Mach doch mal!
5. Juni 2020
Liebes Tagebuch, so war das am Anfang mit diesem Corona und den Masken:
„Nimm mal Geld für die Masken!“, haben sie gesagt.
„Mach nen Onlineshop!“, haben sie verlangt.
„Kann ja nicht sein, dass Frauen wieder die ganze Care-Arbeit machen und für umme die Masken unters Volk bringen!“, klagten sie an.
Die ersten Schwünge Masken habe ich verschenkt. Einige Schwünge. Denn es war ja tatsächlich so, dass vielerorts Maskenpflicht herrschte, es aber keine Masken gab. Die Drogeriemärkte und Apotheken hatten Engpässe, selbst in Arztpraxen und Krankenhäusern waren die Dinger quasi abgezählt. Für die Menschen in den Büros, die jetzt mit Maske und genauer Anweisung, wie diese zu tragen sei (maximal drei Stunden am Stück, lieber nur zwei) wurde es ein klitzekleines Bißchen schwierig. Masken werden nämlich ziemlich schnell feucht und das ist nicht nur eklig beim Tragen derselben, sondern auch schlicht kontraproduktiv.
Ich begann also Masken für die Freundin zu nähen. Dann für deren Kolleginnen. Und weitere Kolleginnen. Und für das Seniorenheim. Und für die andere Freundin. Und Kolleginnen. Da kamen etliche Masken zusammen, ich saß viel an der Nähmaschine und war damit recht zufrieden, denn so ließ sich dem lähmenden Gefühl der Hilflosigkeit gut gegenarbeiten.
Nach und nach „normalisierte“ sich die Maskensituation, heißt: es gab und gibt sie überall zu kaufen. Einmalmasken und waschbare Masken. Die unmittelbare Not war erstmal gebannt und ich begann über einen Verkauf nachzudenken. (immerhin will ich ja doch irgendwann noch sehr, sehr reich werden, immerhin droht mir Altersarmut)
Ausschlaggebend den Verkauf wirklich zu starten waren übrigens nicht die quengelnden Stimmen bei twitter (Beispiele siehe oben), sondern die Tatsache, dass ich plötzlich und sehr verwundert über mich selbst begonnen hatte Wunschfarben zu nähen („männertauglich, bitte!“ WTF?!) und der Chef der Freundin sich für seine Familie am kostenlosen Maskenkörbchen auf dem Empfangstresen bediente. (Schuft.) Ersteres begann mich zu stressen, Letzteres fand ich frech. Könnte der nicht seinen Angestellten und sich selbst Masken kaufen?
Weil noch nichts in offiziellen Tüten war, wurde ein Spendenkässchen aufgestellt. Dieses füllte sich erfreulich, deckte aber nicht annähernd die Kosten.
Somit beschloss ich, Nägel mit Köpfen zu machen und meldete brav (und erneut) ein Kleingewerbe an. Da ich vorhatte, Masken über das Internet zu verkaufen und bereits Gerüchte kassierten, es hagele Abmahnungen wegen unzutreffender Maskenbezeichnungen, wollte ich auf gar keinen Fall „schwarz arbeiten“. Ein bißchen bekannt bin ich ja immer noch und wer mir mittels einer Anzeige ans Bein hätte pinkeln wollen … nun ja. Die Gewerbeanmeldung mache ich schon routiniert, es ist das dritte Mal. So routiniert, dass ich prompt vergaß, den Start der Gewerbetätigkeit einzutragen, was zu amüsierten Nachfragen seitens der Verwaltung führte (und einem netten Schwätzchen).
Die Bestätigung der Gewerbeanmeldung kam, coronabedingt, etwas verzögert. Zuverlässig und äußerst zeitnah klopfte die Handwerkskammer, die mir freudig mitteilte, dass ich als Handwerkende nun Beiträge zahlen dürfe, aber immerhin nun berechtigt sei, Fortbildungsseminare zu besuchen, die mein Unternehmen voranbringen werden. Mitarbeiterschulungen und so.
Sehr beschwingt nähte ich einen großen Schwung Masken und war in recht kurzer Zeit ausverkauft! Das freute mich sehr, denn die Preisgestaltung ist ein heikles Thema. Recherchen im Netz sind meist fruchtlos, von 3,50€ bis nach oben offen findet alles seine Käufer. Ich dachte viel hin und her und weil ich ein bißchen Verkaufserfahrung habe und weiß, was gerade noch bezahlt wird, fand ich meine Preise für die Masken.
Die ist ein guter Zeitpunkt, die Preiskalkulation mal aufzuschlüsseln!
Da wären zuerst die Materialkosten. Diese sind für die Masken nicht gigantisch groß, der Verbrauch ist gering. Da ich bestickte Masken verkaufe, kommen zu Stoff und Nähgarn noch Stickgarn und Stickvlies hinzu, mit den Stromkosten und bisweilen neuer Näh- oder Sticknadeln, lande ich, je nach Stoff, bei maximal drei Euro Material. (faszinierend, dass selbstgenähte Masken für 3,50€ verkauft werden, oder?) Ich berechne pauschal drei Euro Versandkosten, für Verpackungsmaterial und Versandkosten, die kommen auf den Maskenpreis oben drauf. Jeder Maskenlieferung ist eine Rechnung beigelegt. Ich muss Rechnungen schreiben, immerhin habe ich ein Gewerbe und muss ja für das Finanzamt transparent sein. Es kommen also Papier und Druckerfarbe dazu und natürlich Stromkosten für Rechner und Drucker. Ja, Kleinvieh macht auch Mist. (und natürlich die Breitragskosten für die verflixte Handwerkskammer, die kommen auch noch dazu)
Der größte Posten, der leider von vielen Handwerkenden immer, immer ignoriert wird, ist der Lohn der eigenen Arbeit. Sie wissen, wie hoch der gesetzliche Mindestlohn ist? 9,35€/Stunde, nur zur Erinnerung.
