Anonyme Feiglinge werden gelöscht,
11. Juli 2008
doch da manchmal vielleicht ja einfach nur vergessen wurde, ein (Nick)Name in die wirklich komplizierte Kommentar-Eingabemaske zu tippen und vielleicht auch manchmal der Tag so grau und trüb und übel ist, dass man einfach auch mal völlig im Ton daneben liegen muss, greife ich den gelöschten Kommentar auf.
Er lautete , leicht beschönigt, etwa so:
„Schön und gut, Frau … äh … Mutti, aber sind Sie nicht furchtbar inkonsequent, wenn Sie billigen Kram aus dem blaugelben Möbelhaus kaufen und sich darüber ein Loch in den Bauch freuen?“
Klar ist das inkonsequent. Und es gibt auch keine Entschuldigung dafür, höchstens die, dass wir sämtliche Möbel, die wir jemals dort gekauft haben, immer noch oder immer wieder in Gebrauch haben. Das älteste IVAR-Regal ist zwanzig Jahre alt und steht im Zimmer der Mittleren. Manche Schränke/Kommoden verkaufen wir, manche landen in der Halle und werden bei der nächsten Umräumaktion wieder nach oben geholt.
Geschirr wird benutzt, bis der letzte Teller zerbrochen und das letzte Glas den finalen Sprung hat. Vorhänge, Tischdecken, Bettwäsche, Geschirrhandtücher – alles teils aus den Anfängen unseres Zusammenlebens, also auch schon 15 Jahre alt. Wir leben mit unserem Kram, bis er kaputt ist. Mehr Wertschätzung kann man, glaube ich, nicht aufbringen.
Der sehr schmale Geldbeutel in früheren Jahren schickte uns zu IKEA und natürlich auch die pfiffigen Ideen und die vielseitig einsetzbaren Möbelstücke.
Wir achten sehr darauf, wie wir uns ernähren. Unser Wein ist vom heimischen Winzer, unser Obst und Gemüse ist zum allergrößten Teil Bioware, unsere Genußmittel wie Kaffee, Tee und Kakao sind Bio und obendrein noch fair gehandelt.
Natürlich gibt es Fast Food. Natürlich kommen im Winter die Äpfel nicht vom Obsthof im Ried. Aber es gibt auch keine Erdbeeren im März.
Unsere Kosmetika verzichtet auf Erdölbestandteile, unser Waschmittel/Putzmittel werden in der Landeshauptstadt in der Nähe produziert und haben angeblich zu 98% abbaubare Tenside. Wir lüften ordentlich, heizen energiesparend und lassen das Auto auch mal stehen. Wir informieren uns über die Herkunft unserer Produkte und versuchen Produkte aus Kinderarbeit zu vermeiden. Wir erkunden unsere Umgebung per pedes und machen Urlaub, der keine achtstündige Anreise braucht. (das aber auch wegen der Schonung unserer Nerven). Wir kaufen lieber zwei teure Shirts als vier billige.
Niemand kann heilig sein. Um konsequent umweltfreundlich und „fair“ zu leben, müsste ich Selbstversorger sein und da ich nicht mal Socken stricken kann, ist dieser Gedanke reine Utopie.
Ich wünsche mir aber, dass es den Menschen bewusst ist, warum Produkte billig sein können, obwohl sie tausend Kilometer zu uns reisen müssen. Denn wenn das Bewusstsein da ist, dann kommt vielleicht irgendwann der Gedanke, dass das Wunschprodukt doch nicht so wichtig ist. Dass der alte Fernseher doch noch ganz prima ist, obwohl er deutlich tiefer als fünfzehn Zentimeter ist, dass der Wintermantel immer noch warmhält, obwohl er nicht orange, wie ALLE Wintermäntel dieses Winters sind und dass der olle Küchenschrank ja noch ganz prima ist, wenn man sich die Mühe macht, ihn ein wenig anzuschleifen und neu zu lackieren.
Ich finde es so unsagbar traurig, dass „Mode“ das Leben diktiert, der neue Wohntrend, die neue Rocklänge und der ganze Lifestyle-Scheiß. Wer seine Schlaghosen liebt, der mag sie tragen, bis der Zwickel durchgewetzt ist, weil dann hat sich die Arbeit, die in dieser Hose steckt, wirklich gelohnt. Wer kann denn heute noch Sockenlöcher flicken? Socken mit Löchern werden weggeschmissen, weil es sich einfach nicht lohnt, die Löcher zu stopfen. Ich bin nicht altmodisch im Sinne von rückständigem Denken, doch ich wünsche mir, dass ein paar der Fertigkeiten, die unsere Großeltern noch beherrschten, erhalten bleiben.
