Zeugnistag
30. Januar 2015
Traditionell blieb die Küche kalt, der Italiener buk für uns Pizza. Seit dem allerersten Zeugnis, das der Große damals heimbrachte bis zum letzten in … Jahren werden wir diese Tradition hochhalten.
Überraschungen gab es keine. Der Jüngste hat in Mathe eine zwei geschafft, die wiegt dreimal so viel wie die vier in Deutsch und Hey! Hab ich es schon erwähnt? Er hat einen Ausbildungsplatz! Zurücklehnen darf er sich nicht, denn die Versetzung muss schon noch klappen. Aber er strengt sich an, das reicht.
Die Tochter hat in Mathe auch eine zwei, was sie schon ein bißchen ärgert, denn hauptsächlich hat sie Einsen in ihrem Zeugnis stehen. Das sieht schon sehr cool aus, dieses Streberzeugnis und wenn ich Ihnen jetzt erzähle, welchen Preis solch ein Zeugnis kostet, verzeihen Sie vielleicht Ihrem Kind die eine oder andere nicht so dolle Note.
Ehrgeiz ist gut. Der Wunsch, gute Leistungen zu bringen, sich zu bilden, voranzukommen, ist toll. Ich freue mich sehr, dass die Tochter nicht die lässige Einstellung zum Lernen mit ihrem großen Bruder teilt. Unglücklicherweise schlägt das Pendel bei ihr bis ins Extreme. Gute Noten reichen nicht, es müssen die besten Noten sein. Nicht nur in den Lieblingsfächern, in allen Fächern. Dies führt dazu, dass sie nach den Hausaufgaben sehr viel Zeit am Schreibtisch verbringt um zu lernen. Oder Bilder für den Kunstunterricht zu zeichnen, Klimadiagramme für Erdkunde auswendig zu lernen und stundenlang irgendwelche Sachen zu recherchieren. Falls Sie jetzt das „Wenn es ihr Spaß macht, warum nicht?“- Argument bringen wollen – Sie haben natürlich recht. Es macht ihr Spaß, sie lernt leicht und hat ein echtes Talent für diesen naturwissenschaftlichen Bereich. Aber die Menge macht es. Da sie neben der Schule aktiv in der Jugendarbeit tätig ist, eine Kindergruppe betreut, Freizeiten plant, zweimal wöchentlich Sport treibt, Freundinnen trifft und den Spaß an Partys entdeckt hat, hat sie langsam zu wenig Stunden am Tag zu Verfügung. Hermines Zeitumkehrer wäre das weltbeste Geschenk für sie.
Und weil auch schöner Stress echter Stress ist und großer Ehrgeiz letztlich auch zu Stress führt, bricht sie in regelmäßigen Abständen zusammen. Dann verwandelt sich mein kluges, aufgewecktes, strahlendes, ausgeglichenes Mädchen in ein elendes Bündel, das weder an sich noch an die Zukunft glaubt, das sich für doof und unfähig hält. Unter unstillbarem Weinen bricht der ganze Druck aus ihr heraus und es braucht sehr viel Zeit und Halt-geben, bis sie sich wieder fangen kann. Während sie schluchzend in meinen Armen liegt und versucht zu erklären, was in ihr vorgeht, möchte ich schreien, weil es nicht möglich ist, die Gaben meiner Kinder so zu mischen, dass für jedes die moderate Mischung zur Verfügung steht. Unbefangenheit, Lässigkeit und Ehrgeiz in einen Pott, umrühren, durch drei teilen. Es wäre so perfekt.
Sie beruhigt sich, wir überlegen, was sie anders machen könnte und letztlich macht sie weiter wie immer: alles, immer mehr, noch besser. Bis zum nächsten Zusammenbruch. So ist sie eben.
„Na. Sie hat doch aber super Noten! Was gibt es da zu klagen? Ich wünschte, mein Kind …“
Nein, wünschen Sie sich das nicht. Es ist nämlich nur offiziell als super Erziehung anerkannt, sein Kind anzufeuern und voranzutreiben, es zu bremsen und ihm zu sagen „dann schreib halt nur zehn Punkte, herrje, ist doch echt egal!“ bringt Sie direkt in die Erziehungsversagerecke.
Spannend wird es übrigens dann, wenn sich die Tochter für ein Studium entscheidet. Derzeit will sie nämlich einfach alles und noch ein bißchen mehr, kann sich nicht entscheiden. Es muss nämlich das beste Studium sein.
Diese Ehrgeizsache hat sie nicht von mir, das dachten Sie sich wahrscheinlich schon. Der beste Vater meiner Kinder hätte im Fach Sport noch ein paar Purzelbäume und Strecksprünge machen können, um seine Einserreihe zu vervollständigen.
Mal wieder würde ich gerne zwei, drei Jährchen in die Zukunft schauen ….
30. Januar 2015 um 16:38
Hach ja…dieses Mischen der verteilten Gaben…das wäre schon was Feines!
Die Problematik eurer Tochter haben wir zwar nicht und ich weiß da auch keinen Rat..aber für sie da sein und schützend einen Arm in diesen Situationen bieten scheint mir schon ein guter Weg!
