Da gab es heute nicht viel und Ihnen geht es da vermutlich nicht anders.

Irgendwann am späten Vormittag habe ich das Internet links liegen gelassen, ich war satt an Information und Emotion. Einen Gedanken nahm ich mir über den Tag mit, der beschäftigte mich sehr. In meiner Twittertimeline tauchten nämlich einige Tweets mit diesem oder ähnlichem Inhalt auf: „Hätte ich nur keine Kinder in diese Welt gesetzt.“ Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie unfassbar wütend mich diese Aussage macht. Eine Antwort in 140 Zeichen darauf zu formulieren

geschah spontan, doch es brodelte weiter in mir. Ich denke, dass nichts auf der Welt schlimm genug sein kann, dass ich das Leben meiner Kinder bereuen könnte. Wie könnte ich mich jemals meinen Kindern erklären, sollten sie eine solche Aussage von mir hören?

Ich hoffe, dass dem besten Vater meiner Kinder und mir das gelungen ist, was ich von anderen in meinem Tweet fordere.

Und weil auch das heute ein Thema bei Twitter war, breche ich mal meinen Vorsatz, keine Ratschläge zum Thema Kindererziehung zu geben. Ich verpacke es einfach als Erfahrungsbericht und Sie entscheiden, ob Sie sich was abschauen wollen.

Die politische Erziehung unserer Kinder hatte keinen Startpunkt. Kein „jetzt sind sie alt genug, um Zusammenhänge zu verstehen“. Es war ein Lernen wie alles im Leben und immer getreu unserem Grundsatz: „Wer alt genug für die Frage ist, ist alt genug für die Antwort.“

Die Kindernachrichten „Logo!“ waren eine prima Ergänzung zu unseren Erklärungen zum Tagesgeschehen. Denn das Tagesgeschehen, wie auch immer es sich gestaltete, fand seinen Weg in Kinderohren und von dort an unseren Küchentisch, als Gesprächsthema beim Essen. Der Große war fünf, als er täglich die Kindernachrichten sah, seine Geschwister zogen irgendwann mit.

Kurz darauf konnte der Große lesen und wir schenkten ihm zum Geburtstag ein Abonnement der Zeitschrift „Geolino„, seine jüngeren Geschwister freute dies ebenfalls, aber auch wir Eltern blätterten sehr gerne darin.

In der Tageszeitung gibt es jeden Samstag eine Seite für Kinder, die bot einen guten Einstieg ins Zeitunglesen. Später lasen die etwas älteren Kinder gerne die regionalen Nachrichten. Interessierten sich für das, was in Nierstein passiert. Danach kam das Interesse für das Weltgeschehen. Zuerst beim Lesen des Panoramas, von den Kindern liebevoll die „Terrorseite“ genannt, später dann eben auch Politik und Wirtschaft. Faszinierend für uns im Rückblick, wie sich die Sicht und die Welt der Kinder erweiterte.

Der Große bekam zu seiner Konfirmation von seinem Patenonkel das weltbeste Geschenk: ein Abonnement des Spiegels bis zum 18. Geburtstag.

Für die jüngeren Geschwister kauften wir „Dein Spiegel„, die Spiegelausgabe für Kinder.

Das abendliche Fernsehprogramm verlängerte sich, wer wollte, durfte die Tagesschau anhängen.

Und so wuchsen die Kindelein ins Thema hinein. Bildeten sich eine Meinung, diskutierten mit uns, stellten Fragen und ja, ließen sich von uns sicherlich auch beeinflussen. Wir lebten und leben das Interesse am aktuellen Geschehen vor und mach(t)en kein Geheimnis darum, wen wir wählen würden. Mittlerweile erklärt mir übrigens der Große die Welt. Die Sache mit den Wahlmännern in den Staaten zum Beispiel, das kapierte ich nämlich nicht.

Es gibt heikle Themen in Familien. Geld. Sex. Und eben Politik. Doch der Kinder zuliebe sollte man da über zwei, drei Schatten springen, damit sie klug und fähig werden, um vielleicht die Probleme lösen, die uns derzeit berghoch scheinen. (verzeihen Sie bitte den pathetischen Abschluss, es ging wohl mit mir durch.)

So. Auch diesem Tag werde ich etwas Gutes abgewinnen. Ganz klein, ganz für uns. Der Gatte und ich, bei Rotwein und Ofenfeuer, die Welt bleibt heute abend draußen.

