Würdevolles Altern? Ein Brief für Frau Ami.
3. Oktober 2008
Ach Frau Ami,
es geht mir ja genauso. Schuld ist Frau Düne, die mit ihrem abgeschlossenem Beitrag bei mir das dringende Bedürfnis weckte, mal wieder die alten Photokisten hervorzukramen.
„Alt“ ist bei mir übrigens richtig alt, teils 15 Jahre alt.
Liebe Frau Ami, diese junge Frau, die ich da auf diesen Bildern sehe, die ist zwar richtig jung, aber auch völlig verkrampft und mit sich nicht so sehr im Reinen. Schau´n Sie mal:
Dieses Bild ist ziemlich genau 15 Jahre alt. Ich war also etwa zwölf. Nun gut, zweiundzwanzig.
Keine Falten, keine Pickel und sehr schlank. Der Mann da schräg hinter mir (den ich abgeschnitten habe) ist der beste Vater meiner Kinder. Damals war ich in der Ausbildung zur Erzieherin, er war Zivildienstleistender. Wir waren gerade gemeinsam in eine WG gezogen, schliefen am Wochenende bis um elf, waren oft unterwegs und erlebten sehr coole Sachen, hatten Sex auf dem Küchentisch, aßen wann, wo und was wir wollten, konnten tun und lassen, was wir wollten, waren sorgenfrei und glücklich.
Manchmal, wenn die Stresswogen über mir zusammenschlagen, wenn am Wochenende um sieben Uhr ein Kind uns mit der erfreulichen Nachricht weckt, dass eine Katze in die Küche gekotzt hat und wir nicht genau wissen, ob wir an diesem wundervollen Abend lieber zum Elternabend des jüngsten oder des ältesten Kindes gehen sollen oder doch lieber zu dem der Mittleren; wenn eines der Kinder krank ist oder ein Elternteil, wenn mehr Hausaufgaben als sonst zu bewältigen sind, obwohl doch draußen die Sonne scheint, wenn der liebevoll zusammengebraute Rosenkohleintopf nur mir schmeckt, dann …
… dann möchte ich gerne wieder die naive 22jährige sein. Die voller Komplexe wegen ihrer krummen Nase und dem ach so dicken Hintern (HA! Wenn ich heute nur den Hintern von damals hätte …) sich selbst und der Lebensfreude im Weg stand, die an irgendwelchen alten Familiengeschichten geknabbert hat und die irgendwie immer auf der Suche nach irgendwas war.
Heute …
ist die Nase immer noch krumm. Und sprechen wir nicht über meinen Hintern. Würde ich mich schminken, müsste ich zur Spachtel greifen, um die Falten zu füllen. Vielleicht habe ich graue Haare. Weiß ich nicht genau, weil ich seit Jahren färbe.
Manchmal bin ich immer noch sehr unzufrieden mit mir, doch mittlerweile weiß ich, dass das durchaus mit den Hormonen zusammenhängt und sich die „Hässlichkeit“ auf wenige Tage im Monat beschränkt. Die restliche Zeit über finde ich mich nämlich gar nicht mal so übel für mein Alter. Oh, und ich bin glücklich. So richtig.
Reif und würdevoll bin ich nicht. Möchte ich, nach meiner Definition der Begriffe, auch nicht sein. Gelassenheit ist mein großes Ziel. Mit einem Augenzwinkern leben und mit vielen Lachfalten. Und diesen Stolz, über das was ich da in den letzten Jahren bewältigt habe, den trage ich auch nach außen. Auch wenn das manchmal bedeutet, dass man mir nachsagt, ich sei arrogant. Ich weiß mittlerweile wo ich stehe und was ich kann. Und das macht zufrieden. Zufriedener, als die 22jährige da oben jemals gewesen ist.
(natürlich, liebe Frau Ami, könnte man auch einfach schreiben, dass die Sache mit dem Altern eben unabänderlich ist und dass man das Beste daraus machen muss. Das liest sich aber grässlich und deshalb: das Altern tut uns gut und für Depressionen deswegen und darüber haben wir vor lauter Entspanntheit keine Zeit)
3. Oktober 2008 um 19:26
Werte Frau…äh…Mutti, ich möchte Sie nur kurz an unsere Diskussion im August erinnern:
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Damals stellten wir fest, dass wir jetzt im hohen Alter richtig tolle Frauen sind! Und ich glaube, Frau Ami ist auch ’ne ganz Tolle.
(Sekt oder Mädchenbier?)
Antwort von Frau … äh … Mutti:
Sekt.
Demnächst, wenn ich Sie überfalle :-)
3. Oktober 2008 um 19:40
ich sitze hier und nicke bei jedem einzelnen satz von ihnen. das haben sie alles sehr fein geschrieben und ja und von ganzem herzen: das altern tut uns gut und für depressionen deswegen und darüber haben wir vor lauter entspanntheit keine zeit….. :)
(meinen dicken hintern von damals, den hätte ich heute übrigens auch gern wieder….)
Antwort von Frau … äh … Mutti:
nicht nur der Hintern. Der Bauch, der Busen, die Schenkel. Das war früher irgendwie anders. Komischerweise trage ich heute die Miniröcke und engeren Oberteile. Lag bestimmt an der damaligen Mode :-)
6. Oktober 2008 um 14:53
Liebe Frau….äh….Mutti
Wenn ich richtig gerechnet haben, dann sind wir im selben Alter und ich kann Ihnen aus tiefsten Herzen versichern – 22 möchte ich nicht sein weder gekauft (Op's und so) noch geschenkt! Nein danke! Klar waren wir unbeschwert, aber haben wir uns nicht auch über soviel Stumpfsinn den Kopf zerbrochen??
Lieber ein paar Falten um die Augen und den nicht idealen Hintern, aber dafür mehr Seelenfrieden!
LG
eve