.“
Mittlerweile war es Viertel nach neun.
Um halb zehn kam eine Schwesternschülerin mit einem Fragebogen: Wieviel trinken Sie am Tag? Welche Speisen bevorzugen Sie? Wie groß sind Sie? Wie schwer? Welchen Beruf üben Sie aus? Welcher Konfession gehören Sie an? … Moment! Kann die das nicht nachlesen? Das wurde doch schon beantwortet?!
Der Blutdruck war ok, der Puls auch.
Frau … äh … Mutti durfte wieder Platz nehmen. Viertel nach zehn kam ein zwar junger, aber nicht allzu attraktiver, Arzt mit einem schwächlichen Händedruck.
Wie alt sind Sie? Wie groß sind Sie? Wie schwer sind Sie?
Ausser diesen originellen Fragen musste Frau … äh … Mutti Auskünfte über vorangegangene Operationen geben und erklären, warum sie überhaupt da ist. (Äh. Lesen Sie doch einfach den Überweisungsschein?!) Anzahl der Geburten, Anzahl der Fehlgeburten, erster Tag der letzten Regelblutung, Allergien, Herz, Nieren, Leber, Lunge vorhanden?
Er zapfte einen guten Liter Blut, drückte Frau … äh … Mutti einen Pinkelbecher und einen Zettel für´s EKG in die Hand und sagte. „Bis später!“
Frau … äh … Mutti suchte die Besuchertoilette, pinkelte beim zweiten Anlauf in den Becher, trat den Becher beim Anziehen fast um, balancierte die Plörre ins Schwesternzimmer und machte sich auf den Weg nach unten zum EKG.
Nach nur zwanzig Minuten Wartezeit und anderthalb Brigitte-Heften durfte Frau … äh … Mutti Pulli und BH nach oben strippen. Saugnäpfe wurden aufgepappt, tief Luft holen, Luft anhalten, weiteratmen, fertig. (Holla, das geht ja schnell, ich bin fast fertig.)
Zurück auf Station drei und auf den harten Stuhl am zugigen Fenster. Halb elf.
Viertel vor elf wurde eine wimmernde Frau durch den Flur geführt (laaangsaaaam, immer schön einen Fuß vor den anderen!) und die große Vorfreude auf die Operation veflüchtigte sich schlagartig. Halb zwölf.
Eine Anästhesistin drückt Frau … äh … Mutti einen Narkoseaufklärungsbogen in die Hand, ein Fragebogen ist auszufüllen. Frau … äh … Mutti verrät ihr Geschlecht, ihr Alter, ihre Größe und ihr Gewicht und kreuzt ansonsten meistens nein an. Die Sache mit dem Zahnersatz bringt sie kurzzeitig ins Schleudern, weil da doch einige Kronen sind. Viertel vor zwölf.
Die Anästhesistin holt Frau … äh … Mutti in ein stilles Kämmerlein, befragt sie zu Alter, Größe und Gewicht, hört Herz und Lunge ab und vertieft sich dann in den ausgefüllten Fragebogen. Einen Blick in den Mund möchte sie werfen, sie will das viele Gold glänzen sehen. „Wie weit können Sie denn den Mund öffnen?“, fragt sie und Frau … äh … Mutti überlegt kurz, ob der Weg zur Achselhöhle durch den Hals führt, aber das hat was mit der Beatmung zu tun. Mund so weit auf wie es geht und der Kiefer knackt so, wie er es dann immer tut. „WAS WAR DENN DAS?“, keucht die Anästhesistin und Frau … äh … Mutti erzählt die lange Geschichte von Kieferorthopäden, zerstörten Zähnen und Luxationen. Die Anästhesistin vermerkt: Achtung: Kieferluxation möglich. („Hatte ich noch nie!“, sagt sie, aber das dient nur ihrer Beruhigung.)
Zurück auf´s Stühlchen.
Eine Krankenschwester bietet Frau … äh … Mutti ein Mittagessen an, aber die denkt ja immer noch, dass sie gleich fertig ist. Nein, danke.