Ich arbeite an einer Maske folgendermaßen: Stoffauswahl, Zuschnitt, bügeln, besticken, bügeln, nähen, Bindebänder zuschneiden, Bindebänder einfädeln. Das ist in einer halben Stunde gut zu schaffen, wenn ich Akkord arbeite, geht es schneller. Guter Schnitt? Dann geht es weiter:
Ich photographiere die Maske, bearbeite das Bild, lade es mit Informationstext hoch. Wenn alle verwendeten Medien mitspielen, dauert das knapp zehn Minuten.
Bei Verkauf: Ich antworte auf die Mails, kläre Ungewissheiten, markiere die Maske als *reserviert*. Nehme die Maske aus der Verkaufsecke im Nähzimmer und lege sie, zusammen mit Namen und Mailadresse des Käufers/der Käuferin in eine Kiste.
Ich schaue täglich auf mein Online-Konto, denn nach Geldeingang schicke ich los.
Das Geld ist da. Ich schreibe eine Rechnung, tüte diese zusammen mit der Maske ein, frankiere und radele zur Post. Danach nehme ich die verkaufte Maske von der Webseite.
Das ist insgesamt vermutlich auch nur eine halbe Stunde Arbeit.
Die günstigste Maske kostet zehn Euro, die teuerste 14€. Sie dürfen sich nun gerne meinen Verdienst ausrechnen. (einen großen Teil der Masken verschenke ich übrigens immer noch)
„Mach mal.“ (ja, mach ich. Und obendrein könnte ich ein riesiges Fass über Wertschätzung von Handarbeiten, Mindestlohn, Billigscheiß aus Drecksläden und überhaupt aufmachen. Stattdessen nähe ich ein bißchen, macht ja auch tatsächlich noch Spaß.)
6. Juni 2020 um 12:41
Liebe Frau Mutti,
Ihre Ameisenmaske ist die schönste in meiner mittlerweile in erklecklicher Menge vorhandenen Maskensammlung!
Der Preis, ehrlich, ist/war mir völlig nebensächlich, denn ich finde ihn richtig so.
Selbständig zu arbeiten, ist für die, die das noch nie gemacht haben, einfach nicht nachvollziehbar, denn es fängt im für diese bereits im absolut unsichtbaren Kleinteiligen an und endet immer dort, wo die „guten“ Freunde so gerne auf Preise für gute Freunde bestehen, denn man „unterstützt“ ja so gerne … was aber IMMER nach Unterstützung aussehen muss, denn ansonsten kommt ganz schnell der Satz „na, ihr habt unsere Unterstützung ja nicht mehr nötig“, ohne dass sie merken, dass ihre Art der Unterstützung nicht das ist, was Selbständig leben lässt …
Und da hat man noch nicht mal beim Wert der Handarbeit angefangen:
„Mach mal …“, „Du kannst doch …“, „Das ist für DICH doch nur ein Klacks …“, „Beim Selbermachen lässt sich ja ganz schön Geld für dich sparen …“ – ja, nee, alles klar!
Einer Bekannten, die meinte, es wäre ja ein Klacks für mich auch so ein schönes großes Tuch für sie zu stricken, wie sie es an mir sah, habe ich erst einmal die Materialkosten vorgelegt und dann die Verrechnung der Stunden, die das Stricken auch bei mir, für die das alles ja ein Klacks ist, dauern würden. Tja, was soll ich sagen, die Nachfrage hatte sich damit ein für alle mal erübrigt.
Nur einmal schaffte es eine ehemalige Kollegin mich zu überrumpeln mit den Puppensöckchen für ihre Nichte, die sie einfach nicht in der Lage war, fertig zu stricken. Ja, das war wirklich ein Klacks, wäre da nicht das Plastegarn gewesen, das sie mir dazu in die Hand gedrückt hätte. Ich habe das 2. Söckchen für das Mädel gestrickt, weil sie mir leid tat und ihrer Tante gleich die passende Anleitung dazu gelegt mit dem Hinweis, dass da alles genau drin steht, damit ihr das nie wieder so schwer fällt, alles selber zu stricken.
Endloses Thema!
Und dann die Bazare, wo z. B. Stricksocken „für den guten Zweck“ zu einem solchen Dumping-Preis vertickt werden, dass mir die Augen zu bluten beginnen wollen – der beste Beleg dafür, wie wenig wertgeschätzt Handarbeiten werden. Alle wollen sie haben, keiner will sie selber machen und erst recht nicht einen reellen Preis dafür zahlen.
Aber ich rede mich in Rage beim Fässer öffnen.
Herzliche Ihnen, ich finde, Sie machen das genau richtig so, Ev