Wer kann heute denn noch kochen, ohne auf Kack-Fertig-Maggi-Scheiß zurückzugreifen? Kreatives Kochen bedeutet: „Ey, ich kann aus Fix-Zwiebelsuppe ein überbackenes Schnitzel machen.“ Lebensmittel gezielt einkaufen und gut zubereiten – eine Wertschätzung und obendrein noch Geld sparend, trotz Bio oder fairgehandelt.
Ende hier, es ist ein Fass ohne Boden.
Ich diskutiere gerne über dieses Thema, zumal ich ganz genau weiß, dass ich VIEL konsequenter sein könnte. Doch ich werde jeden anonymen Kommentar, der obendrein noch patzig daherkommt, löschen. Nicht, weil er vielleicht nicht meiner Meinung entspricht oder mich gar entlarvt, sonder schlicht nur, weil ich es – Achtung, schon wieder – auch als Wertschätzung meiner Person erachte, wenn man sich die Mühe macht, wenigstens einen Nickname und eine anonyme e-mail-Adresse einzutragen.
Schluss jetzt, gleich kommt Besuch und ich sitze hier noch im ausgeleierten T-Shirt :-)
11. Juli 2008 um 14:11
Recht haben Sie….völlig Recht. Wo würden wir da hinkommen wenn wir anfangen unser Leben bis ins allerwinzigkleinste Detail völlig konsequent sparsam zu leben. Mal ehrlich macht dann auch keinen Spass mehr, ich meine man will ja noch Leben und nicht verhungern oder erfrieren ;o).
Apropo erfrieren: Was die Socken angeht, da könnt ich abhelfen…ich strick meinen Kids jedes Jahr im Herbst paar schöne dicke für den kommenden Winter.
Was die Anonymität betrifft halte ich es genauso…löschen. Man sollte schon zumindest den Schneid haben sein Gesicht zu zeigen, wenn man seine Meinung offenbart ;)
11. Juli 2008 um 14:22
*meld*
ICH kann kochen ohne Maggifertig… UND ich kann Socken sowohl stricken als auch stopfen ;)
(und bin doch erst zarte 37, noch weit weg von der Großmutter)
Ich möchte jetzt einfach mal ein klein bißchen stolz auf mich sein, am noch jungen Freitagnachmittag, der besten Zeit der Woche, denn: ich lege mich jetzt zu meinem Männlein aufs Sofa und halte ein Schläfchen, während meine Kinder ganz altmodisch a) Hausaufgaben erledigen b) in die Ministrantenstunde gehen und c) im eigenen Bettchen ausruhen (sollen)
(vorher werfe ich noch meine leuchtend roten Crocs von den Füßen. Aber ich schwöre, sie stinken NICHT (mehr) )
LG in die grüne Villa
anabel
11. Juli 2008 um 15:24
Ich bin konsequent. Konsequent inkonsequent! :D
Das manche Mitmenschen meinen, sie dürften einem vorschreiben, wie man zu leben hat und was man doch so alles falsch macht und nur ihre Lebensphilosophie und Konsequenz sei die einzig wahre. Und dann auch noch anonym… wie feige. Leute gibts! Natürlich darf man seine Meinung kundtun, aber auch hier gilt: Der Ton macht die Musik! :)
Regen Sie sich nicht zu sehr über solche Menschen auf, das kostet nur Energie (aus alternativen Quellen hoffe ich, sonst wäre es ja inkonsequent ;))
Genießen Sie weiter Ihre wunderbaren Ferien und die Lebenszeit und -freude, die Sie damit gewinnen! :)
Viele Grüße,
Nicole
11. Juli 2008 um 15:31
Ich stimme Ihnen voll zu…Kennen Sie das Buch Fast Nackt von Leo Hickman?