Viertel nach zwölf ist der Chirurg eingetroffen und bittet ins Gynäkologenzimmer. (wie alt, wie groß, wie schwer) Frau … äh … Mutti macht nach Aufforderung den Oberkörper frei, legt sich auf die Liege und wird geultraschallt. „Das kennen Sie ja schon!“, sagt der Chirurg und dann sagt er lange Zeit nichts mehr. Das war etwas unheimlich. Schließlich sagt er: „Oha!“ und das war noch unheimlicher.
„Sie haben eine tischtennisballlgroße Wucherung des Drüsengewebes, das muss raus!“
(richtig, deshalb die Anwesenheit hier)
„Aber das ist sehr selten, da muss ich mich beraten.“ Sprach´s und Frau … äh … Mutti ging an´s Fenster.
Viertel vor eins wird Frau … äh … Mutti vom jungen, nicht so attraktiven Arzt zur OP-Besprechung gerufen:
„Solch eine Wucherung ist sehr selten,“, sagt er, „da muss sorgfältig gearbeitet werden, von einem erfahrenen Arzt, weil man nicht weiß, welche anatomischen Veränderungen darunter stattgefunden haben.“ Frau … äh … Mutti verfärbt sich. „Wir schneiden die Achselhöhle längs auf, schälen großzügig aus und geben die Wucherung dann in die Pathologie. Die schauen, ob das Gewebe verändert ist.“ Frau … äh … Mutti verliert die Farbe. „Derzeit sieht das nicht so aus, aber die können auch sagen, ob sich das vielleicht irgendwann verändern könnte.“
Desweiteren erzählt er, was alles NICHT garantiert werden kann: unter anderem, dass das Ding nicht wieder wächst. Und dass kein Taubheitsgefühl im Arm auftritt. Und dass es nicht zu Lähmungen kommt. (aber das ist ganz selten!).
„Wie ist es denn mit den Nähten?“, fragt Frau … äh … Mutti, „Ich bin da nämlich ein bißchen empfindlich und habe da immer fiese Entzündungen. Ich glaube, ich bin da allergisch oder so.“
„Das gibt es eigentlich nicht, Allergien auf Nahtmaterial.“, behauptet der Arzt, „Die Entzündungen kommen durch die Verletzung an unsauberen Gegenständen. Bei einer Kopfplatzwunde, zum Beispiel, wenn man sich den Kopf anhaut, wimmelt es da ja von Bakterien.“
„Und warum war dann mein Knie nach beiden OP´s heftig entzündet? Da wurde doch sauber genäht?“, stichelt Frau … äh … Mutti, „Oder bei der Krampfadern-OP. Da war auch jeder Stich das ganze Bein runter entzündet.“
„Hm,“ sagt der Arzt kleinlaut, „Dann sind sie wohl gegen Nahmaterial allergisch. Das ist aber selten. SEHR selten. Wir werden das berücksichtigen. Wurde eigentlich schon ein EKG geschrieben?“ versucht er abzulenken. Als Frau … äh … Mutti dies bejaht und ihm anbietet, ihm ihr Alter, ihre Größe und ihr Gewicht zu verraten, verabschiedet er sie bis morgen. Da war es dann Viertel nach eins.
Fazit: Frau … äh … Mutti hat was Seltenes (nein ein paar Seltene!), das/die sie nun bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit erzählen kann. (Weißt du noch, damals, als ich diese Wucherung hatte). Aber das ist irgendwie auch nix Neues, weil mit dem Knie, das war damals auch so selten, dass der Arzt sogar ein Plastikknie zu Hilfe nehmen musste und später veröffentlichen durfte. Aber das ist eine andere, mindestens genauso spannende Geschichte, die ich Ihnen erzählen werden, wenn ich a) dies
e OP überlebe, b) die Geschichte dieser OP ausgiebigst im Blog reflektiert habe und c) mal gar nicht weiß, was ich sonst noch schreiben könnte.
Bis vielleicht Freitag. Oder so.