Herausforderungen

19. Juni 2018

Vor ein paar Tagen las ich einen empörten Tweet: 14jährige mussten einen Ausflug mit den Fahrrädern machen, 70 Kilometer durch ein Mittelgebirge, sechs Stunden unterwegs, bei dieser Hitze! Alle Kinder total erschöpft, mussten daheim erstmal ganz viel trinken und schlafen.

Die Reaktionen darauf reichten von „unverantwortlich von dem Lehrer!“ über „direkt melden/Gespräch suchen/mit dem Direktor reden/anzeigen“, „das ist Körperverletzung!“ schrie man und dann gab es die unflätigen Gewaltausbrüchen, die ich hier nicht zitieren werde. Einige zaghafte Ansätze in Richtung „naja, über einen ganzen Tag ist die Distanz doch zu schaffen“, gab es auch, diese wurden aber im Zuge der allgemeinen Empöria direkt abgebügelt, ein Ausflug über maximal 20 Kilometer sei ja wohl absolut ausreichend!

Weil ich von Diskussionen bei Twitter nichts halte, denn diese führen unweigerlich zu heftigen Missverständnissen, ich aber eine (andere) Meinung habe, schreibe ich halt hier, ganz in Ruhe.

Eine Radtour über 70 Kilometer, bergauf und wieder bergab, ist schon eine stolze Strecke. Keiner der Empörten hatte auch nur ein Wort des Lobes bezüglich der Leistung der Radler. Denn: alle kamen an! Das ist großartig, dass es alle geschafft haben, obwohl wahrscheinlich manche eher untertrainiert sind, andere ein schlechtes Rad hatten und mindestens fünf gigantische Rennmaschinen fuhren, ohne Kenntnis der richtigen Handhabe bezüglich Schaltung der 56348 Gänge derselben. Alle 14jährigen radelten einen ganzen Tag lang, strampelten Berge hoch und rasten sie auf der anderen Seite wieder runter, schwitzten wie verrückt, hatten vermutlich Wadenschmerzen und einen wunden Hintern, kamen fix und fertig daheim an und hatten wahrscheinlich am nächsten Tag neben einem Muskelkater auch eine gute Portion mehr Zusammenhalt. Und wenn letzterer vielleicht nur über „der bescheuerte Lehrer XY, der alte Schinder“ zustande kommt, egal. Alle haben es geschafft, wie toll!

Ließe man die Empörten einen Ausflug planen, sähe dieser womöglich so aus: Wir radeln gemeinsam auf den Grillplatz der Nachbargemeinde (Distanz: zehn Kilometer). Die freundlichen Eltern A und B haben dort einen kleinen Imbiss vorbereitet (für Getränke- und Essensspenden bitte in der beiliegenden Liste eintragen). Gegen 14:00 Uhr treten wir den Rückweg an. Liebe Eltern, sorgen Sie bitte für angemessenen Sonnenschutz und ausreichende Getränke (am Besten Wasser wegen der Wespen), das Wetter soll sehr warm und sonnig werden.

Das ist ein Ausflug, bei dem 14jährige schon beim Lesen der Planung gähnen, ein Ausflug, so spannend wie Briefschach. Da gibt es keine Herausforderung, da kommt man nicht mal in die Nähe seiner Grenze, geschweige denn, dass man mal zwei Schritte drüber geht. Das ist Schulalltag halt ohne Klassenzimmer. Und garantiert nicht das, wovon man seinen Enkeln mal erzählt, im Sinne von „als ich in eurem Alter war, radelten wir mal bei glühender Sonne SIEBZIG Kilometer in den Bergen herum, DA waren wir fertig und wussten, was wir geschafft haben!“

Vor lauter „wir müssen alles kontrollieren und unsere Kinder beschützen“ nehmen wir ihnen leider auch die Chance, ein paar aufregende Sachen zu erleben, sich zu spüren und ein echtes Erfolgserlebnis, das nichts mit einer guten Note oder einem Levelaufstieg zu tun hat, zu erfahren. Das ist schrecklich schade und nicht wieder gut zu machen.

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