Hallo Alltag, alter Freund!

2. Februar 2010

Du triffst mich erholt und entspannt und voller Motiviation, alles neu und besser zu machen.

Nachher. Wenn ich dieses Tässchen Kaffee getrunken und dieses letzte Stück Kuchen verspeist habe.

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Sollten Sie es in Erwägung ziehen, nach Berlin zu reisen, dann tun Sie das doch nicht im Winter. Wenn Schnee liegt. Der Berliner an sich räumt nämlich nicht die Gehwege frei.
Stellen Sie sich vor, da schimpft die Frau … äh … Mutti ständig über die Nachbarn, die jedes hauchzarte Schneeflöckchen vom Gehweg pusten und kaum ist sie in der großen Stadt, sehnt sie sich nach ihren spießigen, kleinbürgerlichen Lebensverhältnissen. Denn die sind so herrlich unrutschig. Auf den Berliner Gehwegen, auf den meisten die wir begingen jedenfalls, klebte zentimeterdickes Eis. Mal gespickt mit ein paar Rollsplittkörnchen, mal gepudert mit ein bißchen Sand. Oft aber einfach nur glänzend und glatt. Wie dankbar waren wir für ein paar rutschhemmende Schneeflöckchen.
Als wir am Donnerstag anreisten, hatte in Berlin das große Tauen eingesetzt. Und dieses Erlebnis verführt mich zu einem weiteren Ratschlag: fahren Sie nicht nach Berlin, wenn dort Tauwetter ist. Denn unter dem Schneematsch verstecken sich riesige Pfützen, meistens an Fußgängerampelübergängen. Pfützen so groß, dass kleinere Menschen darin beinahe ertrinken können. Auf dem Hinweg zu unserer Wohnung mussten wir uns oft auf unseer Trolleys setzen und über die Schmelzwasserseen staken. Apropos Trolley: die Strassen, die geräumt waren, verdanken diesem Zustand uns, bzw. unserem verbissenen Einsatz, den Trolley auch durch tiefe Schneeverwehungen zu zerren. Kleine Räumfahrzeuge, irgendwie.
Ansonsten kann ich Ihnen mitteilen, das der Berliner an sich gerne übertreibt. „Minus 25°C!!!“ warnte man uns. „Zieht euch echt warm an!!“, empfahl man uns.
Und so kam es, dass Frau … äh … Mutti zwei Shirts, eine Wolljacke, Armstulpen, einen sehr dicken Wollschal, den langen Mantel und die Fellstiefel trug, als sie im tauenden Berlin landete. Und nach den ersten beiden Malen U-Bahn-umsteigen-in-voller-Montur-mit-schwerem-Gepäck unter akutem Deoversagen litt.
Einzig am Samstag, als es dank des Windes waagrecht schneite, was zu fiesen Nadelpieksern im Gesicht führte, war es etwas kühler. Das war im übrigen auch der Tag, an dem ich die Chucks trug, weil es ja nie so kalt wie behauptet wurde, war. Meine beiden kleinen Zehen sind noch immer gefroren.

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Wir hatten eine Menge Spaß und weil wir in einer netten Wohnung wohnen durften, fühlten wir uns direkt einheimisch. So einheimisch, dass wir abends einfach im Wohnzimmer die Heizung aufdrehten, statt uns ins raue Nachtleben zu stürzen. Mangels Fernseher mussten wir uns unterhalten, was auch zwei Abende lang prima funktionierte, für den dritten Abend erstanden wir eine DVD („Viel Lärm um nichts“ mit einem schnuffeligen Kenneth Branagh und einer wundervollen Emma Thompson) und köpften den Rotwein, der ursprünglich als Mitbringsel gedacht war.

„Wie laaaangweilig“, mag nun der eine oder andere denken.

„Wie gemüüüüütlich!“, wage ich zu erwidern. Und wie erholsam nach den vollen, lauten, anstrengenden Tagen in der großen Stadt.

