flügge.

6. September 2017

Schon als sie noch in Afrika war, teilte mir die Tochter mit, dass sie nach ihrer Rückkehr „abgesprungen“ bleiben möchte. Und das ist ja auch gut so, denn schließlich wird sie demnächst zwanzig Jahre alt jung und hat bereits ein Jahr ihre Leben ganz alleine sortiert bekommen. Vor allem Letzteres birgt eine Menge Konfliktmaterial, was wir in Kapstadt prompt erlebten. In Kapstadt wohnten wir eine Woche gemeinsam in einer Ferienwohnung und ich sage es mal kurz: der Stock braucht nur eine Bienenkönigin. Wir rasselten aneinander und schlichen danach sehr behutsam um einander herum. (Mittlerweile können wir beide sehr herzlich darüber lachen, doch wir merken, dass es sich schwierig gestalten würde, wenn wir uns unter einem Dach wieder zusammenraufen müssten.)

Und jetzt zieht sie halt aus. Sie hat ein entzückendes Appartment in einem Wohnheim in Dresden und braucht plötzlich nicht mehr nur Hefte, Stifte und neue Socken, sondern auch Töpfe, Pfannen und WC-Reiniger. Letztes Wochenende begleitete ich sie nach Dresden zur Wohnungsübernahme und danach zum großen Haushaltswaren- und Putzsachen-Shopping. Abends köpften wir eine Flasche Champagner zusammen und feierten die Selbständigkeit, den neuen Lebensabschnitt und ein bißchen auch uns und dass wir uns ganz gerne mögen. Immer noch.

Am Montag klapperten wir noch das schwedische Möbelhaus ab und danach einen großen Supermarkt, der einen kleinen, roten Staubsauger und einen Wasserkocher im Angebot hatte. Ich verbuche es übrigens als äußerst heldenhaft, dass ich die Tränchen wegknieperte, die mir in die Augen stiegen. „Das Mädchen hat jetzt einen eigenen Staubsauger!“ hat für Unbeteiligte sicher auch wirklich sehr wenig Rührungspotential, doch glauben Sie mir – selbst wenn dieser Zeitpunkt für Sie vielleicht noch fern sein mag – auch Sie werden irgendwann über irgendetwas sehr gerührt sein, das Unbeteiligte eher verwundert. Das ist vermutlich genauso wie die Sache mit dem ersten Paar Schuhe, dem Schulranzen und der plötzlichen Erkenntnis, dass der dunkle Schatten am Kinn des Sohnes kein Dreck sondern zaghafter Bartwuchs ist. Da kniepert man halt ein bißchen.

Am Samstag fahren die Kindelein eine Transporter voller Sachen nach Dresden. Letztlich sind es gar nicht so viele Möbel, denn das Appartment ist möbliert. Doch ein Regal, ein Sessel und der Schreibtischstuhl fehlen noch, außerdem sehr, sehr viele Bücher. Und ein kleiner, roter Staubsauger, ein Wasserkocher, ihre Klamotten und lauter Haushaltskrusch.

Die Söhne kommen noch am Abend wieder, die Tochter am Dienstag nächster Woche. Sie hat noch ein paar Termine in Nierstein (unter anderem ihren Geburtstag, den sie lieber hier feiern will, so lange sie noch niemanden in Dresden kennt) und dann zieht sie aus. Zieht sie weg. Nicht zwölf Flugstunden nach Afrika, sondern nur fünf Zugstunden weit weg. Aber weg. Sie hat dann kein Zimmer mehr hier in der Grünen Villa, nur noch ein Bett für Besuche. Sie kommt dann zwar heim, aber eben zu Besuch. Und ihr echtes Daheim ist dann in ihren eigenen vier Wänden.

Gestern sagte sie: Ich schwanke zwischen „OMG, ich ziehe aus!“ und „OMG, ich ziehe aus!“ Und das sieht jetzt hier geschrieben natürlich blöd aus, aber lesen Sie es ruhig laut und betonen sie einfach das „aus“ mal fröhlich-erwartungsvoll, mal ängstlich-unsicher und dann wird es klar. Und mir geht es genauso: OMG, sie zieht aus.

Immerhin hat sie einen kleinen, rote Staubsauger. Und alles, was wir ihr geben konnten.

17 Kommentare zu “flügge.”

  1. Anja K. sagt:

    Der letzte Satz ist der entscheidende. Dieser wird ihr auch helfen, wenn der kleine rote Staubsauger einmal nicht funktionieren wird.

    Taschentücherreichende Grüße

    Anja

  2. Mama notes sagt:

    OMG. Da kniepere ich ja gleich ein bisschen mit. Es gibt da diese Stelle bei den Gilmore Girl, kennst Du die? „Mom, you already gave me everything I need“. Knieperalarm.
    Der Tochter alles Gute. Und Dir natürlich auch.

  3. Hannah sagt:

    In dem Abschnitt mit dem Stock und der Bienenkönigin habe ich mich und meine Mutter ein wenig wiedererkannt. Auch, wenn mir dieses Bild noch nie eingefallen ist, aber es ist tatsächlich sehr passend. Ich bin im letzten Jahr nach drei Jahren „alleine wohnen“ für den Bachelor noch einmal für gut 9 Monate zuhause eingezogen, weil da eine gewisse Übergangszeit vor dem Masterstudium zu überwinden war. Und ja, wir mögen uns ganz gerne, aber wir mussten uns dann doch erst nochmal wieder zusammenraufen, denn in einigen Punkten sind wir uns zwar recht ähnlich, in manchen aber eben auch so gar nicht. Witzig, wie man manches erst herausfindet, wenn man einige Zeit lang (räumlich) getrennt war.
    Für mich ist und war mein „echtes Daheim“ allerdings immer zuhause. Da, wo die Eltern und die jüngeren Brüder wohn(t)en. Und wo ich immer sehr, sehr gerne hin zurückgekommen bin – ob für einen kurzen Besuch oder auch für 9 Monate.
    Liebe Grüße und alles Gute dir, der Tochter und den anderen Familienmitgliedern. Die Zeit, die man zusammen verbringt, wird nach dem Auszug zwar weniger, aber auch umso intensiver und wertvoller!