Das würde ich Ihnen glatt mal borgen, dieser Mann + Familie hat versucht komplett sein Leben umzukrempeln um ethisch korrekt zu leben …nicht schlecht :)
Hat zwar nix mit den anonymen Klugberten zu tun, aber naja. :D
11. Juli 2008 um 17:10
Hallo liebe Frau äh Mutti,
normalerweise lese ich ja nur still mit..bin aber nun doch sehr erstaunt was Ihr Bericht zu den Plastikschuhen ausgelöst hat.Ich muss ja zugeben auch welche zu besitzen sogar die Originalen ;-)habe aber dafür in Belgien *nur*19 Euro bezahlt..Ich müsste lügen wenn ich sagen würde ich bin nicht zufrieden damit..Sie sind leicht …sehr gut zu tragen..sehen witzig aus(Blümchen)..Kann aber trotzdem Ihre Meinung dazu verstehen..Und trage sie bestimmt nicht zu Konzerten..Ach das Leben wäre nur halb so schön wenn alle Menschen die gleiche Meinung hätten..;-)
Liebe Grüsse
Britta
11. Juli 2008 um 17:18
Und außerdem finde ich grundsätzlich Leute doof, die auf andere mit dem Finger zeigen und (anonym) wettern: «Ieeeh! Wie lebt Ihr denn?»
Manche Menschen missdeuten den Begriff «Meinungsfreiheit».
11. Juli 2008 um 17:36
Meine neuen Turnschuhe für 30 Euro sind leider aus China. Ich gehöre nämlich zu den glorreichen Menschen, die gerne erst zuhause auf das Ettiket schauen. Von heilig bin ich also meilenweit entfernt. Aber ich gebe Ihnen vollkommen Recht, dass man die Dinge wertschätzen muss. Deswegen wird hier Kleidung auch geflickt, Marmelade aus dem nicht mehr ganz so tollen Obst gekocht und auf gar keinen Fall Fix-Zeug verwendet. Und ich bin auch nie stolz darauf, wenn ich z.B. solche Turnschuhe gekauft habe. Wie andere, die mir mit geschwellter Brust erzählen, wo sie wieder ein Kilo Wurst für 1,99 ergattert haben (und das, ohne daran zu denken, wie dieser Preis entsteht)…
11. Juli 2008 um 19:54
Hm, ich denke, du solltest dich nicht rechtfertigen.
Ich glaube, es ist schier unmöglich, immer und ausschließlich nur fair, biologisch und unbedenklich einzukaufen. Das hat irgendwo Grenzen, manchmal auch am Portemonnaie.
Und was ist an I.K.E.A denn so verkehrt? Ich habe auch ne Menge Kram von denen und fühle mich nicht mies dabei ;)
Positiv ist, dass man überhaupt etwas tut. Aber irgendwo ist auch mal gut. Finde ich.
11. Juli 2008 um 20:48
1. Brauchst du Pia, dich sicher nicht zu rechtfertigen.
2. Finde ich es toll, dass du es doch getan hast.
Weil 3. ein toller Beitrag daraus entstanden ist
4. Ich hasse Feiglinge und ganz davon abgesehen sollte jeder vor seiner eigenen Türe kehren.
11. Juli 2008 um 22:24
Wirklich verrückt, was Geschmacksfragen für Diskussionen auslösen. Toll, daß so viele Leute sich über alltägliches austauschen. Ich finde das klasse: Was früher vielleicht im literarischen Salon los war, gibt es heute hier.
Ich lese mit großem Vergnügen Ihr Blog. Aber was ich unerträglich finde, sind diese Gutmenschen, die den Oberlehrer mimen und anderen Leuten sagen wollen, wie sie zu leben haben! Und das auch noch anonym! Überhaupt: Diese Gutmenschen! Wir können uns doch soweiso all dieser ach so bösen Dingen nicht vollkommen entziehen. Wir sind auch ein Teil davon. Gut, wenn es gelingt dem „System“ ein Schnippchen zu schlagen: Wo man kann, sollte man innehalten und mal nachdenken. Oft kann man ja eine kluge Wahl treffen. Schön, wenn man achtsam ist und nicht der ex und hop-kultur verfällt. Doch manchmal sollte man sich einfach den Spaß nicht verderben lassen! Und letztlich hängen manche Kaufentscheidungen einfach vom Geldbeutel ab.
Uups, das war aber 'ne Predigt… Was ich sagen wollte: Vergessen Sie die anonymen Oberlehrer!
