Flüüügel.

29. Mai 2016

Ich muss es mir immer wieder sagen: „Flügel, ich gebe dem Kind Flügel und alles wird gut.“ Wird es, bestimmt.

Heute ist die Tochter von ihrem einwöchigen Vorbereitungsseminar für ihr Afrikajahr heimgekommen. Mitgebracht hat sie „ich kann es gar nicht mehr abwarten“- Gezappel und eine Safety & Security-Liste, die mich erbleichen lässt. Dass man beim Joggen keine Kopfhörer tragen darf steht darauf. Weil man nämlich das warnende Zischen der Schlangen sonst nicht hören kann, was unter Umständen fatale Folgen haben kann. Es gibt aber nur drei sehr gefährliche Schlangenarten und die Chance von einer schwarzen Mamba gebissen zu werden (was potentiell tödlich ist), ist immer noch höher als vergewaltigt zu werden. Letzteres aber nur, wenn frau nach Anbruch der Dunkelheit (etwa gegen sieben Uhr) das Haus alleine verlässt, zu viel Haut zeigt oder, wie das Jugendliche hier ganz gerne tun, zur Begrüßung einen Bekannten umarmt. Denn das bedeutet quasi „Nimm mich hier und jetzt“. Alles Phrasen, die meine innere lila Latzhose in Flammen aufgehen lassen, aber dort unten in Afrika sind sie bitter ernst zu nehmen. Da mögen sich noch so viele Borsten in der Tochter und mir sträuben, safety first gilt: nicht provozieren und eine andere Kultur zulassen. Ich entlasse mein Mädchen also aus unserem Hochsicherheitstrakt in die Wildnis, wo sie an jeder Ecke ausgeraubt, überfahren, ermordet oder von Schlangen gefressen wird. So fühlt es sich jedenfalls an.

Es ist ein klitzekleines Bißchen schwierig weiterhin den Gedanken „das ist ein großartige Chance und sie wird phantastische Erfahrungen machen“-Gedanken hochzuhalten, aber schon als diese drei schönen, klugen Mädchen alleine den Jakobsweg wanderten habe ich gelernt, dass die ganzen eindringlichen Warnungen vielleicht nicht unbedingt zu mütterlichen Panikattacken führen müssen. Vor den schrecklich gefährlichen wilden Hunden, die regelmäßig ahnungslose Wanderer zerfleischen, wurde da gewarnt. Den Berichten der Tochter nach haben diese grauenhaften Bestien sehr, sehr viel Angst vor Menschen und sind eher erbarmungswürdige Geschöpfe.

Ein bißchen Sorge bleibt. Natürlich. Alles, wovor gewarnt wird, ist schon passiert, hat einen Grund. Und vor großartigen Dingen muss man nicht warnen, die werden selten erwähnt.

Ich weiß jetzt, dass sich die Tochter mit einem weiteren Freiwilligen (mit einem KERL! Meine Tochter!) eine Wohnung teilen wird, dass in ihrem Zimmer lediglich ein Bett steht, das die Vorbesitzerin angeschafft hat. Für weitere Möbel war diese zu kurz in dieser Wohnung, aber das große, flauschige Handtuch, das sie gekauft hat, lässt sie der Tochter ebenfalls da. So macht man das da. Man reicht Sachen weiter. Die Tochter wird vermutlich einen Stuhl und einen Tisch für sich und ihre Nachfolger kaufen. Was genau sie arbeiten wird, weiß sie noch nicht genau. Je nachdem wofür Geld da ist. Vielleicht baut sie ein Haus. Oder eine Bäckerei. Vielleicht sammelt sie auch Schulkinder mit dem Auto ein und fährt sie zur Schule. Alles findet sich und Arbeit gibt es genug. Sie wird Nationalparks und die „big five“ sehen, Weihnachten und Silvester am Strand feiern, sehr viele Menschen kennen lernen und ja, meine Sorge ist nicht so groß wie meine Freude für sie darüber.

Flügel. Unbedingt.

 

9 Kommentare zu “Flüüügel.”

  1. Katja sagt:

    Wurzeln hat sie ja schon, und die Flügel sind auch längst da und dürfen ausgebreitet werden. Viel Glück!