  4. Anja D. sagt:

    Die lieben Kinderlein werden groß. Und man schickt sie mit gutem Gewissen in die Welt.
    Viele Grüße aus Dresden von einer treuen (stillen) Leserin!

  5. Marion sagt:

    Alles Gute dem Tochterkind! Und Ihnen!

  6. Helga sagt:

    Ich knieper dann mal ein bisschen mit. Auch wenn es noch mindestens 14, 15 Jahre dauert bis unsere Große auszieht…

  7. MoneBohne sagt:

    Oh ja, die Situation kenne ich – aus Tochtersicht. Um diese Zeit vor 18 Jahren bis ich zu Hause ausgezogen.

    Was war ich stolz, als mein Papa mir einen gut gefüllten Werkzeugkoffer in die Hand drückte! Einen Staubsauger bekam ich aber auch… :)

    Das packen Sie schon alle miteinander. Wurzeln und Flügel, so muss es sein.

    Ganz liebe Grüße aus Baden.

  8. Sigrid sagt:

    Bei mir sind es mindestens noch 5 Jahre, Sie werden schneller um sein, als ich gucken kann.
    Ich denke, du hast ihr gute Wurzeln und auch genügend Flügelkraft mitgegeben.
    Welchen weg schlägt sie denn in Dresden ein?

  9. Brigitte sagt:

    …und es geht immer weiter. In der ersten eigenen Wohnung der Tochter konnte ich mich noch ganz ungeniert bewegen, dann zog sie mit ihrem Freund zusammen, da waren wir dann entgültig Gäste. Jetzt üben wir uns seit einem halben Jahr in der Großelternrolle (und WIE GERNE). Aber das Beste ist, dass immer ein liebevolles Miteinander von beiden Seiten da war. Trotz einiger Meinungsverschiedenheiten, die dazu gehören.
    Ich wünsche der Tochter eine wunderbare Studentenzeit, trotz vieler vieler Prüfungen während des Studiums war es für mich eine tolle Zeit, in der ich Freundinnen gewonnen habe, mit denen ich mich noch heute nach 40 Jahren regelmäßig treffe.
    Viele Grüsse, Brigitte

  10. Eva sagt:

    Hier gerade kniepernd lesend, weil ja, kenne ich. Nur das der Staubsauger meiner Großen schwarz ist. :-)

  11. PaulineM sagt:

    Sie wird es gut meistern, und Sie werden es auch gut meistern.

    Wir haben vor 13 Jahren damit angefangen, damals lebten wir noch alle in den USA. Unsere Tochter zog 1000 km weit weg zum Studium. 4 Jahre später 700 km weit weg für die erste Arbeitsstelle. Als ob das nicht genug gewesen wäre, zog sie anschließend über den großen Teich zum Masterstudium zurück nach Deutschland. 2 Jahre später sind wir auch zurückgekommen. Fast forward 2017 – heute leben wir wieder in der gleichen Stadt, 15 Minuten von einander entfernt.

    Anfangs war es schwer, und mir fehlte fast körperlich ihre Anwesenheit. Aber man gewöhnt sich und dann habe ich gesehen, was für eine tolle, junge Frau sie geworden ist. Das wäre sie zu Hause so nicht geworden. Dafür mussten wir sie loslassen. Und es ist gut so, wie es ist.

  12. frau siebensachen sagt:

    *hachz* (und *knieper*)

    es ist so schön, daß aus den kleinen so tolle große menschen werden!

  13. Uwe sagt:

    „Kleiner, roter Staubsauger, los geht’s!“

  14. May sagt:

    Uff.
    Bei uns war gerade erster Schultag und zwischen dem und Auszug liegt ja gefühlt nur ein kurzes Zwinkern.

    Mein Vater hat mir gerade erzählt, er wollte unbedingt noch ein Kind, als mein Bruder und ich ausgezogen sind.

    Meine Mutter wollte nicht. Sie meinte, Bewuch ist auch schön. Und jetzt besucht meine Tochter sie in den Ferien und ja… Alles ist gut.

  15. Michael sagt:

    Und dann kommt sie am Wochenende mal zu Besuch….und wenn sie abreisst, sieht es aus, als hätte eine Horde Hunnen den Kühlschrank geplündert. Also dran denken, transportable Nahrungsmittelvorräte anzulegen und montags den Supermarktbesuch einplanen. :-)

  16. Ann-Kristin sagt:

    Der Ausdruck „kniepern“ ist mir zwar als Hamburgerin – und dazu noch ins Ausland ausgezogene – nicht gelaeufig, ich knieper aber einfach mal ganz gewaltig mit. Mein Sohn (20) ist auch gerade dabei sich abzunabeln (11 Monate in China hat er gerade hinter sich) und jetzt geht’s im Ausland (meiner alten Heimat) weiter …

  17. Simone sagt:

    Ich knieper nicht nur, ich heule!
    Der letzte Satz ist schuld,…..