Gerodet und geredet
17. Januar 2022
Weil sich der örtliche Metzger, bei dem Oma Eis nach der montäglichen Hunderunde immer einkauft, noch immer im Weihnachtsurlaub befindet, konnten wir heute einen anderen Weg laufen. (eben einen Weg, der nicht zwangsläufig beim Metzger vorbeiführt) Und weil ich vor ein paar Wochen das Hinterland erkundet habe und obendrein dort gleich zwei, ganz offizielle Wanderwege entlangführen, versprach ich Oma Eis moderate Steigungen, nicht zu viele Kilometer, Spiel, Spaß und Abenteuer. Immerhin Letzteres hatten wir. Das mit den Steigungen verdränge ich ja immer, bzw. ich bin einfach dran gewöhnt. Oma Eis, die nur einmal die Woche Weinberge erklimmt, muss zwischendrin immer mal zum Atmen stehen bleiben und das ist ja auch ok, meistens haben wir ja ne tolle Aussicht. Es wurden dann letztlich doch ein paar Kilometer, nämlich fast 9,5. Spiel gab es keines, Spaß immerhin für Lola, die sich hemmungslos wälzte und auf Strohballen herumsprang. Aber Abenteuer! Das hatten wir. Sozusagen. Einer der neuen Wanderwege führt durch das Schwabsburger Wäldchen. Wäldchen ist sehr, sehr beschönigend ausgedrückt für eine Senke, die mit ein paar Pappeln, Walnußbäumen, Holundern, Schlehen und wilden Reben zugewuchert ist. Aber hey! Wildromantisch führt ein schmaler Weg unter den Hecken hindurch und als ich den Weg am Donnerstag mit der Hunderundefreundin ging, vorfreuten wir uns auf das Blütenmeer der Schlehen und Heckenrosen im Frühjahr. Heute freute ich mich sehr, dass der fehlende Wegweiser noch angebracht worden war, bis wir den großen Traktor des hiesigen Bauhofes entdeckten, der einen noch riesigeren Anhänger angekoppelt hatte. Zu groß, um einen Wegweiser zu transportieren und richtig, er war voll mit Gestrüpp, Zweigen und dicken, frisch gesägten Ästen. Der schmale Pfad war breit gewalzt, die Hecken links und rechts weggebrochen oder gesägt und ein paar Schritte weiter versperrte uns ein weiteres Bauhoffahrzeug den Weg, hinter dem ein Baum frisch gefällt quer lag. Ein Mitarbeiter zerlegte mit Motorsäge und sehr viel Getöse die größeren Äste und den Stamm, drei weitere Bauhofmitarbeiter schauten wichtig zu. In einer Sägepause kletterten wir über Stamm und Äste, aufgewühlte Erde und zerbrochene Hecken. Der wunderschöne Pfad wird nun also verbreitert. Warum auch immer, doch die zuständigen Menschen haben da ein echtes Händchen für, das haben sie schon beim Auflangen-Steig bewiesen, den sie ebenfalls Traktorbreit gerodet und obendrein mit gegrabenen Stufen und Rollsplitt so unattraktiv wie nur irgend möglich gestaltet haben. Ich wünsche mir sehr, dass der Verkehrsverein oder wer auch immer für diese Wege und deren Pflege zuständig ist, mal bei Wanderwegbeauftragten der benachbarten Mittelgebirgsregionen nachfragt.Im Hunsrück beispielsweise. Oder bei den Gemeinden Richtung rheinhessische Schweiz, die Hiwweltouren sind sehr liebevoll angelegt.
Wir kamen trotzdem sehr zufrieden wieder hier an, denn wir hatten usseligem Wette und einem wegen Knie (Oma Eis) getrotzt und uns ein ausgiebiges Frühstück verdient.
Nach dem Frühstück diskutierten wir diverse Weltladenbelange durch und als Oma Eis sich verabschiedete, ich die Küche wieder in Ordnung gebracht und ein bißchen Wäsche verräumt hatte, war bei mir die Luft raus. ich rollte mich mit Hund in der Kniekehle aufs Sofa und schlief fast anderthalb Stunden sehr tief und erholsam. Sehr gut! Ich krieche stetig aus dem letzten Long COVID-Tal heraus, das macht mich sehr glücklich.
Nach dem Mittagsschlaf erledigte ich ein paar Kleinigkeiten im Nähzimmer und bereitete den Weg für zwei Kooperationsaktionen. Eine besteht schon länger, die andere ist neu und ganz interessant für unsere Trekkingtouren.
Der Gatte machte Feierabend und schnappte sich den Hund für eine kurze Abendrunde, denn wir hatten noch etwas zu erledigen! Im Nachbarstädtchen sammeln sich nämlich die Montagsspaziergänger und wir verspüren das Bedürfnis, uns mit einigen (wöchentlich zum Glück) mehr werdenden Menschen gegenzupositionieren. Wir radelten also nach Oppenheim, parkten die Räder im Hof der Oppenheimer Freundin und liefen mit ihr zum Markplatz. Dort sammelten wir uns mit Maske und Abstand und beobachteten „die Spaziergänger“, die teilweise böse zischelnd an uns vorrüberliefen. Die Polizei zeigte Präsenz, doch letztlich kam es zu keiner Konfrontation, zum Glück. Stattdessen gab es mehr oder weniger rhetorisch und inhaltlich geschickte Reden, aber die sind ja auch gar nicht so wichtig. Wir (diesmal knapp 80 Menschen) wissen, warum wir uns treffen: Stellung beziehen und mit einer coronakonform angemeldeten Demonstration die spazierenden Schwurbelnazis vom Marktplatz fernzuhalten. Schön zusammengefasst heute wurde das von Robin Dautermann: „Wennde Scheiße am Schuh hast, haste Scheiße am Schuh. Wennde mit den Nazis marschierst, biste ein Nazi.“
Durchgefroren und mit einer Mischung aus Wut, Fassungslosigkeit und Freude darüber, dass die meisten Demonstrierenden die altbekannten Hasen und Nasen sind, wieder heim.
Nächsten Montag wieder. Wir sind mehr.
18. Januar 2022 um 10:14
Beim Beobachten von „Spaziergängern“ einfach das Handy auf laut schalten und eine Karnevals-Playlist abspielen… am besten von mehreren Handys schön entlang verteilt deren Marschroute… und die Art der Beschallung ist eine entspannte Art des Gegenprotestes und lässt vor allen Dingen den Zug der Spaziergänger komplett anders wirken…
18. Januar 2022 um 13:36
Liebe Fr. Mutti,
vielen Dank, dass Sie sich mal wieder deutlich positionieren und aktiv werden! Das ist so wichtig, weil die schweigende Masse schlichtweg untergeht – und womöglich noch das Gefühl hat, sie sei in der Minderheit und die Schwurbler hätten womöglich recht.
Ja, man kann vieles kritisieren, und vieles läuft nun wirklich suboptimal. Aber das ändert nichts an den Ausgangsvoraussetzungen.
Und wie schön, dass Sie Gleichgesinnte kennen und treffen – das stärkt doch auch noch einmal.
Danke!
Ihre
Natti