Zeugungsunfähig

18. Mai 2006

„Oh, ist das aufregend“, bibberte Frau … äh … Mutti, vor Saal 207 stehend, in dem sie ihre Zeugenaussage tätigen sollte. Die Aussage, die alles verändert, die für Gerechtigkeit im Land sorgt und für den Weltfrieden.
„Ob man mich im Zeugenschutzprogramm aufnehmen wird?“, fragte sie sich und freute sich auf ihre neues Leben auf den Seychellen. Oder auf den Malediven, da ist sie nicht wählerisch.

Der beste Vater meiner Kinder war zur Begleitung angereist. Und natürlich um Bericht zu erstatten, Zeugen dürfen nämlich nicht im Saal sitzen, sondern werden aufgerufen. Doch bevor Frau … äh … Mutti den Saal verlassen musste, wurde sie, genau so wie im Fernsehen, ich schwöre, belehrt. Nix Unwahres sagen, weil man sonst bestraft wird. In strengem Ton mit ernstem Blick über die Halbbrille hinweg. Nun aber raus, die Verhandlung beginnt.

Frau … äh … Mutti saß also auf der kalten Metallbank, zusammen mit den beiden anderen Zeugen. Eingeschüchtert, frierend und nur leicht durch einen netten Flirt ein informatives Gespräch mit dem Anwalt des folgenden Verfahrens getröstet.
Die Tür zum Saal ging auf und Rechtsanwalt samt Kläger traten, die Köpfe tuschelnd zusammen gesteckt, in den Flur. War nun der große Moment gekommen? Frau … äh … Mutti im Zeugenstand? Frau … äh … Mutti plötzlich verstummt, mit eiskalten, feuchten Händen und sehr wackeligen Knien. Anwalt und Kläger gingen in den Saal zurück. Drei Minuten später kamen sie erneut heraus, gefolgt vom besten Vater meiner Kinder, der grinsend „das war´s, wir fahren heim“ sagte.

Ich bin empört. Ich habe nächtelang wachgelegen, an meiner Aussage herumgefeilt. Habe dramatische Augenaufschläge und dezentes Erröten geübt. Habe meine Atemtechnik verfeinert und und meine Stimmmodulation geschult. Für nix. Für eine halbe Stunde im kalten Flur.

Gegenstand der Verhandlung (Frau … äh … Mutti wirft lässig mit Juristenausdrücken um sich) war übrigens der Einspruch bei einem Bußgeldverfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit mit Sachbeschädigung. Der Richter befand, dass die Schuld eines anderen nicht die eigene Schuld aufhebt. Ich persönlich finde, dass heute einige Menschen ihre Zeit vergeudet haben. Aber immerhin werden mir in den nächsten Wochen meine Auslagen in Höhe von 9,10 Euro erstattet.

(und keiner kam in Handschellen oder GING in Handschellen und niemand hat um Gnade gefleht. Aber der Stacheldraht um das eine Gebäude mit den vergitterten Fenster war schon sehr beeindruckend.)

2 Kommentare zu “Zeugungsunfähig”

  1. dasMiest sagt:

    Ich sag' (bzw. schreib') das zu gerne: Habe ich es dir nicht gesagt?

    Grinsegrüße, dasMiest

  2. Iris sagt:

    Herrliche Beschreibung! Habe mich köstlich amüsiert.

    Viele liebe Grüße von einer täglichen Besucherin

    Iris