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Es war toll! Ich traf eine Menge Menschen, die ich immer treffe, wenn ich in Berlin bin. Ich traf Menschen, die eher in Hamburg hätte treffen können und ich traf Menschen zum ersten Mal.

Ich speiste indisch, amerikanisch, irgendwie anders orientalisch und mexikanisch, letzeres auch irgendwie orientalisch angehaucht, mit fingerdicken Ingwerstückchen im Gemüse. Alles lecker! Einmal aß ich einen sehr trockenen Dinkelkeks und empfand augenblicklich sehr tiefes Mitleid mit dem Kind, das mit diesen Keksen verwöhnt wird. Ein anderes Mal frühstückte ich ein Croissant, das so fluffig und knusprig und köstlich war, dass ich mich wie Gott in Frankreich fühlte. Ich aß frische Ananas und kandierten Ingwer und ich trank meistens Kaffee. Und Sekt. Und zwei Gläser Wasser, ungefähr.

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Mit schlafwandlerischer Sicherheit hüpften wir von U-Bahn zu U-Bahn, einmal auch in den Bus und einmal in die S-Bahn. Souverän! Und einmal verliefen wir uns auf dem Heimweg, weil nachts ist alles dunkel und wegen des dicken Eises auf dem Gehweg kann man den Blick nicht nach oben richten. Zum Glück bemerkten wir schon nach ca. einem halben Kilometer in der falschen Richtung. Und in Mainz stiegen wir in den Zug, der durch Nierstein hindurchflitzte und erst in Oppenheim anhielt. Das war ein klitzekleines Bißchen lästig, nach der langen Reise, kurz vorm Ziel noch einmal warten zu müssen.

In Berlin beim Abflug ging beinahe alles glatt, jedenfalls für die Mutter der allerbesten Tochterfreundin und mich. Der Freundin, die nie Zeit hat allerdings erklärte man, sie habe bereits eingecheckt, elektronisch. Hatte sie aber nicht, das wusste sie genau und wir waren ein bißchen in Sorge, wie es nun weitergehen würde, als die freundliche Frau vom Schalter mit dem Pass nach nebenan verschwand. Die Freundin, die nie Zeit hat bekam dann schließlich doch ein Ticket und auch einen Platz Im Flieger, leider vier Reihen hinter uns. Wer unter ihrem Namen eingecheckt haben soll – das wird nun ein ewiges Geheimnis bleiben.

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Ein bißchen Kutur gab´s auch. Da die anderen beiden Landeier es noch nicht besichtigt hatten und es sowieso gerade wieder mal schneite (es war dieser Samstag), schlenderten wir durch das Museum am Checkpoint Charlie. Und am Sonntag zog es uns in neue Museum. Mich garnicht mal wegen der Nofretete oder dem anderen Kram. Ich habe vor Monaten einen Bericht über die Restaurierung/Renovierung des Museums gesehen, mit einem Interview des Architekten. Und dieser Bericht hatte mich sehr beeindruckt. Das neue Museum ist wunderschön geworden! Niemand hat sich die verschwendete Mühe gemacht, Neues wie Altes aussehen zu lassen, dafür ist das Neue aber so klar, schlicht und zurückhaltend, dass es einen tollen Rahmen für das Alte abgibt. Ich habe mehr über die geflickten Wände gestaunt, als über die vierhundertste Würfelstatue einens ägyptischen Schreibers. In die Alt- und Neusteinzeit schafften wir es dann nicht mehr, drei Stunden Museum reichen manchmal einfach aus, der Kopf ist voll.

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Shoppen waren wir natürlich auch. Erfolgreich, denn mein Trolley wog beim Heimflug 19,2 Kilo.

