Long COVID
10. November 2022
Anderthalb Jahre ist es her, seit der Jüngste uns Corona von einer Baustelle mitbrachte. So lange schon her!
Geimpft waren wir noch nicht, Impfpriorität hatten damals ältere und immunschwache Menschen. Die Alpha-Variante des Virus, die britische Variante hatte uns erwischt.
Wir gehörten zu den leichten Fällen. Kein Klinikaufenthalt nötig, keine Beatmung. Dennoch fühlten wir uns so krank wie nie, mit täglich neuen Symptomen und großer Schwäche.
Der Jüngste war schnell wieder auf den Beinen, der Gatte brauchte über einen Monat, ich bin es bis heute nicht. Ich lebe jetzt mit „Long COVID“ und richtig viel Spaß macht das nicht.
Seit anderthalb Jahren lebe ich auf Sparflamme. Ich bin ständig müde, sehr oft völlig erschöpft. Ohne Mittagsschlaf geht es nicht. Wenn ich an einem Tag keinen Mittagsschlaf haben kann, liege ich sehr, sehr oft am nächsten Tag komplett flach, zu müde und schwach, um aufzustehen.
Es fällt mir schwer, Unterhaltungen zu folgen. Menschen, die durcheinander reden oder sich schnelle, witzige Wortgefechte liefern, kann ich kaum folgen, ich muss mich ausklinken, das ist zu anstrengend. Beteiligen ist selten möglich, ich suche ständig nach Worten, nach Formulierungen oder verliere mich in langen Sätzen und ende mit „äh, was wollte ich sagen?“
Mein Gedächtnis ist ein Sieb. Ohne Einkaufszettel einkaufen ist nicht möglich, drei verschiedene Sachen aus der Halle holen funktioniert nicht, auf dem Weg vergesse ich mindestens ein Teil. „Das muss ich dem Gatten erzählen“ muss zeitnah geschehen, sonst ist es weg.
Meine Konzentrationsfähigkeit lässt mich nur seichte oder schon bekannte Bücher lesen, den Inhalt von längeren Artikeln kann ich nicht erfassen, selbst wenn mich das Thema brennend interessiert.
Bei körperlicher Anstrengung gerate ich in Atemnot und mein Herz „stolpert“, ich muss husten.
Ich rieche sehr oft Rauch, manchmal auch Fäkalien. „Phantomgeruch“ nenne ich das und manchmal kann ich nur einschlafen, wenn ich mir ein parfümiertes Handgelenk oder Taschentuch vor die Nase halte.
An mindestens vier Tagen/Woche habe ich Kopfschmerzen. Manchmal sind sie nur ein Hintergrundrauschen, manchmal so, dass ich ein Schmerzmittel brauche, manchmal wachsen sie zu heftigen Migräneattacken.
Diese Symptome „schwanken“. Es gibt gute Tage, meistens kopfschmerzfreie Tage, an denen ich mich fit fühle und ich so etwas wie Tatendrang fühle. Es gibt aber auch Tage oder sogar Wochen, in denen außer einer Hunderunde und Essen kochen nichts möglich ist. Nur schlafen, doofes Zeug streamen oder Daddelspielchen auf dem Tablet.
Und was bedeutet das jetzt für mein Leben?
Zuerst einmal versuche ich mich „damit abzufinden“. An guten Tagen laufe ich auf 80%, das ist doch was und das muss dann halt reichen. Statt drei Stunden im Garten zu wühlen, höre ich eben nach zwei Stunden auf. Unsere Rucksacktouren sind möglich, weil ich viele Pausen machen kann und wir eben das Zelt aufbauen, wenn nichts mehr geht, das ist in Ordnung. Manchmal gibt es halt nur Nudeln mit Pesto, Aufgetautes oder gelieferte Pizza, es ist nicht dramatisch, wenn das Bad einen Tag später geputzt wird oder der Bettbezug eine Nacht länger drauf ist.
Gleichzeitig ist das alles aber zum Heulen schlimm. Ich will Sachen erledigen und kann einfach nicht. Ich bin nicht mehr ich, ich kann mich nicht mehr ausdrücken und unglücklicherweise vergesse ich ausgerechnet diese Tatsache nicht. (haha, so witzig) Kreatives im Nähzimmer geht nicht immer, manchmal weiß ich nämlich nicht mehr, welche Farben mir gefallen.