  2. kelef sagt:

    was katja sagt.

    mit ohrhorchkabeln in den ohren sollte man auch nicht rad-/autofahren oder eine strasse überqueren: die chance, einen herankommenden potentiellen gegner zu überhören ist ungleich grösser als von einer schwarzen mamba gebissen zu werden. mich hat übrigens schon einmal eine kreuzotter gebissen, in einer gegend, in der es gar keine gibt.

    das ständige umärmeln zur begrüssung ist auch in anderen ländern eine unsitte, nicht nur in afrika. ganz viele kulturen lehnen das ab. ausserdem zerknittert man dabei möglicherweise die gebügelte kleidung, verschüttet in der hand balancierte getränke, die begrüsserei hat von drei personen aufwärts kein ende, und unhygienisch ist es irgendwie sowieso immer.

    in gegenden, in denen man sich nicht wirklich gut auskennt und zuhause fühlt geht man auch anderswo nicht im dunkeln alleine aus dem haus – besser ist das. ich wohne in der grossstadt …

    das wohnung teilen mit einem kerl ist natürlich so eine sache – aber unter umständen durchaus vernünftig, weil so ein zusätzlicher sicherheitskoeffizient da ist: zwei mädchen allein sind nicht so sicher wie ein mädchen und ein junger mann. und normalerweise melden sich potentielle serienmörder nicht unbedingt für so eine unternehmung.

    sie sehen: es gibt an all diesen dingen auch was gutes.

    alles wird ganz hervorragend ablaufen und toll und lehrreich sein, und so weiter und so fort.

  3. Vreni sagt:

    Sie ahnen nicht, wie gut, dass ich ihnen das Nachfühlen kann.
    Jetzt ist meine Tochter wieder mal kurz vor dem Aufbruch diesmal in die Pyrenäen für eine 3 Monate lange Wanderung/Klettertour mit Zelt und Rucksack ohne erreichbar für uns zu sein. Sie sind zu zweit.
    Puhhh……. Ich gewöhne mich nie an ihre waghalsigen Unternehmungen.
    Alles Gute.

  4. Seifenfrau sagt:

    Ich finde das sehr spannend und toll.
    Beneidenswert!!!

    Allerdings bin ich auch froh, meine Lieben ziemlich nah um mich zu haben.

    Ich versteh Sie gut!

    Das wird schon.

  5. Steffi sagt:

    Hoihoi,
    wie siehts eigentlich mit der Finanzierung aus? Ist die angestrebte Summe zusammengekommen? Oder irgendwas in der Nähe? Mir fiel nämlich gerade siedend heiss ein, dass ich noch nix gespendet habe, und da dacht ich mir, frag doch VORHER mal nach…
    Und, aehm, ja. Wird es ganz bestimmt. Aber trotzdem spannend!
    Groetjes!

  6. Sigrid sagt:

    ich hoffe, ich kann meiner Tochter auch mal solche Flügel mitgeben. Ein wenig beneide ich sie.

  7. Sunni sagt:

    Ich kann Sie da gut verstehen, auch wenn meine beiden Töchter jeweils nur für lange Zeit in Europa unterwegs waren (Da gab es keine schwarze Mamba, aber giftige Schlangen jederzeit und andere Schrecken auch). Die Ungewissheit bleibt, aber man gewöhnt sich daran, glauben Sie mir. Und sie hat alles mitbekommen, was sie braucht:Selbstvertrauen, Mut, Intelligenz und eine angemessene Vorsicht. Gehen lassen, auch mit Tränen da und dort, gehen lassen. Es wird gut werden!

  8. Anna sagt:

    Unbedingt Flügel!!!
    Egal, wie eine jede Mutter zu Hause zittert:
    Kinder brauchen Die Chance, ihre Flügel auszubreiten.
    Ich finde es großartig, dass Ihre Tochter das darf. Hoffentlich bekomme ich bei meinen Kindern meine Ängste in den Griff…
    Ganz liebe Grüße
    Anna

  9. Eva sagt:

    …die größte Gefahr ist aber, daß sie ihr Herz mit größter Wahrscheinlichkeit an (Süd) Afrika verlieren wird…und somit die schlimmste Krankheit fürs Leben manifestiert wird: DAS EWIGE FERNWEH UND DIE LIEBE ZUR GEWALTIGEN NATUR

    Liebe Grüße und einen schönen Urlaub in Irland :)
    Eva