„Hast du dich verlaufen?“, fragte sie per SMS, als ich pünktlich, fünf vor sieben, vor ihrer Haustür stand. Pünktlich wie ich dachte, denn eigentlich stand 18:00 Uhr in der letzten Mail und das kann ja mal passieren.
Immerhin hatte ich den Weg zu ihr ohne größere Schwierigkeiten gefunden, war lässig von U-Bahn zu U-Bahn gehüpft und wollte nur ganz kurz ein Stückchen in die falsche Richtung laufen.

Der Dank für meine Verspätung war ein knötteriges Kind, das mich mit wundervollen großen, eigentlich blauen, zu diesem Zeitpunkt allerdings rotgeweinten, Augen vorwurfsvoll ansah: ich war Schuld daran, dass dieses Kind nun nicht mit seiner Mutter und mir zum Mexikaner vor der Haustür gehen und dort ein Malzbier trinken konnte – es war einfach schon so spät.
So gingen wir denn ohne Kind, ich ertränkte mein schlechtes Gewissen mit zwei Bieren und meine vegetarischen Fajitas waren köstlich. Köstlich war auch der Abend mit Frau Jette, aber das hatte ich sowieso schon geahnt. Nachdem ich ihr ausführlich alle Macken, Eigenarten und Merkwürdigkeiten der erwarteten Gäste im Mai geschildert und sie mit der Aussicht auf Schnecken, Geziefer und den einen oder anderen Kadaver in der heimischen Wildnis gelockt hatte, begann sie sich auf die Gartenparty zu freuen.

Gefühlte zwanzig Minuten nachdem wir Platz genommen hatten, war es plötzlich schon nach elf und das war eine gute Erklärung für meine müden Augen. Wir verabschiedeten uns und ich fand allein den Weg zur U-Bahn zurück, vorbei an allerlei finsteren Gestalten, die sich aber überhaupt nicht für mich interessierten.
Die U-Bahn fuhr ein, als ich gerade den Bahnsteig erreichte und auch das Umsteigen passte genau. In meiner zwielichtigen Ecke angekommen, erwartete mich ein Party im U-Bahnhof. Ein Pulk Jugendlicher, gut ausgerüstet mit diversen Flaschen, feierte ausgelassen. Die Jungs mit Gel-Klebe-Haaren, die Mädchen in hauteng über den Speckringen. Die Jungs gröhlend und sich vor den Mädchen produzierend, die Mädchen kichernd oder rotzig „ey hau ab, Alda“. Ich rechnete fest damit, dass wenigstens ein blöder Spruch in meine Richtung fallen würde, aber da kam nix. Und das war nicht schlimm.
Das letzte Stück Heimweg brachte ich rasch hinter mich und war erstaunt, über das Leben auf der Straße. Immerhin war bereits nach Mitternacht! Wo fahren die nachts alle hin? Und wo gehen die Menschen alle hin? Das Restaurant in meiner Straße war brechend voll, nur die Eisdiele hatte schon zu und das war gut, denn ich hätte der Versuchung nicht widerstehen können.
Das Wohnungsschloß leistete keinen Widerstand und ich auch nicht, als mir die Müdigkeit im Bett das Buch aus der Hand warf.

Wasser gab es übrigens am Nachmittag wieder, so konnte ich mich vor dem fälligen Abwasch nicht drücken.

Pläne für heute gibt es noch nicht. Am Abend gehe ich über den Hausflur zur Nachbarin, die zur Party geladen hat. Keine nächtlichen U-Bahn-Fahrten heute.

Ein Kommentar zu “allein in der Ferne, Teil 8”

  1. tanja sagt:

    Ich hoffe, Sie haben nicht alle Macken verraten! ;-)