Ich fühle mich dreißig Jahre älter, nutzlos und nicht mehr liebenswert und es kostet mich sehr viel von der Kraft, die ich eh kaum habe, um mich nicht von diesem ganzen Dreck runterziehen zu lassen. Leider ist die „ich nehme es mit Humor“-Phase vorbei, stattdessen bin ich oft sehr verzweifelt und wütend.
Und weil das früher ja auch schon geholfen hat, kippe ich den ganzen Frust und Kummer ins Blog, in der leisen Hoffnung, dass ich in ein paar Jahren diesem Text lächelnd und „boah ja, das war wirklich Scheiße, zum Glück isses vorbei“ sagend lesen kann.
10. November 2022 um 22:23
Ich kann Dir nur empfehlen, einen guten Heilpraktiker/in aufzusuchen. Hat mir jedenfalls sehr schnell geholfen. Viel Glück und gute Besserung. Andrea
11. November 2022 um 04:17
Das ist wirklich großer Mist. Es tut mir schrecklich leid.
Mehr kann ich leider nicht.
Liebe Grüße
11. November 2022 um 06:22
Oh,
erst freute ich mich, wieder von Ihnen zu hören, beim Weiterlesen wandelte sich die Freude in Mitgefühl.
Was für eine blöde Krankheit. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass es über die Jahre besser wird und die Medizin weiter Fortschritte in der Behandlung macht.
Alles Gute!
11. November 2022 um 08:00
Das klingt schrecklich. Ich wünsche Ihnen sehr eine baldige Wunderheilung..
11. November 2022 um 09:29
Ich drücke die Daumen, dass die Hoffnung eintrifft. Die stirbt ja bekanntlich zuletzt.
11. November 2022 um 10:04
Guten Morgen,
mein aufrichtiges Mitgefühl ?! Ich erkrankte im November 2020 recht schwer an COVID mit Klinikaufenthalt.. Habe ähnliche Symptome seit dieser Zeit, der Alltag ist ein anderer geworden . Nach meiner Boosterimpfung im Novermber 2021 bekam ich 4 Wochen später einen Herzinfarkt, es wurden 5 Stents gesetzt. Leider erfährt man nicht immer Verständnis von ärztlicher Seite, wenn man nach Zusammenhängen fragt. Gerade geht es mir mal wieder nicht gut, deshalb hier mein Gejammere… sorry.
Ich wünschen von ganzem Herzen, dass der Spuk, für all die vielen Betroffenen, irgendwann aufhört.
Gruß Sigrid
11. November 2022 um 10:19
Schon die Überschrift ließ ahnen, dass die Blogpause einen unangenehmen Grund hatte. Danke aber, dass du uns teilhaben lässt an den bösartigen Auswirkungen dieser Viruserkrankung, wie schwer muss es dir fallen, mit diesen Symptomen zu leben!
Ich wünsche dir von Herzen es möge eine Besserung geben, wie unterschätzt dieser Wunsch doch so oft wird: einfach nur *normal* leben.
Alles Liebe von deiner langjährigen Blogbegleiterin, die wieder ein neues Plätzchen gefunden hat und MV nun die Treue hält…dir sowieso :-)
Herzlichst Gabriela
11. November 2022 um 14:11
Was für eine Scheiße, das tut mir so leid.
Ich wünsche weiterhin und ganz innig Genesung.
11. November 2022 um 14:44
Ich lese hier schon so lange mit und es ist traurig, was diese Krankheit mit ihren Folgen mit einem anstellt. Auf Twitter (oder vielleicht demnächst auf Mastodon?) gibt es viele Menschen, die mit mehr oder weniger Erfolg in Zusammenarbeit mit ihrem Ärzten Lösungen suchen. Paxlovid ist da nur eines von vielen Stichworten. Ich wünsche alles alles Gute !
11. November 2022 um 23:07
Ich kenne Sie nur von hier und Instagram, also gar nicht wirklich, aber: ich finde Sie sehr liebenswert! Ich wünsch Ihnen und all den anderen Betroffenen alles Gute!
12. November 2022 um 08:58
Liebe Frau Mutti,
ich hoffe, Sie haben meinen Kommentar gestern nicht als übergriffig oder unangenehm emmpfunden. Falls das so ist, möchte ich um Entschuldigung bitten.
Mich hatte der Satz am Ende, dass Sie sich nutzlos und nicht mehr liebenswert fühlen, berührt und wollte darauf reagieren; ich hatte aber schon nach dem Absenden das Gefühl, dass meine Reaktion nicht gut formuliert war – aber ich wusste nicht, wie ich ihn korrigieren kann.