11. Juli 2008 um 22:52
ach ja – was für wellen es schlägt, wenn man seine meinung sagt. ich bin allerdings beim blau-gelben möbelhaus auch etwas traurig. es ist nämlich bald wirklich alles „made in china“.
war früher schon „made in bulgaria“ exotisch, so geht jetzt wohl sämtliche produktion nach china. wenn man das fädelchen weiterspinnt, könnte man sich ausmalen, wie es in einem entwicklungsland – ja genau – entwicklungsland das ist es nämlich zum grossen teil, wohl um die umwelt-schutzmassnahmen, arbeitsbedingungen, menschenrechte bestellt ist. also, ich überlegs mir zwei mal, ob ich billig aus china brauche oder ob ich nicht noch ein bisschen spare und das etwas teurere stück von hier kaufe. aber das wird immer schwieriger.
13. Juli 2008 um 16:55
Richtig, Spitze, weiter so!!!! :ok:
LG Biggy eine tägliche Leserin
13. Juli 2008 um 17:04
Die Abwendung von der Wegwerfgesellgeschaft und Hinwendung zur Existenz als mündiger Konsument jenseits des „Geiz-istgeil“-Wahnsinns ist sicher der richtige Weg; wie jemand beispielsweise sich alle drei, vier Jahre neu einrichten kann, weil seine Möbel nicht mehr dem Trend entsprechen, ist mir ohnehin völlig schleierhaft.
13. Juli 2008 um 19:14
Gut gebrüllt:-), Frau Mutti, Sie sprechen mir aus dem Herzen
Gruß
PK
14. Juli 2008 um 08:47
Yep!!! Meine BILLYs sind welche aus den ersten BILLY-Serien überhaupt. Das genialste Regal, das die Schweden je entwickelt haben. Ich hab kein Problem damit, Hosen und Shirts second hand zu kaufen oder aus dem Freundeskreis zu übernehmen bzw. zu tauschen. Überhaupt: ich liebe es, Dinge zu tauschen, statt immer neuen Krams zu kaufen. Und die IKEA-Sachen sind sooo klasse zu kombinieren und zu tricksen – siehe einfach mal nur hier:
Hier klicken
Herzliche Grüße, auch vom kleinen Cowboy :D
14. Juli 2008 um 12:43
Öko hin oder her – es kann und will schließlich nicht jeder Kühe, Schweine und Hühner halten, eine ha Nutzgarten bewirtschaften, mit dem Rad oder zu Fuß den Weg zur Arbeit zurücklegen und noch gleichzeitig als Schreiner und Anstreicher tätig sein.
Viel wichtiger ist es doch, in der heutigen Zeit bewußt zu Leben. Die hohe Kunst dabei ist, das Leben und die Lust am Leben nicht aus den Augen zu verlieren.
Mein Motto: Carpe diem – und dabei doch immer wieder kritisch hinter die Dinge schauen.
In diesem Sinne: Weiter so und bleib bitte so wie du bist!
LG (unbekannterweise), Petra
PS:Auch ich bin bekennnender IKEA-Fan und liebe meine Ikea-Hacks!
17. Juli 2008 um 20:56
Was mich ein bißchen verärgert, ist, daß Du für Dich in Anspruch nimmst, ein wertschätzender und bewußter Verbraucher zu sein, den Crogs-Trägern das aber in Abrede stellst. Ich finde deshalb die Frage nach der Konsequenz bzw. Inkonsequenz auch nach diesem Eintrag von Dir immer noch berechtigt. Denn mal ehrlich: bezüglich der Umweltverschmutzung und den Produktionsbedingungen dürfte zwischen Crogs und den Ikea-Stoffen, die Du so gerne verwendest, kein großer Unterschied bestehen — die Produktion der hübschen bunten Stoffe gehört zu den größten Umweltsauereien überhaupt.
Die logische Konsequenz wäre daher entweder, Dein Hobby einzuschränken und zu teureren, in der Produktion unbedenklicheren Stoffen zurückzugreifen — oder gleiches Recht für alle gelten zu lassen und jedem sein Laster zuzugestehen, *ggg*.
17. Juli 2008 um 21:01
WAAAH! Das Posting ist von mir, hab' nur vergessen, meinen Namen reinzuschreiben! Also nix mit feige und anonym — sondern nur zu schnell auf ab damit geklickt, *ggg*.
18. Juli 2008 um 00:30
HA! Ich stimme zu. Bin auch bekennender Tütenmistverweigerer und Ikealiebhaber!Und dass sie mir bei meiner Lieblingsjeans ständig den Schnitt ändern…