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Berlin ist toll. Immer wieder. Einmal im Jahr freue ich mich, dort zu sein. Aber immer dort leben … geht nicht. Gestern abend lag ich in meinem Bett und war irritiert. Es dauerte ein wenig bis ich herausgefunden hatte, woran das lag: es war so ruhig! Kein U-Bahn-Gerumpel, keine gröhlenden Menschen unter/über/neben mir oder vor meinem Fenster und ganz selten nur ein Auto, das vorüber fuhr.

Ich vermisse hier die Möglichkeiten, die diese große Stadt bietet, die U-Bahnen, die einem so rasch dorthin bringen, wo man hinwill. Hier wartet man mindestens eine halbe Stunde auf den Zug. Es gibt Theater und Musik und Museen undundund. Hier gibt es Weinberge :) Ich ahne aber, dass ich nicht mehr ins Museum oder ins Theater ginge, lebte ich in Berlin. Oder in einer anderen Stadt. Denn was vor der eigenen Tür liegt, kann ja jederzeit besichtigt und genossen werden. Später mal, wenn ich wieder Zeit habe. Und dann wird es nie was.

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Jetzt aber: Alltag.

Ich schicke mein Töchterlein zum Skifahren, ich will Flur und Küche streichen und vielleicht auch das Schlafzimmer. Im Februar muss das Wintergärtchen aufgehübscht werden, denn an den sonnigen Tagen sollte dort der Liegestuhl Platz finden.

Auch wenn frischer Schnee liegt: der Frühling ist hier in den Startlöchern. Und ich bin es auch, viele Vorhaben dieses Jahr und noch viel zu tun dafür. Und jetzt bin ich ja erholt.

16 Kommentare zu “Hallo Alltag, alter Freund!”

  1. skizzenblog sagt:

    isch sags ja imma wieda:
    dehämm isses am schönschde!
    :-)

  2. Birgit sagt:

    willkommen daheim!

  3. Suse sagt:

    Ich liebe diesen alltäglichen Wahnsinn in der grossen ( und schönsten) Stadt – BERLIN… du bist so wunderbar!
    Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es für Nicht-Grossstädter doch eine Umstellung ist.

    Viele Grüße und eine schöne Woche,
    Suse

  4. Frische Brise sagt:

    Ein schöner Bericht.

    Und ja, lebt man in dieser Stadt, geht man nicht ständig ins Museum und so, denn man könnte es ja jederzeit tun.
    Bei meinem Umzug nach Hamburg habe ich gemerkt, daß ich nicht mal ein Foto vom Brandenburger Tor habe, so als Berlinerin…

    Gute Erholung zu Hause!

  5. Llewella sagt:

    Oh, das hört sich nach einem wirklich schönen Trip an. Hoffentlich hat Frau Knie die Rutschpartien im nicht geräumten Berlin gut überstanden!

    Viel Lärm um nichts ist ein Film, den ich auch immer wieder gerne sehe. Übrigens ist er auch im englischen Original klasse, denn die Shakespearische Sprache ist einfach toll und gut zu verstehen.

  6. Klasse-Kleckse sagt:

    Das klingt richtig gut!

    Gruß Uschi (heute mal nur kurz, obwohl mir viel dazu einfallen würde – aber ich habe das Gefühl, heute fehlen mir die richtigen Worte – irgendwie)

  7. Kirstin sagt:

    @ Frische Brise
    Ich kenne das Gefühl auch. Da wohnt man sein Leben lang in Berlin und beim wegzug war man nicht einmal auf dem Reichstag, Fernsehturm und einige andere Dinge. Vermissen? Hmm nein vermissen tu ich das auch nicht, nicht dort gewesen zu sein.

    Frau .. äh .. Mutti, wie schön Sie doch Berlin umschrieben haben. :) Ich sagte Ihnen ja schon im Vorfeld das Sie lieber nicht so genauer hinsehen sollten bei dem Wetter.

    Meiner einer besucht die Heimat ende März wieder.

  8. tanja sagt:

    Das liest sich so richtig schön.