Wir haben dafür die Diskrepanz zwischen mündlicher und schriftlicher Leistung und manchmal wünschte ich mir es gäbe für unsere Kinder die Möglichkeit Abitur auch mündlich abzulegen. Das wiederum haben sie auch ganz sicher nicht von mir!
Schon eine komische Sache mit den Genen!
Lieben Gruß Uschi
31. Januar 2015 um 00:03
„… möchte ich schreien, weil es nicht möglich ist die Gaben meiner Kinder zu mischen …“, wie treffend und erkennbar haben Sie das beschrieben. Ihre Kinder haben Glück mit Ihnen als Mutter: ein Freigeist mit Herz. Alles Gute Ihnen und Ihrer Familie.
31. Januar 2015 um 12:27
Ich war ja mal Ihrer Tochter nicht so unähnlich.
Und dann saß ich einmal in einer Physikarbeit in der 11. Klasse, Physik, mein Lieblings- und leichtestes Fach, und hatte einen totalen Blackout. Ich konnte nicht mehr zwei und zwei zusammen zählen, warum auch immer. Heulend saß ich in dieser Arbeit, hatte letzten Endes eine überhaupt nicht weltuntergängliche 3 und wurde für meinen Zusammenbruch noch lange, lange verspottet.
Jetzt bin ich natürlich nicht sie, aber ich kann für mich sagen: es wird ein bisschen besser. Man lernt, dass es einfach gar nicht geht, immer noch besser zu sein, und dass manche Leute sogar in den Dingen, in denen man sich für gut hält, noch um Längen besser sind und man trotzdem zufrieden sein darf, und irgendwann pendelt sich das alles ein bisschen ein. Ich schob das alles immer auf den Umgang zuhause und mein unterirdisches Selbstbewusstsein, aber wer weiss.
Und das andere ist: für jemanden, dem der 1,5er-Schnitt leicht fällt, ist der Ehrgeiz, überall die glatten 1er zu haben vielleicht auch nur derselbe wie für den, der ohne Lernen auf der vier steht und sich anstrengt, um überall 3er zu haben. mir wurde oft gesagt, es wäre lächerlich, dass ich unzufrieden mit mir bin, wenn ich in Mathe 12 Punkte schreibe, aber ich wusste: ich kann das besser. Es war mein Vergleich mit mir selbst, nicht mit den anderen. Und natürlich versteh ich auch, dass das anderswo ein wenig übertrieben wirkt, nach zu viel und zu hoch und überhaupt. Aber es hat auch wieder was gutes, finde ich inzwischen, man hat immer Ziele. Manchmal ist es mühsam, weil man sich so den Kopf zerbricht, aber hey….
Ich wünsch ihr alles Gute und ich bin mir sicher, sie findet ihr bestes Studium, das, das passt. (Ich war dazwischen ein Jahr im Ausland und es war das beste überhaupt.)
31. Januar 2015 um 12:31
Achja, und: ich wollte auch immer alles, hätte am liebsten gleichzeitig Physik und Musik und Mathe und Sprachen studiert, und ein bisschen hab ich jetzt letztendlich alles gekriegt. Einen Job mit ein bisschen von allem und ich bin sehr glücklich darin. Und Musik hab ich auch. Und sonst auch einiges nebenbei. Nichts perfekt, würde ich manchmal gern, aber eben, älter und weiser.
Die findet ihren Weg. Sie hat eine großartige Grundlage von euch bekommen.
31. Januar 2015 um 19:10
Liebe Pia, ich fühle so sehr mit ihnen. Meine Tochter ist seit Herbst letzten Jahres (derzeit 12. Klasse in Sachsen, macht im Mai ihr Abitur) in psychologischer Behandlung. Der Stress hat sie krank gemacht, hat mein fröhliches, gerne in die Schule gehendes Mädchen zu einem heulenden Häufchen Elend werden lassen, mit starken Bauchbeschwerden, mit denen wir letztendlich nicht um eine Magenspiegelung herumkamen. Da kam „zum Glück“ nur ein ganz ganz leichter Reflux raus, womit sie mittlerweile nur noch ganz selten zu kämpfen hat. Die psychologische Behandlung hilft ihr sehr, bereits in der Kennlernphase wurde sie zusehends besser drauf, entspannter. Ich finde es so gut, dass sie mit ihrer Tochter reden und sie auch bremsen wo es nötig wird. Mich hat es sehr geschockt wie sehr das Schulsystem und ein Wahnsinnsehrgeiz schaden können. Meine Tochter möchte mittlerweile erstmal nicht studieren, sie hat erstmal genug über Büchern gesessen und freut sich riesig auf ihr FSJ im Kindergarten.
Sie machen alle ihren Weg irgendwie :)
31. Januar 2015 um 19:35
ElternSpagat vom Feinsten…
Schönes Wochenende,
Kathrin
1. Februar 2015 um 21:42
Ach ja, jetzt am späten Abend sitzt mein Tochterkind über ihrer Arbeit. Den ganzen Tag sitzt sie schon dran. Zwischendurch Bauchschmerzen, Hyperventilieren,
Wutausbrüche und viele,viele Tränen.
Und sie will noch studieren… oh mann