mutig sein

9. Oktober 2016

Mit Höhen habe ich es nicht so. Ich kann auf hohe Berge steigen und ganz entspannt die Aussicht genießen, wenn ich festen Boden unter den Füßen und vielleicht sogar noch ein Geländer/einen Fels/irgendeine Absperrung vor mir habe. Schlimmstenfalls robbe ich auf Bauch oder Hintern bis zur Felskante, das klappt schon. Sowie mir aber der feste Boden unter den Füßen fehlt, wird es schwierig. Seilbahn fahren ist eine Herausforderung, im Flugzeug fliegen ziemlich schlimm. Ich habe beschlossen, dass ich das doof und unerträglich finde und ich mich obendrein mit dem Gedanken vertraut machen sollte, in einem halben Jahr elf Stunden in einem Flugzeug aushalten zu müssen. Deshalb suche ich mir jetzt Herausforderungen, denen ich mich mutig stelle. Heute bin ich deshalb mit dem besten Vater meiner Kinder gleich zweimal über die längste Hängebrücke Deutschlands gelaufen.

Gestartet sind wir in Sosberg. Laut Webseite ist das der totale Geheimtipp :) Wenn Sie in Sosberg parken wollen, sorgen sie für Münzgeld im Geldbeutel, der Parkscheinautomat will mit passenden Münzen gefüttert werden. Haben Sie  nur Scheine (so wie wir), können Sie diese im Brückencafé wechseln lassen, „das sind wir gewohnt“, wurde uns versichert. (und gehen Sie nochmal aufs Klo.)


Zur Brücke ist es nicht weit. Knapp 1,7 Kilometer oder mit kleiner Schleife durch den Wald 1,9 Kilometer. Gemütliches Gehen ohne nennenswerte Steigungen, vorbei an abgeernteten Feldern, im Wald auf geschottertem Weg.


Der erste Blick auf die Brücke schreckte mich gar nicht so. Das sieht ja doch recht stabil aus, die Stahlseile ausreichend dick und gequälte Angstschreie hörte ich auch nicht. Alles prima.


Ich marschierte tapfer los und fand es erstmal gar nicht schlimm. Die Brücke ist 85 cm breit, das Geländer wirklich hoch und man muss sich sehr ungeschickt anstellen, um mit dem Fuß zwischen Brückenboden und Geländer zu rutschen.


Ein paar Meter weiter wagte ich einen Blick nach unten. Schlagartig wurde es mir ziemlich mulmig, denn 100 Meter bis zum Boden sind echt viel! Gleichzeitig fiel mir auf, dass man zwischen den Holzdielen auch den Boden schimmern sehen kann …


… und ich beschloss einfach stur nach vorne zu schauen. Ein Schritt nach dem anderen, atmen, durchhalten. Unglücklicherweise gab es eine Menge Gegenverkehr. Das bedeutet, dass man sich manchmal ans Geländer drücken muss. Außerdem bedeutet erhöhtes Verkehrsaufkommen auf einer Hängebrücke, dass diese ins Schwingen kommt. Das ist kein heftiges Schaukeln, aber doch eine sehr spürbare Bewegung, die man mit dem Körper ausgleichen oder sogar mit der Hand am Geländer auffangen muss. Im Grunde genommen nicht dramatisch, doch meine Phantasie zeigte mir Überschläge und Stahlseile, deren einzelne Stränge mit lautem „TWÄÄÄNG“ reißen. Die 360 Meter Länge der Brücke zogen sich sehr lange hin und ich war schweißgebadet, als ich die andere Seite erreichte. (und mein Herz schlug direkt unter dem Schlüsselbein)


Gleichzeitig war ich selbstverständlich sehr stolz auf mich und froh, nicht umgedreht zu haben. Das „jetzt hab ich versagt“- Gefühl, das völlig unnötig und irrational ist, hätte mich lange gequält. Dass ich wieder über die Brücke zurück zum Auto musste … ließ sich leicht verdrängen. (man kann auch einen wunderbaren Rundweg laufen, den traue ich mir längen- und höhenmetermäßig aber noch nicht zu, das Bein schmerzt dann doch ziemlich. Und ich soll es ja langsam angehen.)


Durch den Wald ging es knapp zwei Kilometer nach Mörsdorf. Ein kleines Dorf, das nun versucht mit den Touristenströmen klarzukommen und ein bißchen Geld zu verdienen. Verhungern oder verdursten muss deshalb kein Wanderer, wir aßen eine überraschend gute frischgebackene Waffel am Straßenrand. Zu besichtigen gab es sonst nichts, deswegen gingen wir zurück zur Brücke.


Diesmal den bequemen und sehr vollen asphaltierten Weg.


Die Brücke hing noch und sah noch immer recht stabil aus. Also lief ich einfach wieder rüber. Und tatsächlich war es beim zweiten Mal nur noch halb so schlimm, diesmal schwitzte ich nur deshalb so doll, weil die Sonne schien. Glaube ich, behaupte ich.


Richtung Auto liefen wir vorbei an Feldern voll blühender Bienenweide. Ganz wunderbar, viel schöner als wackelnde Brücken!

Zum Schluss noch zwei eher gruselige Auswirkungen, die eine neue Touristenattraktion auf Einheimische hat:


Die Hängewurst und …


die letzte Toilette. Nun ja. Viele Anwohner haben aber auch Bänke oder nette Rastplätze für Wanderer aufgestellt!

So. Ich habs also geschafft, habe diese Kröte gekillt. Und weil es so gruselig und schlimm und toll und spannend und herausfordernd war, wage ich mich demnächst auf den Skywalk.

5 Kommentare zu “mutig sein”

  1. Seifenfrau sagt:

    Oh…
    Sie sind echt mutig!
    Da wird mir ja schon beim Lesen darüber mulmig.
    Nun klick ich mal den Skywalk-Link an…
    Festhalten
    und
    Klick!

  2. Bea Behrens sagt:

    Nie, niemals wäre ich über diese Brücke gegangen. Sie sind echt eine Heldin. Meine sehr grosse Flugangst, Flüge die länger als maximal 3 Stunden dauerten, waren nicht möglich, musste ich bekämpfen als die Tochter nach dem Abi nach Chile ging. Und besuchen wollten wir sie unbedingt. Es ging auch, aber nur mit Hilfe von zwei kleinen blauen Pillen. Ich bin weiss Gott keine Freundin von Tabletten und Pillen gegen dies und das und alles und jedes und schon gar nicht mag ich Psychopharmaka, und dazu gehören diese Pillen glaube ich, aber in diesem Fall fand ich es für mich persönlich gut und richtig. Und es hat sich sehr gelohnt.
    Chile ist ein wunderschönes Erlebnis gewesen und ein Land in dem mich vom ersten Moment an wohl und Zuhause gefühlt habe.
    Aber Hängebrücken, Balkone in grosser Höhe oder Türme gehen immer noch nicht.

  3. Sylvia sagt:

    Herzlichen Glückwunsch, sehr mutig.
    Ging mir genauso, aber solange man rechts und links noch etwas zum festhalten hat, geht es. Das Schwingen ist ziemlich unangenehm. Nun weiter so.

  4. Alex sagt:

    Ich bewundere jeden Menschen der sich seiner Angst stellen und sie sogar besiegen kann. Ich kanns nicht. Auch nicht mit festem Boden unter den Füßen. Schon auf einer Leiter mit 4/5 Sprossen habe ich Probleme, leider. Und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer.
    Hut ab!
    Gruß Alex

  5. Gabi K sagt:

    Herzlichen Glückwunsch zur gelungenen Selbstüberwindung! Das schafft nicht jeder!