Wie sehr Sie durch Long Covid beeinträchtigt werden, habe ich durch den Blogartikel deutlicher verstanden als bei Instagram, und ich wünsche Ihnen, dass bald neue Mittel und Wege zur Unterstützung gefunden werden und Sie diesen großen Mist bald los sind. Gleichzeitig freue ich mich immer, wenn ich etwas von Ihnen lesen, sehen oder hören kann, weil ich Ihren Humor, Ihre Werte und Ihre Ehrlichkeit unverändert sehr schätze.
Alles Gute!
12. November 2022 um 09:36
Liebe Pia,
das klingt nicht schön. Ich drücke ganz fest die Daumen, dass es irgendwann besser wird.
Eine Freundin von mir war jetzt 8 Wochen zur Kur und hat das Gefühl, dass es etwas gebracht hat.
Alles Gute!
12. November 2022 um 11:13
Liebe Fr. Mutti,
ich hatte mich so gefreut, dass es wieder einen Eintrag gibt. Aber schlimmerweise einen solchen. Ich wünsche Ihnen ganz viel Geduld und Zuversicht. Und ich hoffe sehr, Sie haben nichts dazu geschrieben, dass Ihr bester Ehemann und die Familie Sie stützen und tragen. Liebenswert sind Sie auch müde, ausgelaugt und verlangsamt, man liest „Sie“ weiterhin aus Ihren Zeilen.
Dass es aufwärts gehen möge!
12. November 2022 um 11:16
Ooh, das tut mir sehr leid. Ich war gleich Anfang März 2020 erkrankt, unser Chef hat es aus dem Urlaub mitgebracht und fast alle Mitarbeiter angesteckt. Ich habe heute noch mit dem Folgen zu kämpfen. Meine Konzentration und merkfähigkeit ist stark eingeschränkt, ich brauch lange Regeneration Phasen nach einfacher körperlicher Anstrengung. Alles andere hat sich im Laufe der Zeit gelegt. Bis lang hab ich keinen Arzt getroffen, der richtig Verständnis zeigte.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, ich denk an Sie. Liebe Grüße Alex Diener
12. November 2022 um 14:35
Ich hätte so gerne einen wirksamen Tipp für Sie, aber ich habe keine Ahnung, was helfen könnte. Ich kann mir vorstellen, dass ein solcher Zustand einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Ganz gute Besserung wünsche ich Ihnen und dass da immer jemand ist, der sie auffängt!
12. November 2022 um 18:39
So ein Mist!
Viele gute Wünsche aus dem Süden!
14. November 2022 um 13:15
Die Freude über einen Blogbeitrag (ja wirklich :-) ) weicht der Ernüchterung aufgrund des Themas, wobei es natürlich richtig und wichtig ist, darüber zu schreiben. Dafür waren diese Onlinetagebücher ja mal gedacht. Mir bleibt nur die Daumen zu drücken, dass „boah ja, das war wirklich Scheiße, zum Glück isses vorbei“ Realität wird und Frau Mutti dankbar ist, dass diese Phase in die Lebenszeit fällt, wo die Kinder klein sind und die Oma-Energie noch noch nicht gebraucht. Bis dahin muss sich da dringend etwas verbessern – ich wünsche es Ihnen sehr.
14. November 2022 um 14:42
Da ich Ihnen ja auch auf anderen Netzwerken folge, wusste ich von Long COVID, aber ein riesengroßer Mist ist es trotzdem. Ich bewundere, was Sie trotz alldem noch auf die Reihe bekommen – bei mir geht irgendwie gar nichts. Ich hätte den Teil bis zu dem Satz mit der Atemnot ganz genau so schreiben können – müde, erschöpft, vergesslich und eben Atemnot bei kleinster Belastung – der Kopf total matschig und alles, was früher locker ging, geht irgendwie nicht mehr. Bei mir ist es allerdings kein LC, denn ich bin der Ansteckung bisher entgangen. Ursache? – Tja. Also, wenn Sie irgendwann DIE Toplösung für den ganzen Mist finden, wäre ich schon aus purem Egoismus ebenfalls interessiert.
Ansonsten wünsche ich Ihnen von Herzen gute Besserung, viele kopfschmerz- und brainfogfreie Tage und hoffentlich vollständige Genesung.
15. November 2022 um 06:08
[…] Long-Covid-Schilderung. Das Thema gibt es auch noch, ja, ja, auch wenn es in den Medien etwas heruntergedimmt […]