Aus dem Leben des

20. September 2006

Kindermodemachers.

Morgens, am Reißbrett.

„Mönsch, ich bin jetzt mal GANZ innovativ und kreativ und originell und denke mir mal Kinderbekleidung aus. Mal was ganz Anderes. Etwas völlig Neues. Nie Dagewesenes!
Dazu muss ich natürlich berücksichtigen, dass die Kinder von heute ja alle sowieso nur vor Computer/gameboy/Playstation sitzen, also müssen die Hosen recht weit und bequem sein. Wenn sie beim Aufstehen runterrutschen macht das nix, die Kinder stehen sowieso nie auf.
Mädchen kriegen ganz eng geschnittene Hosen, weil die sowieso nur kichernd in den Ecken stehen. OH! Das war zu eng, naja, mache ich den Bund halt etwas weiter, zur Not gibt´s ja coole Gürtel.. Dann streue ich noch ein bißchen Glitzer auf das rechte Hosenbein. Und das linke lasse ich von meinen indischen Fachkräften besticken. Oder mit zauberhaften Borten verzieren. Den Schlag am Hosenbein könnte ich weglassen und die Röhrenjeans wieder auferstehen lassen. Müssen die Mädchen eben ein bißchen dünner werden.

Was mache ich denn obenrum?
Warm muss es nicht sein, die Kinder von heute gehen nicht mehr raus. Reicht ein dünner Langarmpulli. Das ist aber langweilig. Ach, ich weiß! Der Lagenlook! Zwei, drei Sachen übereinander, das ist sooo kreativ! Die Kinder müssen sowieso nur die Hände bewegen. Mal sehen, ich habe hier diesen günstigen Polyester. Daraus lässt sich doch prima ein Poncho schneidern. Wie originell! Ein Poncho! Und der hält auch die Schulter- und Nackenmuskulatur schön warm, die verspannt ja so schnell bei unmässigem Gebrauch elektronischer Medien.
Über den Langarmshirts könnten die Kinder Hemden, alternativ Blusen tragen, wild gemustert, denn Kinder lieben es ja schreiend bunt. Und DANN, als absolutes Highlight: einen … Achtung … jetzt kommt es … Pullunder drüber! In Komplementärfarben! Ist das der Hit? Ist es . Das mach ich, „Hager und Mager“ verkauft ALLES. Die Ärmel der Langarmshirts mache ich ein bißchen länger, so dass die Finger warm gehalten werden. Sag einer, ich wäre nicht um das Wohlbefinden der Kinder besorgt.

Schuhe! Die fehlen noch!
Also Jungs können weiterhin Turnschuhe tragen. Mit Klett, damit sie sich nicht die wertvollen Finger (zum Taddeln) beim Schleife binden verrenken. Ausserdem ist Klett cool (und, ganz unter uns: ich habe da einen Deal mit ´ner Schuhfirma. Die nähen den Klett nicht ganz so sauber, dann sind die Schuhe schneller kaputt und die Kunden müssen schnell neue kaufen. Aber „psst!“) Ansonsten: Farben sind egal, Einheitsgröße ist in Ordnung, die Jungs brauchen eher coole karierte Socken und so, weil Schuhe hat man ja nur draußen an und die Kinder von heute … siehe oben.
Bei Mädchen ist das was anderes, weil hier muss ich ja an die Kollegen denken, die für Frauen schneidern. Schuhe müssen für Mädchen enorm wichtig sein, da wird die potentielle Schuhsüchtige angefixt. Es müssen Stiefel sein. Mit viel dickem Fell und hübschen Troddeln an der Seite. Und richtig kuschelig warm, damit auf jeden Fall noch ein zweites Paar Schuhe benötigt wird, für die etwas laueren Tage. Da schreibe ich dann wasserfest drauf, aber … hihi … das sind die Schuhe gar nicht, weswegen NOCH ein Paar gekauft werden muss.

Gegen Ende werde ich in den Schulen ein paar Gerüchte ausstreuen. Nur bestimmte Marken sind cool. Und nur wer bestimmte Marken trägt findet den ersten Knutschpartner. Und wer einen eigenen Geschmack hat, kann nicht ganz normal sein, oder?
Einkaufende Mütter lassen sich in den diversen Elternforen überzeugen. Ich brauche nur noch einen hübschen Nickname und dann werde ich von der hohen Qualität der Markenprodukte schwärmen. Und vom tollen Preis-Leistungs-Verhältnis. Und schon kaufen alle, alle meine Kleider und die meckernden Kinder, die sich über unbequeme Klamotten beschweren, bekommen zum Trost ein neues Gameboyspiel.

Bin ich froh, dass ich mir damals diesen Job ausgesucht habe.“

8 Kommentare zu “Aus dem Leben des”

  1. anabel sagt:

    Einfach SPITZE :-)

    LG anabel

  2. dasMiest sagt:

    Man könnte meinen, du hast gerade versucht Kinderklamotten zu kaufen…

  3. Jutta sagt:

    Haben Sie schon einmal daran gedacht ein Buch zu schreiben? Das Potenzial wäre vorhanden. Einfach super…

  4. Gabi K sagt:

    genau deshalb genieße ich, dass meine Kinder inzwischen (GOTT SEI DANK!!!) ALLEINE einkaufen gehen. :-DD

    LG
    Gabi K

  5. jette sagt:

    So ähnlich dachte ich heute auch. So ähnlich. Mir hob sich der Magen, und der Hals wurde irgendwie dicker.

  6. Corinna sagt:

    Was der Grund ist, warum meine Mutze immer für einen Jungen gehalten wird: weil ich mich von jeher geweigert habe, sie wie ein Modepüppchen einzukleiden und auch schon früher, als sie noch kleiner war, nie so recht verstanden habe, warum schon kleine Mädchen bauchfrei und „sexy“ gehen „müssen“. Wenn ich eindeutige Mädchenklamotten für sie kaufe, dann immer ein bis zwei Nummer größer, damit die T-Shirts wenigstens bis zum Hosenbund reichen, *ggg*.

    So long,
    Corinna

  7. Garnprinzessin sagt:

    …der Kindermodemacher hatte eines schönen Tages mit seinem Bruder getauscht, weswegen der eigentliche Kindermodenmacher nun in der Damenoberbekleidungs-Industrie entwirft. Das erklärt ja wohl einiges, oder?

    Es grüsst die ebenso genervte

    Garnprinzessin

  8. Louffi sagt:

    Hmmm… hab ich den falschen Job? SOllte ich ein Franchiseunternehmen eröffnen? :-)

    Aber im Ernst: mir wird immer ganz schwummerig, auch als Nicht-Mutter, wenn ich zehn- oder zwölfjährige Mädchen rumlaufen sehe wie kleine Lolitas. Was denken sich die Mütter dabei? Und: „Hager und Mager“ ist gut, das trifft voll in die Zwölf :-)