8 Kommentare zu “9.11. – gegen das Novembergrau”

  1. Eva sagt:

    Liebe Frau Mutti,
    hier bei uns ganz ähnlich…
    Jetzt haben wir offene, interessierte junge Erwachsene, die aus eigenem Interesse über den Tellerrand blicken können und wollen.
    Wahrscheinlich hätte ich es gar nicht anders hingekriegt und würde es jederzeit wieder so machen.
    Ich bin so froh, dass wir sie haben!
    Viele Grüße,
    Eva

  2. Bea sagt:

    Liebe Frau Mutti
    Seit vielen Jahren stille Leserin bei Ihnen will ich heute ein grosses Danke da lassen. Die Gedanken in meinem ergrauten Singleleben gingen in den letzten Monaten oft in die Richtung – Gott sei Dank bin ich schon so alt – Gott sei Dank habe ich keine Kinder -. Nach dem Lesen Ihres Posts habe ich gemerkt, dass mir persönlich dieses resignative Denken sehr gut als Vorwand dient keine Verantwortung zu übernehmen. Danke fürs wachrütteln, danke für Ihr Engagement, danke, dass Sie es anders machen. Ich nehme heute mit: wer, wo auch immer regiert, ich kann heute entscheiden mit meiner Umwelt und Mitwelt respekt- und liebevoll umzugehen. Für mehr bunt.
    Viele Grüsse
    Bea

  3. Brigitte sagt:

    Um Himmels Willen: die Leute sollen doch die Kirche im Dorf lassen! Keine Kinder……unvorstellbar.
    Die Politisierung fand bei unserer Tochter auch so peu à peu statt. Prägend für sie, denke ich, waren 09-11 und die Zeit danach. Wichtig für sie das demokratische Grundverständnis, wozu auch der regelmäßige Gang zur Wahlurne gehört. Und das ist auch etwas, was wir ihr vermittelt haben, wie es auch in unseren Elternhäusern üblich war. An der Politik rummeckern, aber nicht wählen – geht garnicht.
    Wir sind gespannt: generationstechnisch geht es in die nächste Runde und wir sind neugierig, wo sie Erziehungsprinzipien von uns übernimmt und wo sie es anders macht.
    Liebe Grüsse, Brigitte

  4. Patrizia sagt:

    Liebe Frau Mutti,

    danke für Ihre Worte. Sie haben ja so recht, gerade mein fast 15jähriger zeigt mir so oft andere Perspektiven auf, dass es eigentlich unvorstellbar ohne ihn wäre.

    Leider ist meine beste Freundin seit längerem in diesem „Die Welt ist nur noch schlecht, eine Katastrophe jagt die andere und wir werden alle sterben“-Denken drin, dass ich es immer mehr vermeide, mit ihr zu reden. Altersmilde kann ich leider noch nicht ;).

    Liebe Grüße aus dem Schnee
    Patrizia

  5. Anna sagt:

    Einfach nur „ja“ zum klugen Text und viele Grüße.

  6. Silke sagt:

    Ein schöner und richtiger Text, danke.
    Meine Kinder sind noch kleiner aber insbesondere mein Achtjähriger ist politisch sehr interessiert, er liest oft mit Zeitung, guckt Logo und fragt einfach unglaublich viel. Er hört mit zu, wenn der Liebste und ich reden, über Politik, die Welt, das Leben eben und nicht immer nur über den ganz konkreten Alltag. Ja, und er hat dazu auch eine Meinung. Oft eine ähnliche wie einer von uns, klar, manchmal aber auch ganz andere…
    Ändere Eltern sind oft irritiert, bzw finden es seltsam, dass das Kind ne Meinung hat und über Themen spricht, die vermeintlich nicht altersgemäß sind. Das ist aber gottseidank nicht unser Problem…
    Und wie sollen denn aus Kindern, die sich gar nicht für irgendetwas interessieren oder interessieren können, weil man sie davon fernhält, irgendwann mündige Erwachsene werden, die ihre Welt entsprechend gestalten und diesen ganzen Verblendeten etwas entgegensetzen?
    Herzliche Grüße, Silke

  7. Ev sagt:

    Ja. Genau so. Und nicht anders!!!

    Diesen Satz: „Ich würde nicht noch einmal Kinder bekommen“, darüber hatte ich in einem ganz anderen Zusammenhang vor zwei Stunden ein Gespräch und darüber, dass sich die, die das sagen, nicht im geringsten ausmalen, was das in ihren Kindern anrichtet! Bösartig ist das. Narzisstisch. Unfassbar verletzend. Rücksichtslos und einfach nur dumm!

    Ich wusste nichts von Ihrem Beitrag zu diesem Zeitpunkt und er setzt mir nun einen wunderbaren Punkt auf das i meines Tages.

    Danke!

    Einen schönen Abend wünsche ich!

    Herzlichst,
    Ev

  8. Gabi K sagt:

    Vielen Dank! Seit vielen Jahren antworte ich Menschen, die sagen, sie hätten sich wegen der „Weltsituation“ gegen Kinder entschieden, genau mit diesen Worten. Die Welt wir nur besser, wenn wir die Kinder entsprechend erziehen. Und auch bei uns ging es, ähnlich wie bei der Aufklärung, bei der Politisierung altersgemäß zu. Wer fragte, bekam Antwort. Fragen wurden allerdings ermuntert.