    Und ich kriege wieder Fernheimweh nach NY. Da könnte ich auch direkt wieder hin. Und vielleicht auch mal eine Weile da wohnen. Aber nicht für immer, dafür hänge ich zu sehr an meiner Scholle. ;-)

  9. diekleine sagt:

    Willkommen zurück! Was Sie da schreiben ist schon wahr. Berliner sehen wirklich nicht mehr was sie da alles für tolle Sachen direkt vor der Türe haben. Meine Mutter, die dort wohnt, sagt immer so schön: „Was willste denn da? Da gehen nur die Touri’s hin!“ :-)
    Viel Spaß beim Alltag einfangen und renovieren, gibt es dann Fotos?
    LG
    Die Kleine

  10. Ola sagt:

    Schön, haben sie Berlin beschrieben.
    Ich war in der Zeit während sie hier in Berlin waren, in der Nähe von Bingen bei meinen Eltern. Und es hat geschneit und geschneit und man konnte kaum mit dem Auto irgendwohin- und zu Fuss ist es zu weit und nun bin ich froh wieder hier in der großen Stadt zu sein- ohne Auto. ;-) Aber mit Geschäften und Menschen auf der Straße, und U-Bahnen.

    Aber laut ist es hier- das finde ich auch. Und ins Theater gehe ich hier auch seltens- und ins Kino auch nur, wenn der Film den ich sehen will gerade mal im Kino um die Ecke kommt. Wenn ich in einen anderen Bezirk fahre, ist es aufregend und wie ein Ausflug in eine andere Stadt.
    Meine Eltern lachen immer, wenn sie hier sind, denn die Cafes machen erst um 10Uhr auf und man kann bis 16Uhr frühstücken. Verrückte Welt- denken sie. Stimmt schon irgendwie.
    Berlin als Berlin nehme ich wahr, wenn wir lieben Besuch haben und mit ihm durch die Stadt fahren und Tourisachen machen- immer wieder spannend. ;-)
    Liebe Grüße
    Mohn&Marzipan

  11. minerva sagt:

    ach frau mutti…. gerade an einem tag wie heute kann ich zu ihnen kommen und freu mich darauf, das ich sicher mit einem lächeln und froheren gedanken wieder gehen kann.

    herzlichen dank für diesen schönen berlin-bericht, der mein verhältnis zu dieser stadt so treffend wiedergibt.

    aber noch schöner: frau mutti ist wieder da :)

  12. jette sagt:

    fein, das nachhausekommen.

  13. Marion sagt:

    Schön! Ist doch toll wenn man als Mama und Hausfrau auch mal raus darf, oder?
    Obwohl Berlin für mich eher wie ein kleines Dorf ist (und dreckig).
    VG

  14. peelia sagt:

    Angeblich soll der Frühling dieses Jahr erst Mitte März kommen. Aber tut er das nicht jedes Jahr!?

  15. PaulaQ sagt:

    Wie schön, Sie wiederzulesen! Und danke für die virtuelle Stadtluft! Ich beneide ja sehr meinen Gatten, welcher im Sommer (!) in die Große Stadt fahren darf, der einzige Nachteil an dem Trip ist, daß er einen Haufen spätpubertierender Kinder an der Backe hat….(hihi).
    Und nach Frühling sieht es hier mal gar nicht aus! Draußen tobt ein Schneesturm de Luxe….=(

  16. Steffi sagt:

    Schön, dass Sie wieder da sind, Frau Mutti!
    Ich bin am Wochenende übrigens quasi bei Ihnen an der Haustür vorbeigefahren. Irgendwann auf dem Weg von NL nach hinter Heidelberg (die Ex-Schwägerin feierte Ihren 40sten) fiel mein Blick zufällig aufs Navidings, und da stand… Nierstein… und ich musste an Sie denken… und grinsen, weil ich ja wusste, dass Sie grad‘ in Berlin weilen…
    Groetjes!